Kapitel 8

Straßburg, Deutsches Reich,
August 1914

Philippes Augenbrauen hoben sich, als das Militärautomobil auffällig sachte vor dem Flugzeughangar abbremste. Am Steuer saß Demy, und Bruno, der mit weit geöffnetem Mund schlief, hing auf dem Beifahrersitz. Die restlichen Männer saßen zusammengequetscht im hinteren Teil des Fahrzeugs und wirkten entweder apathisch oder grölten aus vollem Halse unanständige Lieder.

Der Pilot musterte die Meute und baute sich neben der Fahrertür auf. Fragend sah er auf Demy hinunter. Sie hob den Blick, und ihr Lächeln spiegelte eine Mischung aus Erheiterung und einem schlechten Gewissen. »Glauben Sie mir: Ich konnte sie nicht davon abhalten. Ich traf im Restaurant ein niederländisches Paar und unterhielt mich mit ihnen. Diese Zeit haben die Männer genutzt, um reichlich Alkohol zu konsumieren.«

Philippe unterdrückte ein Lachen. Waren seine Kameraden so enttäuscht darüber gewesen, dass Demy ihre Aufmerksamkeit ihren Landsleuten schenkte statt ihnen, den begehrenswerten, tollkühnen Fliegern, dass sie ihren Kummer in Hochprozentigem ertränkten?

»Besitzen Sie denn einen Führerschein?« Philippe öffnete ihr die Tür, und ihr Lächeln erstarb. Stumm schüttelte sie den Kopf. »Hannes?«, forschte er nach und ihr Nicken bestätigte ihm, dass sein Freund, der mittlere der drei Meindorff-Söhne, Demy das Fahren beigebracht hatte. »Das Flugzeug ist startklar. Sehen wir zu, dass wir wegkommen, bevor dieser Wagen voll betrunkener Piloten von einem Vorgesetzten entdeckt wird.«

Demy beeilte sich mit dem Aussteigen, drehte sich noch mal dem Wagen zu und holte von ihrem Sitz ein paar warme Lederhandschuhe, dazu den Schal von Ernst und die Fliegerjacke von Bruno.

»Wollen Sie die Burschen, die Ihretwegen gewaltigen Ärger und einen noch größeren Kater bekommen werden, auch noch bestehlen?«

Entrüstet richtete sie sich auf, behielt ihre Beute jedoch fest in den Händen. »Diese Sachen habe ich gewonnen

»Gewonnen? Wobei?«

Offenbar kein bisschen eingeschüchtert von seinem harschen Tonfall drehte Demy sich um und ging auf das Flugzeug zu. Das Lächeln auf ihrem Gesicht war ihm dennoch nicht entgangen.

»Das wollen Sie gar nicht wissen!«, rief sie ihm über die Schulter hinweg keck zu.

Um sein belustigtes Schmunzeln zu verstecken, strich er sich mit der Hand über sein frisch rasiertes Gesicht. Dieses Mädchen war noch immer so ungewöhnlich wie vor sechs Jahren, wenn auch inzwischen weitaus erwachsener … und attraktiver.

Bei Philippes Eigenbau angekommen hüllte sie sich in Brunos Felljacke, schlang sich den Schal von Ernst fest um den schlanken Hals und zog Flugmütze und -brille auf, ehe sie zuletzt die dicken Handschuhe überstreifte, deren vorheriger Besitzer sie bald schon schmerzlich vermissen würde. So vermummt nahm sie ihren Platz am Propeller ein.

Nachdem er sie noch mal einer intensiven Musterung unterzogen hatte, die sie gelassen über sich ergehen ließ, schlüpfte auch Philippe in seine Pilotenmontur und stieg in die vordere Aussparung.

»Ich frage mich fortwährend, ob ich mit Ihnen nicht eine gefährliche Doppelspionin aus Paris nach Berlin schaffe.«

»Das ist ein absurder Gedanke, und das wissen Sie auch!«

»So? Weiß ich das? Sie haben mich noch nicht zufriedenstellend darüber aufgeklärt, was es mit Clément Rouge und seiner Nachricht an einen unter dem Verdacht der Spionage stehenden Franzosen auf sich hat.«

»Weil es da nichts zu erklären gibt.«

»Waren die Burschen Ihnen gegenüber wenigstens anständig?«, wechselte er abrupt das Thema, da ihm diese Frage seit Demys Eintreffen auf der Zunge lag.

Bevor sie ihm antwortete, hob sie beide Hände und legte sie an das Holz des steil in den Himmel ragenden Propellerflügels. »Ihre Warnung an die Männer hat ihre Wirkung nicht verfehlt. Entweder haben sie eine gehörige Portion Respekt vor Ihnen, oder Flieger sind die letzten Helden und Gentlemen dieser Zeit, die sich niemals uncharmant gegenüber der Verlobten eines der Ihren aufführen würden.«

»Brave Jungs«, murmelte Philippe zufrieden.

»Allerdings schätze ich diese Form der Einmischung nicht, Herr Meindorff«, hakte sie rügend nach. »Sie brauchen sich nicht schützend vor mich zu stellen. Bitte unterlassen Sie das ab sofort.«

Philippe nickte ihr zu; jedoch nicht, weil er mit ihrer Bitte übereinstimmte. Vielmehr hätte es ihn verwundert, wenn sie ihn diesbezüglich nicht gerügt hätte.

»Können wir jetzt los?« Ihre Frage veranlasste ihn, seine müden Augen wieder auf die Flugzeugspitze zu richten.

»Zündung«, rief er und hoffte, den Flug bis nach Preußen in halbwegs wachem Zustand zuwege zu bringen.