Kapitel 29

Rebecca saß in ihrer Prüfung über Agrarökonomie. Sie hatte den Stift hinter das Ohr geklemmt und tippte stirnrunzelnd Zahlen in ihren Taschenrechner ein, um die zukünftigen Erträge der hypothetischen Wollkontrakte zu errechnen. Der Prüfungsaufseher kam zwischen den Pulten auf sie zu und beugte sich vor, um ihr etwas ins Ohr zu flüstern. Er bat sie, Taschenrechner und Stift abzulegen und mit ihm nach draußen zu kommen. Ungläubig sah sie zu ihm auf. Im ersten Moment glaubte sie, er würde ihr unterstellen, sie hätte gespickt, aber sein mitleidiger Blick sagte ihr, dass etwas Schreckliches passiert sein musste. Ein paar Studenten sahen kurz auf, als sie leise aus der Tür huschte. Die anderen schrieben weiter.

Draußen legte Ross den Arm um ihre Taille und führte sie zum Rektorat. Graue Locken umrahmten sein rotes Gesicht. Er wirkte bedrückt. Charlie stand ein wenig abseits auf dem gepflasterten Weg. Er trat näher zum Rektor. Rebecca sah von ihrem Rektor auf Charlie.

»Rebecca, ich habe leider schlechte Nachrichten für Sie«, sagte der Rektor milde. Er streckte eine rosa Hand aus und legte sie auf ihre Schulter.

»Es geht um Ihren Bruder Tom.«

Ehe der Rektor weitersprechen konnte, wusste Bec, dass Tom tot war. Sie wusste es einfach. Sie spürte, wie der Atem, wie das Leben aus ihr gepresst wurde. Noch während sie zusammensackte, schrie sie auf. Obwohl es kein Schrei war, nur ein Stöhnen, ein qualvolles Stöhnen.

Charlie trat vor den Rektor und fing Rebecca mit seinen Armen auf. Ihr Kummer schnürte ihm die Luft ab. Er spürte das genau. Als der Rektor ihn angerufen hatte, um seine Hilfe zu erbitten, und ihm dabei die Neuigkeit erzählte, hatte Charlie zuerst vor allem Angst um Bec bekommen. Wie konnte er sie vor so etwas beschützen?

In Charlies Armen überschlugen sich Becs Gedanken. Dann setzte die Panik ein. Ihre Knie fühlten sich an, als würden sie unter ihr einknicken, und sie glaubte, sich übergeben zu müssen.

»Warum? Wie? O Gott …«

Charlie flüsterte ihr alle Einzelheiten zu, und jedes Wort durchbohrte sie wie ein Messerstich. »Sich umgebracht.« »Suizid.« »Gestern.« Die Worte fügten sich zusammen und formten eine grauenvolle neue Realität in Becs Geist. Während sie die Nachricht zu verarbeiten versuchte, explodierten Hass und Zorn auf ihren Vater in ihr. Sie biss die Zähne zusammen und begann laut und mit zusammengekniffenen Augen zu heulen.

Charlie legte die Hand auf ihren Kopf, drückte Rebecca an seine Brust und begann sie wegzutragen. Ross kam mit ihnen, die Hand immer noch auf Becs Rücken. Der Rektor folgte langsam nach. Mit grimmigem Gesicht. Ein Blatt Papier fest zwischen den Fingern.


In Rebeccas Zimmer legte Charlie sie ins Bett und breitete die Decke über ihre Schultern. Dann zog er die Vorhänge zu und schloss die Sonne aus. Er legte sich neben sie und strich ihr übers Haar. Er versprach, sich um alles zu kümmern.

Rebecca schlotterte. Als das Telefon läutete, küsste Charlie sie liebevoll auf den Kopf, ging aus dem Zimmer und zog die Tür hinter sich zu.

Rebecca wälzte sich im Halbdunkel ihres Zimmers im Bett und brüllte in ihr Kissen, bis sie spürte, wie ihr wieder übel wurde. Sie versuchte still und ruhig zu liegen und starrte auf die glühenden grünen Digitalziffern des Weckers, bis ihr Blick verschwamm. Sie hörte, wie Charlie nebenan leise und schnell ins Telefon sprach. Sobald er sich verabschiedet und aufgelegt hatte, läutete das Telefon erneut.

Als er endlich wieder in ihr Zimmer zurückkam, schlief sie schon; schlief in ihrer Tom-losen Welt.

Wo die Wasser sich finden australien2
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