Kapitel
12

»Möchten Sie bestimmt nicht, daß ich es Ihnen nach oben stelle?« Die Frage der Stewardeß schreckte Joshua Wolfe aus seiner Benommenheit. Nervös drehte er sich in ihre Richtung.

»Ihr Handgepäck«, sagte sie, senkte den Blick auf den schwarzen Rucksack zu Joshuas Füßen, der ein wenig in den Mittelgang ragte. »Vielleicht hätten Sie es dann bequemer.«

»Nein.« Josh räusperte sich. »Ist schon gut.«

Die Stewardeß lächelte und ging weiter. Josh bückte sich und schob den Rucksack tiefer unter den Sitz. Er hatte die Ampulle geschützt in der Mitte verstaut, zwischen Notizheften und, soweit sie noch Platz hatten, einigen Kleidungsstücken. Er versuchte von außen die Umrisse zu fühlen – eine vergebliche Mühe.

Sonntagnacht hatte er in einem Hotel in Boston geschlafen und war am Montag nach New York gereist. Mit dem Zug war er am Dienstag nach Philadelphia gefahren und hatte wieder in einem Hotel übernachtet, diesmal im Airport Hilton, so daß er die Möglichkeit hatte, die erste Maschine nach Miami zu nehmen.

In Bewegung sein, immer in Bewegung bleiben …

An drei Tagen drei Hotels in drei Städten, ohne daß er etwas anderes hätte tun können, als zu grübeln und die Tür anzustarren: Sicher stürmte jeden Moment die Polizei herein. Schlaf hätte ihn erlöst, aber ihm war kein Schlummer vergönnt. Nur Sekunden- oder minutenweise döste er vor sich hin, jedes Mal nur so lange, wie es dauerte, bis die Erinnerungen an das Erlebnis in der Citypassage von Cambridge wiederkehrten. Er sah sie so wie beim wirklichen Ablauf der Tragödie am Sonntag: lange Reihen von Toten, Leichen in aufgeschichteten Stapeln.

Er konnte es einfach nicht begreifen.

Alle seine Forschungsergebnisse waren doch fehlerfrei gewesen. Bei seinen Laborversuchen hat keiner der CLAIR ausgesetzten Versuchstiere auch nur das geringste negative Symptom gezeigt. Zeitungsberichten zufolge, die sich auf ›ungenannte Quellen‹ beriefen, sollten die Leichen der Opfer blutleer aufgefunden worden sein. Josh zog daraus den Rückschluß, daß CLAIR irgendwie das Blut mit den Zielmolekülen verwechselt haben mußte. Das hätte selbstverständlich nie geschehen dürfen.

Das Problem war vermutlich, daß er CLAIR zu intelligent gemacht hatte, zu effizient. Die Programmierung sah vor, daß die Substanz den in gewissen molekularen Verkettungen enthaltenen Stickstoff aufzehrte. Josh war davon ausgegangen, daß sie den zwar feinen, aber klaren Unterschied zwischen menschlichem Blut einerseits sowie Sulfaten und Nitraten andererseits erkannte. Aber sobald eine Identifikation stattgefunden hatte, konnte sich CLAIR – bei Strafe des eigenen Untergangs – nicht mehr vom Ziel abwenden. Die Substanz hatte genau das getan, wofür sie geschaffen worden war, nur war sie dabei geringfügig von den vorgeschriebenen Parametern abgewichen.

Doch warum hatte sie während der Testphase nicht ebenso reagiert?

»Verzeihung«, schnaufte eine übergewichtige Frau, die ihr Flugticket in der Hand hielt und den Blick auf den Fenstersitz neben Joshua richtete. »Ich muß auf diesen Platz.«

Josh stand auf und stellte sich in den Mittelgang, um die Frau durchzulassen. Während sie sich durchzwängte, streifte ihr Schuh Joshuas Rucksack. Kurz stockte Josh das Herz. Als die Dicke endlich saß, nutzte er die Gelegenheit, um sich hinzukauern und einer Außentasche des Rucksacks ein Notizbuch zu entnehmen.

In dem Notizbuch hatte er Eindrücke und analytische Überlegungen zu der Frage aufgeschrieben, was schiefgelaufen sein mochte. Vielleicht waren sie der Weg zu einer Antwort. Kein noch so angestrengtes Nachdenken jedoch konnte irgend etwas an einer längst offenkundigen Einsicht ändern: CLAIRs Fertigstellung war ihm wichtiger als seine Unbedenklichkeit gewesen.

Zu selbstsicher war er vorgegangen, zu verbohrt hatte er bei der Konzipierung gehandelt, zu versessen nach Erfolg gegiert. Schließlich war ihm vorher nie etwas mißlungen. Der Sprung vom theoretischen Konzept zum Endpunkt hatte sich für Joshua Wolfe stets als reibungsloser Vorgang gestaltet. Weshalb also hätte er sich mit dem normalen Verfahren abgeben wollen, das vorschrieb, eine Forschungsstudie einzureichen und die Durchführung einer seitens der Universität abgesegneten Erprobung zu beantragen? Selbst wenn das Projekt genehmigt worden wäre, hätte es bis dahin Jahre gedauert. Die Bürokratie blieb immer bei ihrem Schneckentempo. Ehe sie zu einer Entscheidung gelangte, hatte Joshua sich gedacht, konnte die Luftverschmutzung den gesamten Planeten verpestet haben.

Er hatte nichts anderes als eine höchst erstaunliche Leistung vollbringen und den Wert seiner verdienstvollen Entdeckung unwiderleglich beweisen wollen. Es wollte seine eigene Studie durchführen, Beweise sammeln und die Ergebnisse als Bestandteil eines offiziellen Papiers sämtlichen Medien gleichzeitig zugänglich machen.

Die Idee dazu hatte Josh schon vor Jahren gehabt, nachdem er im Labor eine umfassende Untersuchung eines künstlichen Enzyms vorgenommen hatte, das den Zusammenhalt von Öl im Molekularbereich zersetzte. Der Gebrauch dieses Enzyms hatte zu wesentlichen Fortschritten bei der Bekämpfung von Ölpestfällen geführt und in der Nordsee ebenso wie vor Alaska bei Ölkatastrophen ungezählte Tierleben gerettet; folglich hatte er sich gefragt, ob man das gleiche Prinzip nicht gegen Luftverschmutzung und Wasserverunreinigung anwenden könne.

Als erstes hatte Josh sich dem Problem der Luftverschmutzung zugewandt.

Viel Zeit war bis zu seiner Entdeckung verstrichen; die dafür notwendige Arbeit hatte er neben seinem normalen Studium gemacht. Er stand wie unter einem Bann, alles andere war ihm gleichgültig gewesen. Ihm wurde selbst nie klar, warum er so mühelos sämtliche Kurse absolvierte, ohne sich überhaupt für sie zu interessieren.

Die ganze Wahrheit, die dem Unheil zugrunde lag, war schlichtweg: Josh hatte, als er fertig war, nicht warten können. Er wollte CLAIR erproben, sich Gewißheit verschaffen, er wollte … Erfolg.

Er wäre zu gern ein Held geworden. Und es hätte ihm gelingen können, wäre es in der Citypassage richtig gelaufen, wäre alles gutgegangen …

Joshua hatte unbeschränkten Zugang zu den modernsten Laboratorien des wissenschaftlichen Forschungsinstituts in Harvard gehabt. Und im Sommersemester waren die Wartezeiten bei den begehrtesten Materialien erheblich kürzer. Am Ende des zweiten Semesters hatte Josh sich ausschließlich auf die abschließenden Tests und die Herstellung des angestrebten Organismus konzentriert. Und als CLAIR sich bei allen Labortests bestens bewährte, hatte er nicht der Versuchung widerstehen können, in der Citypassage von Cambridge die Eigenschaften des Organismus einer größeren Erprobung zu unterziehen.

Zunächst hatte alles tadellos geklappt. Er hatte den diensthabenden Hausmeister aus dem Heizungskeller gelockt, indem er ihm eine fingierte Textnachricht aufs Digitaldisplay seines Piepers schickte: ›Sie werden im dritten Stock gebraucht. Bitte kommen.‹

Der Mann war sofort gegangen. Ein Metallstück, das Josh, als der Mann das letzte Mal in den Heizungskeller kam, zwischen Tür und Türrahmen geklemmt hatte, ließ das Schloß nicht richtig einrasten. Als erstes hatte Joshua sämtliche Überwachungsmonitore aktiviert. Dann hatte er seinen Rucksack auf den Tisch gestellt und eine Ampulle herausgeholt. Ihr Gegenstück hatte er jetzt bei sich.

Aus der Endfassung der Citypassage-Konstruktionspläne wußte er, welcher Typ von Klimaanlagen-Kompressoren hier verwendet wurde, und hatte sich wochenlang ähnliche Modelle genau angesehen. Folglich brauchte er jetzt nur zu wiederholen, was er oft geübt hatte: Er öffnete eine 20 mal 20 cm große Klappe, schob den Arm hinein und kippte den Ampulleninhalt in die Luftumwälzung der Klimaanlage.

Er hatte die leere Ampulle in die Tasche gesteckt und seine Aufmerksamkeit den Monitoren zugewandt; dann sich vorgestellt, wie CLAIR, jetzt in Gasform, mit der frisch gekühlten Luft durch das Röhrensystem wehte, sich bis zum x-ten Grad verdünnte und in der Einkaufspassage verbreitete. Vierzig Sekunden verstrichen, bevor die unbeabsichtigte Wirkung einsetzte.

Josh sackte auf seinem Sitz zusammen und fing an zu zittern, während das Flugzeug durchstartete und von der Startbahn abhob. Die fette Frau neben ihm warf ihm einen Seitenblick zu und glotzte wieder in ihr Billigmagazin. Joshua versuchte sich zu beruhigen, aber die Erinnerung war noch zu deutlich und flößte ihm erneut Grauen ein.

Das gleiche Grauen hatte ihn gepackt, als er in der dritten Etage des Ladenzentrums die ersten Menschen ins Torkeln geraten sah. Sie griffen sich an die Kehle, dann wurden sie von gräßlichen Krämpfen geschüttelt, als ob sie Marionetten an den Drähten eines betrunkenen Puppenspielers wären. Wellenförmig breitete das Verderben sich aus, Josh verfolgte an den Monitoren, wie es in der Einkaufspassage durch die Etagen nach unten um sich griff. In der zweiten und ersten Etage schafften es wohl ein paar, in Richtung der Ausgänge zu flüchten, aber der Tod holte sie unterwegs ein, und sie brachen mitten im Lauf zusammen.

Josh hatte sich mit den Zähnen die Zunge aufgebissen. Aus Furcht, die eigene Kreation könnte ihn selbst das Leben kosten, hatte ihm der Atem gestockt. Er war aus dem Heizungskeller in den Korridor gestürzt.

Als er ins Parkhaus rannte, begegnete er mehreren Personen. Er warnte sie nicht, wäre physisch gar nicht dazu in der Lage gewesen: Der Schrecken hatte ihm die Stimme geraubt, und er schaffte es nur mit Mühe, nach Atem zu japsen. Ihm war klar, daß die Menschen starben. Joshua wußte, daß er dafür die Verantwortung trug. Er war zum Mörder geworden.

Und hätte er es jemandem zu erklären versucht, wäre er nicht verstanden worden. Nie hatte irgend jemand ihn verstanden, und jetzt ließen ihn seine verzweifelten Versuche, etwas daran zu ändern, endgültig zum Ausgestoßenen werden. Er war schon einen Häuserblock von der Citypassage entfernt, als er merkte, daß er seinen Rucksack verloren hatte.

Weil er sich darüber im klaren gewesen war, daß er ihn nicht zurückholen konnte, war er in seine Studentenwohnung gegangen und hatte an Wichtigem in seinen anderen Rucksack gepackt, was hineinpaßte – der Rucksack, der jetzt unter seinem Sitz lag. Aber er wollte nicht mit der kompletten CLAIR-Formel erwischt werden, sei es in Schriftform oder auf Diskette.

Doch eine Vernichtung der Formel hätte – zumindest für die absehbare Zukunft – ihren Verlust bedeutet. Also hatte er sie Harry Limes ewig papierlosem Faxgerät in Key West zugefaxt; er wußte, daß der Apparat sie im Speicher ablegen würde und er sie sich daraus jederzeit wiederbeschaffen konnte.

Da keine Fahndung nach ihm ausgelöst worden war, fiel es ihm nicht schwer zu verschwinden. Seine Sorge, daß der Inhalt des in der Citypassage zurückgebliebenen Rucksacks auf seine Spur führen könnte, verflog in dem Moment, als ihm einfiel, daß auf keinem einzigen Gegenstand sein Name vermerkt war. Möglicherweise ermittelte man, daß er Student an der Universität Harvard war, auf alle Fälle jedoch hatte er, wenn schon nichts anderes, so doch Zeit gewonnen.

Seine Kreditkarte hatte ein Bargeld-Depot von dreihundert Dollar. Allerdings ließen sich Geldautomaten von jemandem, der wußte, wie man die Magnetstreifen manipulierte, ohne weiteres überlisten. Für Josh war das eine der leichtesten Übungen. Er entlockte einem Geldautomaten in Cambridge dreitausend Dollar in Zwanzigdollarscheinen.

Mit dem Geld hatte er die Zugfahrten nach New York und Philadelphia und die Hotelzimmer bezahlt, außerdem heute das Flugticket nach Miami. Er hatte die Hotelzimmer kein einziges Mal verlassen und die Tür ausschließlich für den Zimmerservice geöffnet. Wenn er gegessen und sonst nichts mehr zu tun gehabt hatte, quälte er sich, statt sich von Erinnerungsbildern martern zu lassen, mit den Worten in seinem Notizbuch. Sein Geist war völlig ausgelaugt. Er brachte keinen vernünftigen Satz zustande.

Darum schrieb er zum ersten Mal seit langem wieder ein Gedicht. Das Verseschreiben hatte ihm als Kind geholfen, seine Verbitterung und seinen Zorn zu verarbeiten, nachdem ihm deutlich geworden war, wie sehr er sich von seinen Altersgenossen unterschied. Gedichte boten ihm eine Möglichkeit der Problemlösung, denn beim Dichten durchschaute er die Natur seiner Schwierigkeiten und zudem sich selbst.

Er hatte kein einziges der Gedichte weggeworfen, sondern irgendwann eine Sammlung seiner Werke auf Diskette gespeichert. Nach seinem Empfinden waren sie dort gut aufgehoben.

Plötzlich hatte Josh sich darauf besonnen, wie es gewesen war, drei Jahre alt zu sein, dann vier, fünf und so weiter. Das Dichten weckte seine Erinnerungen. Sein früherer Zorn war verschwunden. Das Bekenntnis zu sich selbst und zu dem, was er war, hatte ihn verdrängt. Doch auch die aufs Blatt gekritzelten Verse bedeuteten diesmal nur Papierverschwendung. Sie funktionierten nicht mehr.

Die Maschine ging in gleichmäßigen Flug über, und Josh entspannte sich ein wenig. Die Fette auf dem Nebensitz hatte sich in ein Kreuzworträtsel verbissen, erzielte aber nur minimale Fortschritte. Joshua schielte auf die Stichwörter zwischen den Kästchen und löste das ganze Rätsel in nicht einmal einer Minute.

Er strich sich mit der Hand durch das lange, braune Haar und schaute wieder in sein Notizbuch. Vielleicht hatte man den verlorenen Rucksack schon vernichtet, in der Annahme, er gehöre einem der Opfer oder einem der späteren Augenzeugen, der ihn nicht zurückforderte. Irgendwie störte ihn die Furcht vor Entdeckung nicht, denn sie überlagerte das Gefühl der Schuld. Mit Furcht konnte er leben. Furcht gab ihm das Gefühl, ein Opfer zu sein, ein Verfolgter, Gehetzter. Die Schuld dagegen erinnerte ihn daran, daß er Opfer – und zwar zu Hunderten – auf sein Gewissen geladen hatte, ehe er selbst zum Opfer geworden war. Er verdiente, was mit ihm geschah, egal was noch kommen mochte; denn er war …

Na los, sag es! Denk es zu Ende!

Ein Mörder war er. Er konnte sich der Polizei stellen und ein Geständnis ablegen. Was könnte man schon mit ihm machen? Josh war kein Rechtsexperte, obwohl er sich, wie mit allem, auch mit juristischen Fragen beschäftigt hatte. Man müßte ihm, soviel wußte er, ein Motiv nachweisen. Ohne bewiesenen Vorsatz mußte man ihm mildernde Umstände zubilligen, eventuell sogar Bewährung. Seine eigentliche Strafe wäre etwas ganz anderes. Schande.

Könnte er irgendwem das Wunderbare an seinem Versuch vermitteln, die Bedeutsamkeit, die dahintersteckte? Könnte er irgend jemandem einsichtig machen, wie exakt seine umfangreichen Untersuchungen waren, die die unerfreulichen Zustände auf der Welt nach der nächsten Generation schilderten, die Verhältnisse, die unabwendbar eintreten mußten, wenn man nichts tat, um die Qualität der Luft zu verbessern? Würde man ihm glauben, daß er jede erdenkliche Vorsichtsmaßnahme getroffen hatte, bevor er CLAIR in der Citypassage von Cambridge erprobte?

»Aber warum, Mr. Wolfe, haben Sie eine derartig hohe Verantwortung auf sich geladen?«

»Weil … weil …«

»Bitte sprechen Sie, Mr. Wolfe. Das Gericht ist gespannt auf Ihre Antwort.«

»Eigentlich, weil ich schon immer gerne …«

»WAS, Mr. Wolfe?«

»Weil ich schon immer gern anerkannt werden wollte.«

Josh müßte ihnen zu erklären versuchen, wie es sein Leben lang gewesen war; wie er sich schon immer fehl am Platz gefühlt hatte. Wie er von fünf oder sechs Jahre älteren Kindern angestarrt worden war, während er in ihrer Klasse vorn in der ersten Reihe saß, damit sie ihm nicht die Sicht versperrten. Ein Erfolg in der Citypassage hätte alles geändert. Er wäre als Held gefeiert und seine Formel als eine der größten wissenschaftlichen Entdeckungen aller Zeiten gerühmt worden.

Nun mußte er damit rechnen, von allen Seiten als Mörder geschmäht zu werden, ausgenommen natürlich von Harry Lime. Harry verstand ihn; Harry würde ihm helfen.

Aber Harry ging nicht mehr ans Telefon. Vielleicht war er gar nicht mehr in der Wohnung in Key West, in der er untergebracht worden war, nachdem man Josh das letzte Mal geholt hatte. An sich sollte Josh nicht erfahren, was mit Harry geschah, aber er hatte schon vor Monaten die entsprechenden Datenbahnen angezapft und herausbekommen, wohin sie Harry gebracht hatten.

Nach zahlreichen vergeblichen Anrufen hatte er Harry das Fax mit der CLAIR-Formel geschickt. Jetzt flog er hin, um den Chip, auf dem sie gespeichert war, an sich zu bringen. Er hoffte, Harry war inzwischen wieder zu Hause.

Josh merkte, daß er eindöste, schrak plötzlich zusammen und hatte das untrügliche Gefühl, daß etwas Schreckliches passiert war. Er schaute nach rechts.

Die fette Frau neben ihm war eingenickt und schnarchte. Eines ihrer massigen Beine war unter Joshs Sitz gerutscht und der Fuß stemmte sich gegen den Rucksack. Joshua sah, daß sich ein dunkler Fleck im Stoff ausbreitete. Er wußte sofort, daß die zweite CLAIR-Ampulle zerbrochen war. Im nächsten Moment fingen die ersten Flugpassagiere an zu keuchen.

Josh sprang vom Sitz auf, um die anderen zu warnen, doch auch er bekam keine Luft mehr. Er konnte nur noch mitansehen, wie ihr Fleisch bleich wurde und schrumpfte und wie ihnen die Augen, indem rundum die Haut schrumpelte, aus dem Kopf quollen. Sie schrumpften einfach zusammen, geradeso wie die böse Hexe im Zauberer von Oz. Vor Joshs Augen sanken ihre Kleider auf entstellten, teils in den Mittelgang gekippten Überresten zusammen …

»Entschuldigen Sie …«

… während er sich wunderte, wieso er noch lebte. Er wünschte, er wäre schon tot …

»Entschuldigen Sie bitte …«

Mit einem Ruck fuhr Josh aus dem Halbschlaf hoch. Etwas preßte sich wie ein aufdringlicher Hund gegen seine Wade.

Seine Platznachbarin war aufgestanden und wollte vorbei. Josh zog die Beine an.

»Danke«, sagte sie, ohne ihm zuzulächeln.

Joshua sank zitternd zurück in den Sitz, der Alpdruck des Schlafes war noch ganz nahe bei ihm.