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– 17 –

 

Nach fünf Minuten hatten wir meinen Vater und Damián an einem steinigen Hang eingeholt. Sie warteten auf uns.

»Gab’s ein Problem?«, fragte mein Vater auf Deutsch.

Elena und ich schüttelten den Kopf. Aber wir sahen vermutlich ziemlich betreten aus. Papas graue Augen trafen meine, er zwinkerte kurz. Seit meiner Kindheit war das ein Zeichen, dass er wusste, was los war, und ich mir keine Sorgen machen sollte. Meistens, wenn ich ihn später gefragt hatte, was er denn geglaubt hatte, was mir Sorgen machte, hatte er richtig gelegen. Für einen Moment fühlte ich mich tatsächlich beruhigt. Aber schon einen Augenblick später machte ich mir klar, dass Papa nicht wissen konnte, was Leandro bei seinem Telefongespräch mit seinen Bodyguards erfahren hatte. Diesmal lag mein Vater falsch. Ich wünschte, es wäre nicht so gewesen. Zum ersten Mal fühlte ich mich trotz der Gegenwart meines Vaters verlassen und verloren. Auf einmal wusste ich, dass auch er nicht allwissend und allmächtig war und keineswegs all das, was mir Sorgen bereitete, wieder in Ordnung bringen konnte. Es war traurig, ungeheuer traurig. Ich war wieder ein Stück erwachsen geworden, und es fühlte sich nicht so aufregend und abenteuerlich an wie in der vergangenen Nacht, als wir in der Herberge auf unsere Befreiung gewartet hatten und Elena sich an ihren Vater gekuschelt hatte und mir plötzlich klar geworden war, dass ich nicht mehr Papas kleine Tochter war, sondern eine junge Frau mit einem Körper, für den sich ein junger Mann wie Damián interessierte. Da hatte ich mich frei und mutig gefühlt, meine Zukunft anzugehen. Jetzt spürte ich, was ich dabei verlor. Nicht einmal mehr mein Vater, der Arzt, der alles heilte, Körper und Seele, konnte mir Sicherheit geben. Er hatte aufgehört, mehr zu wissen als ich.

Was mich noch mehr schmerzte, war, dass ich zugleich Damián verloren hatte, zumindest meine Illusionen über ihn. Fünf der jungen Männer, die uns vorgestern Nacht überfallen hatten, waren tot. Sie waren nicht unsere Freunde gewesen, sie hatten uns beraubt, aber sie hatten uns eigentlich nichts getan. Und sie waren jung gewesen, manche vermutlich kaum älter als ich, doch schon dazu verdammt, dieses Leben im Kampfanzug mit Gummistiefeln zu leben, weil es keine Arbeit gab, nur Mangel, Hunger und Ungerechtigkeit, und weil einige skrupellose Männer wie Don Antonio daraus ein blutiges Geschäft unter dem Deckmäntelchen des Kampfs für mehr Gerechtigkeit machten. Ich hatte die jungen Männer nicht gekannt, manche waren maskiert gewesen, aber nun waren sie tot, und es war mir nicht egal, es ließ mich nicht kalt, es erschreckte mich. Es war anders, als von Toten in der Zeitung zu lesen oder im Fernsehen oder Radio zu hören. Eben noch hatte ich die Jungs herumspringen und sich um Elenas Silberkettchen balgen sehen, ein paar Stunden später lagen sie irgendwo reglos im Schlamm. Aus und vorbei.

Und Damián hatte sie getötet.

Es war furchtbar, als mich sein forschender Blick traf. Seine Augen waren so scharf und dunkel, so lebendig und klug. Er war mir so entsetzlich vertraut wie ein Teil von mir: das kurze Zucken seiner linken Braue, kurz bevor er lächelte, seine kräftigen Hände, die selbst in Ruhe immer ein klein wenig in Bewegung waren, so als seien sie immer bereit zuzupacken. Eben noch hatte ich mich stark genug gefühlt, sein Geheimnis zu ergründen und zu ertragen, und die Aussicht, ihn kennenzulernen, hatte wie ein aufregendes Abenteuer vor mir gelegen. Und jetzt ... Die Liebe war doch fürchterlich. Sie machte verletzbar, sie machte wehrlos, sie war der Vorbote der Enttäuschung und Desillusionierung. Das wusste ich auf einmal. Es waren die Schmerzen, die meine Mutter mir hatte ersparen wollen. Aber es war ihr nicht gelungen. Und ich musste ganz allein damit fertig werden. Niemand würde mir helfen, nicht einmal Damián.

Er hatte sich zu uns umgedreht, deutete auf den Geröllhang, der vor uns lag, und sagte: »Der Hang ist vor ein paar Tagen abgerutscht. Wir steigen besser ab und führen die Pferde. Sicher ist sicher.«

Er saß ab. Mein Vater fiel mehr vom Pferd, als dass er abstieg. Die Wirkung der Kokablätter war längst verflogen, auch mir tat der Hintern weh.

»Wir müssen die Zügel verknoten«, ordnete Damián an und half meinem Vater, einen Knoten in die Zügel zu drehen, damit sie nicht durchhängen konnten.

Dann kam er zu mir.

»Was ist los?«, raunte er mir ins Ohr, während er ein paar unnötige Griffe ins Zaumzeug und an den Sattel meines Pferdes machte. »Was ist passiert?«

»Nichts!«, antwortete ich. Auf keinen Fall durfte ich ihm sagen, was Leandro, Elena und ich befürchten mussten. Unser Misstrauen war der einzige Vorteil, den wir hatten. Ansonsten lagen alle Vorteile auf seiner Seite.

»So, nichts?«, fragte er zurück. Sein Blick überflog rasch das verstörte Gesicht von Elena und die finstere Miene Leandros. »Nun«, sagte er hart, »wie du meinst.«

Die Heiterkeit der letzten Stunden war aus seinem Gesicht verschwunden. Er biss die Zähne zusammen, wandte sich ab, verzichtete darauf, Elenas und Leandros Pferde zu überprüfen, und ging zu seinem Pferd zurück.

Die Geröllhalde, die den Weg verschüttet hatte, war schätzungsweise fünfzig Meter breit. Die Steine schienen locker zu sitzen und waren teilweise von Schlamm überzogen.

»Am besten«, wandte Damián sich wieder an uns alle, »ihr lasst die Pferde alleine laufen und achtet nur darauf, wo ihr hintretet. Und wenn ein Pferd abrutscht: nicht nach dem Zügel greifen. Sonst reißt es euch mit, wenn es abstürzt. Verstanden?«

»Ja«, antwortete mein Vater. Er war der Einzige, der antwortete.

»Und wenn einer von euch ins Rutschen kommt, bleibt ihr alle stehen. Keiner bewegt sich! Keiner eilt dem anderen zu Hilfe. Und der, der rutscht, wirft sich hangaufwärts auf den Bauch und wartet, bis alles wieder zur Ruhe kommt. Klar?«

»Sollten wir nicht lieber umkehren?«, fragte Elena. »Ich glaube, ich schaffe das nicht.«

»Das halte ich auch für besser«, sagte Leandro rasch.

Damián richtete sich auf und blickte uns nachdenklich an. »Ihr wollt umkehren? Von mir aus. Allerdings geht die Sonne in anderthalb Stunden unter. Wir müssten kampieren.«

»Und wie weit ist es bis zu dir nach Hause?«, erkundigte sich mein Vater.

»Etwa eine halbe Stunde.«

Mein Vater drehte sich zu uns um. »Also, ich als alter Bergsteiger würde sagen, es ist gefährlich, aber machbar. Und der Gedanke, den ganzen Weg unverrichteter Dinge wieder zurückzureiten, gefällt mir nicht, vor allem meinem Hintern nicht. Jetzt, wo wir schon so weit gekommen sind. Allerdings würde ich zu unserer aller Sicherheit vorschlagen, dass wir eine Seilschaft bilden. Wir können ja die Zügel aneinanderschnallen. Oder nicht?«

»Auf dem Packpferd ist ein Seil«, antwortete Damián knapp. »Die Entscheidung liegt bei euch.« Sein Blick traf mich, und vielleicht nur für mich setzte er hinzu: »Ich habe euch nicht darum gebeten, mit mir zu kommen.« Es klang bitter.

»Stimmt«, sagte mein Vater. »Also los! Schauen wir uns das Seil mal an!«

Auch Leandro mochte zu dem Schluss gekommen sein, dass wir nicht unbedingt in Sicherheit waren, wenn wir im Urwald übernachteten, und noch weniger, wenn Damián spürte, dass wir Verdacht geschöpft hatten. Wir waren ihm ausgeliefert. Wir würden nichts dagegen tun können, wenn er unser Nachtlager verließ und seine Mordbanden rief, diejenigen, die Antonios Bande den Garaus gemacht und ihr unsere Wertsachen wieder abgenommen hatten. Jedenfalls bestand Leandro nicht darauf umzukehren. Er machte sich zusammen mit meinem Vater daran, Elena und mich mithilfe unserer Gürtel ins Seil zu schnallen.

Damián lehnte die Beteiligung an der Seilschaft ab. Er wollte als Erster den Geröllhang überqueren, zusammen mit allen Pferden, dann sollten mein Vater, ich, Elena und Leandro im Seil folgen. Das hieß zunächst warten.

Damián betrat die Halde, ohne zu zögern. Die Steine lagen fester, als es aussah. Dennoch bebte ich bei den ersten Schritten, die er machte, und als ein Stein rollte, verschlug es mir den Atem.

»Na, geht doch«, meinte mein Vater.

Als die sechs Pferde eines nach dem anderen die Geröllhalde betraten, konnten wir Damián, der vorneweg ging, kaum noch sehen. Ein paarmal rutschten die Pferde mit den Hufen ab und Steine prasselten zu Tal, aber eigentlich ging es ganz gut. Die Pferde trampelten außerdem für uns einen kleinen Pfad in die Halde, der es uns leichter machen würde.

Elena bibberte dennoch vor Angst und Erschöpfung. »Ich schaffe das nicht«, sagte sie immer wieder. »Ich will da nicht hinüber. Ich habe heute Geburtstag, ich will nicht sterben!«

»Ich bin doch bei dir«, sagte ihr Vater. »Ich halte dich fest.«

»Es ist auch gar nicht so gefährlich«, ergänzte mein Vater.

Aber die Tränen liefen Elena übers Gesicht. Sie war total fertig. Sie war derartige körperliche Anstrengungen nicht gewöhnt, genauso wenig wie ich oder mein Vater. Aber das war es nicht allein.

»Wozu soll ich denn mein Leben hier riskieren, wenn wir nachher sowieso umgebracht werden!«, schluchzte sie.

»Was soll denn das heißen?«, erkundigte sich mein Vater.

Leandro informierte ihn kurz über das, was er von seinen Bodyguards erfahren hatte.

»Aha!«, sagte mein Vater ernst. Er überlegte: »Und warum war Damián dann sofort bereit, mit uns umzukehren, wenn er eigentlich dich, Leandro, in seine Gewalt bekommen will? Wie passt das zusammen? Warum lässt er uns hier alleine stehen? Wahrscheinlich, damit wir uns in Ruhe beraten können. Glaubt ihr denn, er hat nicht gemerkt, dass ihr drei ziemlich ängstlich dreinblickt? Und in einem hat er recht. Er hat uns nicht gebeten, ihn zu seiner kranken Schwester zu begleiten. Ich habe darauf bestanden und du auch, Leandro!«

Leandro nickte. »Das stimmt schon.«

»Na bitte!« Mein Vater wandte sich an Elena, die zitternd in unserer Mitte stand. »Überleg doch mal! Was denkst du, warum Damián uns hier stehen gelassen hat. Er möchte, dass wir uns darüber beraten können, ob wir ihm folgen und seiner Schwester helfen wollen, so wie wir es versprochen haben. Er gibt uns die Gelegenheit umzukehren. Wir können sie nutzen. Und uns wird nichts passieren.«

»Aber er hat die Pferde!«

»Die würden uns bei einem nächtlichen Marsch durch den Urwald wahrscheinlich sowieso nicht viel nützen.«

Elena biss sich auf die Lippen.

Damián war mit seiner Karawane inzwischen fast auf der anderen Seite angelangt. Mein Vater blickte uns der Reihe nach an und sein Blick verweilte etwas länger in meinem Gesicht.

»Warum dieses Misstrauen?«, fragte er schließlich. »Glaubt ihr wirklich, dieser junge Mann, der aufs Colegio Bogotano gegangen ist und eine Universität für seine Leute gründen will, ist ein blutrünstiger Krimineller, der sein Geld mit Geiselnahmen verdient?«

»Weiß man’s!«, sagte Elena kleinlaut.

»Wenn man von jedem Menschen immer erst einmal das Schlimmste annimmt, wird man niemals vorwärtskommen im Leben«, sagte mein Vater. »Misstrauen erzeugt immer nur Misstrauen. Im Vertrauen liegt das Wunder des Lebens.«

Noch nie hatte ich meinen Vater solche Sätze sagen hören. Natürlich wusste ich, dass er seine Prinzipien hatte, aber Simon und ich, wir hatten seine pathetische Ader immer nur als Sozialromantik bespöttelt. Er war zu gut für diese Welt, hatten wir befunden, er ignorierte einfach, dass es schlechte Menschen gab, er konnte es sich leisten, denn er war Arzt, und die Menschen waren auf seine Hilfe angewiesen. Aber ich hatte nicht den Eindruck, dass er unsere Lage völlig falsch einschätzte. Im Gegenteil. Leandro, Elena und ich hatten irgendwie den Kopf verloren, vielleicht aus Erschöpfung, aber mein Vater nicht. Ich war auf einmal sehr stolz auf ihn. Und ich schämte mich meines Kleinmuts und Misstrauens. Auf Elena machten seine Worte ebenfalls Eindruck. Leandro war sicherlich nicht so leicht zu beeindrucken, aber er hatte sich ja ohnehin entschieden, den Weg fortzusetzen.

»Also, was ist?«, fragte mein Vater in die Stille. »Umkehren oder weitergehen? Wir haben die Wahl.«

»Wir gehen weiter«, sagte ich. »Wir halten unser Versprechen.«

Elena nickte tapfer.

Damián war inzwischen auf der anderen Seite angekommen. Er hatte die Pferde an den nächsten Baum gebunden, stand an der Geröllhalde und wartete auf uns.

Mein Vater betrat als Erster die abschüssige Fläche. In der Bergsteigersprache nannte man das den Vorsteiger. Er war allerdings schon lange nicht mehr auf Tour gegangen. Ich konnte mich noch dunkel erinnern, dass meine Mutter, wenn er in den Alpen unterwegs war, das ganze Wochenende in Angst verbracht hatte, zittrig, nervös und hektisch, bis er endlich wiederkehrte. Ich denke, er hat seine Kletterei gelassen, weil er ihr diese Angst nicht mehr zumuten wollte. Vielleicht hatte auch der Tod von Simons Vater im Himalaja ein wenig dazu beigetragen, dass er auf riskante Unternehmungen verzichtete.

Aber es war wirklich nicht schwierig, den Geröllhang zu überqueren. Die Steine waren zwar glitschig, aber fest verkeilt. Auch wenn meine Sneakers und Elenas Chucks nicht unbedingt für Kraxeleien gemacht waren. Papa hatte immerhin seine üblichen Schnürboots an und Leandro Schaftstiefel mit ordentlichen Sohlen.

Einmal schrie Elena auf, weil ein Stein abrutschte und in die Tiefe kollerte, aber sie blieb aufrecht. Beängstigend waren eigentlich nur der Blick hinauf, die endlose schroffe Halde aus Stein und Fels, der sich hoch über uns aus einer Wand gelöst hatte, nackt und drohend in den Himmel ragte, und der Blick nach unten, wo Nebel ein Ende des Abhangs und die Tiefe verhüllte, in die man stürzen konnte.

Auf einmal war es mir peinlich, dass wir, ängstlich und auf Sicherheit bedacht, angeseilt gingen, während Damián frei und sorglos über den Hang gelaufen war. Ich kam mir feige vor. Noch beschämender als die Angst, in die Tiefe zu rutschen, schien mir meine Angst vor Damián, vor dem düsteren Geheimnis seiner Existenz, vor dem ich gerade eben eingeknickt war, überwältigt von der Angst Elenas und den Behauptungen Leandros über das Gemetzel der Nacht, für das es keinerlei Beweise gab. So schnell hatte ich mich einwickeln lassen und Damián mein Vertrauen aufgekündigt! Was war meine Liebe wert, wenn ich sofort bereit war, das Schlimmste von ihm anzunehmen? Ohne ihn zu fragen, ohne ihm Gelegenheit zu geben, dass er sich verteidigte? Ich hatte ihn einfach verurteilt.

Gott, war das alles schwierig! Ungeheuer schwierig. So schwierig hatte ich mir die Liebe nicht vorgestellt.

Ein Stein gab unter meinem Fuß nach und klackerte in die Tiefe. Ich musste mich am Seil festhalten. Elena schrie auf. Mein Vater griff nach mir. »Aufpassen, Jasmin!«

Als ich wieder nach vorn blickte, war Damián zwei Meter auf uns zugekommen, angespannt und heftig atmend. Im nächsten Moment entspannte er sich, drehte sich um und ging zurück. Am Waldrand war ein kleines Mädchen erschienen, vielleicht fünf Jahre alt. Es bohrte sich in der Nase und schaute uns mit großen Augen zu. Damián ging in die Hocke, strich ihm über das struppige schwarze Haar und redete mit ihm. Das Kind nickte.

Doch ich hatte den Eindruck, dass er sich nur deshalb so intensiv mit der Kleinen beschäftigte, weil er nicht mehr zuschauen konnte, wie wir den Hang entlangkippelten. Dennoch schien er uns nie aus den Augen zu lassen. Als wieder einmal ein Stein rollte, zuckte er zusammen.

Mitleid überwältigte mich plötzlich. Vermutlich war unser Ausflug für ihn auch nicht einfach. Er war ja nicht begeistert davon gewesen, dass mein Vater seine kranke Schwester untersuchen wollte. Vielleicht wollte er sich nicht neue Hoffnungen machen, wo keine mehr bestanden. Und wir waren so arrogant, zu glauben, dass ein deutscher Arzt Wunder bewirken konnte, was voraussetzte, dass wir den Ärzten im Hospital von Popayán nichts zutrauten. Vielleicht hatte er auch keine Lust gehabt, sich mit vier nervösen Städtern zu belasten. Vermutlich hatte er vorausgesehen, dass die Verantwortung, die er damit übernahm, groß sein würde.

Doch warum hatte er nachgegeben und sich auf das Unternehmen eingelassen? Mich hatte die Aussicht, ihm wenigstens zwei Tage ganz nahe zu sein, beflügelt. Hatte er genauso empfunden? War er der Versuchung erlegen, dem riskanten Ausflug in die Berge zuzustimmen und uns zu sich nach Hause zu führen, weil auch er doch nicht so einfach von mir lassen konnte, wie es nach dem Diplomatenball ausgesehen hatte?

Oder war es nur ein Missverständnis und seine Haupthoffnung galt seiner Schwester und den medizinischen Künsten meines Vaters? Würde mein Vater seine Hoffnungen einlösen können? Ich hoffte es sehr. Ich wünschte es mir dringend. Leider nicht ganz uneigennützig, so sehr ich mich auch bemühte, jeden Nebengedanken zu vertreiben. Mir schien, dass Damián irgendwie Teil unserer Familie wurde, wenn mein Vater seiner Schwester helfen konnte. Mein Vater und schließlich auch meine Mutter würden ihn mit anderen Augen sehen lernen. Und er? Wenn mein Vater seiner Schwester helfen konnte, würde er dankbar sein, würde uns, auch mich, nicht einfach vergessen können, würde den Kontakt mit uns aufrechterhalten müssen und vielleicht mit der Zeit erkennen, dass die Gräben zwischen uns und ihm gar nicht so tief waren und dass ich gewillt war, sein Leben zu verstehen. Wir würden Zeit bekommen, uns kennenzulernen. Zeit! Fast ein Jahr noch! Und wenn das Jahr rum war, konnte er mich nicht mehr einfach gehen lassen. Dann konnte er nicht einfach sagen: »Es geht nicht.«

Auf einmal waren wir drüben auf der anderen Seite der Halde. Mein Vater befreite uns aus dem Seil. Wir bestiegen die Pferde wieder und setzten unseren Ritt fort. Damián hatte das kleine Mädchen zu sich in den Sattel genommen. Kein einziges Mal hatte er mich angeblickt. Ich spürte, wie mir die Tränen in die Unterlider stiegen.

Was für ein fürchterlicher Tag!

Der Ruf des Kolibris
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