Kapitel
24

»Sie stehen auf keiner meiner Listen«, sagte der Wachtposten am Haupttor zum regierungseigenen Laboratorium Brookhaven am Donnerstagnachmittag zu Blaine McCracken.

»Das versteht sich doch wohl von selbst. Darum heißt es ja Überraschungsinspektion.« Blaine schwieg kurz und hoffte, daß seine Behauptung durch die bedeutungsschwere Pause überzeugender wirkte. »Es genügt, wenn Sie sich unsere Papiere ansehen.«

Genau das tat der Wachtposten nun, und Blaine wandte sich währenddessen seinem Beifahrer zu. Johnny Wareagle hatte die Beine unters Armaturenbrett geklemmt, seine Knie schabten am Handschuhfach. Trotzdem stieß er mit dem Kopf ans Fahrzeugdach. Kein Auto war für seine Zweimeterlänge und Hundertkilostatur konzipiert. In der Enge der Limousine sah Johnny steif und lahm aus; doch dieser Eindruck würde verfliegen, sobald er ausstieg und sich frei bewegen konnte. Blaine war nie einem Menschen begegnet, der schneller war als der Indianer oder mehr bewirken konnte, wenn es hart auf hart kam.

Sal Belamo hatte ihnen eine der wenigen Tarnungen verschafft, die sofortigen Zugang nach Brookhaven garantierten. Sie hatten Dienstausweise von Inspektoren der Umweltschutzbehörde sowie den schriftlichen Auftrag, wegen andauernder Beschwerden von Anwohnern über giftige Chemikalien im Grundwasser einen Kontrollbesuch in Brookhaven vorzunehmen. Und falls jemand die Umweltschutzbehörde anrief, um sicherheitshalber nachzufragen, würde er die Auskunft erhalten, daß man tatsächlich zwei Inspektoren mit der Durchführung genau dieser Maßnahme betraut hatte. Wenn Sal Belamo etwas machte, machte er es richtig.

Der Wachmann lehnte sich, den Telefonhörer noch am Ohr, aus dem Schiebefenster des kleinen Wachhäuschens. »Es kommt gleich jemand und holt Sie ab. Entschuldigen Sie die Umstände.«

Blaine nickte dem Posten zu. Er und Johnny brauchten nicht lange zu warten. Auf der anderen Seite des Tors fuhr ein gelbbraunes Fahrzeug vor. Es war mit der gleichen Kennzeichnung versehen, die der Wachtposten am Hemd trug. Die Beifahrertür sprang auf, und heraus stieg ein Mann in einem Anzug.

»Ich bin Dr. Childress, Brookhavens Verwaltungsdirektor«, stellte er sich vor, als er an McCrackens offenem Wagenfenster stand. »Ich war gerade in einer Konferenz. Sonst hätte man Sie nicht so lange warten lassen.«

»Wir würden nun wirklich gerne an die Arbeit gehen, Doktor«, antwortete Blaine mit einem Anklang von Ungeduld in der Stimme. »Wir haben noch einen langen Nachmittag vor uns.«

»Na, ich kann Ihnen sagen, das wird pure Zeitverschwendung sein. Bei der letzten Inspektion sind keine ausgetretenen toxischen Substanzen nachgewiesen worden, und genauso war es bei der vorletzten Kontrolle.«

»Erzählen Sie das mal den Leuten, die ihr Trinkwasser nicht mehr nutzen können. In deren Interesse sind wir gekommen.«

Versöhnlich nickte Childress. »Wenn Sie damit einverstanden sind, Ihren Wagen auf dem Besucherparkplatz abzustellen, fahren wir zusammen zum Hauptgebäude.«

»Wir haben eine Menge Geräte mit«, meinte Blaine.

»Dann fahren Sie mir einfach nach«, sagte Childress und ging zu dem gelbbraunen Schutzdienstfahrzeug.

Colonel Fuchs hatte Joshua am Donnerstagnachmittag die Neuigkeit persönlich mitgeteilt, nachdem er ihn den Morgen über hatte warten lassen in der Hoffnung, er würde seine Zurückhaltung aufgeben vor lauter Begeisterung, weil er an die Arbeit gehen durfte.

»Ich habe Ihnen für den Rest des Tages die Labors Eins und Zwei reserviert. Es tut mir leid, daß es so lange gedauert hat, sie freizubekommen.«

Ungerührt betrachtete ihn der Junge. »Ich habe ja genügend Zeit.«

»Für die Verbesserung CLAIRs, meine ich natürlich. So habe ich das Gesuch verstanden, daß mir Dr. Haslanger von Ihnen ausgerichtet hat.«

Josh nahm alles stoisch zur Kenntnis. »Ich möchte allein arbeiten. Ohne Zuschauer.«

»Dr. Haslanger hat darum gebeten, daß er …«

»Allein«, wiederholte Joshua.

»Aber es könnte doch der Fall sein, daß Sie etwas brauchen, und …«

»Dann besorgt Dr. Lyle es mir.«

»Na gut. Wie Sie wollen.«

»Es ist nie fertiggestellt worden«, beharrte Childress, nachdem ihm McCracken mitgeteilt hatte, daß er die Absicht habe, das mit Brookhavens Sondermülldeponie verbundene, große Abflußrohr zu inspizieren. Es war das Rohr, das Blaine auf Sal Belamos Bauplänen gesehen hatte. Childress' Worte galten McCracken, aber es fiel ihm sichtlich schwer, den Blick von Johnny Wareagle zu wenden. »Wir konnten doch damals vom Umweltministerium gar keine Baugenehmigung dafür erhalten.«

»Es mag sein, daß Sie es nicht fertiggestellt haben«, entgegnete Blaine.

Childress erwiderte McCrackens festen Blick. »Sie meinen …?«

»Sehen Sie, Mr. Childress …«

»Doktor.«

»Dr. Childress, an Gruppe Sechs komme ich nicht ran. Ich weiß das und Sie wissen das. Und Sie und ich, wir wissen beide, daß die Gundwasserverunreinigung von irgendwo dort ausgeht. Also, ich habe eine Theorie, und ich möchte, daß Sie mir dabei behilflich sind zu überprüfen, ob sie stimmt. Ich bin der Auffassung, daß die Abwasserleitungen im geheimen fertiggestellt wurden, und zwar zur gleichen Zeit, als man den von Ihnen aufgegebenen Rohbau zu Ende gebaut hat. Wenn ich beweisen kann, daß das der Ursprung der Kontamination ist, werde ich, falls Gruppe Sechs sich nicht kooperativ zeigt, Himmel und Hölle in Bewegung setzen, ganz zu schweigen von der Alarmierung der Öffentlichkeit, um zu erreichen, daß ihr der Laden dichtgemacht wird.«

Offenbar überzeugte Blaines tiefernster Tonfall Childress. »So weit würden Sie gehen?«

»Jemand muß es tun.«

»Warum?«

»Weil mit dieser Sauerei hier Schluß sein muß.«

Die Kooperation des Brookhavener Verwaltungsdirektors war McCracken als unerwarteter, nicht einkalkulierter Vorteil zugefallen. Abhängig war sein Plan davon nicht gewesen, obwohl dienstliche Berichte von Childress – auch sie waren von Sal Belamo besorgt worden – regelmäßig sehr kritische Stellungnahmen zu Gruppe Sechs enthielten.

Die Tatsache, daß das Pentagon diese Abteilung ausgerechnet hier stationiert hatte, war von vielen Mitarbeitern des Laboratoriums Brookhaven mit Mißfallen aufgenommen worden, eine Situation, die sich seit längerem infolge der wiederholten Klagen über die Umweltverschmutzungen verschärfte, für die man Brookhaven die Schuld gab. Außerdem hatten unbestätigte Gerüchte über menschliche Versuchskaninchen und gräßliche Tierversuche die Spekulation über die Frage angeheizt, was sich wohl eigentlich hinter den geschlossenen Türen und Fenstern des Gruppe-Sechs-Gebäudes abspielte.

»Sogar ich bin noch nie bei denen im Hauptquartier gewesen«, bekannte der Verwaltungsdirektor. »Keiner hier in Brookhaven hat es je betreten dürfen. Wir haben im Grunde genommen nicht mehr mit ihnen zu tun, als daß wir ihre … ihre Gäste durch unser Gelände zu ihnen fahren.«

»Ach so ist das.«

Johnny und Blaine trugen ihre schweren Ausrüstungstaschen durch einen langen Flur im zweiten Untergeschoß der Müllbeseitigungsanlage Brookhavens. Der Gang führte zur Anschlußstelle des unvollendeten Abwasserrohrsystems. Sie hatten fast den vollen Mittwochabend und einen Teil des heutigen Tages damit zugebracht, die Ausrüstung zu beschaffen und sich mit ihrem Gebrauch vertraut zu machen. Natürlich bestand die Möglichkeit, daß der gesamte Aufwand vergeblich war und sie am anderen Ende des Abflußrohrs, von dem Blaine sich so sicher war, daß Gruppe Sechs es benutzte, gar nichts vorfanden. Aber falls sein Verdacht sich als richtig erwies, hatten er und Johnny freien Zugang unter das ansonsten unerreichbare Grundstück von Gruppe Sechs, und Zutritt zu allem, was sich dort verbarg.

Blaine ging außerdem davon aus, daß sie bei Gruppe Sechs auch Erich Haslanger finden würden. Alles an Harry Limes Verschwinden deutete auf eine Verantwortung Haslangers und eine Komplizenschaft der Gruppe Sechs hin. Es paßte einfach alles zu gut zusammen.

Als man die Fabrik schloß, hatte Haslanger mit dem Rückhalt General Starrs, dem gegenwärtigen Vorsitzenden des Vereinten Stabschefs, an Operation Offspring weitergearbeitet. Und General Starr war es auch gewesen, der Jahre später Haslangers Versetzung zu Gruppe Sechs veranlaßt hatte.

Wenn sich hier die Gründe für das aufdecken ließen, was Harry Lime eventuell das Leben gekostet hatte, dann sollten Haslanger und Gruppe Sechs dafür noch schwer büßen.

»Bisher wollte noch keiner der Inspektoren diesen Teil der Anlage sehen«, meinte Childress, während er Johnny und Blaine durch den unbenutzt wirkenden, nur spärlich beleuchteten Flur führte.

»Weil sie bloß das Routine-Programm abgezogen haben. Damit gebe ich mich nicht zufrieden.«

Sie kamen zu einer schweren Stahltür und blieben stehen. Childress tippte einen Code in das Kombinationsschloß, und die Stahltür rollte beiseite. Der Raum dahinter roch muffig wie alle unbenutzten Räumlichkeiten. Diverse Maschinen und Geräte stapelten sich auf dem Fußboden. Manche befanden sich noch in den Originalkartons. Tische und offenbar speziell angefertigte Untergestelle standen leer da.

»Hier sollte sich, bevor das Umweltministerium uns den Hahn zugedreht hat, der Zugang zu einer neuen, sichereren Deponie befinden«, erläuterte Childress und führte sie hinein.

»Das da sollte den Einstieg in das Leitungssystem ermöglichen.«

Er führte die beiden zu einer Luke, deren Durchmesser kaum über achtzig Zentimeter betrug. Sie erinnerte Blaine an die Art von Luken, die man sonst bei U-Booten kannte, und schon bei dem Gedanken, sich da hindurchzwängen zu müssen, befiel ihn eine klaustrophobische Anwandlung. Childress drehte das Handrad und öffnete die Luke. Durch das Loch sah man nur Dunkelheit.

»Der Stollen verläuft im Fünfundvierziggradwinkel einhundertfünfzig Meter weit abwärts.«

»Also bis unters Gruppe-Sechs-Grundstück.«

»Ganz knapp.«

»Dann werden wir uns«, sagte McCracken, »die Sache mal anschauen.«

»Er vertraut Ihnen, Dr. Lyle«, meinte Colonel Fuchs zu Susan. »Das müssen wir zu unseren Gunsten ausnutzen.«

»Was glauben Sie, Colonel, auf welcher Seite ich stehe?«

»Ausschließlich auf Ihrer eigenen Seite, genau wie ich. Sie sollten es besser wissen und sich nicht etwa einbilden, Sie stünden auf der Seite des Jungen. Sie wollen Abhilfe, eine Heilmethode, bevor Ihr Leib innerlich zerfressen wird, so wie es Ihren Eltern passiert ist. Es ist hart, so dicht vor der potentiellen Lösung all Ihrer Probleme zu stehen und sie nicht greifen zu können, nicht wahr? Mit mir und Joshua Wolfe zusammenzuarbeiten, wird uns beiden, Ihnen ebenso wie mir, von Vorteil sein.«

Susan schüttelte den Kopf. »Sie sollten sich wirklich einmal selbst reden hören.«

»Ich bin nichts anderes als ein Realist, so wie Sie. Die Molekulartechnik, die der Junge beherrscht, umfaßt auch das Potential zur Reparatur einzelner Zellen … das Heilmittel gegen Krebs, Doktor. Ein hohes Ziel, und ich bin vollauf dazu bereit, den Jungen darauf anzusetzen, sobald er uns das verschafft hat, was Gruppe Sechs braucht.«

»Ihnen geht es doch nur darum, sich selbst zu retten.«

»Auch etwas, das wir gemeinsam haben und das der Junge für uns leisten kann. Lassen Sie uns mit diesem Geschwafel aufhören und statt dessen einfach feststellen, daß er uns liefern muß, was wir benötigen. Soviel ist uns doch beiden klar. Es kann alles einfach oder schwierig ablaufen, aber sollte es für uns problematisch sein, dann wird es doppelt so problematisch für Ihren jungen Freund.«

Fuchs verstummte und rückte Susan näher. »Bringen Sie ihn zum Plaudern, Dr. Lyle. Überreden Sie ihn, uns die Originalformel von CLAIR zu verraten.«

»Und was dann?«

»Sie bleiben seine Betreuerin und Überwacherin, während ich Ihnen eine hohe Position beim Bundesgesundheitsamt besorge. Sobald Sie dort etabliert sind, erlaube ich Joshua Wolfe, einen Teil seiner Tätigkeit in die Erarbeitung einer Krebsheilmethode zu investieren, für die anschließend Sie das Verdienst einheimsen.«

»Was wird mit ihm?«

»Seine Beteiligung muß geheim bleiben.«

»Dahin ging meine Frage nicht.«

»Er bleibt hier.«

»Für immer?«

»Solange ich das wünsche. Natürlich wird er für uns beide arbeiten. Ich will wirklich fair sein.«

»Kann sein, Colonel, und ich will auch fair zu Ihnen sein. Darum möchte ich, daß Ihnen eines vollkommen klar ist: Sollten Sie, wenn ich nicht mehr hier bin, irgend etwas, auch nur das kleinste bißchen tun, das dem Jungen das Leben noch schwerer macht, höre ich nicht auf zu reden, bis die ganze Nation die volle Wahrheit darüber weiß, was sich in dieser angeblichen Forschungsstätte abspielt.«

Fuchs musterte sie für eine längere Weile, ehe er antwortete. »Sie haben es hier mit den allerhöchsten Instanzen der Macht zu tun, Doktor. Es wäre klug von Ihnen, das zu beachten.«

»Vielen Dank für den Rat.«

Johnny und Blaine zogen kontaminationssichere Schutzanzüge an, in deren Helmen hochwertige Luftfilter eingebaut waren und die für den Fall, daß das nicht genügte, über einen Sauerstoffvorrat für fünfzehn Minuten verfügten. Die beiden ließen Childress im Vorraum stehen und stiegen mit einer der Werkzeugtaschen in den schräg nach unten verlaufenden Stollen. Darin war es zu eng, um die Tasche über der Schulter tragen zu können. Darum schob Johnny, der Blaine ins Dunkel folgte, sie auf dem Boden vor sich her.

Mit dem Vorankommen hatten sie keine Probleme. Der mit kaltem, glänzendem Stahl verkleidete Gang ließ sich, zumal abwärts, mühelos begehen. Licht spendeten ihnen zwei starke Stablampen. Unterwegs versuchte Blaine die tatsächliche Länge der Strecke abzuschätzen.

Childress hatte erklärt, daß der Stollen an einer zweiten, automatischen Luke endete, durch die man in das Abflußrohr gelangte, das fast einen Kilometer tief in die Erde verlief. Falls Blaine dort in der Richtung zum Gruppe-Sechs-Hauptquartier in eine Sackgasse geriet, war seine Theorie widerlegt; dann müßten Johnny und er den Rückzug antreten.

»Wir sind gleich am Ende des Stollens, Indianer«, rief er Wareagle über die Schulter zu. »Ich glaube, ich sehe die Luke.«

McCracken leuchtete mit der Stablampe weiter voraus. Die von Childress beschriebene Luke, durch die man tiefer in die Erde vordringen konnte, war wirklich vorhanden. Aber das war auch schon alles. Wo Blaine gehofft hatte, ein Rohr zum Gruppe-Sechs-Gebäude zu entdecken, stand er plötzlich vor einer festen Erdwand.

»Tja, das sieht so aus, als wären wir schon am Ende angelangt, Indianer.«

»Vielleicht nicht, Blainey. Hier fehlt was.«

McCracken lenkte den Lichtkegel der Lampe rundherum und überlegte, was Wareagle meinte. »Staub«, konstatierte er einen Moment später.

Er untersuchte die Umgebung der Luke und stemmte sich gegen die Erdwand. »Reich mir doch mal …«

McCracken drehte sich um und sah, daß Wareagle ihm schon einen Hammer entgegenstreckte. Blaine nahm ihn und klopfte die unregelmäßig beschaffene Erdwand ab – erst leicht, dann kräftiger. Kein Staub rieselte herab, keine Brocken brachen heraus. Einige Male schlug Blaine so kraftvoll zu, wie er konnte. Wiederum entstand keinerlei Staub.

»Eines muß man der Gruppe Sechs lassen, Indianer«, meinte McCracken anerkennend. »Sie leistet verdammt gute Arbeit.«

Wareagle schob sich neben ihn und tastete die Wand ab. »Mit Epoxy überzogener Stahl.« Er befühlte und befingerte die Wand. »Auf dieser Seite gibt's keine Schalter zum Öffnen der Luke, Blainey.«

»Wenn das Stahl ist, läßt er sich schmelzen, Indianer«, antwortete Blaine. »Hol die Schweißbrenner raus, wir fangen sofort an.«

Am Nachmittag durfte Joshua Wolfe sich zwar allein in den Labors aufhalten, doch er tat nichts, ohne dabei beobachtet zu werden. Kameras verfolgten jede seiner Bewegungen, ja buchstäblich alles, was in den beiden für Gen- und Molekulartechnik bestimmten, modernsten Labors der Gruppe Sechs geschah. Das Gruppe-Sechs-Forschungsteam sah in ehrfürchtigem Staunen zu und konnte kaum nachvollziehen, was dort passierte.

Die meiste Zeit hatte der Junge damit zugebracht, einem der Cray-Computer von Gruppe Sechs Informationen einzugeben.

Erich Haslanger sah am Monitor alles mit an, und auf seinem Bildschirm erschienen dieselben Daten wie auf Wolfes. Doch sie änderten sich zu zügig, als daß er hätte mithalten oder gar verstehen können, woran der junge Mann arbeitete.

Nach ein paar Stunden war Joshua Wolfe in die Labors gegangen und hatte dann die meiste Zeit am Elektronenmikroskop gesessen. Gleichzeitig hatte er Roboter-Arme bedient, die in einer luftdicht verschlossenen Kammer mit mechanischen Händen und Fingern Handlungen und Verrichtungen mit einer Genauigkeit ausführten, die die Fähigkeiten der menschlichen Gliedmaßen um das Tausendfache übertrafen.

»Was macht er denn gerade?« erkundigte sich Fuchs bei Haslanger. Sie beide hielten Wolfe über einen Monitor unter Beobachtung.

»Ich glaube, er schließt soeben eine weitere Phase einer Verbindung ab, die er mit der jetzigen Form von CLAIR mischen will«, antwortete Haslanger.

»Zu welchem Zweck?«

»Er will den Fehler korrigieren, der verursacht hat, daß die Originalformel menschliches Blut mit Sulfaten und Nitraten verwechselt hat. Die Verbindung, die er da erzeugt, muß genetische Markierer enthalten, um die Wirkungsweise des Organismus genauer zu spezifizieren.«

Fuchs konnte seine Verärgerung nicht verbergen. »Ich hatte es so verstanden, daß er die Originalformel preisgeben muß, um diese Veränderung zustandezubringen. Sie ließen mich das so verstehen.«

»Ich habe mich getäuscht. Die Daten, die wir bisher gesehen haben, umfassen lediglich die Teile der Formel, die durch die Verbindung, an der er momentan arbeitet, direkt beeinflußt werden sollen.« Der Wissenschaftler schüttelte langsam den Kopf.

»Ihr gestriger Vorschlag, Doktor, lautete doch, wenn ich mich recht entsinne, dem Jungen unsere Labors in der Erwartung verfügbar zu machen, daß er uns im Verlauf seiner Arbeit die komplette CLAIR-Formel verrät.«

»Ich habe von Hoffnung gesprochen, Colonel, nicht von Erwartung.«

Fuchs' Aufmerksamkeit war wieder auf den Bildschirm gerichtet, auf dem zu sehen war, wie Joshua Wolfe mit einem Fläschchen klarer Flüssigkeit hantierte. »Ihre Einstellung in dieser Angelegenheit gefällt mir immer weniger, Doktor.«

»Leider verstehe ich nicht, was Sie meinen.«

»Nun machen Sie aber mal einen Punkt, Doktor. Daß der Junge Ihr Geschöpf ist , gibt Ihnen kein Recht, hier den sentimental verblödeten Papi zu spielen. Wenn Sie auf ihn und seine Leistungen stolz sein möchten, muß der Junge CLAIRs Originalformel rausrücken.

General Starr hat sich bezüglich der Konsequenzen, die der am Dienstag gescheiterte Test haben wird, ganz unmißverständlich geäußert. Uns bleibt nur noch wenig Zeit, um den Fortbestand von Gruppe Sechs zu sichern. Zeit ist jetzt überaus kostbar. Wir können sie nicht damit verplempern, den Bengel zu verhätscheln und zu umschmeicheln.«

»Meine Bestrebungen sind langfristiger Natur, Colonel.« Haslanger sprach, ohne den Blick vom Monitor zu wenden. Er behielt jede Bewegung Joshua Wolfes mit höchster Achtsamkeit im Auge.

»Wenn Verhätscheln und Schmeicheln dazu beiträgt, daß sich der Junge bei uns wohl fühlt, werden die Leistungen, die er für uns erbringt, keine Grenzen kennen.«

Fuchs' Miene wechselte zwischen Feixen und Schmunzeln. »Ach, er wird schon was leisten, darauf können Sie sich verlassen, und zwar bald. Wissen Sie, ich habe mir nämlich eine neue Strategie überlegt …«