Kapitel
36

Die Hügelketten an den Seiten des Tals der Toten wirkten wie ein Windkanal, durch den der Wüstenstaub in alle Richtungen gewirbelt wurde. Die lange Trockenheit hatte das Land ausgedörrt, und der Boden schien seinen Zorn darüber zum Ausdruck zu bringen, indem er sich selbst in die Luft hustete.

An der Spitze des Zuges biß Thurman die Zähne zusammen und stapfte unnachgiebig voran. Seine Männer konnten nicht sehr weit sehen. Aber das Waffenarsenal, das sie mitführten, sollte diesen Nachteil mehr als wettmachen. McCrackens Indianer besaßen in diesem Terrain den logistischen Vorteil, doch sobald sie den Fehler begingen, sich zu zeigen, würden er und seine Mitstreiter sie sofort niedermähen, ganz gleich, wie viele von ihnen anrückten.

Thurmans Erfahrungen im Guerillakrieg waren zwar enorm, aber nichts im Vergleich zu denen von Ling, der es im Vietnamkrieg zu wahrer Meisterschaft im Partisanenkampf gebracht hatte. Deswegen hatte Thurman ihn auch vorausgeschickt, um die Stellungen der Gegner zu erkunden. Der Vietnamese hatte zu seiner Zeit oft genug eigene Hinterhalte gelegt, um jetzt instinktiv zu wissen, aus welcher Richtung der Feind kommen oder wo er zuschlagen würde.

Thurman konnte ihn in den Staubwirbeln und Schwaden nicht mehr ausmachen. Er spähte angestrengt nach ihm, zuckte aber doch erschreckt zusammen, als Ling unvermittelt neben ihm auftauchte.

»Es gibt Ärger«, meldete der kleine Mann.

Es war nicht schwer gewesen, die alten Vertiefungen im Boden zu tarnen. Wareagle hatte drei Krieger mitgenommen und lag jetzt mit ihnen unter Stangen und Brettern. Dabei überkam ihn das Gefühl, hier die gleiche Strategie anzuwenden, die die ursprünglichen Verteidiger dieses Tals ihrerzeit verfolgt hatten.

Der heftig wehende Wind erschwerte es ihm, zu verstehen, was die Männer miteinander beredeten, die über ihn hinwegzogen. Aber er konnte sie spüren, und er wußte, daß es seinen Mitstreitern ebenso ging.

Sie hatten kein Zeichen verabredet, wann sie aus ihrem Versteck kommen wollten, nur daß sie noch eine Weile warten würden, nachdem das letzte Stiefelpaar über die Tarnung marschiert war. Jetzt erhob sich Wareagle, und im Sekundenabstand folgten ihm die Krieger. Sie schwärmten auseinander und verschwanden im Wind, um den nächsten Teil des Plans umzusetzen.

Ling zeigte auf die Indianer, die in den Sträuchern am Hang vor dem Talende kauerten. Thurman lief noch ein paar Schritte, ehe er in die Hocke ging und mit seinem M-16 das Feuer eröffnete. Der Rest seiner Männer schoß ebenfalls, und das endlose Rattern aus den automatischen Waffen hallte von den Felsen wider.

»Feuer einstellen!« befahl Thurman schließlich, und das Echo der Schüsse ließ sich noch eine Weile vernehmen, nachdem die Söldner die Finger von den Abzügen genommen hatten. »Alle in Position bleiben. Ihr zwei da kommt mit mir.«

Thurman führte Goza und Rijas in die Wolke von Pulverrauch, die durch die Staubfahnen trieb. Der Pulvergeruch wurde mit jedem Schritt intensiver, der sie den Sträuchern näherbrachte.

»Scheiße!« murmelte Thurman.

Was noch übrig war von dem, worauf sie geschossen hatten, hing teilweise in den Bäumen, teilweise war es noch an den Sträuchern angebunden. Stroh und Kleiderfetzen flatterten durch die Luft und wurden vom Wind hin und her getrieben.

»Scheiße!« murmelte Thurman wieder.

Sie hatten auf Puppen, auf Vogelscheuchen geschossen.

»Vier Mann werden vermißt!« rief jemand aus der Truppe.

Sie haben sie ausgeschaltet, als wir die Puppen unter Feuer genommen haben, erkannte Thurman und knirschte mit den Zähnen.

»Von jetzt an wird nicht mehr gespielt«, erklärte er dem Vietnamesen. »Wir erledigen sie.«

Er führte seine Gruppe nach Süden ins Talende, das von einem ausgetrockneten Flußbett eingenommen wurde. Thurman achtete auf seine Schritte, als die ausgetrocknete Erde unter seinen Füßen seltsam knirschte, und hielt nach möglichen Fallen Ausschau. Die Männer folgten ihm vertrauensvoll. Hinter ihm kamen die Araber, Ling und Rijas. Goza bildete die Nachhut.

Plötzlich hörte Thurman wieder das Schwirren und ließ sich sofort fallen.

»Pfeile!« rief er. »Runter!«

Thurman hatte recht gehabt mit den Pfeilen, lag aber falsch, was die Absicht seiner Gegner anging. Die Pfeile sausten mit brennender Spitze heran, landeten aber kurz vor den Männern im Boden. Thurman lachte zuerst, weil die Feinde so schlecht trafen, bis er mißtrauisch wurde und sich dann bewußt wurde, was die Brandpfeile bewirken sollten.

»Nein!« schrie er und sprang wieder hoch.

Aber es war schon zu spät.

Genau wie damals bei der schicksalsträchtigen Schlacht entzündeten die Brandpfeile auch jetzt den frisch kerosingetränkten Boden. Die ausgetrockneten Sträucher und Halme verwandelten sich sofort in ein Inferno, bis das ganze Talende brannte und Thurman und der Rest seiner Truppe von der Gluthitze eingeschlossen waren.

Die Männer wirbelten mit ihren Waffen herum und ballerten wild in die Gegend.

»Aufhören!« brüllte Thurman. »Sofort aufhören!«

Der Gegner wollte es ja gerade, daß sie in Panik gerieten, was für ihn gleichbedeutend mit einer Niederlage war. Die vordere Seite des Flammenkreises schien die Schwachstelle zu sein, sie hatte sich noch nicht vollständig geschlossen.

»Dort!« rief Thurman. »Dort müssen wir durch. Schnell, bevor sie kommen. Knallt sie ab, wenn sie angreifen, um uns den Rest zu geben. Los!« drängte er, als die Männer zögerten.

Er bildete jetzt den Schlußmann und jagte die Söldner nach draußen. Als der letzte durch die Lücke in der Flammenwand verschwunden war, atmete er tief durch, um ihnen zu folgen.

Er trat an den Feuerkranz und spähte hinaus, um festzustellen, wohin seine Männer gelaufen waren. Von ihnen war nichts mehr zu sehen.

Thurman trat so nahe an das Feuer, daß die Flammen schon nach seiner Haut leckten. Wasser stieg ihm in die Augen und erschwerte ihm zusätzlich die Sicht. Endlich machte er einen dunklen Graben aus, der schräg zu der Feuersbrunst verlief. Dorthin mußten seine Männer sich in Sicherheit gebracht haben.

Dann krachte etwas durch die Luft. Im nächsten Moment legte sich das Ende einer Bullenpeitsche um seinen Hals, und er wurde zurückgerissen. Thurman ließ die Waffen fallen, als er mit den Händen an die Schlinge fuhr. Er taumelte rückwärts und spürte, wie seine Beine nachgaben. Dann krachte er mit dem Hinterkopf auf den harten Boden. Die Peitsche löste sich ruckartig von seinem Hals und riß ein Stück Haut mit.

»Aufstehen«, befahl eine Stimme.

Thurman rollte auf die Seite und sah McCracken, der zusammen mit ihm in dem Feuerring stand. Er hatte die Peitsche eingerollt, hielt jetzt aber etwas anderes in der Hand, das er anscheinend um sein Handgelenk gewickelt hatte.

»Hoch mit Ihnen, Thurman!«

Thurman richtete sich langsam auf und täuschte Schwäche vor. Er wollte sich in die richtige Position bringen, um seine Waffen mit einem Sprung erreichen zu können. Doch als er vorsichtig zu ihnen hinsah, waren sie verschwunden.

»Ist lange her, was?« sagte McCracken.

Thurman stand auf. Blaine warf ihm das andere Ende des Lederriemens zu, den er sich um das Handgelenk gewickelt hatte.

»Binden Sie sich das um das linke Handgelenk, genau so«, befahl Blaine und hielt die Hand hoch, damit Thurman sehen konnte, was er meinte.

Thurman nahm das Ende, hielt es aber einfach nur fest.

»Keine Spielchen mehr«, sagte er heiser und schob den Unterkiefer vor.

»So muß es enden, Thurman, genau wie schon vor über hundert Jahren.«

Thurman band sich nun das Riemenende um. McCracken warf ihm ein glänzendes, handgeschmiedetes Messer zu. Es fiel vor Thurman auf den harten Boden.

»Ihre zweite Chance«, sagte Blaine. »Geben Sie Ihr Bestes.«

Thurman bückte sich und hob das Messer auf. Die Flammen leckten an der Luft im Innern des Kreises, der so gleichmäßig und symmetrisch war, als habe ein Künstler ihn geschaffen. Der Wind blies die Hitze nach innen und hüllte die beiden Männer darin immer wieder ein.

»Wir müssen leider improvisieren, Thurman, aber ich glaube, das reicht, um die Geister zufriedenzustellen.« Blaine zeigte seinem Gegner die Klinge des Messers, das er selbst in der Hand hielt.

»Sie sind ein Narr.« Thurman schloß die Finger um den Messergriff und straffte sich.

»Sagen Sie mir, für wen Sie arbeiten, und vielleicht lasse ich Sie dann am Leben.«

»Sie sind wirklich ein Idiot. Wer, glauben Sie, hat denn in der Bibliothek das Licht angemacht, um Ihnen das Leben zu retten?«

»Und warum haben Sie diese Mühe auf sich genommen?«

»Weil wir Sie brauchten«, antwortete Thurman, griff die Leine und streckte die Rechte mit dem Messer aus.

McCracken hatte so etwas geahnt und riß hart an der Leine, gerade als der große Mann zustechen wollte. Thurman verlor das Gleichgewicht, und sein Stoß ging ins Leere.

Im selben Moment, als Thurman an ihm vorbeiflog, holte Blaine mit seinem Messer aus und verletzte den Mann an der Seite. Thurman konnte gerade noch rechtzeitig ausweichen, um die Klinge daran zu hindern, in sein Fleisch einzudringen.

Er drehte sich rasch herum und versuchte, McCracken mit einem Ruck an dem Riemen zu täuschen. Aber Blaine vereitelte das Vorhaben mit einem gezielten Tritt unter Thurmans Kinn. McCracken setzte sofort mit erhobener Klinge nach. Doch Thurman lernte schnell und nutzte die Leine, um den Stich abzuwehren. Gleichzeitig wickelte er den Riemen um Blaines Arm. Er zog hart daran und ergriff die Gelegenheit zum Stoß. McCracken konnte nur den Arm hochreißen, um die Waffe abzuwehren, und erhielt einen tiefen Schnitt unterhalb des Ellenbogens.

Thurman zog sich grinsend ein paar Schritte zurück. »In den letzten Jahren habe ich ein wenig dazugelernt.«

Blaine verzog schmerzerfüllt das Gesicht und versuchte abzuschätzen, wie weit er den verletzten Arm noch einsetzen konnte. Thurman erkannte die Schwäche seines Gegners sofort. Er hatte nun zwei Möglichkeiten: Entweder versuchte er, den Kampf jetzt sofort endgültig zu beenden, oder er verlängerte die Auseinandersetzung, bis McCracken ihm eine eindeutigere Chance bot. Blaine vermutete, daß Thurman sich für letzteres entscheiden würde.

»Was meinen Sie damit, daß Sie mich gebraucht haben?«

»Sie sollten für uns den Jungen finden, nachdem er abgehauen war.«

Jetzt wurde McCracken einiges klar. »Sie waren diejenigen, die die Operation Offspring weiter …«

Thurman griff wieder an. McCracken wich ihm rückwärts aus und zog sich bei jeder Attacke weiter zurück, bis die Flammen an seinem Rücken brannten.

»Wo steckt der Junge, McCracken? Geben Sie ihn uns, und Sie können Ihrer Wege ziehen.«

Thurman versuchte, ihn wie einen Fisch an der Angel einzuholen, zog ihn mit dem Riemen zu sich heran und forderte ihn gleichzeitig auf, seinerseits anzugreifen.

McCracken schluckte schließlich den Köder und ließ sein Messer vorschnellen. Thurman nutzte den Riemen, um die Klinge zu umschlingen, und ruckte dann daran. Das Messer wurde aus Blaines Hand gerissen, schlidderte über den Boden und landete am Rand des Flammenrings.

»Ich werde ihn auch so finden«, höhnte Thurman.

Und damit stürzte er sich auf McCracken. Blaine wartete, bis die Messerspitze fast seinen Bauch erreicht hatte, und ließ sich dann zur Seite fallen. Thurmans Klinge traf nur Luft, wo sich vorher noch sein Gegner befunden hatte. Statt ihn zu stoppen, zerrte McCracken an dem Riemen, der fest um sein Handgelenk gewickelt war, und schleuderte Thurman gegen die Flammen.

Blaine hörte die furchtbaren Schreie des Mannes, als er in die Feuerwand fiel. Sein Messer hatte Thurman unter dem entsetzlichen Schmerz völlig vergessen, der die Minuten auf Stundenlänge dehnte. Er brüllte immer noch und bedeckte mit beiden Händen die Augen, als McCracken ihn mit einer Hand aus dem Flammenring zog und mit der anderen sein Messer aufhob. Thurman rollte noch über den Boden, als Blaine ihm sein Messer über die rechte Gesichtshälfte zog in einem Schnitt, der fast genau so verlief wie die Narbe auf der linken Seite.

»Jetzt passen sie wieder zueinander«, höhnte McCracken.

Thurman, der sich aufgerichtet hatte, ließ den Unterkiefer nach unten fallen und wollte gerade schreien, als Blaine ihm die Beine wegtrat und ihm das Messer an die Kehle setzte.

»Dreckskerl!« krächzte Thurman, während das Blut aus der Wunde schoß. McCracken drückte ihm die Messerspitze fester gegen den Hals.

»Leben oder sterben, Sie haben die freie Wahl. Für wen arbeiten Sie? Wer hat die ganzen Jahre über die Operation Offspring am laufen gehalten?«

»Fahren Sie zur Hölle!«

Die Klinge fuhr seitwärts nach unten und drang tief in das Fleisch von Thurmans Oberarm ein. Thurman schrie wieder auf.

»Für wen?« fuhr Blaine ihn an.

»Sie können mich mal! Sie hätten schon in Kuba sterben sollen. Ich habe ihm gesagt, ich könne das sehr gut allein erledigen.«

McCrackens Magen zog sich zusammen. »Was wissen Sie über Kuba?«

Thurman hätte jetzt gelächelt, wenn die Schmerzen nicht so groß gewesen wären. »Ich bin nicht ganz so blöd, wie ich aussehe.«

»Himmel noch mal! Sie haben alles arrangiert, um mich dorthin zu locken! Und mir dann die Miliz auf den Hals gehetzt, damit Harry mich retten konnte. Und Sie haben mich auch darauf angesetzt, Marokow zu erledigen. Er hat für Sie gearbeitet!«

»Und Sie haben es verquasselt und den ganzen schönen Plan vermasselt.«

Dann erinnerte sich Blaine an das Bild, das Marokow ihm in der Buena-Vista-Bar gezeigt hatte, bevor es dort zu der Schießerei gekommen war.

›Sie haben einen Job für mich. Es geht um diesen Mann hier. Ich glaube, Sie kennen ihn‹, hatte der Russe ihm erklärt.

»Sieht mir ganz so aus, Thurman, als hätten Sie auch was vermasselt«, knurrte McCracken. »Marokow war nämlich in Cárdenas, um einen Auftrag auszuführen: Sie zu erledigen.«

»Sie spinnen!«

»Er hat mir ein Bild von Ihnen gezeigt. Hat ganz so ausgesehen, als hätte sich jemand gesagt, der Mann ist nicht mehr tragbar. Ich schätze, Sie haben in diesem Moment, in dem wir so nett miteinander plaudern, gerade noch Galgenfrist. Oder stehen Sie immer noch auf der Abschußliste?«

Wut breitete sich auf Thurmans Zügen aus und verdrängte den schmerzerfüllten Ausdruck. »Dieser Scheißkerl!«

»Wer?«

»Der fette Mann.«

»Livingstone Crum? Arbeiten Sie für den? Steckt er hinter allem?«

Thurman machte sich nicht die Mühe zu nicken.

»Dann hat die Firma diesen kleinen Privat-Club also doch nicht ausgeschaltet«, sagte Blaine. »Die ganze schlechte Presse wegen dieser Strahlungstests an den geistig Behinderten hat wohl nicht gereicht. Was haben Sie vermasselt, Thurman? Warum ist der fette Mann sauer auf Sie?«

»Wegen Joshua Wolfe«, antwortete Thurman plötzlich ganz ruhig. »Die ganze Operation unterstand mir. Ich war die einzige Verbindung zu dem Jungen.«

»Was denn für eine Operation?«

»Es war nicht der Junge, der die siebzehnhundert Menschen in der Einkaufspassage im Cambridge getötet hat … Das waren wir.«