Kapitel 34

Rebecca stand gerade in Mrs Lewis’ Küche und übergab ihr die Post, als der Funkspruch durchkam.

»Bec! Dad! Feuer! Der Mähdrescher hat einen Brand ausgelöst!«

Die Panik in Charlies Stimme machte ihr Angst. Augenblicklich griff sie nach dem Mikrofon. Mrs Lewis eilte herbei und blieb neben ihr stehen.

»Ich hab’s gehört, Charlie. Ich rufe die Feuerwehr.«

»Mach schnell«, war alles, was er sagte.

Sie wechselte den Kanal und hielt das Mikrofon an den Mund. »Yarella Basis. Yarella Basis, hört ihr mich?«

»Ich höre«, antwortete Mrs Chapels Stimme.

»Hier ist Parkside Basis. Wir haben einen Feldbrand an der Oststraße. Wir brauchen dringend Trucks.«

»Eine Sekunde. Ich glaube, Bill ist im Maschinenschuppen. «

Bec biss die Zähne zusammen und zischte ungeduldig in das ausgeschaltete Mikrofon: »Scheiße.«

Mrs Lewis verschränkte die Arme vor der Brust. Sekunden später war Bill Chapel auf Sendung und sprach in das Funkmikrofon in seinem Pick-up.

»Rebecca, ich hab alles gehört … Wir kommen so schnell wie möglich.«

»Roger. Ich wechsle jetzt auf Kanal Neun.« Rebecca hängte das Mikrofon ein und drehte am Schalter für die Funkkanäle. Dann sah sie zu Mrs Lewis auf. »Charlie hat einen Wassertank auf dem Pick-up und dazu drei Sprühgeräte. Wir sollten losfahren und ihm helfen. Er braucht einen Fahrer.«

»Oh.« Mrs Lewis wich instinktiv zurück. »Normalerweise fahre ich nicht zu diesen Bränden. Jemand muss beim Telefon bleiben.«

»Aber Mr Lewis ist nicht da, er arbeitet auf einer anderen Farm! Charlie braucht uns! Wir sind auch über Funk erreichbar.«

Mrs Lewis war nicht aus ihrer Küche zu bewegen.

»Na schön, soll die Ernte doch verbrennen. Hauptsache, Sie packen uns genug Sandwiches ein«, sagte Rebecca leise, als sie aus dem Haus rannte. Sie stieg in ihre Stiefel und brauste in ihrem Toyota davon.

Am Horizont konnte sie eine riesige, schwarze, aufgeblähte Rauchwolke erkennen, die in einer schmalen Säule in den blauen Himmel aufstieg. Als sie sich dem Feld näherte, sah sie die orangefarbenen Flammen, die sich in einer tanzenden Linie unter einem Vorhang aus schwarzgrauem Qualm vorarbeiteten. Charlie kämpfte dagegen an und besprühte die Flammen vergeblich aus einem Rucksacktank. Die Stoppeln knisterten und knackten unter dem Wind, der sie genau auf das noch nicht abgeerntete Getreide zutrieb. Sie parkte den Pick-up an einer hoffentlich sicheren Stelle und rannte zu Charlies Fahrzeug mit dem Sprühtank. Dabei schlug ihr der glühende Wind ins Gesicht und wehte ihr die Haare vor die Augen.

»O Gott!«, rief sie, als sie erkannte, dass der gigantische Mähdrescher, der den Brand ausgelöst hatte, Feuer fangen konnte, falls sich der Wind drehte.

»Der Mähdrescher!«, schrie sie Charlie zu und rannte so schnell sie konnte quer über das holprige Feld. Sobald sie in der Kabine saß, fuhr sie den Messerbalken hoch und lenkte die Maschine weg auf die Wiese. Nachdem sie den Mähdrescher neben dem Pick-up geparkt hatte, rannte sie wieder zu Charlies Fahrzeug, auf dem ein Wassertank mit Pumpe montiert war.

»Ich fahre!«, brüllte sie noch im Laufen. Charlie folgte ihr. Er schleuderte den schweren Rucksacktank auf die Ladefläche des Pick-ups und riss am Anlasserseil der Wasserpumpe. Dann sprang er auf die Ladefläche und schlug auf das Kabinendach, um Bec anzuzeigen, dass sie an die Feuerfront fahren sollte. Den Schlauch fest in der Hand, richtete er den Wasserstrahl auf das Feuer, woraufhin Flammen augenblicklich erstarben und eine Schneise von geschwärztem, versengtem Boden zurückließen.

Langsam fuhren sie die Front entlang, doch Bec war klar, dass sie auf lange Sicht die Schlacht verlieren würden. Das Feuer breitete sich allmählich nach Norden aus und drang gleichzeitig rasend schnell nach Osten vor. Als endlich zwei Feuerwehrwagen angerollt kamen, stand bereits ein großer Teil der Ernte in Flammen. Als kurz darauf weitere Wagen eintrafen, fiel Rebecca ein Stein vom Herzen. Aus dem Funkgerät im Wagen krächzten aufgeregte Stimmen.

»Fünfhundert Meter vom Osttor entfernt gibt es einen Brunnen. Dort könnt ihr wieder auffüllen«, hörte sie eine Stimme.

»Wir sind gerade angekommen, Charlie. Wo brauchst du uns?«, meldete sich eine andere Stimme. Rebecca griff zum Mikrofon.

»Wir brauchen einen Truck auf der Nordseite«, sagte sie. »Da drüben gibt es einen Feldweg. Dort können wir das Feuer aufhalten.«

Männer in orangefarbenen Overalls kletterten auf die Ladeflächen der Feuerwehrlaster und versprühten aus dicken Schläuchen Wasser. Andere fuhren mit ihren privaten Pick-ups an den Brand heran und begannen, an den Ausläufern der Front mit nassen Säcken auf die Flammen einzuschlagen.

Als das Wasser im Tank auf Charlies Pick-up aufgebraucht war, erklärte sich einer der Männer bereit, den Wagen zum Brunnen zu fahren und den Tank zu füllen. Dankbar sprang Bec aus dem Führerhaus und lud sich, genau wie Charlie, einen der schweren Rucksacktanks auf. Seite an Seite arbeiteten sie sich vor und spritzten Wasser auf die knisternde Flammenfront, die bei jedem Windstoß beängstigend schnell voranschritt. Die Flammen leckten an den gelben Stoppeln, ließen sie in hellem Orange aufleuchten und hinterließen ein Kielwasser aus schwarz schmauchender Erde. Winzige Tornados wirbelten auf, wo die Flammen gewütet hatten, und jagten haarfeine, geschwärzte Grashalme in die Luft, die sich im Strudel auflösten und sich auf den verschwitzten Gesichtern festsetzten. Charlie sah Bec an. Sie wusste, dass er gleich fragen würde, ob sie okay war.

»Das ist das heißeste Date, das ich je hatte«, witzelte sie, um alle Bedenken wegzuwischen, die er ihretwegen haben mochte. Charlies Gesicht entspannte sich ein wenig, und ein Lächeln zuckte um seine Lippen. Sie hatten das Gefühl, dass sie jetzt, wo Hilfe eingetroffen war, allmählich die Oberhand bekamen.

Plötzlich drehte die warme Brise, und Charlie und Bec wurden, ehe sie weglaufen konnten, von Rauch eingehüllt. Bec spürte, wie Tränen über ihr Gesicht strömten. Beide rannten los, um dem Qualm zu entkommen. Egal wie. Um sie herum lag ein dichter Schleier. Sie kämpften sich durch den Rauch auf einen roten Laster zu.

»Wollt ihr mitfahren?«, fragte eine freche Stimme, und Rebecca und Charlie hängten sich dankbar am Wagen fest.

»Alles in Ordnung, Liebes?«, fragte ein stämmiger Mann mit Himmelfahrtsnase.

»Schon«, sagte Bec. »Alles okay.« Sie presste die Fingerspitzen in die brennenden Augen.

Der Truck rollte langsam am Feuer entlang, während der stämmige Fahrer einen mächtigen Wasserstrahl auf die sich windende Flammenspur richtete. Bec klammerte sich an einer Stange auf der Wagenseite fest und sah, dass inzwischen mindestens acht Trucks das Feuer von allen Seiten einzudämmen versuchten.

»Gott sei Dank. Ich glaube, der Wind lässt nach«, sagte Charlie, den Blick auf das Feuer gerichtet. Inzwischen wehte er gegen die Flammen an, wodurch sich der Brand auf eine schmalen Spur zwischen den Stoppeln reduzierte. In der Ferne kam ein Traktor mit einem angehängten Pflug von der Farm der Chapels angetuckert. Bec sah ihn näher kommen. Sobald er auf das Feld bog, senkte der Fahrer das Tempo, dann ließ er die Pflugschar zu Boden. So fuhr er vor den Flammen weg und wendete die rote Erde zu einer breiten Feuerschneise.

Nachdem der Wind erneut gedreht und zuletzt endlich abgeflaut war, fiel die ängstliche Anspannung von den Männern ab. Die Flammen erstarben, und die Trucks fuhren kreuz und quer über die versengte Fläche, um die letzten glimmenden Stellen zu löschen.

Als sich der Qualm zu verziehen begann, sammelten sich die Trucks am Rand des versengten Bereichs. Die Feuerhelfer, die auf den Ladeflächen ihrer Pick-ups saßen oder sich aus dem Heck der Einsatzfahrzeuge lehnten, begannen sich zu unterhalten und versuchten abzuschätzen, wie viel verbrannt war und wer alles gekommen war, um den Brand zu bekämpfen. Sobald die Panik nachließ, wandelte sich die Hilfsaktion in eine Art geselliges Beisammensein. Immer noch darüber erschrocken, wie plötzlich das Feuer ausgebrochen war, versuchte Charlie sich zu sammeln. »Es hätte viel schlimmer kommen können«, trösteten ihn die Männer. Er genoss die Frotzeleien und die ruppigen Trostsprüche der Männer.

Doch sein Verhalten änderte sich abrupt, als Mr Lewis auf das Feld und den versengten Streifen entlanggefahren kam.

»Wurde Zeit, dass du auch mal auftauchst«, begrüßte ihn Mr Chapel ironisch.

Mr Lewis stieg mit hochrotem Gesicht und unübersehbar besorgt aus dem Wagen. »Wie viel Getreide haben wir verloren? «, fragte er Charlie.

»Ein paar hundert Hektar, würde ich schätzen.«

»Keine Panik«, sagte Mr Chapel. »Es hätte schlimmer kommen können.« Mr Chapel schlug Charlie freundschaftlich auf die Schulter.

»Diese beiden jungen Hüpfer hier haben dir die ganze Arbeit abgenommen, Kumpel. Du hättest gar nicht herkommen müssen.«

»Wirklich nicht, Bill?« Mr Lewis drehte sich lächelnd zu seinem Wagen um. Dann zog er einen Karton mit Bier vom Beifahrersitz.

»Mann, du alter Teufel«, rief Bill Chapel fröhlich.

Mr Lewis riss den Karton auf und zerrte die in Plastik verpackten Sixpacks heraus. Er reichte jedem Mann eine eiskalte Flasche. Als er Rebecca eine Flasche in die Hand drückte, verzog er keine Miene. Er schenkte ihr nicht einmal ein Lächeln. Sie spürte seinen Tadel – sie hatte hier nichts zu suchen. Charlie entging die missbilligende Reaktion seines Vaters nicht. Er trat an Rebeccas Seite und wischte die Rußspuren weg, die ihre Wangen bedeckten.

»Danke, dass du den Mähdrescher weggefahren hast, Bec«, sagte er so laut, dass sein Vater es hören musste. »Wenn du nicht wärst, hätten wir ihn und noch viel mehr Getreide verloren.«

Sie lächelte ihn dankbar an und lutschte den Schaum von der Flaschenöffnung.

Rebecca war gerade bei ihrem zweiten Bier, als ein Wagen die rote Staubstraße entlanggerast kam. Auf dem Beifahrersitz saß, im Sitz eingesunken wie ein kleines Kind, Mrs Lewis, während Marjorie Chapel am Steuer saß. Als der Wagen anhielt, stiegen die Frauen aus und holten, ohne ein Wort zu verlieren, einen Korb voller Sandwiches aus dem Kofferraum. Die beiden Damen marschierten mit spitzen Schritten durch die nicht verbrannten Stoppeln und verteilten die Sandwiches.

Rebecca saß auf der Ladeklappe des Pick-ups, baumelte mit den Beinen und plauderte mit einem der Männer über Hunde, als Mrs Lewis ihr ein Sandwich anbot. Sie wischte sich mit dem Handrücken das Bier vom Mund, nahm das Weißbrot in ihre schwarzen Finger und sagte: »Oh! Vielen Dank!«

Mrs Lewis’ Schweigen und ihr finsterer Blick sagten alles. Rebecca schob ihre Kappe in den Nacken und fuhr sich mit den Fingern durch das nach Rauch riechende Haar.

Scheiß drauf, dachte sie sich.


An jenem Abend sagte Rebecca, während Charlie mit dem Waschlappen ihren Nacken rubbelte: »Das … mit mir … hier. Bei euch. Das haut einfach nicht hin, oder?«

Charlie hielt im Schrubben inne. Als sie sich umdrehte und den Kummer in seinen Augen sah, musste sie ihn einfach in die Arme schließen.

Wo die Wasser sich finden australien2
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