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In meinem Körper summte das Glück. Auch wenn ich nicht so genau wusste, worauf genau wir uns bei unserem Gespräch verständigt hatten. Aber ich hatte den sicheren Eindruck, dass wir einen kleinen Aufschub errungen hatten, bevor wir schwerwiegende Entscheidungen treffen mussten oder vielmehr er sie treffen würde. Denn meine Entscheidung war längst gefallen. Für immer und ewig, auf Gedeih und Verderb. Und an diesem Morgen glaubte ich felsenfest, dass ich ihn am Ende überzeugen würde. Ich musste! Er war nur jetzt noch so schrecklich ehrenwert. Er wollte mir sein schwieriges Leben ersparen. Er wollte mich schonen. Aber ich musste nicht geschont werden. Das würde er schon noch begreifen. Da war ich mir sicher. Fast!

Damián ließ meine Hand erst los, als wir die Hütte erreichten und kurz bevor die anderen uns sahen. Wir waren den ganzen Weg schweigend gegangen. Er hatte, bevor wir uns auf den Rückweg machten, mit einem Pfiff das Pferd gerufen, das er geritten hatte, und es hatte sich in Marsch gesetzt, um uns zu folgen, und die anderen Pferde der kleinen Herde mitgezogen.

Mein Vater unterhielt sich mit Clara etwas abseits der Kochstelle, wo die anderen gebratene Bananen, Zwiebelmilchsuppe und Maisbrot aßen und dazu Kaffee tranken. Elena zwinkerte mir zu. Ihr geheimnistuerisches Mienenspiel fragte: »Na, habt ihr euch geküsst?« Als ob das die Frage zwischen Damián und mir wäre. Ich lächelte mein schönstes »Alles prächtig!«-Lächeln zurück, gepaart mit einem »Ich erzähl dir nachher alles«-Augenaufschlag. Sie grinste.

Damiáns Tante Maria lud uns ein zu essen.

»Ich glaube, dein Vater will was von dir!«, unterrichtete mich Elena. »Er hat vorhin schon nach dir gefragt.«

Ich schaute mich nach meinem Vater um, der bei Clara saß. Er fing meinen Blick auf und winkte mich zu sich. Clara hob ebenfalls die Hand, aber sie meinte offenbar Damián. Wir begaben uns zu ihnen hinüber.

Mein Vater hatte einen Stein gefunden, auf dem er sitzen konnte, was ihm sichtlich angenehmer war, als auf dem Boden zu hocken wie Clara.

Ich hatte noch nie einen Menschen gesehen, der so offenkundig krank aussah wie sie. Claras feines und kluges Gesicht war sehr blass, fast grau. Ihre Haut war rau und fleckig. Sie sah müde und mutlos aus und rieb sich Hände und Beine, als würden sie kribbeln und stechen. Und trotzdem lächelte sie ihrem Bruder und mir herzlich und offen entgegen.

Wir setzten uns auf den Boden.

»Was gibt’s?«, fragte ich.

Mein Vater zögerte. Er wollte Clara das Wort überlassen. Aber sie wusste offenbar nicht, wie sie beginnen sollte.

»Ich habe Clara gerade erklärt, was ich vermute und welche Konsequenzen das hat«, ergriff mein Vater schließlich das Wort.

Damiáns Blick ruhte besorgt und zärtlich auf seiner Schwester. Sie wirkte, wenn man die beiden so nebeneinander sah, älter und reifer als er. Aber vielleicht lag es auch nur daran, dass sie so krank war.

»Ja, er hat mir alles erklärt«, sagte sie. »Ich bin ihm sehr dankbar dafür. Ich weiß jetzt, womit ich rechnen muss.«

»Ich habe ihr versucht zu erklären«, ergänzte mein Vater, »dass sie ins Krankenhaus muss, damit wir eingehende Untersuchungen machen können. Dass ich sie mitnehmen möchte nach Bogotá.«

Clara schüttelte lächelnd den Kopf.

Zwischen Damiáns Brauen stand wieder die steile Falte. »Wenn du gesund werden willst, dann geht es nicht anders«, sagte er.

Clara blickte ihren Bruder an, eindringlich und lange. Er senkte den Blick und fing an, mit einem Stöckchen Kreise in den Boden zu zeichnen.

»Was die Kosten betrifft«, argumentierte mein Vater, »so haben wir in San Vicente, dem Krankenhaus, wo ich arbeite, einen Fonds für solche Fälle. Die Erstbehandlung ist gesichert. Und dann sehen wir weiter.«

Damián hob die Augen und blickte seine Schwester bittend an. Aber sie lächelte ruhig und bestimmt und schüttelte nachdrücklich den Kopf. »Ich fühle mich sehr geehrt«, sagte sie. »Aber ich bin doch nur ein Mädchen aus den Bergen. Solche wie mich gibt es viele. Wenn man für jede so einen Aufwand treiben würde ... Ich weiß schon lange, dass ich bald sterben muss. Das macht mir keine Angst.«

Ich war perplex. Versuchte sie meinem Vater und mir zu erklären, sie sei es nicht wert, dass man sich um ihre Gesundheit kümmerte? An dem Blick, mit dem mein Vater meinen Blick erwiderte, erkannte ich, dass er vergeblich versucht hatte, Clara ihre Chancen klarzumachen.

»Aber du könntest leben«, sagte Damián. Er klang, als hätte auch er es schon ein paarmal vergeblich versucht. »Möchtest du das denn nicht?«

»Und du könntest«, ergänzte ich, »viel machen, wenn du in Bogotá bist. Und wir könnten in Konzerte gehen.«

Claras Blick aus diesen unheimlich trüben Augen richtete sich auf mich. Aufmerksam und unverwandt musterte sie mein Gesicht. Und urplötzlich verstand ich sie. Wir waren gar nicht so verschieden, sie und ich. Sie war ein Mädchen wie ich, sie hatte Sehnsüchte und Träume, sie war nicht dümmer als ich, nicht primitiver, sie hatte die gleichen Gefühle wie ich und sie war unglücklich.

Es war ein Fehler zu denken, sie müsse zufrieden sein mit dem Leben hier oben im Rauch des offenen Herds, unter den Wolken, zwischen Lamas und Nebel. Ich wäre es nicht gewesen, warum sollte sie es sein? Vielleicht träumte sie davon, eine große Musikerin zu werden oder Medizin zu studieren oder Bücher zu schreiben oder Lehrerin zu werden und die Kinder ihrer Landsleute zu unterrichten. Vielleicht träumte sie auch von weiten Reisen, hübschen Kleidern, einem reichen Mann und einem Haus mit Swimmingpool. Ich wusste nicht, wovon sie träumte, aber ich wusste plötzlich: Hier oben wollte sie nicht ihr ganzes langes Leben verbringen. Es ödete sie an, es deprimierte sie, es machte sie krank vor Langeweile und Einsamkeit. Niemand musste viel Geld dafür ausgeben, dass sie weiter Alpakas scheren und Pullover stricken oder auf die Kinder ihrer Cousinen aufpassen konnte. Dafür musste sie nicht gesund werden.

Ich fragte mich, was ich ihr sagen musste, was sie hören wollte, um wieder Mut zu schöpfen. Was brauchte sie wirklich? Ich fragte mich, was ich mir in den Momenten immer gewünscht hatte, wenn ich unzufrieden, unglücklich und mutlos gewesen war, weil ich mir wieder einmal hässlich, ausgegrenzt und gänzlich überflüssig vorkam und mich fragte, wofür ich eigentlich lebte. Etwa damit ich so wurde wie meine Eltern? Arbeit, Karriere, Erschöpfung, Streitereien am Abendbrottisch. Sie hatten es ja selbst nicht ausgehalten und deshalb noch einmal ausbrechen müssen, um ein Jahr lang in einem Drittweltland die Erfahrung zu machen, dass man sie brauchte.

»Vielleicht«, sagte ich, »braucht deine Zukunft dich noch.«

Ich spürte, wie Damián mich forschend anblickte. Aber ich zwang mich, Claras nachdenklichen Blick auszuhalten.

Auf einmal richtete sie sich etwas auf. »Darf ich dich einmal etwas Persönliches fragen?«

Ich nickte.

Sie warf meinem Vater einen kurzen zweifelnden Blick zu.

»Papa«, sagte ich. »Könntest du uns mal kurz alleine lassen? Und Damián, du auch? Das ist was unter Frauen.«

»Oh, ja, natürlich!« Hastig und etwas verlegen stand mein Vater auf. »Dann schauen wir mal, ob es noch Kaffee gibt.«

Auch Damián erhob sich.

»Dein Vater ist ein guter Mann«, sagte Clara, nachdem die beiden zum Feuer gegangen waren.

»Ja, das ist er. Und Damián liebt dich auch sehr.«

Sie nickte. »Du magst deinen Vater, nicht wahr?«

»Ja.«

»Aber wenn dein Vater nun etwas von dir verlangen würde, was du nicht richtig findest? Oder wenn er dir etwas verbieten würde, was du unbedingt tun willst? Was würdest du dann tun?«

»Das kommt darauf an ...«

»Wenn es dir wichtiger ist als alles andere, als dein Leben?«

Vor vier Wochen wäre meine Antwort darauf ziemlich theoretisch gewesen. Aber da hatte ich Damián noch nicht gekannt und noch nicht gewusst, dass niemand, auch meine Eltern nicht, mir verbieten konnten, ihn zu lieben. Und dass sich weder mein Vater noch meine Mutter zwischen uns stellen konnten. Sie hatten in diesem Punkt keine Macht mehr über mich.

»Ich würde versuchen, es meinem Vater zu erklären«, sagte ich. »Und wenn er es nicht versteht, dann würde ich ... ich würde meinen eigenen Weg gehen. Es ist mein Leben!«

Clara blickte nachdenklich drein.

»Was ist das, was dir so wichtig ist?«

Sie lachte verlegen. »Wir hatten eine Lehrerin. Sie hat hier in der Gegend Schulunterricht gegeben. Viele Familien lassen ihre Mädchen nicht in die Schule gehen. Aber Susanne kam zu uns. Sie ist aus Deutschland zu uns gekommen. Von so weit weg! Und nur, damit wir, meine Cousinen und ich und ein paar andere aus den Bergen, mehr als lesen, schreiben und rechnen lernen konnten. Sie hat von anderen Ländern erzählt, von Menschen, die ins Weltall fliegen, von solchen, die Eisenbahnen und große Brücken bauen, die mit Mikroskopen ins Innere der menschlichen Zellen blicken und Veränderungen vornehmen, von Menschen, die in den Tiefen des Meeres riesige Kraken suchen und das Leben von Delfinen, Walen und Haien erforschen. Wenn ich mir etwas hätte aussuchen können, dann hätte ich mir gewünscht, dass ich Meeresforscherin werden kann.«

»Vielleicht kannst du es werden.«

Clara lächelte. »Das hat die Lehrerin auch gesagt. Um Meeresbiologie zu studieren, müsste ich auf eine Schule gehen und das Abitur machen, hat sie gesagt. Aber mein Onkel war dagegen.«

»Aber ...«

Clara hob bremsend die Hand. »Vor drei Jahren ist unsere Lehrerin plötzlich verschwunden. Niemand konnte sagen, wo sie ist. Bald darauf haben wir erfahren, dass man sie entführt hat.«

»Wer? Die FARC?«

Clara schwieg.

Ich ahnte Schlimmes. »Doch nicht dein Onkel?«

»Das weiß ich nicht. Aber er kennt die Leute. Und ich habe gehört, dass sie krank ist. Sie wird sterben, wenn sie nicht bald befreit wird.«

»Wie heißt sie, hast du gesagt? Susanne? Du sprichst doch nicht etwa von der deutschen Lehrerin Susanne Schuster? Mein Gott!« Fast immer, wenn sich Deutsche trafen, redete man über diesen Entführungsfall. »Die ist genau hier in der Gegend entführt worden? O Gott! Sag das bloß meinem Vater und Elena nicht!«

Clara nickte. Sie schien meine Sorge zu verstehen, obwohl sie doch eigentlich selbst so viele Probleme hatte. »Ich sage nichts«, fügte sie hinzu. »Aber ihr solltet möglichst schnell wieder verschwinden. Es war gefährlich, überhaupt zu kommen. Ich verstehe Damián nicht, dass er euch hierhergebracht hat. Nur meinetwegen! Mein Onkel Tano kann sehr wütend werden, wenn er sich hintergangen fühlt. Und wenn ihr mich mitnehmen würdet nach Bogotá, und er erfährt es, dann würde er uns folgen und mich zurückholen. Nicht einmal in Bogotá bei meiner Mama Lula Juanita wäre ich sicher.«

»Warum tut er so was?«

Clara zuckte mit den Schultern. »Er mag es nicht, wenn Frauen die alte Ordnung verändern. Mama Lula Juanita ist von hier weggegangen, weil Tano der Ansicht ist, eine Frau kann keine Heilerin sein, bestenfalls eine Hexe. Meine Großmutter hat bei den großen Medizinmännern in Peru und Bolivien gelernt. Mein Onkel kann nichts gegen sie ausrichten, er fürchtet ihre Macht. Deshalb wird er alles tun, um zu verhindern, dass ich zu ihr nach Bogotá komme. Ich möchte nicht, dass ihr in Gefahr geratet. Schon die Lehrerin aus Deutschland muss meinetwegen leiden. Sie wird in Geiselhaft sterben, weil sie mir den Traum in den Kopf gesetzt hat, meine Familie zu verlassen und Meeresbiologie zu studieren.«

Ich ahnte, was in Clara vorging. Der Schock hatte sie gelähmt und ihren Lebenswillen gleich mit vernichtet. Sie hatte Angst vor ihrem Onkel, und sie hatte Schuldgefühle, weil eine deutsche Lehrerin, die sie gemocht hatte, entführt worden war.

»Aber diese Susanne Schuster ist doch sicherlich nicht deshalb entführt worden«, versuchte ich sie zu trösten. »In Kolumbien sind mehr als tausend Menschen Geiseln diverser Banden. Da geht es einfach nur um Geld.«

Clara antwortete mit einem langen traurigen Blick.

»Und deshalb musst du mit uns kommen, Clara. Du darfst nicht sterben, nur weil dein Onkel nicht will, dass du ein eigenes Leben führst. Das bist du dir schuldig! Und was hast du zu verlieren? Dein Leben hast du schon verloren, wenn du bleibst. Schlimmer kann es nicht kommen.«

Clara lächelte mich an und nahm meine Hand. »Du erinnerst mich an Susanne. Sie hat auch so geredet. Man muss die Familie achten, hat sie gesagt, aber die Familie muss auch meine Wünsche achten. Und wenn nicht, muss man kämpfen.«

»Ich stecke nicht in deiner Haut«, antwortete ich. »Und ich weiß nicht, ob ich wirklich den Mut hätte, mich gegen meine Eltern zu stellen und ein ganz anderes Leben anzustreben. Aber wenn du mich fragst, was ich tun würde, dann würde ich sagen: Ich würde es wenigstens versuchen.«

Clara nickte. »Aber ich weiß nicht, ob ich für die Reise stark genug bin.«

»Wenn mein Vater sagt, es geht, dann wirst du es schaffen«, antwortete ich.

 

Eine Stunde später brachen wir auf. Damián schlug uns einen anderen Rückweg vor als den, den wir gekommen waren. Einerseits konnten wir so den gefährlichen Geröllabhang und manch andere unwegsame Stellen umgehen, andererseits war er deutlich länger und wir würden womöglich irgendwo in der Wildnis übernachten müssen.

»Und wir werden deinen Onkel Tano überlisten«, sagte ich, als Damián zu mir ans Pferd trat und mir beim Auflegen und Festzurren des Sattels half.

»Auch das«, erwiderte er. Für einen Moment berührten sich unsere Hände. »Aber hab keine Angst vor meinem Onkel Tano. Er wird sich nicht direkt gegen mich stellen. Er wird Clara nicht mit Gewalt zurückholen. Sonst müsste er mich töten. Und das wagt er nicht, solange unsere Mama Lula Juanita lebt. Er hat viel zu viel Angst, sie könnte ihn mit einem Fluch belegen.«

Da Clara mit uns ritt und wir das Packpferd nicht nur für die Arztkoffer meines Vaters, sondern auch für den Beutel mit Claras Sachen brauchten, fehlte uns ein Pferd. Mein Vater bestand darauf, zu Fuß zu gehen. Das war ihm als altem Bergsteiger sowieso lieber als zu reiten. Außerdem tat ihm der Hintern immer noch weh von dem gestrigen Ritt. Also schwang Damián sich wieder auf sein Pferd und setzte sich an die Spitze.

Die Kinder begleiteten uns noch ein gutes Stück des Wegs, der auf der entgegengesetzten Seite, von der wir gestern gekommen waren, aus dem Hochtal in die bewaldeten Hänge führte. Erst nach einer Stunde kehrten die Kinder wieder um.

Ich musste währenddessen mein mimisch gegebenes Versprechen einlösen, Elena alles zu erzählen. Sie bestand darauf, zu erfahren, was Damián und ich allein da oben auf der Weide gemacht hatten.

»Er liebt dich, stimmt’s?«, drängte sie mich. »Hat er dich geküsst? Oder ist er noch weiter gegangen?«

»Elena! Sei nicht kindisch!«

Sie kicherte. »Nimm dich in Acht, Jasmin. Die Indiomänner lieben es, Kinder zu zeugen, aber wenn sie zahlen sollen, dann sind sie verschwunden.«

»Damián respektiert mich«, verteidigte ich mich.

»Ja, ja! Du bist für ihn die schönste Frau der Welt, eine Göttin. Die Männer erklären dir immer, wie sehr sie dich respektieren und dass sie nie etwas tun würden, was du nicht willst. Dann werden sie immer drängender und drängender. Und bums! Glaub mir! Ich kenne die Indios besser als du.«

Elenas Ton gefiel mir nicht. Aber ich beschloss, die Verächtlichkeiten zu überhören. Ich hatte nicht die geringste Absicht, ihr tatsächlich ein einziges wahres Wort von dem zu erzählen, was Damián und ich besprochen hatten und was nur ihn und mich etwas anging. Aber Elena ließ sich ohnehin leicht mit meinem Bericht über Onkel Tano ablenken.

»Stell dir vor, Damián glaubt, dass dieser Onkel und sein Trupp die fünf Jungs von Major Antonios Truppe umgebracht haben. Es soll sich um eine alte Feindschaft ehemaliger Waffenbrüder handeln. Don Antonio ist wohl entkommen. Tano soll von dem Freund der Frau im Büro des CRIC erfahren haben, dass Antonio uns in Popayán gefangen hält, um an Damián heranzukommen. Tano ist dann wohl sofort losgezogen, um sie zu überfallen.«

Elena überlegte einen Moment. »Dann haben wir es wohl Tano zu verdanken, dass wir unser Satellitenhandy und unseren Schmuck wiederbekommen haben.«

»Allerdings keinen Peso von unserem Geld«, gab ich zu bedenken.

Elena zuckte mit den Schultern. »Was ist schon Geld!«

Damit ihre Gefühle für Onkel Tano nicht so freundlich blieben, erzählte ich ihr, dass er uns womöglich folgen würde, sobald er erfuhr, dass wir Clara zu einem Arzt in die Stadt brachten, weil er nicht wollte, dass sie ihr eigenes Leben führte und gesund wurde.

Elena guckte sich besorgt um. »Was glaubt der, wer er ist!«, fluchte sie. »Das kann er doch nicht bringen. Wir leben doch nicht mehr in der Zeit der spanischen Eroberer!«

»Damián sagt«, fuhr ich fort, »das würde Tano nicht wagen, weil er die schwarze Magie seiner Schwiegermutter fürchtet.«

Jetzt guckte Elena mich erschrocken an.

»Du hast vermutlich schon von ihr gehört«, erklärte ich. »Mir hat jedenfalls Felicity Melroy – die Grauhaarige, die mir auf dem Ball mit dem Kleid geholfen hat, du erinnerst dich – von einer Wunderheilerin erzählt, die in Bogotá lebt. Im Norden, in einem Haus im Wald mit geheimnisvollen Zeichen und Gesichtern an den Pfosten. Zu der alle gehen, wenn die Schulmedizin nicht mehr weiterhilft.«

»Ach, die Kräuterhexe! Ja, von der habe ich auch schon gehört. Meine Mutter wollte schon mal zu ihr gehen, wegen ...« Elena winkte ab. »Egal! Mein Vater war total dagegen.« Sie lachte auf. »Und weißt du warum? Mein Vater glaubt nämlich insgeheim an die Macht der alten Magie. Das ist das indianische Blut von irgendeiner Großmutter oder Urgroßmutter. Aber er will natürlich nicht zugeben, dass es ihm Angst macht. Deshalb hat er meiner Mutter verboten, die alte Hexe aufzusuchen. Man weiß ja nicht, ob sie die schwarze Magie anwendet. Mein Vater hat viele Feinde, weißt du.«

»Und, glaubst du daran?«, fragte ich.

»Ich bin mir nicht sicher. Man hat schon die wundersamsten Sachen von solchen Leuten gehört. Ein bisschen unheimlich ist es schon. Aber ob da wirklich was dran ist ... Ich weiß nicht. Immerhin hat sie Clara nicht heilen können, nicht wahr?«

»Vielleicht ist das wie bei einem Psychologen. Da heißt es doch auch: Allen möglichen Leuten kann er helfen, nur sich und der eigenen Familie nicht.«

»Vielleicht«, antwortete Elena nachdenklich.

Der Ruf des Kolibris
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