Kapitel 9

Schwerin-Görries, Deutsches Reich,
August 1914

Nach zwei kurzen Zwischenlandungen setzte Philippe mit der Maschine auf den Flugplatz Schwerin-Görries auf. Er lenkte sie bis vor die Gebäude der Fokker-Aeroplanbau GmbH und schaltete dort den Motor aus.

Demy empfand Erleichterung darüber, zumindest in der Nähe ihres Ziels angekommen zu sein. Eilig stieg sie aus und entledigte sich ihrer warmen Montur.

Ein junger Mann, ebenfalls in der typischen Fliegerkleidung, trat auf sie und Philippe zu. »Philippe? Das ist doch die Maschine, die du …« Er hielt inne, betrachtete verwundert Demy und reichte ihr dann seine Rechte. »Entschuldigen Sie bitte, Fräulein. Ich war zu erstaunt darüber, dass Philippe mit dem Flugzeug zurückkommt, das er vor einem halben Jahr für seinen französischen Freund gebaut hat, um Sie gleich zu bemerken.«

Demy lächelte und nahm die dargebotene Hand.

»Anthony Fokker«, stellte der Mann sich vor und musterte sie innerhalb eines Augenblicks von oben bis unten.

»Demy van Campen«, erwiderte sie und da der Mann unüberhörbar mit niederländischem Akzent sprach, fügte sie in ihrer Muttersprache hinzu: »Sie sind also der Herr, bei dem Philippe Meindorff sich seit über einem Jahr vor seiner Familie versteckt?«

Der Flugzeugkonstrukteur lachte unbekümmert und ließ ihre Hand los, jedoch nur, um ihr stattdessen seinen Arm anzubieten. Seite an Seite gingen sie auf ein längliches Holzgebäude zu, an dem mit Großbuchstaben der Nachname ihres Begleiters prangte.

»Philippe und ich haben uns in Mainz kennengelernt. Er studierte in Stuttgart Ingenieurswesen und kam für einen kurzen Lehrgang über Flugzeugbau nach Zahlbach bei Mainz. Dort lernten wir gemeinsam und bastelten an Flugzeugen herum. Er verdiente sich seinen Lebensunterhalt als Fluglehrer und baute zudem für einen steinreichen Mann aus Frankreich dieses wunderbare Flugzeug!« Mit dem Daumen deutete er über seinen Rücken hinweg zu dem Fluggerät, das sie sicher bis nach Schwerin getragen hatte und mit dem Philippe noch immer beschäftigt war. »Und wie kamen Sie in die Verlegenheit, mit Philippe fliegen zu müssen?«

Belustigt ließ Demy sich auf einem von der Sonne ausgebleichten und vom Regen aufgequollenen Stuhl vor der Holzhalle nieder, den der Niederländer ihr anbot. Er selbst setzte sich auf einen Baumstumpf. Zwei Flugzeuge hoben knapp hintereinander laut dröhnend vom Boden ab und flogen in die tief stehende Sonne hinein.

»Ich saß ein wenig unglücklich in Paris fest. Herr Meindorff war so freundlich und hat mich – und sich – ausgeflogen.«

Erneut musterte Anthony sie ungeniert, ehe er den Blick auf Philippe richtete, der mit großen Schritten auf sie zukam. »Vielleicht wollte er die wertvolle Maschine nicht einem französischen und somit feindlichen Piloten und der dortigen Flugzeugindustrie überlassen? Offensichtlich hat Philippe Ihre Notlage geschickt ausgenutzt.«

Demy blinzelte gegen die Sonne an, und obwohl Philippe mittlerweile bei ihnen eingetroffen war, entgegnete sie in ihrer Muttersprache: »Mir gefällt die Variante, dass ich von einem erstaunlich umsichtigen und höflichen Philippe Meindorff gerettet wurde, viel besser als Ihre.«

Ihr Gesprächspartner lachte fröhlich auf. »Es ist erstaunlich genug, dass er es mehrere Stunden in Ihrer Gegenwart aushielt – ohne uncharmant sein zu wollen. Für gewöhnlich meidet er, ebenso wie ich, das weibliche Geschlecht.«

»Davon habe ich neulich in Paris schon gehört und kann es noch immer nicht glauben. Die Gerüchte um diesen Meindorff lauteten früher anders.«

»Da kannte ich ihn noch nicht, ich weiß aber, dass er lange Zeit einer Frau nachtrauerte. Mehr ist mir darüber nicht bekannt. Er litt und schwieg.«

»Dann scheint er sie aufrichtig geliebt zu haben.« Demy warf Philippe einen kurzen, nachdenklichen Blick zu. Niemals wäre sie auf den Gedanken gekommen, dieser Mann könne tiefer gehende Gefühle für eine Frau hegen. Sein Ruf als Casanova war trotz all der Jahre, in denen er sich mittlerweile von Berlin fernhielt, noch immer legendär.

»Das ist anzunehmen, ja.« Anthony nickte in Richtung Philippe, der sich in ihrer unmittelbaren Nähe mit einer Liste auf einem Klemmbrett beschäftigte. »Ist es nicht unhöflich, ihn aus unserem Gespräch auszuschließen?«

»Das muss er aushalten!«, erwiderte Demy lächelnd.

»Als Strafe für was?«

»Dass er mir vorgaukelte, es ginge ihm einzig um meine Sicherheit, er in mir aber nur einen Vorwand sah, um sein Flugzeug zurück nach Preußen zu schaffen.«

Anthony grinste und lehnte sich mit dem Rücken an die Holzwand, während er einem älteren Flugzeugmodell bei seinem Landemanöver zusah.

Demy folgte seinem Blick und musste dabei gegen die tief stehende Sonne anblinzeln. Zwar zog es sie nicht in das Stadthaus der Meindorffs zurück, doch auf eine zweite Nacht in Philippes unmittelbarer Nähe war sie ebenfalls nicht erpicht. Deshalb erkundigte sie sich: »Fährt von Schwerin ein Zug nach Berlin?«

»Schwerin ist an die Bahnstrecke Berlin-Hamburg angebunden. Allerdings nahm ich an, Philippe würde Sie von hier bis nach Johannisthal fliegen. Dort hat er früher viele Piloten ausgebildet. Man kennt ihn und bietet seinem Flugzeug gern mal für ein paar Tage Unterschlupf. Vermutlich muss ich vielmehr darauf aufpassen, dass er mir dort nicht von Rumpler, Albatros oder einem anderen geschätzten Konkurrenten abgeworben wird.«

Wieder warf Demy einen Blick auf den mit irgendwelchen Listen beschäftigten Philippe. Er wirkte auf sie, als habe er sie vollständig vergessen. »Herr Meindorff hat bei Ihnen eine feste Anstellung?«

»Er und neunundachtzig andere Angestellte. Allerdings stelle ich zurzeit täglich neue Männer ein. Zumeist Ingenieure, Flugzeugkonstrukteure, Waffenkonstrukteure …«

»Waffenkonstrukteure?«

»Es reicht wohl nicht aus, wenn unsere Piloten sich, wie zuletzt einige Male geschehen, mit Flaschen oder Steinen bewaffnen, die sie auf feindliche Flugzeuge werfen. Die deutschen Militärs gehen bei mir tagtäglich ein und aus. Sie brauchen mehr und bessere Flugzeuge, Beobachter, Bomber, bewaffnete Jagdflugzeuge, sogar Wasserflugzeuge und Schulungsflugzeuge. Zudem schicken sie eine Reihe von Offizieren, die wir hier im Schnellverfahren zu Piloten ausbilden.«

Demys Lächeln fiel etwas gezwungen aus, war ihr doch der Flug so wunderschön und friedlich vorgekommen. Anthonys Worte klangen nach Vernichtung und Tod. Dennoch war sie beeindruckt. »Herr Fokker, Sie werden bald schon ein sehr reicher Mann sein.«

Anthony zwinkerte ihr verschwörerisch zu. »Dafür ist es dringend an der Zeit! Vielleicht haben Sie Lust, meinen Erfolg mitzuerleben?«

In diesem Moment warf Philippe das Klemmbrett auf einen Tisch gleich hinter dem Eingang der Halle und trat zu ihnen. »Demnächst fährt der Zug in Richtung Berlin ein. Anthony, könnte uns bitte jemand nach Schwerin bringen?«

***

Philippe streckte seine Beine an Demys vorbei unter den gegenüberliegenden Sitz und verschränkte die Hände im Nacken. Er ahnte, dass er dem gleichmäßigen Rucken des Waggons und dem monotonen Geräusch, das die Räder erzeugten, nicht lange etwas entgegenzusetzen hatte. Seine vorletzte Nacht in Paris hatte er auf der Suche nach Roth verbracht, die letzte auf der Suche nach Treibstoff im Grenzgebiet zwischen Frankreich und dem Deutschen Reich.

Müde, deswegen jedoch nicht weniger interessiert, betrachtete Philippe Demys Profil. Sie saß gegen die Scheibe gelehnt da und blickte hinaus auf die vorbeiziehenden Wälder und Wiesen. Die Sonne stand tief im Westen und hob mit ihren Strahlen die reifen, goldgelben Getreidefelder vor den dunklen Waldflächen hervor.

Die junge Frau wirkte ruhig und gefasst, ganz so, wie sie es von ihrer Gouvernante Henriette Cronberg gelernt haben musste. Hätte die junge Frau nicht ein etwas in Mitleidenschaft gezogenes Kostüm getragen, hätte man durchaus annehmen können, sie sei eine respektable Dame aus gutem Hause. Das war ja auch der Sinn ihrer Erziehung gewesen. Allerdings hatte er in den vergangenen Stunden nach wie vor ihren Eigenwillen, ihre Streitbarkeit und einen Geist, der nach Freiheit strebte, an ihr entdeckt. Weder die Gouvernante noch die plutokratische Gesellschaft, in der sie seit Jahren lebte, hatten ihr diese Wesenszüge rauben können. Philippe war ehrlich genug, um sich einzugestehen, dass ihm gefiel, was er sah. Deutlich weniger behagte ihm die Tatsache, dass Demy innerhalb von Sekunden Anthony Fokker verzaubert hatte. Der sonst so arbeitsame, ehrgeizige und etwas eigenbrötlerische Anthony hatte sich auf Niederländisch mit ihr unterhalten, von dem Philippe nicht mehr als einzelne Wortfetzen verstand, und mit ihr gelacht. Ganz offenbar wirkte ihr natürlicher, offener Charme nicht nur auf Philippe sehr anziehend.

War dies der Grund, weshalb er Demy nicht einfach in den Zug nach Berlin gesetzt hatte, sondern sie begleitete und somit nach über sechs Jahren erstmals wieder das Haus betreten würde, in dem er ab seinem fünften Lebensjahr gelebt hatte?

Als könne Demy seine Gedanken lesen fragte sie gegen das monotone Rattern der Räder an: »Wie oft haben Sie sich in den letzten Jahren in der Nähe von Berlin aufgehalten, ohne Ihre Familie zu besuchen?«

»Praktisch jede Semesterferien. Ich habe zuerst bei Hans Grade gearbeitet, später als Fluglehrer auf den Flugplätzen Johannisthal und Döberitz. Seit rund einem Jahr konstruiere ich Flugzeuge bei Fokker.« Philippe setzte sich aufrechter auf den Holzsitz, ließ allerdings seine Beine ausgestreckt und die Hände im Nacken. Seine Gesprächspartnerin bemerkte dies nicht, da sie zum Fenster hinaussah. Oder beobachtete sie ihn im Spiegelbild der zerkratzten Scheibe?

»Edith und Hannes luden mich regelmäßig zu sich ein«, fuhr er fort. »Dort erfuhr ich von den neuesten Geschäftsentwicklungen bei Meindorff-Elektrik, von Josephs expandierender Brauerei, diversen Hochzeiten und Todesfällen, Tillas Reisen, zu denen sie Sie immer mitnahm, niemals aber ihren Ehemann, und selbstverständlich auch von Ihren Eskapaden.«

Demy warf ihm einen unfreundlichen Blick zu. »Aus welchem Grund haben Sie das Haus Ihres Ziehvaters gemieden?« Kaum, dass sie die Frage ausgesprochen hatte, hob sie auch schon entschuldigend die Hand. Ihre Neugier stand ihr ins Gesicht geschrieben, doch wusste sie, dass er ihr keinerlei Rechenschaft schuldig war.

»Vermutlich, weil ich mich keiner Begegnung mit Ihnen aussetzen wollte.« Er grinste breit, was sie jedoch nicht sah, da sie sich wieder dem Fenster zugewandt hatte. »Sie fanden mich vor ein paar Jahren unerträglich. Nun sind Sie reifer geworden –nicht zwingend vernünftiger, wie ich bemerkte –, aber vielleicht ein bisschen großzügiger, was Ihr Urteil anderen Menschen gegenüber angeht?«

»Sie sind nach wie vor uncharmant!«

»Damals kannten Sie das Wort noch gar nicht, schwarzes Schäfchen.« Er beobachtete, wie sie missbilligend ihre Augenbrauen zusammenzog.

»Was planen Sie zu tun, sobald wir in Berlin angelangt sind?«

»Sie, wie es sich gehört, nach Hause begleiten.«

»Und gehen, bevor jemand aus dem Haushalt Meindorff Sie sehen könnte?«

Philippe rieb sich über die knisternden Bartstoppeln. Seine gute Laune war verflogen. »Ich hatte bisher nicht den Eindruck, dass Sie sich bei den Meindorffs wohlfühlen. Also werfen Sie mir mein Fernbleiben nicht vor! Ich gehöre ebenso wenig wie Sie zu dieser Familie, selbst wenn meine Pflegeeltern mir ihren Namen verpasst haben.«

Jetzt hatte er Demys ungeteilte Aufmerksamkeit erlangt. Sie setzte sich aufrecht hin und sah ihn offen an. »Das tue ich nicht. Ich verstehe Sie sogar sehr gut. Vielleicht beneide ich Sie darum, dass Sie die Möglichkeit besaßen, fortzugehen und Ihr Leben so zu gestalten, wie Sie es für richtig hielten.«

»Meine Pläne hätten anders ausgesehen. Aber wir sind nicht die Herren über unser Leben und das der anderen. Selbst wenn wir mit unserer Intelligenz und Schaffenskraft, mit unserem eigenen Willen und Wollen weltbewegende Erfindungen hervorbringen oder folgenreiche Entscheidungen treffen, hält letztendlich noch immer ein Größerer alles in seinen Händen.«

»Sie denken demnach, dass all die Widrigkeiten, die Sie und auch ich durchlebten und in denen wir noch stecken, einen tiefer gehenden Sinn haben?«

»Einen Sinn, den nur Gott kennt – vorerst.«

Demy nickte ernst, hüllte sich aber in Schweigen. Vermutlich hatte sie solche Äußerungen nicht von ihm erwartet. Immerhin kannte sie nur das, was man in Berlin über ihn erzählte. Er war nach der Ermordung seiner großen Liebe durch viele leidvolle Täler gegangen. Wer wusste schon, ob er heute noch leben würde – und falls ja, in welcher seelischen und körperlichen Verfassung –, hätte es den Missionar nicht gegeben, der ihn damals betreut hatte.

»Ich besuche meine Pflegefamilie, denn ich bin nicht so vermessen anzunehmen, dass ausgerechnet die Meindorffs vom Krieg und seinen grauenhaften Folgen verschont bleiben. Und ich hoffe und bete, dass ich sowohl den alten Meindorff als auch Joseph, Hannes und Albert antreffe, ehe sie sich auf ein Schlachtfeld werfen.«

Erneut nickte Demy ihm zu. Dieses Mal fiel ihr Blick freundlicher aus. Sie wusste, was es hieß, Familienangehörige zu verlieren. Immerhin war ihre Mutter nach der Geburt ihres Bruders gestorben, ihre zweite Halbschwester lebte seit sieben Jahren in St. Petersburg und der Vater war 1908, kurz nachdem er vor Philippe und der Kaiserlichen Schutztruppe aus Afrika geflohen war, tot in einem Kanal gefunden worden.

Mit quietschenden Bremsen und einem heftigen Ruck, der Demy veranlasste, sich an ihrem Sitzplatz festzukrallen, stoppte der Zug in einem Bahnhof. Auf dem überfüllten Bahnsteig drängten sich Uniformierte und Familienmitglieder, die sich von ihnen verabschiedeten. Lärmende Zurufe und Gelächter drangen bis zu den Passagieren vor. Auf der anderen Seite des Zugkorridors nahm eine Frau ihr Kleinkind auf den Arm.

Der Waggon füllte sich mit Soldaten. Sie stießen sich übermütig an, ließen sich auf die freien Plätze fallen oder rissen die Fenster auf, um ihren Lieben auf dem Bahnsteig ein letztes Mal zuzuwinken.

»Kommen Sie herüber«, wies Philippe Demy knapp an. »Aber …«

Philippe wartete keinen Einwand ihrerseits ab. Er beugte sich vor, ergriff sie am Handgelenk und zwang sie so, aufzustehen und den Platz zwischen ihm und dem Fenster einzunehmen. Kaum, dass sie saß, holte er aus der Gepäckablage ihre erbeutete Fliegermontur und legte sie sich über die Oberschenkel. Nur Sekunden später zwängten sich drei Soldaten zu ihnen. Ihre Blicke streiften ihn kurz, machten ihn als uninteressanten Zivilisten aus und wanderten dann umso aufmerksamer zu seiner Begleiterin.

Der Waggon, eben noch beschaulich ruhig, hallte von den fröhlichen Stimmen der zugestiegenen Fahrgäste wider, hinzu mischte sich das verängstigte Weinen des Kleinkindes.

»Gehören Sie zu dem Mann da?«, zischte ein spindeldürrer Infanterist in Demys Richtung, als sei Philippe in einem Alter, das auf einen gewissen Grad an Schwerhörigkeit hindeutete. Philippe starrte den Fragesteller finster an, der seinerseits Demy mit seinen Blicken verschlang. Schließlich stieß der Sitznachbar den Infanteristen an, um ihn auf den Zivilisten aufmerksam zu machen. Philippe hob lediglich die linke Augenbraue. Der Fußsoldat zog ein Gesicht und lehnte sich zurück.

»Wohin reisen Sie?«, wollte ein anderer Soldat, vermutlich kaum älter als Demy, von Philippe wissen und warf einen interessierten Blick auf die warme Felljacke und den blau-braunen Strickschal in seinen Händen.

»Berlin.«

»Wollen Sie sich freiwillig melden? So alt sind Sie ja noch nicht. Noch keine dreißig, nicht?«

Philippe nickte nur. Er spürte, wie Demy neben ihm zurückwich, als der dritte Mann sich erhob und sich direkt vor sie stellte, um das Fenster zu öffnen.

»Sie bedrängen die Dame, Rekrut«, wies er den unvorsichtigen Mann zurecht und sprach ihn dabei absichtlich mit dem niedrigen Dienstgrad an.

»Ich bin Gefreiter, Zivilist«, gab der Angesprochene prompt patzig zurück und deutete auf seine beiden Wappenknöpfe links und rechts der Kragenseiten.

»Und ich Leutnant. Und wenn ich sage, dass Sie die Dame bedrängen, beinhaltet das die Aufforderung, zurückzutreten und sich angemessen zu entschuldigen, Herr Gefreiter.«

Diesmal reagierte der Gemaßregelte sofort und war plötzlich ganz fügsam. Zufrieden schmunzelte Philippe vor sich hin, machte sich aber zum ersten Mal Gedanken darüber, ob er als Reservist zurück in die Fänge des Militärs geraten würde. Er schob die Überlegung beiseite. Zumindest hatte der Gefreite auf die Anweisung eines übergeordneten Offiziers unverzüglich reagiert, während er zuvor die Bitte eines resoluten Zivilisten ignoriert hatte.

Die Kunde von der Anwesenheit eines Offiziers im Abteil breitete sich schnell aus, selbst die Dame mit dem Kleinkind auf dem Schoß lächelte ihn erleichtert an.

Der Bursche, der ihn zuvor schon neugierig angesprochen hatte, wagte es nach geraumer Zeit, ihn auf Demys Fliegerausrüstung anzusprechen. »Darf ich fragen, Herr Leutnant, sind Sie Pilot? Einer von den tollkühnen Männern in ihren fliegenden Kisten?«

Nach Philippes gebrummter Zustimmung verstrickte der junge Soldat ihn in ein Gespräch, wobei ihm die Begeisterung darüber, einen der nur rund 800 Piloten vor sich zu haben, förmlich aus den Augen sprühte.

Geduldig stellte Philippe sich den Fragen, da an Schlaf ohnehin nicht mehr zu denken war, und bemerkte aus dem Augenwinkel das belustigte Lächeln seiner Begleiterin. Missgestimmt fragte er sich, ob sie sich im Klaren darüber war, dass sie ihn seit Tagen um den Schlaf brachte.