Kapitel 5

Rebecca gehörte nicht zu den Mädchen, die oft Zeit hatten, sich die Nägel zu lackieren, oder auch nur Wert darauf legten. Doch sie hatte das Gefühl, dass dieser Abend ein besonderer werden würde. Die tanzenden, glänzenden Nägel, die sich um den Henkel des Eimers schlossen, schienen einer Fremden zu gehören. Im Eimer schwappten körperwarme Schafsinnereien. Ein weißer Kakadu kreischte auf dem Eukalyptusbaum, auf den die Sonne gnadenlos schien. Die knorrigen alten Glieder des Baumes hingen träge über dem knarrenden Blechdach des Schlachtschuppens. Rebecca blinzelte gegen die Nachmittagssonne, sah zu dem Vogel auf und nahm dann ihre ganze Kraft zusammen. Der Schweineeimer war immer extrem schwer, wenn er bis zum Rand gefüllt war. Angestrengt hob sie ihn vorn auf das Quad. Die Innereien schwabbelten wie Gelee und gaben leise Schmatzlaute von sich. Die Stimme ihres Dads kam ihr in den Sinn: »Reiß dir nicht die vier Buchstaben auf, wenn du das hebst, Rebecca.« Sie versuchte ihn aus ihrem Kopf zu verbannen. Seit zehn Monaten hatte sie ihn nicht mehr gesehen. Inzwischen lebte sie auf Blue Plains, verdiente achtzig Mäuse pro Tag und das bei freier Verpflegung.

Sie musste an den Tag denken, an dem sie das erste Mal auf die Station gefahren war. Trotz der Hitze hatten sich alle Härchen auf ihren Armen aufgestellt, als der Subaru über den breiten Rost geholpert war und sie zu dem weiß glänzenden Schild aufgeblickt hatte, auf dem »Blue Plains – AR Co« stand. Während sie die Zufahrt entlangrollte, hatte sie sich die Weiden, die Zäune und das Viehtränkensystem mit den auffälligen Windrädern und riesigen Betontanks angesehen.

»Ich wette, ich werde auf Wasserpatrouille gehen und auf diese verfluchten Dinger klettern müssen«, sagte sie zu sich.

Als sie über eine Anhöhe kam, sah sie im Osten einen gelben Bulldozer, der sich auf einer fernen Koppel einen riesigen Erdhügel hinaufmühte. Schwarzer Qualm wölkte sich aus dem hochstehenden Auspuffrohr. Später erfuhr sie, dass die Planierraupe von Stumpy – Stummel – gefahren wurde. Während ihres ersten Rundganges durch die zahlreichen Gebäude der Station hatte sie im Maschinenschuppen Stumpys Hand ergriffen und dabei entdeckt, woher sein Spitzname rührte. Nach zehn Monaten war sie überzeugt, jede noch so abwegige Geschichte darüber, wie er seine Finger verloren hatte, gehört zu haben. Stumpy hatte trotzdem darauf bestanden, ihr eine andere Version zu erzählen, wobei er eine Selbstgedrehte zwischen den verbliebenen zwei Fingern gehalten und den Rauch über die rissigen Lippen geblasen hatte.

Die Jungs im Maschinenschuppen waren okay, dachte Rebecca. Sie hatte es genossen, mit ihnen gemeinsam die Stoppelfelder abzusengen. Stumpy war mit dem Dozer dabei gewesen, um eine Feuerschneise zu ziehen. Er war unglaublich stolz auf seine Maschine, und Rebecca hatte schon viel von ihm gelernt.

Er behandelte Rebecca, als wäre sie ein Teil seines Teams. Dennoch gab es einen Kerl im Maschinenschuppen, vor dem sie sich in Acht nehmen musste. Falls die Viehhüter irgendwo mit ihren Quads liegen blieben, riefen sie den langen, schlanken und ziemlich versoffenen Jimbo. Er war ein schmieriger, öliger Mechaniker, der unter den Fahrzeugen hervor unverhohlen und ausgiebig auf Rebeccas Brüste starrte und bei jeder Gelegenheit mit ihr zu flirten versuchte. Sie war schon versucht gewesen, mit Alastair Gibson über ihn zu sprechen, wenn er das nächste Mal aus der Stadt angeflogen kam, beschloss aber, dass das zu ihrem Job gehörte. Solange Jimbo sie nicht berührte, würde sie seine Anzüglichkeiten hinnehmen.

Zu ihrer Erleichterung hatte Bec festgestellt, dass der Vorarbeiter der Viehhüter, Bob Griffith, ein anständiger Mann war. Es war schwer zu sagen, wie alt er war. Bec schätzte ihn auf Anfang vierzig, Ende dreißig. Um seine Augen und an den Mundwinkeln hatten sich Lachfalten gebildet. Sein Gesicht war so braun, dass seine blauen Augen strahlten. Er hatte große, breite Hände und trug keine anderen Farben als Variationen von Brauntönen. Braune Stiefel, hellbrauner Gürtel, braune Wranglers und ein beige kariertes Hemd. Er sprach nur wenig, und bisweilen war Bec überzeugt, dass er sie, wenn sie eine große Rinderherde trieben, für eine Gedankenleserin halten musste.

Anfangs war Bob sauer auf Alastair gewesen, weil der ihm eine Frau geschickt hatte, doch als die erste Woche dem Ende zuging, hatte er mit ein paar kalten Bieren in der Hand an die Tür zu Becs Unterkunft geklopft. Seine Frau Marg hatte hinter ihm gestanden, einen Korb mit Keksen und Kuchen unter dem Arm. Sie saß still mit am Tisch der Jackaroo-Unterkunft, während Bob Rebecca auszufragen begann, wo sie so gut reiten gelernt hatte.

»Du kannst Rosie nächste Woche Probe reiten«, hatte er gesagt, dann einen Schluck Bier genommen und den von seiner Frau angebotenen Keks mit einem Kopfschütteln abgelehnt. »Sie ist ein reinrassiges Quarter Horse. Ein bisschen kopfscheu und noch sehr jung, aber sie kann ein Rind auf einer Zwanzig-Cent-Münze drehen. Hast du daheim ein eigenes Pferd?«

Bec hatte lächelnd an ihre Stute gedacht. »Ja.«

»Wirst du sie irgendwann holen?« Bob hatte an ihrer Reaktion erkannt, dass er nicht weiter nach ihrem Zuhause fragen sollte. Schnell wechselte er das Thema. »Und diese fantastischen Hunde, die du da hast. Was für einen Stammbaum haben die?«

Marg hatte schweigend zugehört, während Bob und Bec geplaudert hatten, bis das Bier ausgetrunken und alle Kekse gegessen waren.

Erst Wochen später war Marg allein in die Unterkunft gekommen, um mit Rebecca zu sprechen. Sie hatte sich am Tisch niedergelassen und geredet und geredet.

»Ich dachte, du wärst eines von diesen jungen Dingern aus dem Süden mit großen Träumen. Du kennst diese Mädchen. Sie tauchen hier auf und glauben, jeden Job zu schaffen, den Kopf voller romantischer Vorstellungen darüber, wie das Leben hier draußen ist. Es gibt Mädchen, die nur auf Männersuche sind … du weißt, welche ich meine.«

Erleichtert, dass Marg sich endlich öffnete, hörte Bec ihr nickend zu.

»Aber ich sehe, dass du viel zu sehr mit deinen Hunden und Pferden beschäftigt bist, als dass du den Kerlen nachschauen würdest. Und was Bob so erzählt, machst du dich gut auf der Koppel. Er hat mir erzählt, wie geschickt du dich an der Kopfhalterung angestellt hast, als ihr die entwöhnten Kälber markieren musstet. Und dass du nicht einmal geweint hast, als dich diese verrückte alte Brahman-Kuh gegen das Gitter getreten hat. Bob ist wirklich beeindruckt.« Marg schenkte ihr ein warmes Lächeln und fuhr mit den Fingern durch ihre kurzen Locken.

»Möchtest du vielleicht eine Cola mit Rum?«, hatte Bec gefragt.

Marg hatte »Ja« geantwortet, und Bob hatte die beiden drei Stunden später hysterisch lachend und zu einem Tom-Jones-Song tanzend entdeckt. Rebecca erinnerte sich verschwommen daran, dass ihr die beiden anschließend aufmerksam zugehört hatten, während aus ihr herausgesprudelt war, was auf Waters Meeting alles passiert und wie wütend sie auf ihren Vater war. Bob und Marg waren sehr fürsorglich und mitfühlend gewesen. Sie hatten beschlossen, dass Bec Aufmunterung nötig hatte. Und zwar so sehr, dass Bob befunden hatte, nur eine weitere Flasche Rum könne das bewerkstelligen. Es hatte nicht lang gedauert, da hatte Elvis aus dem CD-Player geplärrt, und die drei waren wild im Raum herumgetanzt.

Yep, die Dinge hatten sich gut entwickelt, dachte Bec, während sie ein Bein über das Quad schwang und den roten Fingernagel vorreckte, um den Anlasserknopf zu drücken. Der Klang des anspringenden und startenden Motors gefiel ihr. Sie hatte die Schafe so schnell wie möglich geschlachtet, ohne dabei schlampig zu werden. Bob wurde jedes Mal stinkig, wenn sie zu viel Gewebe mit dem Fell abzog. Aber die abgezogenen Schafe sahen gar nicht schlecht aus, alle hingen leuchtend rosa im Schlachtschuppen.

Becs Nägel wirkten so unpassend auf der Gabel des Quads, dass sie lächelnd über den staubig roten Weg holperte. Sie erinnerten sie an das Cover eines Joan-Collins-Romans, nicht dass sie sich je die Mühe gemacht hätte, einen zu lesen. Die einzigen Bücher, die um ihr Bett verstreut lagen, waren Handbücher für die Hundeausbildung und die offizielle Broschüre des Landwirtschaftsministeriums zum Bau besserer Schafstallungen.

Sie spürte den warmen Wind im Gesicht. Die Sonne war so goldflüssig, dass sie sich wie Sirup über das trockengebleichte Gras ergoss. In den zehn Monaten auf Blue Plains hatte sie das offene, flache Land lieben gelernt. Anfangs hatten ihr die Heimat und die Berge gefehlt, die sich gegen den Himmel schmiegten, aber hier draußen war der Himmel dafür riesengroß. Jeder Sonnenuntergang war ein Meisterwerk auf einer riesigen Leinwand. Extravagant hingen die kühnen Gold- und Rosatöne in der Luft und waren im nächsten Moment verschwunden.

Dafür fehlten diesem weiten Land im Westen die schweren, schwarzen Böden von Waters Meeting und auch das ständige Rauschen des Flusses. Rebecca war schon vor ihrer Geburt im Rebecca River geschwommen, im warmen Wasser im Leib ihrer Mutter. Auf dem Rücken hatte ihre Mutter im Fluss gelegen, den runden Bauch himmelwärts gerichtet. Das Wasser war durch ihre ausgestreckten Finger geströmt, und rundherum waren Insekten vorbeigesirrt, die über einem tiefgrünen Spiegel schwebten. Hier draußen gab es keinen Fluss, nur Brunnenlöcher, Windräder und Betontanks, an deren Fundamenten grüne Büschel sprossen, sobald irgendwo ein Ventil tropfte. Sie versuchte, die Gedanken an ihr Zuhause im Zaum zu halten.

Die Schweine drängten an den Zaun, sobald sie das Quad hörten. Wie üblich war Miss Oink als Erste am Gatter und begrüßte sie quiekend, während ihre Ferkel sich hinten im Auslauf versammelten. Die Ansammlung inzwischen zahmer, ungebändigter Schweine drängte kreischend näher und wartete gespannt darauf, dass der Inhalt des Eimers mit den Eingeweiden in den Stall geworfen wurde. Rebecca hob den Deckel von der rostigen Hundertfünfzig-Liter-Tonne und schaufelte das Korn darin mit einer alten Kakaodose in den Trog. Die Schweine rasten zum Trog und schubsten sich gegenseitig vom Futter weg, nur Miss Oink nicht, die wie immer den besten Platz einnahm.

»Und hier kommt der Nachtisch!« Bec wuchtete den schweren Eimer über den Zaun und kippte die Schafsinnereien auf den Boden. Sofort waren die Körner vergessen, und die Schweine kamen angerannt, um die Eingeweide zu zerfetzen, darum zu kämpfen und schmatzend die Innereien zu verschlingen.

»Wo bleiben eure Manieren!«, sagte Bec und schwang sich wieder auf das Quad. Wieder musste sie an ihren Vater denken. Er wäre entsetzt, wenn er mitbekommen hätte, dass Bec die Schweine mit Schlachtabfällen fütterte, aber wie Bec gelernt hatte, zählten Gesetze und Vorschriften hier draußen wenig. Sie liebte den ungezähmten Westen und die Menschen hier, die darauf bestanden, die Grenzen immer wieder ein wenig hinauszuschieben.

Mit aufjaulendem Motor fuhr Rebecca zurück und am Maschinenschuppen vorbei zu den Hunden, die in Maschendrahtzwingern mit Betonboden untergebracht waren. Stubby, Dags, Mossy und ihr Welpe wedelten begeistert mit den Schwänzen und sprangen aufgeregt jaulend und schnappend am Zaun hoch. Bec drehte den Schlauch auf, füllte die alten, ursprünglich mit Entwurmungsmittel gefüllten Tonnen mit Wasser und schaufelte braune Hundekuchen aus einer alten Mülltonne in das Sortiment von Fressnäpfen. Einige bestanden aus uralten Radkappen, andere aus ausgemusterten, verrosteten Pflugscheiben. Sie schickte ein stilles Gebet für ihre Hunde zum Himmel, dass Bob nicht vergessen möge, sie zu füttern und zu tränken, während sie fort war. Es fiel ihr schwer, die Hunde zurückzulassen, aber sie konnte die Tiere dieses Wochenende nicht zum großen Dustraisers Bachelor & Spinsters Ball, der Party für »Junggesellen und alte Jungfern«, mitnehmen. Sie schob die Hand durch das Drahtgeflecht und kraulte Stubbys seidiges Ohr. Direkt daneben sprang Mouse, die Letzte von Stubbys sechs Welpen, auf und ab.

»Ruhig, Mouse.«

Im ganzen Distrikt sprach man über Rebeccas Hunde. Sie hatte Mossys Welpen problemlos für gutes Geld an den Mann bringen können, aber Mouse, ihre Favoritin aus Stubbys Wurf, hatte sie behalten, um sie großzuziehen und später deutlich teurer als ausgebildeten Hütehund zu verkaufen.

»Gefallen dir meine Nägel, Mouse?« Bec lächelte in die tiefbraunen Augen des Hundes. »Nee, dachte ich mir schon. Und jetzt sei ein braves Mädchen, bis ich wiederkomme.«

Sie startete das Quad und fuhr in Richtung der Unterkünfte. Auf der Party heute Abend würde es richtig abgehen.

»Yeah, Baby, yeah!«, schrie sie, gab noch einmal Gas und schleuderte den Sand zu einem perfekten Staubschleier auf.


Noch während die Fliegentür auf der Veranda hinter ihr zufiel, schleuderte Rebecca die Stiefel von den Füßen. In der Küche stand Dave, der Jackaroo, der mittlerweile mit ihr in der Unterkunft wohnte, am Spülbecken. Er hatte löchrige Socken an und schüttete gerade roten Kräuterlikör in ein Bierglas, das sie aus dem Pub hatten mitgehen lassen. Er drehte den Wasserhahn auf, füllte das Glas und hielt es gegen das Licht.

»Uäääh! Jede Menge Zappeltiere.« Er trank in lauten Schlucken und ließ den Adamsapfel an seiner Kehle tanzen.

Als Rebecca nach Blue Plains gekommen war, hatte sie sich ausgemalt, die Unterkunft mit einem großen, dunkelhaarigen und muskelbepackten Jackaroo mit wunderbaren Fähigkeiten im kulinarischen Bereich, häuslichem Talent und einem breit gefächerten Sortiment an Konversationsthemen zu teilen. Stattdessen hatte sie Dave bekommen. Rothaarig, sommersprossig und mit einem größeren Repertoire an Blondinenwitzen ausgestattet, als Rebecca je für möglich gehalten hätte.

Dave schlurfte an den Küchentisch. Er schlabberte etwas Tomatensoße auf eine Scheibe Weißbrot und stopfte sie sich auf einmal in den Mund.

»Wann fahren wir los?«, fragte er kauend.

»Sobald wir fertig sind«, sagte Rebecca und trank ein Glas Wasser. Der Tag war heiß gewesen.

»Deinen Nägeln nach zu urteilen, bist du echt scharf drauf, dir was aufzureißen«, sagte Dave und griff nach der nächsten Brotscheibe. »Du hast wohl vor, heute Nacht die Zeit der Dürre zu beenden.«

»Nee … ich hab bloß vor, mit meinen Freundinnen einen draufzumachen. Meine beste Freundin Sal kommt vielleicht von der Uni übers Wochenende rauf.«

»Ach was! Sieht sie scharf aus?«

»Superscharf. Allerdings ein bisschen zu flachbrüstig und unblond für dich, Dave-schmave.«

»Ach, ich bin nicht wählerisch!«

»Das habe ich mir schon gedacht, als du dich mit der Wirtin eingelassen hast … und mit der Alten mit dem Stoppelkinn. «

»Das ist doch Scheiße!« Dave schwenkte das Buttermesser in ihre Richtung.

»O nein!«

»O ja! Sie hatte kein Stoppelkinn … bloß haarige Beine.«

»Uaargh! Du bist so eklig! Ich gehe mich jetzt aufdonnern !« Sie spazierte aus dem Raum.

In der Dusche löste sich der rote Staub auf Becs Gesicht in winzige braune Rinnsale auf, die über die Rundungen ihres Körpers flossen. Shampooschaum glitt ihren Rücken hinab. Ihre Arme und Schultern waren goldbraun, weil sie in der Sonne meist nur dünne Trägerhemden trug. Während sie ihre Kopfhaut schrubbte, fiel ihr auf, dass sich die Muskeln in ihren Oberarmen deutlich unter der Haut abzeichneten. Die Arbeit auf Blue Plains war schwer. Schwerer als daheim, wo Dad ihr den ganzen Tag im Nacken gesessen und sie ständig aus den Pferchen und Maschinenschuppen vertrieben hatte. In der kurzen Zeit, die sie hier war, hatte sie ungeheuer viel gelernt, nicht zuletzt, wie viel Ausdauer sie aufbringen konnte. Man erwartete von ihr, dass sie alles tat, was Dave tat. Ob sie die schweren Salzsteinblöcke auf den Pick-up wuchten oder stählerne Zaunpfosten in den felsigen Boden rammen musste.

Die Haut auf ihren Fingern war zu winzigen Drecknetzen aufgeplatzt, die auch nach dem Schrubben sichtbar blieben. In den Handflächen hatten sich Schwielen gebildet, an denen sie gedankenverloren zupfte.

Ihre festen Muskeln, ihre Kraft, die Rundungen ihres zierlichen Körpers und das strohgelbe, lang gelockte Haar zogen die Blicke der Männer an. Bec merkte das kaum und behandelte alle Männer wie ihre Brüder. Sie sah mit großen blauen Augen zu ihnen auf und brachte dadurch, ohne es zu ahnen, Herzen zum Schmelzen.

Während Bec die fremd wirkenden Fingernägel der Flasche mit Conditioner entgegenstreckte, setzte sie zu ihre besten Rod-Stewart-Parodie von »Do Ya Think I’m Sexy« an. Lächelnd beobachtete sie, wie die roten Nägel über ihre seifige Haut glitten.

Später trat Rebecca in ihrem kurzen roten Kleid in die Küche. Dave sah auf und stieß einen tiefen, leisen Piff aus.

»Prost, Alter«, sagte sie, knackte eine Bierdose, hob sie ihm entgegen und trank. Sie lehnte sich gegen den Kühlschrank, der mit jedem nur erdenklichen B & S- und Pubsticker beklebt war. Er stellte das Vermächtnis jener Jackaroos dar, die vor ihnen hier waren. Ein Zeugnis für Hunderte von Dollars, die für durchsoffene Nächte draufgegangen waren.

»Ich finde, wir sollten uns auf den Weg machen und dem kleinen Baby hier einen neuen Sticker spendieren.« Rebecca tätschelte den Kühlschrank.

»Unbedingt«, sagte Dave.

Durch roten Staub wuchteten sie ihre Schlafsäcke, Taschen und Kühlboxen und warfen alles unter die Plane auf der Ladefläche des Pick-ups, der unter einem Pfefferbaum parkte. Sobald sich der Zündschlüssel im Schloss drehte, erwachte der Kassettenrecorder zum Leben, und Shania Twain dröhnte aus den Lautsprechern.

Seine Bierflasche als Mikrofon in der Hand, sang Dave mit. Rebecca sah lächelnd zu ihm hinüber. Sie würde all das vermissen. Ihre Einschreibung an der Tablelands University war bestätigt worden. Der spröde Brief, der den Beginn einer neuen Lebensphase besiegelte, war letzten Monat in der Öltrommel gelandet, die hier als Briefkasten diente.

Heute Abend stand die große Tonne allein neben dem Rost, während sich die Sonne dem weiten Horizont hinter der Blue Plains Station entgegensenkte. Rebecca spielte kurz mit dem Gedanken, anzuhalten, um einen Blick in die dunkle, rostige Trommel zu werfen, aber sie wusste, dass Bob erst gestern die zweimal wöchentlich gelieferte Post abgeholt hatte.

Für Bec war der Briefkasten ihre einzige Verbindung nach Waters Meeting. An manchen Tagen fand sie kleine, schlampig versiegelte Umschläge darin, die von Tom stammten. Sie versuchte aus den Tintenschnörkeln genauere Informationen über die Farm und ihre Zukunft herauszulesen. Aber Tom blieb immer nur an der Oberfläche und schrieb ausschließlich vom Regen oder der Ernte, von der Schur oder vom Ausscheren der Schafe gegen die Maden. Harry tauchte in seinen Briefen praktisch nicht auf, dafür schrieb Tom oft von Micks Freundin Trudy. Wie sie versucht hatte, in dem eigensinnigen Holzherd auf Waters Meeting einen Braten zuzubereiten, wie sie es auf sich genommen hatte, seine Unterhosen zu bügeln und zusammenzulegen, oder wie sie ihm mit allem und jedem tierisch auf die Nerven ging. Tom spekulierte oft darüber, warum Mick die Schürzenjägerei aufgegeben hatte, seit er Trudy begegnet war. Warum er ausgerechnet sie ausgewählt hatte. Tom hatte den Verdacht, dass sie ihren Kopf äußerst geschickt durchzusetzen verstand und es für Mick einfacher war, ihre Wünsche zu erfüllen, als ihr launisches, stummes Schmollen zu erdulden.

Zwischen den Zeilen las Rebecca heraus, dass Mick jemanden brauchte, der stärker war als er selbst, und so wie es klang, war Trudy auf ihre ganz eigene Weise stärker als Mick. Rebecca nahm an, dass Mick die Geborgenheit einer Partnerin suchte, die ihm sagte, was er tun sollte, die sein Leben organisierte und ihn vor allem bemutterte.

Nachdem sie Toms Briefe gelesen hatte, faltete Bec sie regelmäßig zusammen, steckte sie zurück in den Umschlag und legte sie auf den Stapel in einem Schuhkarton. Der Stapel wuchs schnell. Nicht so sehr durch Toms Briefe, sondern vor allem durch die Schreiben ihrer Mutter. Frankie schrieb in großen, chaotischen Krakelbuchstaben, während sie durch die Stadt hetzte. Mehrmals hatte sie in ihren unzusammenhängenden Briefen einen Mann namens Peter erwähnt, und Rebecca konnte daraus ablesen, dass Peter für ihre Mutter endlich die ersehnte Ablenkung von der fast besessenen Konzentration auf ihre Arbeit als Tierärztin darstellte. Auch wenn Rebecca gern Briefe von ihrer Familie erhielt, wurde sie an den Posttagen von einem leichten Unbehagen erfüllt.

Sie wusste, warum, konnte es sich aber nur schwer eingestehen. Sie hoffte jedes Mal auf einen Brief ihres Vaters. Einen, in dem stand: »Komm heim.«

Daves Stimme riss sie aus ihren Gedanken.

»Wie wär’s mit einem Dim Sim aus der Raststätte?«, fragte er.

»Gute Idee. Und dazu einer Rum-Cola aus dem Pub!«, gab sie grinsend zurück. Sie rasten über die blaugraue Straße durch eine von der Sonne vergoldete Landschaft.


Es war beinahe Mitternacht, doch Rebecca hatte keine Ahnung, wie spät es war, und interessierte sich auch nicht dafür. An ihren Subaru gelehnt, schlüpfte sie aus den schwarzen Schuhen und warf sie auf die Ladefläche des Pick-ups. Dann kramte sie in ihrer Reisetasche, bis sie ein Paar rote Fußballsocken und ihre Arbeitsstiefel gefunden hatte.

»Aaahh! Das ist besser.« Sie stampfte auf, um mit der Ferse in den Stiefel zu rutschen.

Nicht weit von ihr entfernt stand ein Jüngling mit struppigem Haar am Zaun und pinkelte ausgiebig.

»Mach hin, Johnno!«, rief Rebecca ihm zu. Rülpsend und furzend zugleich zog er den Reißverschluss seiner Anzughose hoch.

»Brauch noch mehr Rum«, lallte er und schlang den Arm um ihren Hals. Über Steine stolpernd und eingetrocknete Schafsköttel kickend, traten sie beide den Weg über die kahle Koppel auf Wilmot Station an. Lachend. Flirtend.

Vor ihnen bebte der Scherstall unter der lauten Musik. Die Lichter strahlten nach draußen und beleuchteten die Randbereiche der Party. Versprenkelt standen Gäste herum, an den Pferchen, den tragbaren Toiletten, Kühllastwagen und Essensständen.

Der Himmel in ihrem Rücken war tintenschwarz und mit einer Zuckergussglasur aus glitzernden Sternen überzogen. Becs Blick wurde nach oben gelenkt, als Johnno sie herumwirbelte und seine rumfeuchten Lippen auf ihren Mund presste. Sie legte den Kopf in den Nacken und gab sich, den blauen Plastikbecher fest in der Hand haltend, dem angenehmen Gefühl hin, seine Zunge in ihrem Mund zu spüren. Er schmeckte nach Schweiß und Alkohol. Weil er sich etwas zu fest auf sie stützte, taumelten beide lachend rückwärts. Ihre Augen strahlten, und auf ihrem Gesicht glühte ein breites Lächeln.

»Wie heißt du noch mal?«, fragte er sie.

Während sie die steile Rampe zum Stall hochstiegen und auf den Rost traten, war Rebecca von kribbelnder Seligkeit erfüllt. Im Stall war es rappelvoll. Angetrunkene Jungs im Abendanzug schütteten sich mit Rum zu. Mädchen in bunten Kleidern lachten und kreischten, von Cola-Rum beflügelt, unter verschwitzt strähnigen Haaren.

Ein rotgesichtiger Junge kam direkt auf sie zu. Rebecca sah, wie er eine Tube Lebensmittelfarbe in seinen Mund quetschte und einen Mundvoll aus einem Plastikbecher mit gelbem Bier nahm. Dann rannte er auf Johnno los, hielt ihn an beiden Armen fest und besprühte sein Gesicht mit roter Farbe.

»Arnie! Du Ratte!« Schon setzte Johnno dem Angreifer quer durch die Menge nach.

»Wenn die Lebensmittelfarbe zum Einsatz kommt, fängt die Party erst richtig an«, hörte sie eine Stimme in ihrem Rücken.

Das war Sally, die vier Plastikbecher mit Rum in den weit gespreizten Fingern hielt.

»Heilige Mamma, Sal, du siehst total breit aus!«

»Ich bin so viel Rum nicht gewöhnt«, lallte Sally.

»Bockmist! Soweit ich aus deinen Briefen lesen konnte, hast du nichts getan, außer zu bechern und mit Jungs rumzumachen !«

»Von wegen! Nicht seit ich im ersten Semester in einem Kurs durchgefallen bin. Seitdem bin ich praktisch trocken. Kein Rum mehr. Kaum noch Jungs. Ich habe mich dem Streben nach Vollkommenheit verschrieben!«

»Mann, ich bin echt froh, dass du im Moment nicht nach Vollkommenheit strebst. Danke, dass du mich besuchst. Ich freue mich so, meine beste Freundin zu sehen.«

»Das war jetzt fast ein volles Jahr! Und nachdem ich nur übers Wochenende hier bin, sollten wir lieber loslegen«, sagte Sally und reichte Rebecca zwei Becher mit Rum. Einen Becher in jeder Hand über dem Kopf haltend, drängten sie durch die lärmenden Trinker. Im Dickicht der Menge spürte Rebecca kalten Rum auf ihr Gesicht und ihre Brust spritzen. Er durchtränkte ihr Kleid und tröpfelte ihr in den Ausschnitt. Um ihr Gesicht kringelten sich die Haare zu Korkenzieherlocken oder klebten in zuckrigen Strähnen an ihrer Haut. Sie kippte entschlossen einen Rum hinunter, warf den Becher weg und wischte sich das Gesicht mit dem Handrücken trocken.

Als sie sich zu Sally umdrehte, lachte sie laut auf. Sallys nackte Schultern waren mit Lebensmittelfarbe besprüht, ihr Gesicht war rot und gelb getüpfelt.

»Die Schweine haben mich erwischt«, lachte Sally.

Trotz der Farbakzente sah Sally umwerfend aus. Ihr großer, schlanker Körper stach in dem schwarzen Kleid aus der Menge heraus. Noch während sie damit beschäftigt war, das Bier und die Lebensmittelfarbe aus ihren Augen zu wischen, biss ein Junge sie in den Nacken.

»Autsch!«, kreischte Sally und schlug ihn weg. Er verschwand tanzend in der Menge.

»Sollen wir?«, schrie Sally Rebecca zu.

Sie tauchten in das Meer der hüpfenden, schwitzenden Körper, die wie besessen vor der Band unter den gleißenden Scheinwerfern tanzten.

Kerle in schwarzen Hosen, fleckigen weißen Hemden und mit verwegen aussehenden Fliegen wirbelten Sally und Bec über die Tanzfläche.

Der langhaarige Drummer prügelte auf seinen schwarzsilbernen Drumkit ein, während die Gitarristen eine Lee-Kernaghan-Nummer durchpeitschten.

Unter den bunt zuckenden Scheinwerfern stieß Bec einen begeistertes »Wooo-EEEEE!« aus und spürte gleichzeitig das Wummern der Drums in ihrem Bauch. Die Gitarren schepperten, die Harmonikas sangen, und der Sänger »heyupte« wie ein echter Country-Veteran. Beim Refrain legten die Tänzer die Arme um die Taille ihrer Mittänzer, drehten das Gesicht den Sparren unter dem Wellblechdach zu und sangen aus voller Kehle:

We’re all members of the Outback Club.

She don’t back down and she don’t give up.

She’s living in the land she loves.

Born and raised she’s a member of the Outback Club.

Bec in ihrem Alkoholnebel war überzeugt, dass Lee Kernaghan dieses Lied nur für sie geschrieben hatte. Sie sang so laut sie konnte:

She rides boundary fences with the blokes.

She’s a match for any man alive when she works a mob …

Ehe Bec wusste, wie ihr geschah, lagen Johnnos Lippen auf ihren, und seine Zunge schob sich in ihren Mund. Sie spürte seinen schweren Körper an ihrem. Sein dunkles Haar fiel über blaue Augen, die boshaft im Scheinwerferlicht funkelten.

Im nächsten Moment war er wieder verschwunden. Von seinen Kumpels entführt. Betrunken und ohne einen weiteren Gedanken an ihn zu verschwenden, tanzte Rebecca vor der fleischigen Mauer der Security-Truppe mit Sally weiter. Einer Barriere von Männern mit ausdruckslosen Gesichtern, strengem Blick und verschränkten Armen.

Bec und Sal gingen inmitten der Menge auf dem von Rum, Schafskötteln und Plastikbechern rutschigen Boden in die Hocke und beschlossen, einem der Tänzer die Schnürsenkel zusammenzubinden. Sie hatten ihr Werk gerade vollendet, als Dave auftauchte und wie ein Massaikrieger auf und ab zu hüpfen begann. Er brüllte in Richtung Podium:

»Spielt was von Barnesy! Khe Sanh! Spielt Khe Saaaanh! Chisel! Spielt was von Chisel, ihr Säcke!«

Er wandte sich an Sally und Bec und fragte: »Noch nicht fündig geworden?« Rebecca verdrehte die Augen und nickte in Richtung Schurstand.

Dort stand Johnno mit Arnie, dem dicken Jungen. Arnie beugte sich über Johnno und tat so, als wäre er der Scherer und müsse Johnno den Bauch scheren. Die imaginäre Schere zitterte in seiner Hand, als er die letzte Wolle von Johnnos nicht vorhandenem Lämmerschwanz schor. Beide Hände auf Johnnos Hintern gedrückt, schob Arnie Johnno-den-imaginären-Bock die Rutsche hinab, die unten aus dem Scherstall herausführte. Johnno verschwand mit lautem Scheppern kopfüber in der Rinne, bis die zahlreichen Zuschauer nicht mal mehr seine Red-Wing-Stiefel und Anzughosenbeine sehen konnten.

Rebecca beschloss, unter dem Scherstall nach ihm zu suchen. Inzwischen fühlte sie sich richtig betrunken. Sie wollte ihn noch mal schmecken. Wer er auch war. Und so ließ sie Sal und Dave auf der überfüllten Tanzfläche zurück.

An dem riesigen Rolltor oben an der Rampe zum Scherstall spürte sie die kühle Nachtluft auf der Haut. Die Rampe, über die gewöhnlich die Schafe in den Stall geführt wurden, hatte sich in eine improvisierte Bühne für spontane Stunts verwandelt. Ein paar Jungs standen auf der geriffelten Oberfläche und hielten einen Einkaufswagen fest. Alle sahen zu dem Dach oberhalb der Rampe auf.

»Carn Basil! Tu’s! Komm schon!«, riefen sie im Chor von der Rampe her.

Bec folgte den Blicken und sah in einem Lichtkranz gegen den Nachthimmel abgezeichnet einen splitternackten jungen Mann stehen. Er hatte einen roten Plastikeimer aufgesetzt und stand oberhalb des Gitterrostes. Das Licht warf harte Schatten auf seinen großen, muskulösen Körper. Um seinen Auftritt dramatischer zu gestalten, ging er ein paar Bodybuilderposen durch. Wenn Sal hier gewesen wäre, dachte Bec, hätte sie bestimmt gekräht: »Der hat voll den Riesenschwengel! « Bec hingegen bemühte sich, nicht auf den weißen baumelnden Penis zu starren, der von einem dunklen Haarbüschel eingerahmt wurde. Stattdessen heftete sie ihren Blick auf die Schultern und kräftigen Arme und vor allem auf die großen Hände und das riesige Kinn. Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippe und spürte ein lustvolles Kribbeln in ihrem Unterleib. Er sah wirklich verdammt gut aus.

»Spring, Basil, spring!« Die Jungs begannen wie Gorillas zu grunzen. »Ugh, ugh, ugh!«

Der junge Mann nahm ein paar Schritte Anlauf auf dem quietschenden Wellblechdach, sprang ab und landete unter lautem Geschepper im Einkaufswagen. Der silberne Metalleinkaufswagen erwachte zum Leben wie ein aufgeschrecktes Pferd und rumpelte die Rampe hinab, bis seine Räder auf die Holzlatten trafen, die quer über die Rampe genagelt waren. Er kippte um und blieb mit drehenden Rädern seitlich liegen. Der Stuntman landete bäuchlings vor Rebeccas Füßen. Einen Augenblick blieb er reglos liegen. Dann sah er zu ihr auf.

Der Eimerhelm hing ihm schief auf dem Kopf. Seine Augen funkelten im Licht der Außenlaternen. Atemberaubend grüne Augen unter einem Saum aus dunklen Wimpern.

»Einkaufswagen sind sehr, sehr ungnädig«, erklärte er gepresst. Er ließ den eimergeschützten Kopf mit einem dumpfen Schlag auf den Boden sacken und tat, als wäre er ohnmächtig geworden.

Bec betrachtete ihn lächelnd, während sich seine Kumpels johlend, lachend, jubelnd und klatschend um ihn versammelten. Sie packten ihn unter den Armen und stellten ihn auf die Beine. Er schwankte leicht, kippte nach links ab und glich das mit einem taumelnden Schritt nach rechts wieder aus, bei dem er beinahe von der Rampe fiel. Mit einer breiten braunen Hand und einem Aufblitzen seiner zusammengebissenen Zähne klappte er den Metallbügel unter seinem Kinn hervor, zog den Eimer vom Kopf und entblößte dabei kurz geschnittenes schwarzes Haar. Dann schleuderte er den Eimer zu Boden und breitete die Arme aus, um seine Freunde zurückzustoßen.

»Verzeihung, Männer, aber ich habe etwas Wichtiges zu erledigen«, lallte er. Er kam auf Bec zu.

»Ich glaube, ich liebe dich.« Seine grünen Augen funkelten. Die hinter ihm versammelten Jungs jubelten wieder und klatschten ihm auf den nackten Rücken.

»Charlie Lewis.« Er streckte die Hand aus. »In dieser Gegend besser bekannt als Basil.« Rebecca nahm seine Hand, schüttelte sie energisch und schenkte ihm ein Lächeln in ihrem Blick.

»Rebecca Saunders«, erwiderte sie.

»Ups!« Er schlug hastig beide Hände vor sein Geschlecht. »Hab ganz vergessen, dass ich nackig bin!« Er ging in die Hocke und grinste zu ihr auf. Plötzlich sammelten sich Charlies Kumpels um ihn, hoben ihn hoch und trugen ihn die Rampe hinunter und in die Nacht davon. Lachend sah Rebecca ihnen nach.

Aus dem Schuppen blitzte ein Regenbogen von Lichtern, und Rebecca spürte, wie ihr Blut vor Lust schwer wurde. Sie lächelte begeistert vor sich hin. Sie hatte eben Charlie Lewis kennengelernt. Und er war fantastisch.


Die über die Bäume kriechende Sonne bestrahlte die silbrigen Spinnennetze im Gras. Verkaterte Partygänger rührten sich in ihren Schlafsäcken, die sie auf dem Boden oder auf den Ladeflächen der Pick-ups ausgebreitet hatten.

Rebecca war wach, lag aber mit geschlossenen Augen da und lauschte dem Hämmern der Musik, die aus den Lautsprechern eines weiter unten geparkten Pick-ups dröhnte. Es lief »Thank God I’m a Country Boy«. Stöhnend wischte sie sich mit dem Handrücken über ihren Mund. Sie war durstig.

Sie öffnete die Augen und beobachtete, wie die unersättlichen Trinker um das Lagerfeuer herumstolperten, das schon längst seinen rot glühenden Zauber verloren hatte. Hinter den Reifen ihres Pick-ups sah sie einen grünen Hügel liegen – Daves Schlafsack, den er neben dem Kuhfänger ausgerollt hatte.

»Hey Dave …«

»Mmmm?«

»Ich fühl mich scheiße.«

»Mmmmm«, sagte Dave. Er schlug die Decke seines Schlafsacks zurück und stützte sich blinzelnd und mit abstehenden Karottenhaaren auf einen Ellbogen.

»Mann. Du siehst scheiße aus«, stellte Rebecca fest. Sie hörte ein Rascheln, etwas bewegte sich, dann tauchte das Gesicht eines dunkelhaarigen Mädchens aus Daves Schlafsack auf.

»Morgen«, sagte Bec. Sie hatte das Mädchen schon gestern Abend gesehen. Wie hieß sie noch? Annabelle? Sie hatte Dave den ganzen Abend nachgestellt. Offenbar hatte sie ihn schließlich erwischt.

»Mmmm. Ist mir übel«, sagte Annabelle und sackte wieder zurück.

Nicht viel später wurden sie von lautem Jubel und dem Aufheulen eines Motors wieder aufgeweckt. Ein gelber Holden-Pick-up kreiste wild auf einer kahlen Koppel herum. Hinten war mit einem Abschleppseil ein Dixie-Klo angehängt. Dessen Tür klappte bei jeder Kurve hektisch auf und zu. Ab und zu konnte man in dem Staub, den die dicken, durchdrehenden Reifen des Pick-ups aufwirbelten, einen Jungen im Klohäuschen erkennen, der sich mit heruntergelassenen Hosen verzweifelt am Türrahmen festhielt.

Ein paar Mitglieder des Veranstaltungskomitees kamen in ihren gestreiften Rugbyjacken auf die Koppel gelaufen und versuchten Arme schwenkend den Fahrer aufzuhalten. Sobald das Fahrzeug langsamer wurde, sprang der rundliche Toilettengeher aus der Kabine, purzelte noch hosenlos durch den Staub und kam nach einem geschmeidigen Purzelbaum auf die Füße, um sich graziös und nacktärschig zu verbeugen.

Aus ihren Schlafsäcken heraus applaudierten und pfiffen Rebecca, Dave und Annabelle zusammen mit den übrigen Partygängern, die allmählich aus ihren Schlafsäcken auftauchten und sich auf den Ladeflächen ihrer Pick-ups niederließen.

»Sieht so aus, als würde die Party weitergehen«, sagte Bec. »Höchste Zeit für ein Frühstücksbier.«


Dave hielt Rebeccas Pick-up in der Schlange, die vom Partygelände weg über die staubige Straße rollte. Annabelle saß mit ihrem breiten Hintern auf dem Beifahrersitz, während Sally und Bec auf der Ladefläche lagen und die Füße auf einen Kühlbehälter stützten. Die Party wurde verlagert, jetzt waren alle zu einem Erholungsausflug an den Fluss unterwegs.

»Was hast du gestern Abend noch getrieben?«, fragte Rebecca.

»Mmmm! Wo soll ich anfangen? Ich geb dir einen Tipp.« Sally wedelte mit den Fäusten wie ein Trommler.

»O Gott! Nicht der Drummer! Du hast dich mit dem Drummer eingelassen!«

»Mmm … diese Armmuskeln!« Sally nahm einen Schluck aus ihrer Bierflasche.

»Und was war mit dir?«

»Ach. Johnno habe ich irgendwann verloren. Das war sowieso nur eine Bierlaune. Aber dafür bin ich gestern Nacht mal rausgegangen, und da bin ich dem schärfsten Typen mit dem fantastischsten Körper und dem ansehnlichsten Päckchen zwischen den Beinen begegnet, den du dir nur vorstellen kannst.«

»Echt? Und wem?«

In diesem Augenblick löste sich ein fetter Toyota Pick-up aus der Schlange und fuhr mit zwei Rädern auf dem Seitenstreifen an ihnen vorbei. Hinten saß inmitten mehrerer Jungs Charlie Lewis, der sofort sein Bier erhob, als er Rebecca bemerkte.

»Ich glaub, ich bin in dich verknallt!«, rief er, während sie vorbeizogen.

»Dem da«, sagte Bec zu Sally.

Am Flussufer saßen sie in kleinen Gruppen. Tranken, starrten in den Himmel oder tanzten zu der Musik der Band, die auf der Ladefläche eines Trucks spielte. Sallys Blick wanderte auffällig oft zu dem Drummer hinüber, und jedes Mal seufzte sie mit einem kleinen Lächeln. Rebecca lag auf dem Rücken und blickte durch eine goldfarben leuchtende Rumflasche. Sie drehte sich auf den Bauch, schenkte den Rum in zwei Plastikbecher, mischte ihn mit warmer, schaler Cola und reichte Sally einen Becher. Sally legte sich neben ihre Freundin, sie stießen an und tranken.

»Schon was von deinem Dad gehört?«, fragte Sally.

»Mann, fang bloß nicht mit dem an, während ich meinen Rum genieße!«

»Bec! Irgendwann musst du dich dieser Familienscheiße stellen. Wir lernen an der Uni eine Menge über Nachfolgeplanungsstrategien. Du musst mit deinem Dad kommunizieren. « Sally schob die Sonnenbrille an der Nase nach unten und sah ihrer Freundin in die betrunkenen blauen Augen.

»Dad kann mich mal. Scheiß auf die Farm, selbst Tom hat seine Sachen schon gepackt. Die ganze Kacke ist total verfahren.« Bec fuhr sich mit der schmutzigen Hand durch den verfilzten blonden Schopf und biss in den Rand ihres Bechers.

»So gut, wie?« Beide schwiegen, während Sally ihnen wacklig den nächsten Drink einschenkte.

»Mir fehlt Waters Meeting, Sal.« Bec stiegen Tränen in die Augen. Sie begann leise zu weinen. »Dieser verdammte Idiot. Was soll ich nur machen, Sal? Eigentlich will ich bloß heim. Heim nach Waters Meeting und zu meinem Fluss. Ich vermisse mein Pferd … die Tiere, alles.«

Sal legte den Arm um Becs Schulter und lehnte ihre Stirn an Becs.

»Ich weiß beim besten Willen nicht, was du machen sollst, Bec.«

»Ich genauso wenig.«

Es blieb kurz still.

»Scheiß doch drauf, Sal! Saufen wir uns lieber einen an.«

»Ähm, Bec, das haben wir schon getan, und hat das vielleicht was genutzt?«

»Mmmm.« Bec begann Blasen in ihrem Becher zu blasen, kippte dann den Inhalt in ihren Mund, drehte sich wieder auf den Rücken und stieß ein »Ärrgh!« aus.

Sal tat es ihr gleich: »Ärrgh!« Dann »ärrghten« sie noch ein paar Mal und grunzten zum Abschluss, weil sie betrunken waren und Spaß hatten.

Plötzlich spürten Rebecca und Sally Hände um ihre Armgelenke und Knöchel. Dave, Johnno, Arnie und ein kleiner, drahtiger Junge trugen sie zum Fluss.

Am Ufer spürte Rebecca, wie sie hin und her geschwungen wurden, dann lösten sich die Hände, und sie segelte durch die Luft. Sie landete, das kühle Wasser spritzte um sie herum auf.

Als sie aufstand, sah sie, dass sie in bauchtiefem Wasser stand. Sie strich sich die Haare aus dem Gesicht. Die Jungs plantschten ihr nach und riefen: »Nasses T-Shirt! Nasses T-Shirt!«

Rebecca sah auf ihre Brüste, die sich deutlich unter dem durchtränkten, an der Haut klebenden Stoff abzeichneten. Sie tauchte ganz in den trüben Fluss ein und schwamm unter Wasser zur Mitte des Schwimmteiches. Beim Wassertreten entdeckte sie Charlie Lewis am Ufer. Er lagerte auf einer lila Aufblascouch und hatte eine Rumflasche unter den Arm geklemmt. Seine Kumpels fielen über ihn her, zogen ihm die Flasche unter dem Arm hervor und hoben ihn mitsamt der Couch hoch. Laut johlend kippten sie ihn in das schlammige flache Wasser am Ufer.

Als er auftauchte und sie in der Mitte des Flusses Wasser treten sah, schwamm er zu ihr. Als er näher kam, sah sie seine Augen. So grün. Lange, dunkle, mit Flusswasser benetzte Wimpern.

»Howdy Dudey«, sagte Bec.

»Aber Miss Rebecca, ich muss schon sagen. So begegnen wir uns wieder«, antwortete er.

Er trat wie wild Wasser und schüttelte ihr darum leicht unsicher die Hand. Sie war überrascht, dass er sich nach der gestrigen nächtlichen Alkoholfahrt im Einkaufswagen an ihren Namen erinnerte. Er paddelte so dicht neben ihr her, dass sie spürte, wie seine Fingerspitzen das Wasser durchgruben.

»Sollen wir flussaufwärts oder flussabwärts schwimmen?«, fragte er flirtend.

»Ich bin lieber oben«, sagte Bec, stieß sich mit den Zehenspitzen vom schlammigen Flussgrund ab und begann gegen die sanfte Strömung anzuschwimmen.

Ein großer, vor langer Zeit ins Wasser gekippter Baumstamm bildete ein nasses Liebesnest, auf dem sie sich niederließen und sich in die Augen sahen. Beide hatten eine leichte Gänsehaut. Charlie sah sie lange an und strich die Strähnen aus ihrem Gesicht.

»Hab ich einen Popel an der Nase oder was?« Bec rieb sich unsicher mit der Hand über die Nase.

Charlie lachte leise und nahm ihre Hand von ihrem Gesicht. »Ach was. Deine Nase ist perfekt.«

Die Wellen leckten an Charlies Brustwarzen, und obwohl er bibberte, fühlte sich seine Hand warm an. Bec wartete darauf, dass er sie küsste. Zu ihrer Verwunderung verzehrte sie sich so nach diesem Mann, dass sie kaum noch Luft bekam. Er war perfekt. Braune Haut, kantiges Kinn mit leichtem, dunklem Schatten, volle Lippen und diese Augen.

Als er mit der Hand über ihren Arm und ihre Schultern strich, überschlugen sich die Fragen in ihrem Kopf. Woher kam er? Mochte er Hunde oder Vanilleeis oder Cricket? Warum fühlte sie sich so zu ihm hingezogen? Empfand er das Gleiche für sie? War das nur der Rum?

Stattdessen schwieg sie. Sie ließ zu, dass seine Lippen ihre berührten, und gleich darauf begann sie wieder zu schwimmen. Sie schwamm in einem unglaublich warmen Rumkuss, der ihr Herz zum Schmelzen brachte. Obwohl sie betrunken war, war dieser Kuss nicht mit dem von Johnno zu vergleichen. Dieser Flusskuss. Dieser Charliekuss. Dieser Alleskuss. Ihre Hände strichen über Charlies Körper, und ihr Atem begann vor Begierde zu flattern. Sie spürte die Haut seiner Beine an ihren, dann drückte er seine breite Brust an ihren Leib. Lust.

Plötzlich begann jemand panisch zu schreien, und Becs Augen flogen auf.

»Ein U-Boot!«, brüllte jemand.

Am Ufer lief ein Typ armewedelnd auf und ab und brüllte immer wieder: »Yobbo hat ein U-Boot abgeseilt! Alles raus aus dem Wasser! Alles raus aus dem Wasser!«

»Was?«, fragte Bec.

»Ach!«, sagte Charlie. »Yobbo hat ein Unterwasserkabel gelegt, das jetzt flussabwärts treibt! Igitt! Nichts wie raus hier.« Sie schwammen lachend flussabwärts, trunken vor Lust und von dem Rum in ihren Mägen.

Doch sobald er sich seinen Kumpeln näherte, spürte sie, wie er auf Abstand ging. Er entfernte sich ein paar Schwimmzüge von ihr und versuchte, seine Unsicherheit zu überspielen.

»Wir sehen uns später«, sagte sie cool und spazierte aus dem Fluss, bemüht, so Bo-Derek-mäßig wie nur möglich auszuschauen, obwohl sie mit Schlamm beschmiert war und ihr die Unterwassergräser wie Egel an der Haut klebten.

Später tanzte sie vor der Band, duckte sich vor herumfliegenden Grasbüscheln und stampfte mit den anderen Betrunkenen im Staub herum. Sal stand ganz vorn in der Menge, mitten in der heißen Nachmittagssonne, und ließ vor der Band ab und an ihre kleinen, festen Brüste aufblitzen.

Unter dem Tanzen brüllte Bec ihrer Freundin atemlos ins Ohr: »Der Kuss meines Lebens! Das war der Kuss meines Lebens! Und er wurde von einer schwimmenden Kackwurst unterbrochen!«

»Was?«, brüllte Sal gegen die Musik an. Bec zuckte mit den Achseln und tanzte noch wilder. So war das Leben eben.

Wo die Wasser sich finden australien2
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