Kapitel 7

Charlie Lewis ließ seine staubige Leinentasche auf den Boden in seinem Zimmer fallen und kippte vornüber aufs Bett.

»Charlie?«, hörte er die Stimme seiner Mutter. »Bist du das, Schatz?« Charlie brachte nur noch ein Stöhnen heraus. Sein Gaumen fühlte sich rau an, und ihm tat alles weh. Er kniff die Augen zu und schluckte die Übelkeit hinunter. Mrs Lewis streckte den Kopf durch die Tür.

»Dein Vater tobt schon seit heute Morgen. Das ganze Wochenende, ehrlich gesagt … Ach Gott, du hast das schon wieder mit deinen Haaren gemacht!« Charlie rührte sich nicht. Er lag auf dem Bett wie ein Toter. Mrs Lewis huschte seufzend ins Zimmer. Sie machte sich daran, seine Reisetasche aufzuziehen.

»Hast du was zu waschen?«

»Lass es, Mum.« Charlies Reibeisenstimme war durch das Kissen kaum zu verstehen.

»Du könntest ruhig diese widerlichen Sachen ausziehen, dann wasche ich gleich eine Maschine. Du siehst noch schlimmer aus nach deiner letzten Junggesellenparty.«

Charlie wälzte sich zur Seite und sah an sich herab. An seinem blauen Hemd waren alle Knöpfe abgerissen, und seine Jeans waren mit fettigem Staub und klebrigen Cola-Rum-Flecken überzogen. Tomatensoßenspritzer hatten sie mit seltsam gefärbten Sprenkeln getönt. O Gott, stöhnte er innerlich, der Tomatensoßenkampf … dafür waren sie aus dem Pub geflogen. Er ließ den Kopf aufs Bett zurückfallen.

»Ich weiß nicht, was ihr alles treibt, wenn du dich mit deinen Freunden in der Stadt triffst, Charlie, aber ich bin sicher, dass ich es auch nicht wissen möchte.«

Mit diesen Worten begann Mrs Lewis an den Sportsocken ihres Sohnes herumzuziehen, was ihn weniger gestört hätte, wenn er sie nicht noch an den Füßen getragen und nicht so deutlich gespürt hätte, dass er seinen Knöchel verstaucht hatte.

»Schon gut!«, sagte er wütend, setzte sich auf und schlug ihre Hände weg. Dann begann er die stinkenden Sachen von seinem Körper zu schälen und reichte sie nacheinander seiner streng blickenden Mutter, bis er in seinen blau karierten Boxershorts vor ihr stand.

»Ich funke deinen Vater an und sage ihm, dass du zu Hause bist.«

»Nein, Mum. Gib mir noch eine Stunde.«

Mrs Lewis schüttelte den Kopf und eilte ärgerlich aus dem Zimmer, den Arm voll mit Charlies verdreckten Klamotten.

»Danke, Mum«, sagte er und ließ sich wieder aufs Bett fallen. Mrs Lewis hörte ihn nicht. Gleich darauf, noch während er die Rohre gluckern und die Waschmaschine anlaufen hörte, rief Mrs Lewis nach oben: »Und dusch dich, bevor du dich wieder auf dein Bett legst.« Charlie verzog das Gesicht und rutschte unter die kühlen Laken. O Gott, dachte er, sein Alter würde ihn in der Luft zerfetzen. Er dachte daran, wie er am Freitagabend seiner Mutter einen Abschiedskuss gegeben und seinem Vater zugenickt hatte.

»Bis Samstagnachmittag bin ich zurück und kümmere mich um die Fahrzeuge«, hatte er gesagt, sein Vater hatte ihn über die Zeitung hinweg angesehen und nur geantwortet: »Komm nicht zu spät.« Damit war Charlie abgezogen, und nur ein leichter Duft nach Shampoo und Seife war zurückgeblieben. Seine Mutter hatte sein Hemd bretthart gebügelt, darum hatte er, während er in seinem Pick-up zum Pub gefahren war, die Ärmel rücksichtslos über die braunen Unterarme gekrempelt und versucht, den gestärkten Kragen zu lockern.

Jetzt wälzte sich Charlie erneut auf den Bauch und begann zu stöhnen. Wie konnte das nur passieren? Am Freitagabend war er losgefahren, und jetzt war es Montagmorgen. Schuld waren nur diese behämmerten Baumwollbauern. Die hatten das Ernten und Ballenrollen beendet und zum Abschluss richtig einen draufgemacht. Irgendwie war Charlie in ihre Feierlichkeiten geraten. Der Freitagabend im Pub hatte sich bis zum Samstagvormittag hingezogen. Als er irgendwann aus seinem Schlafsack gekrochen und zu seinem Pick-up gestolpert war, weil er heimfahren wollte, musste er feststellen, dass jemand seinen Autoschlüssel geklaut hatte. So angestrengt er seinen Freunden auch ins Gesicht gefurzt und ihre Nippel gezwirbelt hatte, er konnte nicht herausfinden, wer der Übeltäter war. Irgendwann hatte Charlie aufgegeben. Er war durch die quietschende Tür des Lebensmittelladens spaziert und hatte die eher üppige, fetthaarige Janine betört, für ihn eine Pastete in die Mikrowelle zu schieben, das Öl heiß zu machen und ihm ein paar Frühstücksfritten zuzubereiten. Bis sich die Schlüssel wiedergefunden hatten, war Charlie schon zu betrunken, um noch zu fahren. Wenigstens zu betrunken, um heimzufahren. Stattdessen hatte sich die Bande verwegen aussehender Jungmänner an die Bewässerungskanäle verzogen, wo sie sich, an ihre Kühlboxen gelehnt, gegenseitig Witze erzählt hatten. Bis zum späten Nachmittag hatte Charlie das Versprechen, das er seinem Vater gegeben hatte, vergessen, und dann hatte Boof sein Surfboard samt Segel angebracht!

»Der Wind steht gut!«, hatte Charlie ausgerufen und war in seinen Shorts aufgesprungen. Er hatte den Zeigefinger angeleckt und ihn in die Luft gehalten. Kein Hauch war zu spüren. Er rannte zu seinem Pick-up, fuhr rückwärts an den Rand des Bewässerungskanals und warf Boof ein Seil zu. Dann fuhren sie los, und der unbeholfene Surfer krallte sich mit Todesverzweiflung am Brett fest, während der Pick-up den Kanal entlangraste.

Auf seinem Bett liegend, zog Charlie die Schulter hoch und dachte daran, wie übel er gelandet war, als Boof das Seil plötzlich losgelassen hatte.

»Dieser Arsch«, sagte er zu sich selbst.

Steif, wund und von der Sonne verbrannt, waren die Jungs am Samstagabend wieder ins Pub gezogen, nachdem Charlies Pick-up am Kanal das Benzin ausgegangen war. In einem Nebel von Billardpartien und Tänzen vor der Jukebox erinnerte sich Charlie vage, dass er einem alten Säufer die ganze Nacht hindurch Drinks spendiert und ihm immer wieder erklärt hatte: »Meinalterbringtmichum.«

Den Sonntagmorgen hatte er schlafend und kotzend in seinem Schlafsack bei den alten Kartons hinter dem Pub zugebracht. Er konnte sich erinnern, dass irgendwann ein klapperdürrer Hund vorbeigekommen war und auf seinen Schlafsack gepinkelt hatte. Und dass Rog ihn mit der Stiefelspitze angestoßen und ihm erklärt hatte, seine Mutter hätte im Hotel angerufen und nach ihm gefragt – schon wieder.

Weil Janine im Laden keinen Bock auf den inzwischen miefenden Charlie hatte, hatten die Jungs entschieden, dass es zum Frühstück nur Bier geben würde. Bis das Pub am Sonntagmittag wieder öffnete, hatte Charlie seine Stiefel verloren, und die Jungs hatten ihm schon wieder den Kopf geschoren. Im Pub hatte man für den Nachmittag eine Band engagiert. Charlie verzog das Gesicht, als er sich daran erinnerte, mit ein paar anderen Jungs getanzt zu haben. Alle mit runtergelassenen Hosen. Dabei hatten sie das Duo mit seinem zahmen »Welcome to the Hotel California« übertönt. Stattdessen hatten sie ihre schönste Version von »Up there Cazaly« zum Besten gegeben. Charlie verzog erneut das Gesicht, als er an die Touristen dachte, an deren Tisch er sich niedergelassen hatte. Während er ihnen die Fritten wegfutterte, hatte er sie mit einem schwindelerregenden Potpourri von Themen bequatscht, darunter illegale Einwanderung und die Vorzüge einer neuen Variation von Dixon’s Weizensaatgut. Als er begonnen hatte, auch seine Ohren und Nasenlöcher mit Fritten vollzustopfen, hatten ihn seine Kumpels wieder losgerissen. Damit lösten sie den Soßenkampf aus und erreichten, dass Rog, der fassbäuchige Pubwirt, sie alle nach draußen beförderte.

Rog war es auch, der Charlie am Montag im Morgengrauen einen Benzinkanister in die Hand gedrückt und ihn in Richtung seines Pick-ups geschubst hatte.

»Fahr heim zu deinen Leuten«, hatte Rog müde erklärt und dem torkelnden Charlie nachgeschaut.

Charlies Augen flogen auf, als seine Bettdecke rücksichtslos weggerissen wurde.

Er spürte, wie die riesige Pranke seines Vaters in sein Fleisch griff und sich unbarmherzig um seine schmerzende Schulter schloss.

»Raus aus dem Bett.« Sein Vater rüttelte ihn kurz durch und begann seinen Sohn von seiner Liegestatt zu zerren.

»Dad!« Er sah dicht vor seinem Gesicht zornflammende Augen schweben und roch den Atem seines Vaters. Er roch nach Pulverkaffee.

»Du ziehst dich an und gehst auf der Stelle in den Maschinenschuppen! «

Im Schuppen hielt Charlie seinen dröhnenden Schädel mit beiden Händen fest, während ihm sein Vater die Leviten las.

»Deine Mutter war krank vor Angst. Wenn Roger aus dem Hotel nicht angerufen hätte, hätte sie spätestens am Samstagabend die Polizei angerufen und gemeldet, dass du irgendwo in einem Graben unter deinem verunglückten Pick-up liegen musst. Sie war außer sich.«

»Es tut mir – «

»Erspar mir diesen Bockmist. Reiß dich endlich zusammen, Sohn. Zeig einen Funken Stolz auf dich! Und mach dich an die Arbeit.« Er drückte Charlie einen Plastikbehälter mit Motoröl in die Hand, stieg in seinen Pick-up und jagte mit aufheulendem Motor die staubige Straße hinunter.

Charlie trat gegen den Traktorreifen. Die Worte hatten ihm schon auf der Zunge gebrannt … hätte er sie nur ausgesprochen. Er wünschte, er könnte seinem Alten endlich sagen, dass er ihn am Arsch lecken konnte. Er malte sich aus, wie er sich vor seinem riesigen Vater aufbaute. »Leck mich, Dad«, brüllte Super-Charlie. »Du gönnst mir keine freie Minute! Nie! Ihr beide behandelt mich wie ein Kleinkind! Weißt du was, ich mache das nicht mehr mit, Dad!«

Charlie begann im Maschinenschuppen schattenzuboxen und, die Zähne zusammengebissen, im Staub herumzutänzeln. »Nimm das … und das … und das!« Aber bald pochte sein Schädel so stark, dass er neben einem Reifen in die Hocke ging.

»Bin wohl noch zu blau«, lallte er vor sich hin. Er rief sich ins Gedächtnis, wann er sich das letzte Mal derart die Kante gegeben hatte. Das war schon Monate her. Auf diesem B&S, auf dem er dieser Rebecca Saunders begegnet war.

»Scharfe Braut«, sagte er laut und machte sich daran, den Ölmessstab aus dem Motor zu ziehen.

Wo die Wasser sich finden australien2
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