Kapitel
29

»Trupp Eins, Meldung«, sprach Sinclair in sein Funksprechgerät.

»Trupp Eins in Position an Gebäudevorderseite.«

»Trupp Zwei, Meldung.«

»Trupp Zwei in Position an Gebäuderückseite rechts.«

»Trupp Drei, Meldung.«

»Trupp Drei in Position an Gebäuderückseite links.«

»Trupp Vier, Meldung.«

»Trupp Vier in Stellung an der Westseite.«

»Trupp Fünf, Meldung.«

»Trupp Fünf in Stellung an der Ostseite.«

»Scharfschützen, Meldung.«

»Rot in Position.«

»Blau in Position.«

»Grün in Position.«

»Weiß in Position.«

Hochzufrieden mit dem reibungslosen Ablauf, nickte Sinclair vor sich hin. »Trupp Zwei und Drei vorrücken!«

An der Rückseite des der Straße nächststehenden Gebäudeteils schlichen sechzehn schwarze Gestalten vorwärts, acht an jeder Seite. Sie gingen nach der üblichen militärischen Methode vor: jeweils zwei Mann huschten voran und gaben dann dem nachfolgenden Paar Kämpfer Feuerschutz.

So erreichten sämtliche Angehörigen beider Trupps die zum endgültigen Sturm der Eingänge geeignete Position.

»Trupp Zwei bereit zum Angriff.«

»Trupp Drei bereit zum Angriff.«

Ausgezeichnetes Timing, sagte sich Sinclair, als er das Funksprechgerät erneut an die Lippen hob. »Dann vorwärts zum Angriff!«

Kurzes Schweigen folgte.

»Trupp Zwei eingedrungen. Keine Gegenwehr.«

»Trupp Drei eingedrungen. Keine Gegenwehr.«

»Weiter zum Hauptflügel«, befahl Sinclair, der jetzt leichter atmete. »Trupp Eins vorrücken!«

Die acht Mitglieder von Trupp Eins sprangen vor und besetzten Positionen beiderseits des Haupteingangs, durch den man ins Schulfoyer gelangte.

»Trupp Eins bereit zum Angriff.«

»Trupp Eins vorwärts!«

Der Truppführer gab einem Mann mit einem M-40-Granatwerfer Zeichen. Der Kämpfer vollführte einen Satz vor die Glastüren und feuerte dicht hintereinander zwei Geschosse ab: Zuerst ein Standardprojektil, das Türen, Türrahmen und alles übrige aus den Eingangsmauern sprengte und Glassplitter durchs ganze Foyer hageln ließ. Das zweite Geschoß verströmte dichten, grauen Rauch, der genügte, um den Vorstoß von Trupp Eins ins Gebäude vollkommen zu verdecken.

»Trupp Eins dringt ins Haus ein«, meldete der Truppführer leise. Dann stieß seine Hand durch die Luft und gab den Männern das Zeichen.

McCracken lauerte am oberen Treppenabsatz, hielt wegen des widerwärtigen Qualms, der aus dem Foyer heraufquoll, den Atem an und gab sich alle Mühe, nicht zu husten. Er wußte, daß die Soldaten erwarteten, mit Kugeln empfangen zu werden, und der dichte Rauch sie beim Angriff schützen sollte.

Diesen Zweck erfüllte das Gewaber durchaus. Blaine erahnte die Gestalten, die durchs Foyer hasteten, mehr, als daß er sie sah. Allerdings hatte er nicht die Absicht, sie mit Kugeln zu beschießen. Statt dessen hob er das Glas mit dem Ammoniumhydroxid hoch, das Susan Lyle besorgt hatte, und schleuderte es übers Geländer mitten ins Foyer hinab.

Beim Aufprall zerklirrte das Glas, der Inhalt mischte sich mit Sauerstoff, und die Wirkung setzte sofort ein. Sehen konnte Blaine zwar so gut wie nichts, doch die furchtbaren Hust-, Würge- und Röchellaute sagten ihm alles über den Effekt, den die giftigen Dämpfe auf Nase und Bronchien der Eindringlinge hatten.

Ihm selbst brannten schon Augen und Kehle, als er zwei der so sorgsam zurechtgebastelten Rohrbomben aus dem Gürtel zog. Er flammte die Zündschnüre an und zählte die Sekunden. Unten im Foyer rappelten sich undeutliche Gestalten von den Knien auf und behandschuhte Finger betasteten Gesichter. Manche tappten blindlings umher und versuchten aus dem Gebäude herauszukommen.

Blaine warf die erste Bombe zwischen diese Bewaffneten und den Ausgang. Die zweite Bombe flog ins dichteste Wallen des Qualms, wo sich immer noch der größere Teil der Männer aufhielt.

Die Explosionen verursachten dank des Phosphors grelles Aufblitzen, und Schreie zeigten an, daß auch der restliche Inhalt funktionierte. Blaine zog sich vom Treppenabsatz zurück, bedeckte die Augen und versuchte durch Schlucken die Schmerzen in seinem Hals zu lindern.

»Einsatzleitung, bitte melden!«

»Trupp Eins, was ist pas…«

»Wir sind getroffen worden, schwer getroffen. Granaten und irgendein chemischer Scheiß.«

Sinclair fühlte, wie sich alles in ihm zusammenzog. »Aber sie haben überhaupt keinerlei …«

»Ich habe Verwundete. Verluste! Hier herrscht das reinste Chaos.«

»Trupps Zwei und Drei, Ihr Ziel ist jetzt die Gebäudevorderfront. Verstärkter Einsatz am Hauptflügel!« Sinclair beschloß, auf die Übermacht zu bauen, obwohl ihn tief im Innersten eine Ahnung plagte, daß Rückzug nun vielleicht der klügere Entschluß wäre.

»Sinclair!« schnauzte Fuchs' Stimme aus dem Funkgerät. »Was geht da vor? Sinclair, hören Sie mich?«

Bevor er sich melden konnte, schossen aus dem langgestreckten, einstöckigen Anbau der Schule mit fürchterlichem Donnern, das die folgenden Schreie übertönte, hellorangefarbene Stichflammen empor.

Trupp Zwei war durch den linken Korridor von der Rückseite der Schule nach vorn zum zweistöckigen Haupthaus vorgedrungen. Als die Männer die Glastür erreichten, hinter der der letzte Abschnitt des Flurs zum Foyer lag, schickte der Truppführer mit einem Wink zwei Soldaten vor. Der Rest hielt sich im Hintergrund, bis die beiden Männer die Türflügel aufrissen. Anschließend hatten die Truppmitglieder nacheinander – in versetzten Abständen, um die Folgen eines Hinterhalts zu minimieren – durch den Flur ins Foyer stürmen sollen.

Der Zug an den Türgriffen und damit an der Kordel, die die Tür mit den Acetylentanks verband, hatten die Behälter umkippen und die Stufe hinunterrutschen lassen. Die Kante mit den von Johnny Wareagle schon weitgehend gelockerten Ventilen war auf die Bücher gekippt.

Mit lautem Fauchen entwich der in den Behältnissen angestaute Druck, die Tanks wuchteten mit heftigem Ruck vorwärts, ihr dampfender Inhalt schwappte heraus und floß zusammen. Ein paar der vorderen Männer drückten unwillkürlich die Abzüge ihrer M-16-Gewehre durch. Sofort lieferten Hitze und Mündungsfeuer den Funken, den es zur Entzündung brauchte.

Die Detonation erschütterte das gesamte Schulgebäude, und ein langer Riß lief durch den Korridor. Flammen loderten in die Höhe. Auf die heiße, blaue Glut, die sich rasch orangerot färbte, prasselte die Decke herab. An beiden Seiten des Flurs barsten die Mauern und stürzten ein. In dem Krachen und Rumpeln gingen die Schreie der Opfer unter. Eine Druckwelle erhitzter Luft erreichte McCracken sogar im Obergeschoß, und er schnappte nach Luft, taumelte fast zu Boden. Er lehnte sich kurz zum Verschnaufen an die Wand, bevor er weiterlief.

»Trupp Zwei!« schrie Sinclair ins Funkgerät. »Trupp Zwei, melden Sie sich! Trupp Zwei, wo stecken Sie?«

Das Feuer, das den Mittelabschnitt des langgestreckten Nebengebäudes verschlang, gab ihm die Antwort. Womit McCracken auch zugeschlagen haben mochte, es hatte den Trupp vollzählig erwischt.

»Einsatzleitung! Einsatzleiter, bitte melden!«

Sinclair hob das Funksprechgerät wieder an die Lippen. »Trupp Drei, hier spricht die Einsatzleitung.«

»Was zum Teufel ist da eigentlich los? Irgendwelche dicken Knaller haben das Gebäude demoliert.«

»Wo sind Sie, Trupp Drei?«

»Wir nähern uns dem Hauptflügel … Wir sind fast an der Bücherei.«

»Seien Sie äußerst vorsichtig, Trupp Drei. Ich wiederhole, höchste Vorsicht ist …«

»Verdammt noch mal, was …«

»Trupp Drei?!«

»Scheiße …! Feuer! Feuer frei!«

»Trupp Drei, was geht da vor?«

Sinclair hörte neue Schreie, und das Funksprechgerät in seiner Hand zitterte.

Die Schutzbrille ordnungsgemäß aufgesetzt, sprühte Johnny Wareagle den Inhalt des Feuerlöschers auf die Schwefelsäure, die er gleichmäßig auf den Fußboden des Flurs ausgegossen hatte. Ehe er den Auslöser betätigte und die Löscherfüllung hervorspritzen ließ, hatte er abgewartet, bis sämtliche Angreifer mit den Stiefeln durch die Säure getrampelt waren.

Die Plötzlichkeit der Wirkung überraschte selbst Johnny. Weiße Wolken stiegen auf, die wie gewöhnlicher Dampf aussahen, aber toxische Dünste verbreiteten. Sobald Johnny den Dampf die Füße des Sturmtrupps umwehen sah und umzischen hörte, suchte er Deckung im Türrahmen zur Bibliothek.

Die Männer fingen an zu taumeln, griffen in höchster Qual nach ihren Augen und rieben sie sich verzweifelt. Erst stießen sie gellende Schreie aus, aber rasch klangen ihre Stimmen heiser, weil die beißendscharfe Verbindung ihnen die Schleimhäute wegbrannte. Vom Eingang der Bücherei aus beobachtete Johnny, daß einige sich ins Gesicht krallten, als wollten sie das verätzte Fleisch herunterreißen.

Weiter hinten hatten einige wieder so weit die Orientierung, daß sie wilde Feuerstöße auf die Bibliotheksfenster abgaben, um Johnny zu erledigen. Wareagle hielt ein Feuerzeug an die Zündschnur einer Rohrbombe und warf sie einem Trio entgegen, das auf die Tür zurannte.

Die Bombe fiel auf den Fußboden, rollte ein Stück weit und explodierte mit grellweißer Glut, die zwei der Männer rückwärtsschleuderte. Bücherregale brachen zusammen. Einer der Verletzten schrie noch aus vollem Hals, da schwang sich der dritte Mann zur Tür herein und feuerte pausenlos aus seinem Sturmgewehr. Johnny ließ sich fallen und kugelte sich beiseite. Gleichzeitig schoß er aus seiner Desert-Eagle-Pistole, bis ein Knacken anzeigte, daß er das Magazin geleert hatte. Der Mann sackte vornüber zu Boden, Blut spritzte auf die Glastür hinter ihm.

Wareagle rappelte sich auf und lief zur rückwärtigen Tür der Bibliothek.

»Trupp Drei! Trupp Drei …!«

Als klar war, daß er keine Antwort mehr erhalten würde, wußte Sinclair, daß es nun galt, seinen letzten Trumpf auszuspielen.

»Trupps Vier und Fünf, melden!«

»Hier Trupp Vier.«

»Hier Trupp Fünf. Könnten Sie uns vielleicht mal verraten …«

»Der Anbau des Schulgebäudes ist abgeschnitten. Konzentrieren Sie alle Anstrengungen auf den Hauptflügel, beide Etagen. Vorwärts!«

Sinclair war froh, daß er vorsichtshalber zwei Sturmtrupps von je sechs Mann in Reserve gehalten hatte. Und falls diese beiden Einheiten es schafften, die Gegner aus dem Gebäude zu treiben, gaben McCracken und seine Begleitung für die vier Scharfschützen ein leichtes Ziel ab.

»Sinclair!« plärrte Colonel Fuchs' Stimme aus dem Funksprechgerät. »Antworten Sie, Sinclair!«

»Sir, wir sind auf stärkeren Widerstand als erwartet gestoßen.«

»Lassen Sie die Bande ja nicht entwischen, Sinclair! Auf keinen Fall dürfen Sie zulassen, daß die Burschen uns entkommen!«

»Wir haben sie so oder so in der Falle sitzen, Sir«, beteuerte Sinclair, fühlte sich jedoch seiner Sache weit weniger sicher, als er es gerne gewesen wäre.

Seine Streitmacht, sagte er sich, war noch immer im Vorteil. Er hatte die Scharfschützen an drei Seiten des Schulgebäudes positioniert, wo sie auf die Flucht McCrackens und seiner Begleiter warteten. Da sie keine Möglichkeiten hatten, schnell zu fliehen, hieß das, sie würden überhaupt nirgendwo hingelangen.

Im Obergeschoß hatte McCracken gerade die Tür zum Treppenhaus geöffnet, als er das leise Scharren von Menschen hörte, die wußten, wie man sich nahezu lautlos fortbewegte. Mehrere Personen kamen ihm auf der Treppe herauf entgegen.

Blaine ließ die Tür langsam zugehen, die SIG-Sauer in der Faust. Er hatte noch das in der Waffe steckende sowie ein zweites Magazin, dazu zwei Rohrbomben. Schnell wich er durch den Flur zurück, erreichte die Verbindungstür an der anderen Seite und schlüpfte hindurch.

Im Korridor wartete Johnny Wareagle auf ihn und hielt sich im Dunkeln an die gekachelte Wand gepreßt. Das einzige Licht drang durch die Fenster der Klassenzimmer herein, der Strahl einer der Sicherheitsleuchten außerhalb des Gebäudes. Johnny lehnte an einer Stelle des Korridors, die das Licht nicht erreichte.

»Zwölf Mann, Blainey«, sagte er. »So bewaffnet wie die anderen.«

»Wollen sie uns in die Enge drängen?«

»Oder aus dem Haus treiben.«

»Scharfschützen?«

»Wir hätten jedenfalls welche postiert, wenn die Situation umgekehrt gewesen wäre.«

Am anderen Ende des Flurs kamen die ersten Gestalten aus dem Treppenhaus zum Vorschein und drangen ins Obergeschoß vor.

»Sieht so aus, als müßten wir unsere Strategie ändern, Indianer. Kannst du dich um die Scharfschützen kümmern?«

»Wenn ich genug Zeit habe, ja.«

»Wie lange brauchst du?«

»Kommt drauf an, wie weit auseinander sie postiert sind. Zehn Minuten, wenn die Geister mir gnädig sind.«

»Dann zieh los. Aber halte Abstand vom Haus.«

»Warum, Blainey?«

»Wir wollen doch mal sehen, wer hier wen raustreibt.«

Johnny überließ Blaine zwei seiner Rohrbomben und verschwand ins nächstliegende Klassenzimmer, um durch ein Fenster ins Freie zu kommen. Möglicherweise geriet er dabei in das Schußfeld eines der Scharfschützen, aber Blaine wußte, daß Johnny in das Dunkel der Nacht eintauchte, ehe jemand richtig auf ihn zielen konnte. Das hatte er mehr als einmal erlebt.

An den breiten Rahmen einer Klassenzimmertür gepreßt, hörte Blaine, wie ein zweiter Sturmtrupp sich auch vom Ende dieses Flurs näherschlich. Die Angreifer kamen also jetzt von beiden Seiten, so daß als Rückzugsweg nur die Treppe hinter ihm blieb, an der die zwei Flure zusammentrafen. McCracken wartete so lange es ging, ehe er ein Feuerzeug anknipste und die Flamme gleichzeitig an die Zündschnüre von Johnnys beiden Rohrbomben hielt.

Dann sprang er aus der Deckung und ließ die Bomben den Sturmtrupps entgegenrollen. Ein Kugelhagel aus automatischen Waffen pfiff auf ihn zu, während er die Stufen hinuntersprang. Mehrere Angreifer nahmen die Verfolgung auf.

Die Sprengkörper detonierten schon, bevor er das halbe Treppenhaus hinuntergehastet war – früher als angenommen. Einige Schreie erschollen, aber zu wenige. Ein paar Männer waren außer Gefecht gesetzt, aber der Rest war noch kampffähig.

Vom Fuß der Treppe rannte er durch das Foyer und in Richtung des Labors, wo Susan Lyle gegenwärtig die letzte Überraschung vorbereitete.