Dezember 1898

Akazie-Klein.epsDie Dschagga-Frauen waren zwischen den großblättrigen Bananenstauden kaum zu sehen, doch man hörte sie schwatzen und singen, während sie das Unkraut mit Hacken und Buschmessern eindämmten. Max von Roden mochte ihre Lieder, sie klangen anders als die der Männer, die auf seinem Land arbeiteten, getragener, ein wenig melancholischer, dann wieder ertönten helle, trillernde Laute, und man hörte Gelächter. Diese Frauen waren fleißige Arbeiterinnen, drüben auf der anderen Seite hatten sie Mais gepflanzt, der trotz der Trockenheit in diesem Jahr recht gut stand und bald geerntet werden konnte. Im Grunde war es schade, dass er nur wenige Dschagga-Frauen auf seiner Plantage beschäftigen konnte. Ihre Männer ließen sie nicht gehen, denn sie mussten die eigenen Felder bestellen, auf denen ihre Ehemänner und Brüder keinen Finger rührten.

Er ritt noch ein wenig näher heran und zügelte dann das Maultier, um sich die Pflanzung gründlich zu betrachten. Sie zog sich weit den Hang hinauf und umfasste etwa drei Hektar Land; wie alle Dschagga-Felder wurde sie von ausgeklügelten Bewässerungskanälen versorgt. Eigentlich war es sein Land, er beanspruchte den Besitz offiziell immer noch für sich, denn er gehörte zu der Plantage, die der Araber ihm damals verkauft hatte. Dennoch hatte er dieses Landstück den Dschagga für unbestimmte Zeit abgetreten und verlangte auch keine Pacht dafür. Es war der Preis, den er damals für Charlotte hatte zahlen müssen, um sie aus ihrer Gefangenschaft zu befreien.

Zuerst war er wütend gewesen, hatte daran gedacht, die Schutztruppe zu Hilfe zu rufen, um sich sein Eigentum zurückzuholen, dann hatte er es sich anders überlegt. Die Gefahr, dass die Burschen ihm aus Rache dort oben das Wasser abgruben, war nicht zu unterschätzen, und er brauchte verdammt viel Wasser auf der Plantage. Nicht nur für die Pflanzungen, auch für die Kaffee-Ernte und vor allem für den Sisal, der im kommenden Jahr zum ersten Mal geschnitten und zu Fasern verarbeitet werden sollte.

Jetzt hatten die Dschagga-Frauen ihn entdeckt, kamen zwischen den Bananenstauden hervor und beschatteten die Augen mit den Händen, um ihn besser sehen zu können. Zwei von ihnen trugen leuchtende, karminrote Gewänder, ganz sicher von dem Lohn gekauft, den ihre Männer auf der Plantage verdient hatten. Eine der jüngeren Frauen hatte sich ihren Säugling auf den Rücken gebunden; sie warf nur einen kurzen, gleichgültigen Blick auf den weißen bwana und bückte sich dann, um weiterzuhacken. Eine Begrüßung oder Ähnliches fand nicht statt, man kannte sich und ließ einander in Ruhe.

Er musste schmunzeln, als er sein Maultier den Abhang wieder hinunterlenkte. Charlotte wäre jetzt zu den Frauen hinübergeritten, um mit ihnen zu schwatzen. Auf welche Weise sie sich mit ihnen verständigte, hatte er noch nicht ganz herausgebracht, sie mischte Suaheli mit neu aufgeschnappten Worten der Dschagga-Sprache, behalf sich mit Gesten und Mimik – und irgendwie klappte es. Sie hatte ihnen sogar Hühner und ein paar Ziegen abgehandelt, die stinkenden Biester vermehrten sich inzwischen auf der Plantage wie die Karnickel. Wenn eines der Zicklein für einen leckeren Braten sein Leben lassen musste, lief Charlotte davon, da sie es nicht mit ansehen konnte, wie es geschlachtet wurde.

Charlotte – seine Frau. Sie war ein Geschenk des Schicksals, das beste und größte, das er je erhalten hatte. Gar nicht auszudenken, dass sie diesem zwielichtigen Inder anheimgefallen wäre, hätte er nicht den raschen Entschluss gefasst, an die Küste zu fahren und um sie anzuhalten. Aber selbst wenn sie schon fort gewesen wäre – er wäre ihr nach Sansibar gefolgt und hätte sie zurückgeholt. Charlotte war die Frau, die für ihn bestimmt war, das hatte er schon gespürt, als er sie zum ersten Mal erblickte.

Ein beklemmendes Gefühl stellte sich ein, das ihn schon seit dem Morgen verfolgte, denn sie hatten beim Frühstück einen kleinen Streit gehabt. Sie war hartnäckig; wenn sie sich in eine Idee verbissen hatte, dann konnte man ihr hundertmal erklären, dass die Sache diesen und jenen Haken hatte – sie kam immer wieder damit an. Dieses Mal hatte sie ihm in den Verkauf der Kaffee-Ernte hineinreden wollen. Gut, es gab verschiedene deutsche Handelsgesellschaften, aber er war bisher mit der Ostafrikanischen Handelsgesellschaft gut zurechtgekommen, er kannte die Leute, die dort etwas zu sagen hatten, und war der Meinung, einen guten Preis für seinen Kaffee zu bekommen. Charlotte aber wollte pokern, gleichzeitig mit L & O. Hansing und der Rheinischen Handel-Plantagen-Gesellschaft verhandeln und so bessere Bedingungen herausschlagen. Er war strikt dagegen, denn man konnte sich viel Ärger dabei einhandeln, doch das wollte sie nicht hören. Geschäft sei Geschäft, und wer den besseren Preis zahlte, der bekam die Ware. Er war ungehalten geworden, ein Wort hatte das andere gegeben, und schließlich war er davongestürmt und auch zum Mittagessen nicht zurückgekehrt. Er hatte eine gute Ausrede, denn die Arbeiter waren damit beschäftigt, mehrere der alten Eukalyptusbäume zu fällen, die die Felder, auf denen von nun an Sisal gepflanzt werden sollte, allzu sehr beschatteten. Die Sache war nicht ungefährlich, deshalb überwachte er die Rodung und legte auch selbst Hand an. Vor einer Stunde hatte er das Zeichen zum Feierabend gegeben, und eigentlich hätte er hinüber zum Haus reiten können, um sich zu waschen und etwas zu essen. Doch sein verdammter Starrsinn hatte ihn davon abgehalten, so dass er stattdessen noch einen Kontrollritt über das Land unternommen hatte. Charlotte sollte merken, dass sie zu weit gegangen war. Dabei litt er selbst ganz scheußlich, wenn sie sich nicht einig waren. Er liebte sie, hätte keinen Tag mehr ohne sie sein wollen, auch keine Nacht, das schon gar nicht. Die Leidenschaft, die sie in ihm entfachte, war in den vergangenen zehn Monaten eher noch heftiger geworden, es kam vor, dass er sie am frühen Morgen vor dem Aufstehen noch einmal nahm, da ihm die Zeit bis zum nächsten Abend viel zu lange erschien.

Wohlgefällig ließ er den Blick über die rechteckig angelegten Sisalpflanzungen schweifen. Die schmalen, fleischigen Blätter standen schon einen guten Meter hoch. Er würde die Regenzeit abwarten und dann in den ersten Monaten der Trockenperiode versuchen, eine Ernte einzubringen. Weiter oben gab es noch mehr ausgedehnte Felder, auf denen Kaffeebüsche wuchsen, zwischen die er Bananen gesetzt hatte, damit die Pflanzen genügend Schatten bekamen. Er würde vermutlich noch einige Jahre zweigleisig fahren, der Kaffee gedieh ausgezeichnet und war von guter Qualität. Er bemerkte ein paar Pflücker, die die letzten roten Beeren zwischen den unreifen gelben heraussuchten. In zwei Wochen würde er die Leute erneut losschicken, dann wären genügend Kaffeebeeren nachgereift. Wenn er Glück hatte, könnte er sogar noch im Januar ernten.

Er ritt zu seinen Schwarzen hinüber und wurde mit dem üblichen »Jambo, bwana!« begrüßt. Er stellte ein paar Fragen und brachte heraus, dass sich während des Tages wieder einmal drei Arbeiter aus dem Staub gemacht hatten. Sie hatten offensichtlich Besseres zu tun gehabt und noch nicht einmal ihren Lohn abgeholt.

Unversehens wurden die Wolkenschleier in der Ferne durchsichtig, und der Berg tauchte vor dem blauen Himmel auf – ein Anblick, der ihn immer noch faszinierte. Es schien, als schwebe das gewaltige Felsmassiv, das vor Millionen von Jahren ein Vulkan gewesen sein sollte, auf einer Schicht weißer Quellwolken. Max von Roden hatte schon seit Jahren die verrückte Idee, dort hinaufzusteigen, bisher aber nie die Zeit dafür gefunden. Und jetzt war es schon gar nicht möglich, er konnte Charlotte nicht zumuten, mit der Arbeit auf der Plantage allein zu bleiben, zumal er noch immer keinen vernünftigen Vorarbeiter gefunden hatte. Vielleicht wollte er jetzt auch keine gefahrvollen Bergtouren unternehmen, weil ihm sein Leben plötzlich kostbarer erschien als früher. Es war reich, dieses Leben, es bot ihm eine atemlose Fülle an Arbeit und Freude, an Erfolgen und Fehlschlägen, an Zukunftshoffnungen und an glücklichen Augenblicken, die allesamt mit Charlotte zu tun hatten …

Plötzlich stieg die Sehnsucht nach ihr mit großer Heftigkeit in ihm auf, und er begriff, dass es Zeit war umzukehren. Er brauchte das Maultier nicht einmal anzutreiben, bereitwillig trabte es voran. In der Ferne kam jetzt schon das Wohnhaus in Sicht, umgeben von schönen alten Eukalyptusbäumen, die er an dieser Stelle auf jeden Fall erhalten wollte, und gleich darauf erkannte er die von Akazien gesäumte Allee, die zum Wohnhaus führte. Hinter dem Wohnhaus lag der Gemüsegarten, in dem Charlotte Kohl, Salat, Karotten und sogar Radieschen zog, außerdem jede Menge anderer Gemüsesorten; sie hatten auch Apfelbäume und ein Pfirsichbäumchen gesetzt. Nie hätte er geglaubt, dass aus der leidenschaftlichen Händlerin eine so geduldige Gärtnerin werden könnte. Sie hatte auf dem Rasen vor der Akazienallee mehrere Blumenbeete angelegt, die prächtig gediehen und ihm viel Freude bereiteten. Ach, sie hatte so viele Talente, auch im Haus hielt sie alles in Ordnung und wartete dazu täglich mit neuen Einfällen auf. Ein Badezimmer mit einer Berieselung hatte er nach ihren Ideen gebaut, einen heizbaren Waschkessel aufgestellt, sie kochte Marmelade aus Mango, Banane und Feigen, die sie mit Tamarinde und Zitronengras würzte, und hatte mit enormer Beharrlichkeit ihr Vorhaben durchgesetzt, den Eingeborenen Lesen, Schreiben und Rechnen beizubringen. Nur mit den Hausangestellten war sie viel zu großmütig, hielt diese nicht auf Abstand und war allzu vertraulich, aber das würde sie schon noch lernen. Er wusste, dass sie aus kleinen Verhältnissen stammte und es nicht gewohnt war, mit der Dienerschaft umzugehen. Aber sie war lernbegierig und nahm Anteil an allem, was seinen Besitz betraf. Wieso war er so starrsinnig gewesen? Tat sie nicht genau das, was er sich von ihr erhoffte? Sollte sie sich ruhig einmischen, er würde schon dafür sorgen, dass es nicht überhandnahm. Hin und wieder hatte sie ja recht kluge Einfälle, das musste er ihr lassen.

Er gab seinem Maultier die Sporen und hielt auf die Stallungen zu, ritt jedoch einen Umweg, um nachzuprüfen, ob der Pulper bei den Wasserbecken gereinigt worden war. Es war ziemlich trocken zurzeit; wenn die Reste der Kaffeefrüchte in der Maschine verblieben, klebte das Zeug zusammen, und man hatte am nächsten Tag Mühe, den großen Rührbottich wieder in Gang zu setzen. Die meisten Arbeiter waren schon in ihren Häusern verschwunden, ließen sich von ihren Frauen das Essen zubereiten und tranken pombe. Ein paar Nachzügler brachten noch ihre Ausbeute, die sie sorglos neben dem Pulper abstellten, dann wünschten sie dem bwana Roden lala salama und machten sich ebenfalls auf den Weg zu ihren Unterkünften.

Vor den Stallgebäuden stieg er ab und überließ das Maultier zwei schwarzen Angestellten, dann zwang er sich, noch rasch die Runde in den Ställen zu drehen, schaute nach den Ochsen, den Maultieren und raunzte einen Schwarzen an, der die Schweine und Ziegen einsperren sollte, es aber offenbar vergessen hatte. Vor einigen Tagen hatte ihm ein Leopard zwei Böcke gerissen, und er hatte den Burschen noch nicht erwischt. Nicht dass er besonders um die Ziegenböcke getrauert hätte, die Biester vermehrten sich rascher, als man zuschauen konnte, aber der Leopard würde wiederkommen, weil er hier Beute gemacht hatte. Vor allem die schwarzen Angestellten, die ein Stück Land von ihm erhalten hatten und Vieh hielten, hatten Angst vor dem Räuber. Er würde sich spätestens morgen Nacht auf die Lauer legen, auch wenn Charlotte es schrecklich fand, dass er loszog, um ein Tier zu erlegen. Sie würde sich damit abfinden müssen – die Jagd war eine alte Tradition in seiner Familie, und außerdem hatten ihn die Schwarzen flehentlich darum gebeten.

Während er zum Haus hinüberging, beschleunigte sich sein Puls merklich. Er freute sich darauf, diesen dummen Zwist aus der Welt zu schaffen – ein ganzer Tag ohne ein Gespräch mit ihr, ohne eine Berührung, war für ihn ein verlorener Tag. Sorgfältig legte er sich im Kopf noch einmal seine Argumente zurecht, denn ganz und gar ins Hintertreffen wollte er bei dem Friedensschluss auch nicht geraten. Er war keiner, der heute so und morgen anders dachte – das wäre sicher nicht in Charlottes Sinn gewesen. Aber er war auch kein Hagestolz, er konnte sich besinnen, eine gemeinsame Lösung finden, vor allem mit Charlotte, seiner Frau, dem wichtigsten Menschen in seinem Leben.

Die Akazien waren schon verblüht, doch es lag noch ein schwacher, süßer Duft in der Luft, und er atmete tief ein, als er durch die Allee dem Hauseingang zueilte. Neben der Tür hockte Schammi auf dem Boden, was ungewöhnlich war – seitdem er auf der Plantage weilte, trug er ein langes, schneeweißes Gewand mit passender Mütze und legte großen Wert darauf, den kostbaren Stoff nicht zu beschmutzen. Der kleine Bursche war ihm treu ergeben, aber leider hatten ihn die beiden Frauen in Daressalam gründlich verdorben. Schammi hielt sich fern von den übrigen Angestellten, da er glaubte, etwas Besseres zu sein, zumal er die deutsche Sprache erstaunlich gut beherrschte. Er war ein Stück gewachsen, seitdem er auf der Plantage lebte, was sein Selbstbewusstsein gehoben hatte. In Charlottes Eingeborenenschule spreizte er sich mit seinen Kenntnissen, und neulich hatte sie lachend erzählt, er stelle den kleinen Mädchen nach – allerdings mit wenig Erfolg.

Schammi erhob sich, als er den bwana Roden am Eingang der Allee erblickte, klopfte sorgfältig sein Gewand ab und lief dann auf seinen Herrn zu.

»Jambo, Schammi!«, begrüßte ihn Max von Roden.

»Jambo, bwana!«

Er verneigte sich eilig, wobei er den angewinkelten linken Arm auf die Brust presste und hastig weiterredete. »Es ist Besuch da, bwana. Dschagga sind gekommen mit pombe und mit Mais und Eiern zum Geschenk. Eine stinkige Haut vom Rind haben sie mitgebracht. Und bibi Charlotte muss ihnen Schnaps geben …«

Max war über diese Nachricht wenig erfreut, obgleich der Besuch eines Dschagga-Häuptlings mit seinem Anhang eigentlich eine gute Sache war, denn er war auf die Freundschaft zu ihren Stämmen angewiesen. Gerade heute aber wäre er lieber mit Charlotte allein gewesen.

»Welche Dschagga?«

Schammi hatte seinen Verdruss gespürt, er hatte einen guten Instinkt für die Stimmungen der Weißen. Es gefiel ihm, denn Schammi konnte die Dschagga nicht leiden, sie waren ihm ebenso unheimlich wie die Massai.

»Mandara ist es, bwana. Sitzt im schönen Zimmer auf dem Boden. Trinkt Schnaps und isst gute Samosas, die der Koch hat zubereitet. Bibi Charlotte wird ihm noch teures, kostbares Kleid von rotem Tuch und Salz und Zigaretten geben. Ihm und den anderen, die mit ihm gekommen sind …«

Schammi war der einzige Schwarze auf der Plantage, der seine Frau bibi Charlotte nannte, alle anderen sagten bibi Roden. Aber natürlich brauchte Schammi seine Extrawurst.

»Es ist gut, Schammi. Was hockst du hier draußen? Geh hinein, und hilf Hamuna und Sadalla, die Gäste zu bedienen.«

Schammis Gesicht zog sich in die Länge, offenbar hatte er gehofft, sich vor dieser Aufgabe drücken zu können. Die »Gäste« waren schließlich Wilde, sie hatten bemalte Gesichter und trugen Speere mit sich, die sie allerdings am Eingang der Wohnstube auf die Bitte von bibi Charlotte hin abgelegt hatten. Er, Schammi, war kein Wilder, er konnte die Sprache von uleia sprechen und sogar etwas schreiben, er trug ein schönes Kleid und wohnte mit Sadalla in einem Haus mit Wellblechdach, gleich neben dem Garten. Es war eine Schande, dass er solche Leute bedienen sollte, das hätte bwana Roden eigentlich wissen müssen.

Das Wohnzimmer war vom Geruch des ranzigen Rindertalgs erfüllt, mit dem die Dschagga ihr Haar einfetteten, die übrigen strengen Düfte konnte Max nicht ausmachen, wollte es auch gar nicht. Charlotte saß auf einem Stuhl, bemüht, die Rolle der würdigen Gastgeberin zu spielen, in einiger Entfernung thronte der Häuptling gleichfalls auf einem Stuhl, die übrigen Gäste hatten am Boden Platz genommen. Mandara war ein ausgemergelter alter Mann, der jedoch eine gute Portion Selbstbewusstsein ausstrahlte. Er war einer jener Häuptlinge, die sich gern mit den weißen Kolonialherren verbündeten, um dadurch Schutz vor feindlichen Übergriffen anderer Dschagga-Stämme zu erhalten. Die ständigen Kriege der Eingeborenen erinnerten Max manchmal an die Zustände im europäischen Mittelalter, als jeder Adelige seine Kämpfer aufstellte, um den Nachbarn unter den irrwitzigsten Vorwänden um sein Land zu bringen.

Es fand eine ausgiebige Begrüßung mit Worten und Gesten statt, obwohl Max den Schwarzen nicht die Hand reichte. Er wusste, dass sie das nicht mochten, da sie fürchteten, ein böser Zauber könne durch seinen Arm in sie eindringen. Sadalla stellte ihm einen Stuhl bereit, dann musste er einen Becher pombe und anschließend einen Schnaps trinken, um seine Gäste zufriedenzustellen. Ein rascher Blick in Charlottes Gesicht hatte ihm gezeigt, dass sie froh über seine Heimkehr war, ihr Lächeln fiel allerdings sparsamer aus als gewohnt. Aber sie sorgte dafür, dass er ausgiebig mit Hühnerfleisch, Currysoße und süßer Hirse mit Zimt, Mandeln und Feigen bewirtet wurde, was er als gutes Zeichen wertete.

Höflichkeiten wurden ausgetauscht. Charlotte hatte Kapande herbeiholen lassen, der die Sprache der Dschagga verstand, außerdem sprach der Häuptling etwas Suaheli, das er sogar mit deutschen Brocken mischte. Sie sprachen von den Massai, die drüben in Usambara ein Dorf überfallen haben sollten, und Mandara beklagte sich über die Elefantenjagd. Das Elfenbein bringe den Dschagga nichts als Unglück und Streit, denn jeder wolle so viele Elefanten wie möglich töten, um reich zu werden. Bald würde es keine Elefanten mehr am Kilimandscharo geben, vielleicht könne man dann wieder in Frieden leben. Max erklärte, dass es ganz sicher immer Elefanten am Kilimandscharo geben würde, doch im Stillen musste er dem alten Häuptling Recht geben. Er selbst war passionierter Jäger, aber was hier in Afrika vielerorts geschah, hatte nur wenig mit dem edlen Waidwerk zu tun. Das Wild wurde in Massen abgeschlachtet, einzig um der begehrten Trophäen willen. Zur Ablenkung erzählte er von dem Leoparden, der unter seinen Ziegen gewildert hatte, und die Augen der Dschagga leuchteten bei seinem Bericht. Wenn er den Schakal der Wälder erlege, dann solle er mit dem Fell zu Mandara kommen, damit der Medizinmann den Geist des Leoparden aus seiner toten Haut vertreibe. Wenn er das nicht tue, lebe der Geist des Tieres weiter, und da es ein böser Geist sei, könne er viel Unheil anrichten. Max deutete diesen Vorschlag auf seine Weise, vermutlich hoffte Mandara, die begehrte Trophäe zum Geschenk zu erhalten.

Der Besuch dehnte sich aus, und es war klar, dass er die Gäste über Nacht beherbergen musste, denn inzwischen war es schon dunkel geworden. Zum Glück hatte der deutsche Schnaps gemeinsam mit dem pombe schon seine Wirkung getan; der Häuptling kam bald darauf zu sprechen, wo er die Nacht verbringen wolle. Dieses Mal nicht unter freiem Himmel wie bei früheren Besuchen, sondern besser in einem Haus. Er sagte nicht, warum, aber wahrscheinlich fürchtete er einen nächtlichen Besuch des Leoparden. Mit dem Nebengebäude, das rasch mit Bastmatten und Decken ausgestattet wurde, war Mandara vollauf zufrieden, zumal es eine feste Tür aus Holz besaß.

Als Max in den Wohnraum zurückkehrte, fand er dort nur noch Sadalla und Hamuna, die die Schüsseln, Becher und Teller forträumten und die Stühle wieder an ihren Platz stellten.

»Bibi Roden in Zimmer ist«, vermeldete Hamuna.

Max überlegte, ob er besser anklopfen sollte, fand es jedoch albern, da es nicht seine Gewohnheit war. Sacht öffnete er die Tür, um ihr Zeit zu geben, sich auf sein Eintreten vorzubereiten.

Sie hatte den Raum, den er einst für Johanna eingerichtet hatte, nach eigenem Geschmack verändert, die Möbel umgestellt, einige Bilder aufgehängt, die ihre Cousine gezeichnet hatte, und sich von ihm einen kleinen Tisch anfertigen lassen, den sie als Schreibtisch benutzte. Dort saß sie jetzt beim Licht der Lampe, über ein Schreiben gebeugt.

»Sind sie zufrieden?«, fragte sie über die Schulter, ohne aufzusehen. Er begriff, dass sie Mandara und seinen Anhang meinte.

»Ich denke schon …«

»Es ist Post gekommen.«

Sie wies mit einer Kopfbewegung zu einem Stapel Briefe, die allesamt noch ungeöffnet waren. Das Schreiben, das sie gerade las, schien der Handschrift nach von ihrer Cousine Ettje aus Leer zu stammen. Er schwieg dazu, die Nachrichten aus der ostfriesischen Kleinstadt waren ihm momentan vollkommen gleichgültig.

»Lass uns reden, Charlotte …«

Jetzt endlich blickte sie ihn mit ihren dunklen, fremdländischen Augen an. Den Augen ihrer indischen Großmutter. Ein Fünkchen Gold blitzte darin auf und verlosch gleich wieder.

»Ich bin heftig geworden. Es tut mir leid.«

Mit einem erlösten Seufzer lehnte sie sich zurück und schob den Brief von sich.

»Ist dein Zorn jetzt verraucht?«, erkundigte sie sich.

»Schon lange. Ich wollte gleich, als ich heimkam, mit dir sprechen, aber das war nicht möglich …«

Sie lächelte. Dann streckte sie ihm auffordernd die Arme entgegen, und er beugte sich über sie, küsste ungestüm ihr Haar und ihre Stirn, zog sie zu sich empor und umschlang sie.

»Wir werden uns einigen, mein Schatz«, murmelte er, das Gesicht an ihre Schulter gepresst. »Versuchen wir es in diesem Jahr auf deine Weise und schauen wir, was dabei herauskommt. Aber ich bitte dich, die Verhandlungen mir zu überlassen …«

»So wollen wir es halten.«

Er war berauscht vom Duft ihrer Haut, von der Aussicht, den verführerischen Körper, den er in seinen Armen hielt, entkleiden und besitzen zu können. Jenes Feuer in ihr zu entfachen, das sie dazu bringen würde, tausend verrückte Dinge zu tun, die er ihr am Anfang ihrer Ehe niemals zugetraut hatte. Ihre Zärtlichkeiten waren so überbordend, dass er hin und wieder mit einer gewissen Eifersucht an ihren ersten Mann hatte denken müssen. Hatte er ihr all diese Dinge beigebracht? Es musste wohl so gewesen sein, denn er war sich sicher, dass sie ihren Mann niemals betrogen hatte.

Ungeduldig hob er sie auf seine Arme und trug sie hinüber ins Schlafzimmer, stöhnte dann wie üblich über die vielen Haken an Kleid und Korsett, die er einen nach dem anderen vorsichtig öffnen musste, dann ergab er sich dem Rausch. Es war wie eine Erlösung, nach der nicht nur sein Körper, sondern auch seine Seele geschrien hatte. Sie gehörte ihm, gab sich ihm ohne Vorbehalte und voller Leidenschaft hin, seine Frau, seine Geliebte und eines Tages auch die Mutter seiner Kinder. Er hoffte sehr darauf, dass sie schwanger wurde; er wünschte sich einen Sohn von ihr, der seine Plantage einst weiterführen würde. Bislang jedoch schien sein Wunsch nicht in Erfüllung zu gehen, vielleicht lag es daran, dass sie einmal eine Fehlgeburt gehabt hatte.

»Irgendwann wird es schon so weit sein«, flüsterte sie schläfrig, als sie nach ihrer Versöhnung eng aneinandergeschmiegt dalagen. »An mangelndem Bemühen kann es jedenfalls nicht liegen.«

Er grunzte, was ein Lachen andeuten sollte, und zwickte sie. »Irgendwelche wichtigen Neuigkeiten aus deiner Heimat?«, fragte er, schon halb im Schlaf. Es war blödsinnig, eine solche Frage zu stellen, vermutlich war sie viel zu müde, um eine Antwort zu geben.

»Ja«, murmelte sie. »Etwas Schlimmes. Meine Cousine hat sich von ihrem Ehemann scheiden lassen.«

»Welche deiner vielen Cousinen? Ettje?«

»Nicht Ettje. Marie.«

Er konnte sich nicht recht entsinnen, wer Marie gewesen war, denn es gab noch eine Menna, die ebenfalls einen Ehemann hatte. Trotzdem verspürte er ein Unbehagen bei dieser Nachricht, das ihn bis in seine Träume hinein verfolgte.

Himmel über dem Kilimandscharo
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