Kapitel 14

St. Petersburg, Russland,
August 1914

Schwere Männerschritte näherten sich Anki, der Fürstin und der leise jammernden Jelena, die in dem weitläufigen, prunkvollen Saal wie verloren wirkten. Anki erhob sich und knickste.

»Jetzt ist der Doktor da, meine kleine Prinzessin«, flüsterte Fürstin Chabenski ihrer Tochter ins Ohr und strich ihr zum wiederholten Mal die verschwitzten Haare aus dem zarten Kindergesicht.

»Oksana, dies ist Doktor Botkins Assistent Robert Busch. Meine Frau, Fürstin Oksana Andrejewna Chabenski, unsere Tochter, Jelena Iljichna und ihre Njanja, Anki van Campen.«

Anki hatte sich respektvoll einige Schritte entfernt, als sie aber den Namen Busch hörte, wandte sie unwillkürlich den Kopf. Der ältere der beiden Busch-Brüder, die sie 1908 im Sommergarten kennengelernt hatte, begrüßte die Fürstin formvollendet und kniete sich dann neben Jelena, um ihr ein freundliches Kompliment über ihr himmelblaues Kleid zu machen. Prompt schenkte Jelena dem Arzt ein kleines, wenn auch nur Sekunden andauerndes Lächeln.

Die Fürstin zog ihren Mann am Arm beiseite und flüsterte, jedoch laut genug, dass Anki es hörte: »Ein Assistent von Dr. Botkin? Ist er denn kein Arzt?«

»Dr. Botkin ist unabkömmlich, empfahl mir den jungen Mann aber als einen seiner besten Studenten. Erinnerst du dich nicht an ihn? Busch war schon einmal Jelenas Arzt. Und schau ihn dir an, mit welcher Zartheit er unsere Tochter untersucht, wie freundlich er mit ihr spricht und sie dadurch ablenkt und wie ruhig sie inzwischen geworden ist?«

»Oft genug sagt ein schriftliches Zertifikat nichts über die Qualitäten seines Inhabers aus, nicht wahr?«

»Meine weise Frau«, lachte Fürst Chabenski und drückte seine Gattin kurz an sich.

»Fräulein van Campen, ich könnte Ihre Hilfe gebrauchen.« Roberts deutsche Worte ließen Anki zusammenzucken. Schnell näherte sie sich dem angehenden Arzt und ihrem Schützling.

Jelena lag reglos auf dem kühlen Parkett und verfolgte mit den Augen jede Bewegung des Mannes. Dieser bat Anki, sich oberhalb von Jelenas Kopf niederzuknien und ihre Hände links und rechts an die Wangen des Mädchens zu legen.

»Jelena Iljichna hat sich das Schlüsselbein gebrochen«, klärte er sie über die Art der Verletzung auf. »Ich sollte überprüfen, ob die Schulter ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen ist. Dazu könnte ich sie ins Krankenhaus zu einem Röntgenapparat bringen, aber ich würde ihr den Transport gern ersparen und sie mit herkömmlichen Methoden untersuchen. Allerdings kann ich nicht garantieren, dass das völlig schmerzfrei vonstattengeht, und deshalb weiß ich gern eine vertraute Person in ihrer Nähe. Jelena hat sich für ihr Kindermädchen entschieden. Eine weise Wahl, wie ich dem jungen Fräulein bereits mitteilte. Eltern sind, wenn es um ihre Kinder geht, manchmal ängstlicher als sie es bei der folgenden Untersuchung sein sollten.«

Entsetzt richtete Anki ihre Augen auf Robert. Traute er ihr wirklich zu, ihm eine Hilfe zu sein? Sie war nicht sonderlich tapfer und was die Chabenski-Mädchen betraf vielleicht fast so innig mit ihnen verbunden wie deren Eltern.

»Bitte halten Sie den Kopf des Mädchens genau so, wie er jetzt liegt. Jelena muss möglichst still liegen. Sie weiß das und hat mir versprochen, sich nicht zu bewegen. Dennoch wollen wir mit Ihrer Hilfe für eine Stabilität von außen sorgen.«

Roberts warme Hände ergriffen Ankis und zeigten ihr die Position, in der sie Jelenas Kopf fixieren sollte. »So, Jelena, bist du bereit?«

»Ja, Dr. Busch.«

»Fräulein van Campen?«

»Ich bin bereit.«

Anki bekam gar nicht mit, was genau der Medizinstudent tat, denn die Untersuchung war schneller abgeschlossen, als sie vermutet hatte. Auch für Jelena kam der erneute heftige Schmerz überraschend. Außer einem heftigen Ein- und Ausatmen und ein paar Tränen, die ihr aus den Augenwinkeln kullerten, reagierte sie nicht.

»Was habe ich da nur für eine tapfere Patientin und eine patente Krankenschwester!«, lobte Robert und strich dem Kind mit den Daumen erst links, dann rechts die Tränen von den Wangen. »Ich spreche jetzt mit deinen Eltern, Jelena Iljichna. Anschließend müssen wir dir einen straffen Verband um deinen Oberkörper anlegen. Das wird noch einmal sehr unangenehm für dich sein. Aber ich vermute, du wirst auch dies wacker ertragen, nicht wahr?«

»Versprochen, Dr. Busch!«, flüsterte das Kind und lächelte ihn vertrauensvoll an.

Robert erhob sich und trat zum besorgt dreinschauenden Ehepaar Chabenski. Souverän erklärte er die Diagnose und die weiterführende Behandlung, die bei einem Kleinkind, dessen Knochen meist schnell verheilten, kein Problem darstellen sollte.

In diesem Augenblick betrat ein kräftig gebauter Mann den Raum, prächtig gekleidet, als käme er soeben von einem Ball aus dem Zarenpalast. Unter dem schwarz schimmernden Gehrock zeichnete sich eine silbern und rot durchwirkte Seidenbrokatweste ab und an seinem linken Ringfinger funkelte der größte Ring, den Anki jemals an der Hand eines Mannes gesehen hatte.

»Jelena, darf ich dich einen Moment allein lassen? Raisas Vater ist gekommen. Er möchte sicher seine Tochter abholen.«

»Meine Eltern sind ja da«, erwiderte Jelena tapfer. Anki hauchte dem Mädchen einen Kuss auf die Stirn, erhob sich und eilte so schnell in Richtung Tür, wie es ihr vornehmes Festkleid zuließ.

»Du bist die Njanja?«, begrüßte Baron Wladimir Osminken sie schroff. Dass der Mann sie nicht kannte, verwunderte Anki nicht, zeigte er doch Angestellten gegenüber keinerlei Interesse und würdigte sie selten einmal eines Blickes.

»Das bin ich …«

»Die Kleine der Chabenskis hat sich verletzt?«

»Leider ja.«

»Offenbar kannst du nicht auf die Kinder achtgeben, Njanja.« Anki hielt für einen Moment den Atem an. »Das ist aber das Problem der Chabenskis«, fuhr der Baron fort. Seine Stimme klang dabei bedrohlich und unfreundlich. Beunruhigt wagte Anki einen Blick in sein unrasiertes Gesicht.

»Meine Tochter hat mir geklagt, dass du ihr das Fest verdorben hast«, herrschte der Mann sie plötzlich unfreundlich an. »Die Baroness hat sich schon seit Wochen auf das Fest gefreut, und du verleidest es ihr gründlich? Sie sitzt dort draußen und weint bittere Tränen. Du besitzt die Unverfrorenheit, eine Baroness zu beschimpfen und vor ihrer besten Freundin zu demütigen?«

Entsetzt von der Tatsache, dass sie von Osminken gemaßregelt wurde wie ein Kleinkind, starrte Anki den Baron an, ehe sie eilig den Kopf senkte. Wusste dieser Mann überhaupt, was in seiner Tochter vor sich ging?

»Entschuldigen Sie bitte, Hochwohlgeboren. Wie Sie bereits feststellten, bin ich Ninas Njanja. Nina ist ein Kind von dreizehn Jahren und sehr behütet aufgewachsen. Ihre Tochter ist hingegen schon siebzehn, auf der Schwelle zur jungen Dame und in ihrer Entwicklung selbst Gleichaltrigen voraus. Gelegentlich muss ich zwischen der Prinzessin und der Baroness vermitteln. Dies tat ich auch heute. Die Baroness und ich einigten uns in gegenseitigem Einvernehmen auf ein paar Verhaltensregeln.«

»Sie hat mir etwas völlig anderes erzählt.«

»Das tut mir leid, Hochwohlgeboren. In diesem Fall habe ich die Reife Ihrer Tochter wohl überschätzt.«

»Das reicht!«, brüllte der Mann sie an. Anki taumelte einen Schritt zurück und hielt sich mit der linken Hand am mit Schnitzereien verzierten Türrahmen fest. »Erdreiste dich nie wieder, deinen Mund aufzutun, ohne dass ich dir die Erlaubnis erteile. Und dafür, dass du meine Tochter als Lügnerin bezichtigst, könnte ich dich bestrafen lassen.«

»Das habe ich nicht getan, Hochwohlgeboren. Raisa ist nur –«

»Kein Wort mehr!«, fuhr er ihr nochmals über den Mund.

Anki nickte eingeschüchtert und schickte sich an, zu der Patientin im hinteren Bereich des Ballsaals zurückzukehren, jedoch stellte Baron Osminken sich ihr mit ein paar großen Schritten in den Weg.

»Du wirst dich bei meiner Tochter entschuldigen, Njanja. Und zwar in Anwesenheit der Prinzessin Nina Iljichna.«

Erneut wagte sie es, den Kopf zu heben und in das unrasierte Gesicht zu sehen, obwohl ihr durchaus bewusst war, dass dies die Wut des Mannes nur noch anheizen könnte. Bedienstete wurden in vielen russischen Adelshäusern noch immer körperlich gezüchtigt und vermutlich stellte Osminken da keine Ausnahme dar.

Die Falten um die Augen und um die Mundwinkel ließen ihren Kontrahenten älter erscheinen, als er war. Erst jetzt nahm Anki den zerknitterten Zustand seines vornehmen Gehrocks und einen Geruch nach kaltem Zigarrenrauch und Alkohol war. Der Eindruck, dass er die Nacht in seinen Kleidern verbracht hatte, verstärkte sich durch einen angetrockneten Fleck auf seinem weißen Rüschenhemd. Am meisten jedoch beunruhigten sie seine stahlblauen, eiskalt dreinblickenden Augen. Er hatte wirklich nichts mit Fürst Chabenski gemein. Erschrocken wurde ihr bewusst, wie sehr ihre Widerworte Raisas Vater beleidigt und zusätzlich gegen sie aufgebracht haben mussten. Er stand als Baron gesellschaftlich zwar weit unter der Familie Chabenski, teilte aber offensichtlich nicht deren offene Haltung gegenüber Bediensteten.

»Raisa Wladimirovna und ich haben lediglich –«

»Welche Anmaßung!« Osminkens Stimme donnerte wutentbrannt auf sie hinab. Anki, die wie vorgeschrieben die Augen wieder gesenkt hielt, fuhr zusammen. Eine ruckartige Bewegung des Mannes ließ sie Schutz suchend beide Arme anheben.

»Wladimir.« Oberst Chabenski fiel dem Mann in den Arm. Mit einer knappen Kopfbewegung deutete er der erschrockenen Anki an, dass sie gehen solle, was sie unverzüglich tat. Hastigen Schritts kehrte sie zu Jelena zurück und sank neben dem Mädchen förmlich in sich zusammen. Ihr Herz hämmerte rasend schnell, ihre Hände zitterten und ihr Gesicht fühlte sich schmerzlich heiß an, fast so, als hätte der Baron sie wahrhaftig geohrfeigt.

Sie hörte die erregten, sich entfernenden Stimmen der Männer aus dem Flur. Offenbar bemühte sich ihr Arbeitgeber darum, Raisas Vater zu beruhigen, und geleitete ihn in sein Arbeitszimmer.

»Ich mag den Mann nicht«, raunte Jelena ihr mit weit aufgerissenen Augen zu.

»Er versucht nur, seine Tochter zu beschützen. Er war aufgebracht«, stammelte Anki.

»Und die Raisa, die kann ich auch nicht leiden!« Mit diesen Worten drehte Jelena den Kopf und blickte Robert an. Der Student kniete sich auf ihre andere Seite und räusperte sich. »Fräulein van Campen, fühlen Sie sich in der Lage, mir nochmals zur Hand zu gehen?«

»Ja, sicher!«, erwiderte Anki schnell. Sie fühlte sich allerdings bei Weitem nicht so sicher, wie sie klang. Eilig blinzelte sie die Tränen fort und hob endlich den Kopf. Braune Augen blickten sie besorgt an.

»Also gut.« Robert nickte auffordernd und erklärte ihr und Jelena, was er vorhatte. Anki half der vor Schmerz aufweinenden Jelena aus dem Oberteil ihres Kleides, woraufhin Robert Jelenas Schlüsselbein mit einem Verband fixierte, der wie die Träger eines Rucksacks um ihre Schultern geschlungen wurde. Als Jelena die Prozedur überstanden hatte und Robert ihr sanft und beruhigend zuredete, eilte Anki in das Zimmer des Kindes und holte eine weite, weiße Bluse, die sie Jelena vorsichtig überstreifte.

»Sie werden dem Kind in den folgenden Tagen nahezu alle Handgriffe abnehmen müssen. Achten Sie bitte darauf, dass der Verband straff sitzt, notfalls ziehen Sie ihn bitte nach. Ich sehe morgen wieder nach der tapferen Patientin. Jelena dürfte jetzt, nachdem das Schlüsselbein ruhig gestellt ist, unter keinen starken Schmerzen mehr leiden. Für den Fall, dass sie heute Nacht wider Erwarten doch schlimmer ausfallen, lasse ich ein Schmerzmittel da.« Robert wandte sich direkt an Jelena: »Danach verlangst du aber bitte nur, falls du wegen der Schmerzen nicht schlafen kannst. Mit diesen Mitteln muss man vorsichtig umgehen und darf sie nicht leichtsinnig einnehmen. Verstehst du das?«

»Ja, Herr Doktor.«

»Ich weiß, ich kann mich auf dich verlassen! Da dein Vater noch im Gespräch mit dem Baron ist, bitten wir euren Butler Jakow, dich in dein Zimmer zu tragen.«

»Darf ich denn nicht zur Geburtstagsfeier zurück? Ich möchte doch von den Kuchen probieren«, begehrte die Kleine protestierend auf und brachte Robert damit zum Lachen.

»Ihre Njanja bringt Ihnen bestimmt ein paar große Stücke Kuchen auf Ihr Zimmer, Hoheit.«

»Jetzt haben Sie Hoheit gesagt. Ist unsere geheime Abmachung damit vorbei?«

»Für heute ist sie zu Ende, Prinzessin Jelena Iljichna.«

»Aber wenn Sie morgen wiederkommen, dann gilt sie wieder?«

»Wenn Sie es so wünschen, Hoheit, dann gilt sie morgen wieder, und zwar so lange, wie Sie meine Patientin sind.«

»Das ist lustig!« Jelena kicherte versöhnt.

Robert stand auf und nickte Fürstin Chabenski zu, die sofort herbeieilte. Ihr Blick galt jedoch dem Kindermädchen. »Alles in Ordnung?«, sprach die Fürstin Anki, wie sie es zumeist tat, auf Deutsch an.

»Danke, mir geht es gut, Hoheit. Ich verständige Jakow.«

Erleichtert, dass Fürstin Chabenski ihr ihre Widerworte einem Adeligen gegenüber nicht böse nahm, erhob sie sich und eilte geschäftig davon. Robert begleitete sie zur Tür.

Aus dem Speisesaal drangen ihnen die fröhlichen Stimmen der Mädchen und der Duft süßer Torten und Tees entgegen. Anki verspürte Erleichterung darüber, dass die kleinen Gäste sich offensichtlich wieder vergnügten. Damit war die Gefahr gebannt, dass Ninas Geburtstag in ihren Köpfen immer nur mit Jelenas Unfall in Zusammenhang gebracht werden würde.

Auf dem Weg durch die Eingangshalle schwieg Robert. Erst als Anki Jakow seinen Auftrag mitgeteilt hatte und dieser davoneilte, wendete der Medizinstudent sich an sie. »Sie sind sehr mutig, einem Adeligen Ihren Standpunkt so offen darzulegen.«

»Mutig oder vielmehr dumm und anmaßend? Aber das Mädchen tut mir leid.«

»Sie werden kaum den erwünschten Einfluss auf die Baroness ausüben können, den sie vermutlich dringend nötig hätte, Njanja.« Er lächelte ihr freundlich zu. Wie anders klang dieses Wort doch aus seinem Mund als aus dem des Barons.

»Ist es bei dem Tanz sehr wild zugegangen?«, erkundigte sich Robert nun.

Überrascht von dem unvorhersehbaren Themenwechsel neigte Anki den Kopf leicht zur Seite und musterte ihr Gegenüber intensiv. »Weshalb fragen Sie danach?«

»Ein Schlüsselbeinbruch und die mittlerweile ausgeprägten Hämatome scheinen mir als Folge eines einfachen Stolperns doch recht heftig.«

»Ich verstehe nicht, worauf Sie hinauswollen.«

»Hat jemand die Prinzessin gestoßen?«

»Gestoßen? Sie meinen … mutwillig?«

Der groß gewachsene Mann zuckte knapp die Achseln, als wolle er sich nicht in Verdächtigungen ergehen. Immerhin war ihm die adelige Herkunft der Geburtstagsgäste bewusst.

Unangenehm berührt erinnerte Anki sich daran, dass sie Raisa in der Nähe der Statue gesehen hatte. Ob das Mädchen aus Trotz und Langeweile die kleine Jelena zu Fall gebracht hatte?

In die Stille hinein sagte Robert: »Andererseits – wenn die Kinder etwas wild im Kreis getanzt haben, kann eines Jelena unbeabsichtigt angerempelt haben.«

Anki gab dem Medizinstudenten recht und reichte ihm Hut und Jackett von der Garderobe. Mit einem Lächeln nahm er das Jackett, schlüpfte hinein und griff nach seinem Canotier. Dabei berührten seine Finger die ihren. Ein flaues Gefühl ergriff von Ankis Magen Besitz. Erschrocken darüber, wie heftig sie auf seine federleichte Berührung reagierte, blinzelte sie mehrmals und sah Robert nach, der mit dem Hut in der einen und seiner Arzttasche in der anderen Hand zur Tür strebte.

Draußen war es trotz der vorgerückten Stunde noch nahezu taghell. Anfang August waren die Nächte in St. Petersburg noch immer kürzer als die Tage, wenngleich sie den Zauber der Weißen Nächte vom Juni längst verloren hatten.

An der Tür wandte Robert sich noch mal zu Anki um. »Ich nehme nicht an, dass Sie wegen des Zwischenfalls mit Baron Osminken vonseiten der Chabenskis Probleme erwarten. Der Fürst ließ Sie während Ihrer Auseinandersetzung nicht einen Moment aus den Augen, wobei er abwartete, wie sich die Situation entwickelte, bevor er einschritt. Ich gewann zudem den Eindruck, als leide die Fürstin mit Ihnen mit. Aber dieser Osminken, Fräulein van Campen …«

Anki richtete ihre Augen aufmerksam auf ihren ernsten und besorgt dreinblickenden Gesprächspartner.

»Sein Ruf ist nicht eben der beste. Er gilt als aufbrausend.« Robert hielt für einen Moment inne, und in Anki keimte der Gedanke auf, dass er gern noch etwas hinzugefügt hätte, dies aber unterließ. »Halten Sie sich besser von ihm fern. Das dürfte nicht schwer sein, weil er für Bedienstete nichts übrighat. Allerdings wage ich nicht einzuschätzen, wie nachtragend er – oder seine Tochter – sind. Ich möchte Sie ungern in Schwierigkeiten wissen.«

»Danke, Herr Busch, für Ihre Hilfe und für die Warnung. Ich versuche, sie zu beherzigen.«

Robert setzte den Hut auf und ging zu seinem Pferd, das von einem Angestellten der Chabenskis versorgt worden war. Der Student befestigte seine Tasche am Sattel, stieg auf und ritt an der Mojka entlang in Richtung Voznesenskij Prospekt.

Anki trat bis an die äußerste der vier Rundsäulen, die das weiße Vordach trugen und sah dem jungen Mann nach, bis sie ihn aus den Augen verlor. Was blieb, war die Erinnerung an seine flüchtige Berührung und an den Aufstand in ihrem Herzen, den diese ausgelöst hatte.