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Einar Eriksson hatte das Gefühl, das Projekt seines Lebens abgeschlossen zu haben. Mit eigenen Worten sein Schicksal zu beschreiben, all die Gefühle und Gedanken zu formulieren, die sich in dem Ameisenhaufen drängten, der sein Gehirn war, war eine wundervolle Befreiung. Der schreckliche Mann, der Ingegärds Sohn war, hatte ihm mitten in seiner Erniedrigung einen Dienst erwiesen, ohne dass er davon etwas ahnte.

Während er seitlich auf dem kalten Dielenboden lag, dehnte er routinemäßig die Fesseln hinter seinem Rücken. Ruck, Ruck, Ruck, Pause, Ruck, Ruck, Ruck, Pause. Sie gaben nicht nach. Hin und wieder versuchte er, die eine Hand aus der Schlaufe zu winden, während er mit der anderen dagegenzog, aber die Hand war zu groß, die Schlaufe zu eng. Blut rann aus seiner Nase in den Mund hinein, aber das kümmerte ihn nicht. Denn mit einer jubelnden Freude in der Brust gewährte er sich selbst die Vergebung, nach der er sich dreißig Jahre lang gesehnt hatte. Einunddreißig dunkle Jahre voller drückender Trauer, Selbstmitleid und Verbitterung. Und jetzt plötzlich, als er seine schwere Schuld in Worte fassen durfte, schien diese Last von seiner Schulter genommen zu sein. Dass ein paar Worte aus seinem eigenen Mund ihm diesen Trost schenken konnten!

Es war seine eilig getroffene Entscheidung, aufrichtig zu sein, die ihm diesen Weg gebahnt hatte. Dass er vollkommen ehrlich die ungeschminkte Wahrheit sagen wollte, frei von mildernden Umständen und unausgewogener Selbstkritik. Dass der blutdürstige Schlächter, der ihn hier eingesperrt hatte, in den Genuss kam, seine mündliche Autobiografie zu verfolgen, scherte ihn nicht. Hier ging es nur um ihn selbst, nicht um seinen selbst ernannten Henker oder irgendeinen anderen Menschen, der auf dieser Welt gelebt hatte. Er hatte sich mit seiner inneren Stimme ausgesprochen, und plötzlich verstanden sie einander, plötzlich waren sie sich einig.

Mit neuen Augen blickte er aus dem kleinen Fenster neben der Tür, und während seine Hände arbeiteten, sah er, dass der schwere Schneefall plötzlich aufgehört hatte. Ein Sonnenstrahl fand seinen Weg durch die Fensterscheibe, und als er die kühle Luft des Geräteschuppens durchschnitt, erwachten die Staubkörner zum Leben und tanzten vor seinen Augen in dem schmalen Lichtstreifen.

Mit einem für Einar Eriksson fast unbekannten Gefühl der Hoffnung und einer Energie, die von irgendwo aus dem tiefsten Inneren jener schmerzenden Hülle kam, die sein Körper war, zog und zerrte er unermüdlich an seinen Fesseln. Und schließlich schien sich jemand dort oben – oder war er allein es, der über sein Schicksal bestimmte? – seiner zu erbarmen und ließ seine Hand durch die Schlinge gleiten.

Mit einem Lächeln auf den Lippen blieb er ein paar Minuten in derselben Stellung liegen, bis er nach der großen Anstrengung wieder zu Atem kam. Dann stützte er die frei gewordene Hand auf den Boden und brachte sich in eine sitzende Position. Mit zitternden Fingern löste er den Knoten, der seine beiden Hände aneinandergefesselt hatte, und konnte schließlich auch die andere Hand aus der Schlaufe ziehen. Gierig griff er nach der Wasserschale und leerte sie in einem Zug, bevor er seinen steifen Fingern ein wenig Zeit gab, ihre normale Beweglichkeit zurückzugewinnen. Danach befreite er seine Füße aus dem Seil, das sie zusammengeschnürt und ihn darüber hinaus an die Wand in seinem Rücken gekettet hatte.

Wohin war sein Furcht einflößender Kidnapper verschwunden? Hatte er ihn für heute verlassen? Ein Tritt ins Gesicht nach seinem entblößenden Selbstbekenntnis und dann war alles vorbei? Das erschien ihm nicht besonders glaubhaft. Ein einziger Tritt genügte nie. Dieser Mann brauchte viel mehr als das, um all der Wut ein Ventil zu geben, die sich in ihm aufgestaut hatte. Er musste irgendwo in der Nähe sein. Er musste irgendwo hier lauern, um ihn in der falschen Hoffnung zu wiegen, dass die tägliche Quote von Schlägen und Tritten bereits erfüllt sei. Aber warum hatte er ihn so eilig verlassen? Hatte ihn irgendetwas in seiner Geschichte überrumpelt, gab es etwas, das er vorher nicht gewusst hatte?

Plötzlich ging ihm auf, dass Ingegärds Sohn vielleicht gar nicht wusste, wer Christer Larsson war. Die Rache war ja zweifellos gegen ihn allein gerichtet gewesen. Vielleicht war dem Mörder erst während der Filmaufnahme aufgegangen, dass die Kinder, die er so kaltblütig hingerichtet hatte – Tom und Linn – die Kinder des Vaters seiner eigenen Geschwister waren. Dass die Larsson-Kinder in Wirklichkeit die Halbgeschwister der Kinder waren, die er rächte, Andreas und Tobias.

Einar Eriksson sah das Bild vor sich. Die kleinen, engelsgleichen Kinder im Bett neben ihrer schönen Mutter. Hinreißend. Wenn es die Umstände nicht so unfassbar hässlich gemacht hätten. Zum ersten Mal, seit er jung war, gestattete er sich zu weinen. Ein Strom von Tränen zog Furchen in den Schmutz auf seinen Wangen.

Der Täter konnte jederzeit zurückkommen, um weiter Rache zu nehmen, um weiter die Enttäuschungen seines Lebens in Raserei zu verwandeln. Einar Eriksson erhob sich mühsam von dem harten, kalten Dielenboden. Er hatte keine Zeit zu verlieren.