Kapitel 14

Rebecca stellte eine weitere Trophäe auf dem staubigen Fenstersims in ihrem Zimmer ab und schnippte eine tote Fliege weg.

»Nicht noch eine!« Dave stand in seinen mit Eisbären bedruckten Bundaberg-Rum-Boxershorts in der Tür.

»Moss. Sie hat einen Novizen-Trial gewonnen.«

»Wie hat sich Stubby gemacht?«

»Sie war überall und nirgends – für Trials ist sie nicht zu gebrauchen. Dags ist immer noch mein Held – wir haben uns für die offene Meisterschaft qualifiziert. Er ist ein echter Angeber.«

»Kommt ganz nach seinem Frauchen«, sagte Dave.

Rebecca zeigte ihm den Stinkefinger. Dave reagierte, indem er die Zunge zwischen Zähne und Unterlippe schob und sie mit riesigen Augen anstarrte. Sie schleuderte einen Flipflop nach ihm. Er duckte sich darunter weg und rannte über den Flur in die Küche. Sie zog einen Umschlag aus ihrer Hosentasche und entnahm ihm drei knisternde 20-Dollar-Scheine. Dann zog sie die große Trinkschokoladen-Dose unter dem Bett hervor und steckte die Scheine hinein. Der Stapel bunter Geldscheine war sichtbar gewachsen. Das waren ihre Ersparnisse fürs College. Das meiste Geld hatte sie mit dem Welpenverkauf gemacht, aber seit ihren Erfolgen auf den Trials verdiente sie auch gutes Geld, indem sie Dags zum Decken weggab. Sie war erleichtert gewesen, als Moss endlich läufig wurde. Sie hatte so viele Bestellungen für weitere Welpen, dass sie mit der Lieferung nicht mehr nachkam. Letzte Woche hatte sie Moss von Dags decken lassen und hoffte jetzt, dass sie bald mit einem großen Wurf belohnt wurde.

Rebecca drückte den Deckel wieder auf die Dose und schob sie unter das Bett zurück. Dann räkelte sie sich und ging von ihrem Zimmer in die Küche. Sie versuchte zu überschlagen, wann die Welpen geboren würden.

»Scheiße«, sagte sie.

»Was?«, fragte Dave, der sich gerade vorgebeugt hatte, um den Gasgrill anzuzünden.

Sie blätterte durch den Wandkalender. Es war einer von Daves Busenwunder-Kalendern. Ein fettes schwarzes Filzstiftkreuz kennzeichnete den Tag, an dem Rebeccas Studium begann. Auf dem Kalenderblatt saß ein blondes Mädchen mit Silikonbrüsten in einem viel zu kleinen Bikini und zog einen Schmollmund. Das Busenwunder sah aus, als würde es ihr gar nicht passen, dass die Tage so langsam verstrichen.

»Mossy wirft ihre Welpen wahrscheinlich genau in meiner ersten Woche am College. Ich muss an die Uni schreiben und fragen, ob es sich irgendwie arrangieren lässt, dass ich meine Hunde mit auf den Campus nehme.«

»Sei nicht blöd. Du brauchst sie drei Jahre lang nicht! Knall sie ab.«

»Dave, ich hoffe, du machst Witze.« Bec sah vom Kalender auf. »Denn wenn nicht, dann muss ich Annabelle anrufen und ihr das mit ihrer Katze erzählen.«

»Was mit ihrer Katze?«

»Wie du sie überfahren hast. Absichtlich.«

»Das war echt keine Absicht. Ich konnte doch nicht ahnen, dass das blöde Ding unter dem Reifen schläft.«

»Ob absichtlich oder nicht, du hättest es ihr wenigstens erzählen können, damit sie das Tier begraben kann. Sie steht immer noch jeden Abend vor der Tür und ruft nach ihr. Dabei wissen wir alle, dass sie im Tal verscharrt liegt.« Bec legte die Hände an den Mund und sang mit hoher Stimme: »Minteeeee! Komm, Muschmusch … MINTEEE!«

»Klappe!« Dave schleuderte ein Hammelkotelett nach Bec. Es prallte mit einem fleischigen Klatschen von ihrem Gesicht ab und landete auf dem Boden.

»Du Dreckschwein!« Sie hechtete nach dem Kotelett. Die Stuhlbeine schrammten über den Linoleumboden, als sie sich am Tisch vorbeidrängte und die Jagd auf Dave aufnahm. Mit einem Glas Wasser bewaffnet, wehrte er ihren Angriff ab, doch er konnte nicht verhindern, dass sie ihm das Kotelett in die Haare schmierte. Ihr Lachen und ihr Geschrei schallten durch die Unterkunft. Sie jagten sich durch das Zimmer, dass die Dielen bebten und die Holzträger wackelten, auf denen das Haus stand.

Schließlich brüllte Rebecca, schwer keuchend: »Stopp!«, und beide verstummten. Sie sah zu Dave auf, der fettbeschmiert und tropfnass vor ihr stand. Sie hatte ihn vermisst, während sie mit ihren Schafen auf Tournee gegangen war, und jetzt, als sie wieder da war, wusste sie, dass ihr seine ungelenken Späße fehlen würden, wenn sie erst auf dem College war. Sie würde ihre Unterkunft vermissen und die Weiden, die Menschen und die Pferde, die sie kennen und lieben gelernt hatte. Der Tag des Abschieds raste unaufhaltsam auf sie zu. Sie würde ihr ganzes Leben in Kartons packen und sie auf den Pick-up laden. Dann würde sie den Treiberpferden zum Abschied die Kruppe tätscheln. Und die Wangen der immer ölverschmierten Männer aus dem Maschinenschuppen küssen – sie fürchtete sich schon jetzt davor, Jimbo zu küssen –, bevor sie Bob und seine Frau Marg zum Abschied umarmte.

Das Jahr war unter dem ständigen Schermesserschleifen, Futtermischen und Hornpolieren wie in einem Wirbelwind vorbeigezogen. Was ihr auf dem Höhepunkt der Saison der Landwirtschaftsausstellungen wie eine endlose Reise erschienen war, hatte nach dem großen Sieg im Westen ein abruptes Ende gefunden. Sie hatten das Siegerband feierlich in einer Glasvitrine im Bockstall aufgehängt und die protzige Goldtrophäe in die Stadt geschickt, wo sie jetzt unübersehbar in der Eingangshalle der AR-Zentrale thronte.

Genau in diesem Moment erwachte der Funkempfänger auf dem Kühlschrank knisternd zum Leben, und Bobs Stimme krächzte durch den Raum.

»Rebecca, bist du auf Empfang?«

»O Mann«, sagte Bec und griff nach dem Handmikrofon. »Ich bin hier, Bob.«

»Die PR-Lady der Firma kommt jede Minute für das Foto angeflogen. Hast du Alf schon für sein Meisterschaftsfoto schick gemacht?«

»Klar. Von ihm aus kann’s losgehen.«

»Und wie siehst du aus?«

»Wieso?«, fragte sie argwöhnisch.

»Die Geschäftsleitung möchte, dass du ebenfalls auf das Foto kommst, du solltest die Dame also möglichst am Flugfeld empfangen. Du kannst meinen Wagen nehmen. Und bring sie hierher, wenn du sie aufgelesen hast.«

»Ähhh, gut«, sagte Rebecca, den Blick auf ihr kotelettverschmiertes, nasses T-Shirt gesenkt.

Dave bog sich vor Lachen, als er sie in die Dusche rennen sah.


Auf dem rot-staubigen Flugfeld wehte eine kühlende Brise durch ihr noch feuchtes Haar in ihren Nacken. Rebecca sah zum Himmel auf und beobachtete, wie das winzige Firmenflugzeug vorbeibrummte und dann rechts von ihr eine weite Kurve zog. Der Pilot würde am südlichen Ende des Flugfeldes aufsetzen. Rebecca war die gesamte Rollbahn abgefahren, um sicherzugehen, dass keine Rinder darauf grasten, und hatte dabei mit lautem Hupen die großen, durch das hohe gelbe Gras stolzierenden Buschhühner vertrieben.

Das Flugzeug hielt neben ihrem Geländewagen, und Murray, der Pilot, schaltete die Turbinen ab.

»Hallo, Bec«, rief er ihr zu, als er die Tür entriegelte und die Treppe herausklappte.

»Hey Muzz. Guten Flug gehabt?«

»Yeah, war okay.« Er stieg die Stufen hinunter und sagte etwas zu der Frau in der Kabine, bevor er ans Heck des Flugzeuges trat, um ihr Gepäck herauszuholen.

Rebecca schaute zu, wie eine große, dünne Frau aus dem Flugzeug kletterte und mit ihren festen schwarzen High Heels energisch auf dem staubigen Flugfeld zu stehen kam. Sie hielt einen schwarzledernen Aktenkoffer in der Hand und sah sich angewidert blinzelnd auf dem öden Flugfeld um, bevor sie auf den Landcruiser zumarschiert kam.

»Ellen Tinker«, sagte sie und streckte Bec eine kühle, schlaffe Fischhand hin.

»Rebecca Saunders. Schön, dass Sie da sind. Willkommen auf Blue Plains.«

Die Frau bedankte sich, wenn auch mit Ziehharmonikamund, und wandte sich ab, um im Außenspiegel des Wagens ihr Haar zu richten. Auf der Rückfahrt zu den verstreut stehenden Wohngebäuden und Stallungen konzentrierte sich Bec darauf, durch jedes staubige Schlagloch zu fahren, das sie nur fand, und freute sich jedes Mal, wenn Ellen Tinkers auftoupierter Schopf zu hüpfen begann. Als sie sich der grünen Oase der Homestead näherten, bremste sie so abrupt, dass der Schotter unter den Reifen aufspritzte, und stellte den Wagen unter einem dicht belaubten Jacaranda-Baum ab. Tiger, der im Haus lebende Jack Russell, ließ eine noch mit Wolle behaftete Lammkeule aus seinem Maul fallen und kam angerannt, um sich an den elegant geformten, durchtrainierten Beinen ihrer Besucherin zu reiben.

»Schluss damit, Tiger«, ertönte eine Stimme aus dem Haus. Es war Marg.

»Hallo, Miss Tinker«, sagte sie und wischte dabei die Hände an einem Küchenhandtuch ab.

»Misses«, korrigierte Ellen Tinker.

In der Kühle der Küche breitete Ellen Tinker unter dem summenden Deckenventilator ihre Dokumente aus, griff nach einem korrekt aussehenden Notizbuch und brachte einen polierten Holzkuli in Schreibposition.

»Ich bin zurzeit dabei, den Jahresbericht zusammenzustellen. Man hat mich angewiesen, Sie für einen kurzen Artikel über den preisgekrönten Widder zu interviewen.«

Rebecca seufzte leise und zwirbelte einen Teelöffel zwischen den Fingern, bevor sie zu sprechen begann. Am liebsten hätte sie dieser Frau die Wahrheit über die Shows erzählt. Am liebsten hätte sie ihr klargemacht, dass sie zwar gern dort aufgetreten war, aber vieles davon völliger Unfug war. Völlig überholt. Eingeengt durch die altmodischen Auffassungen altmodischer Menschen in der Wollindustrie, die sich an ihren Traditionen festklammerten. Und die Todesängste vor jeder Veränderung hatten. Sie hätte ihr gern erzählt, dass die rein optische Bewertung der Schafe mit wissenschaftlichen Erkenntnissen unterfüttert werden sollte und dass die Marketingeffekte für die Firma auf keinen Fall die Kosten lohnten, die dadurch entstanden, dass jemand mit einem LKW voller überpflegter, überfütterter Schafböcke durchs Land geschickt wurde. Aber sie wusste, dass die meisten der Firmen-Häuptlinge das längst wussten und dass diese Shows nichts anderes waren als … Show.

Stattdessen erzählte sie Ellen Tinker, was sie hören wollte. Sie berichtete von Alf und seinen hervorstechenden Qualitäten als Zuchtbock, und sie erzählte ihr, dass hier auf Blue Plains die Leistungen der von Alf gezeugten Schafe in einem eigenen Testprogramm für die Nachkommen erforscht wurden, und zwar in enger Abstimmung mit der Forschungsgemeinschaft CSIRO. Die Worte flossen ihr aus dem Mund und beeindruckten Ellen Tinker so sehr, dass die Ziehharmonikafalten um ihren Mund ein wenig abflachten, während sie mit ihrem schicken Kuli mitschrieb. Am Rande des Gesprächs räumte Marg in der Küche herum, häufte Kekse auf einen Teller und schob ein Milchkännchen sowie eine Zuckerdose vor Ellen hin. Ellen nippte an ihrem schwarzen Kaffee, kniff leicht die Augen gegen den heißen Dampf zusammen und drängte Rebecca mit einem knappen Nicken, ihr mehr über den Sinn und Zweck eines Widder-Wettbewerbs zu erzählen.

Eigentlich hätte Rebecca viel lieber zu Ellen Tinker gesagt: »Bei einer dieser Shows habe ich diesen niedlichen Jungen entdeckt, der die Juniorenmeisterschaft im Bewerten gewonnen hat, Jeremy, mit Augen, für die man sterben könnte. Wir haben uns zusammen an der Schafbar besoffen … das klingt komisch, oder? Schafbaaaah … Schafbaaah«, ahmte sie ein Blöken nach. »Jedenfalls haben wir uns irgendwann draußen hinter den Toiletten geküsst und sind zuletzt in meinem Schaftransporter im Heu gelandet. Er war klein, so wie ich, und dünn, aber unglaublich süß. Ach ja. Und auf der Maranga Show habe ich Charlie Lewis getroffen, er ist einfach umwerfend, ich glaube, ich bin in ihn verliebt. Und ich glaube, er steht auf mich.«

Stattdessen erzählte sie Ellen Tinker, dass sie zwei wunderbare Jahre auf Blue Plains verbracht hatte und dass sie dank ihrer Erfahrungen als Jillaroo und Betreuerin der Böcke über eine fantastische Grundlage in den Agrarwissenschaften verfügte, auf der sie nun aufbauen wolle.

Nach diesem wenig investigativen Interview trat Ellen Tinker-Stinker mit ihrer Kamera und ihrem Ziehharmonikamund nach draußen in die Nachmittagssonne, um ein Foto von Rebecca und Alf vor dem goldgrünen Hintergrund eines verträumten Pfefferbaumes aufzunehmen.

Die Sonnenstrahlen fingen sich in Rebeccas frisch gewaschenem Haar und legten sich golden leuchtend über die weiche, faltige Haut auf Alfs breiter Schnauze.

Sogar Ellen Tinker flüsterte: »Bezaubernd«, als sie durch den Sucher auf die hübsche junge Frau und den kräftigen Widder blickte. Sie drückte auf den Auslöser und hielt Rebecca die Jillaroo mit Alf dem Widder, umfangen vom Sonnenschein auf Blue Plains, für alle Zeiten fest.

Wo die Wasser sich finden australien2
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