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Seine Nase hatte sich so weit daran gewöhnt, dass er nur noch gelegentlich von Ekel über sich selbst und die miserable Figur, die er auf dem Boden des Geräteschuppens machte, überschwemmt wurde. An Händen und Füßen gefesselt, die Hose klebrig und durchnässt nach fünf Tagen Gefangenschaft auf einer Fläche, die, begrenzt von der Länge des Seils, mit dem seine Füße an der Wand befestigt waren, bedeutend kleiner war als der Schuppen an sich.

Es gab keinen einzigen Punkt mehr an seinem Körper, der nach unzähligen Stunden in unnatürlichen Haltungen, Kälte, schlechter Hygiene, Durst und Hunger nicht schmerzte. Das Wasser, das er aus der schwer erreichbaren Schale aufschlecken musste, reichte bei Weitem nicht, seinen Durst zu löschen, und die wenigen Krümel, die er sich von den herumliegenden Brotstücken einverleiben konnte, reichten lange nicht, um seinen Magen zufriedenzustellen. Während der ersten Tage war es ihm gelungen, den unangenehmeren Teil der menschlichen Notdurft zurückzuhalten, aber am dritten Tag hatte er Durchfall bekommen, und jetzt konnte oder wollte er seine Bedürfnisse nicht mehr kontrollieren, was genau, wusste er selber nicht.

Zwei Zähne waren ihm bereits ausgetreten worden, als er in den kleinen Schuppen hineingeschafft wurde, obwohl er bewusstlos war, als es passierte. Das eine Auge war von dem Blut einer Stirnwunde verklebt, zwei Finger der einen Hand waren gebrochen und bestimmt auch ein paar Rippen. Trotzdem war es die beißende Kälte, die ihn am meisten plagte, sie ließ seinen ganzen Körper zittern, obwohl er versuchte, sich zu entspannen, um Energie zu sparen.

Er hatte vor langer Zeit die Hoffnung aufgegeben, dass ein Passant ihn hörte oder auf eine andere Weise feststellte, dass in diesem kleinen Schuppen nicht alles mit rechten Dingen zuging. Die einzige Hoffnung, die er noch hatte – und es war keine große Hoffnung; die Seile saßen wie angegossen an seinen Handgelenken –, war die Möglichkeit, die Schlaufen seiner Fesselung so weit zu dehnen, dass er aus den Seilen gleiten konnte. So sah der dünne Strohhalm aus, nach dem er griff, als er sich erneut daranmachte, das widerstandsfähige Material trotz der Schmerzen, die diese kleinen Bewegungen für ihn bedeuteten, zu bearbeiten. Er zog und dehnte, zehn Mal, zwanzig ... Zwanzig Minuten später war er immer noch nicht zum Auto zurückgekehrt. Sie fragte sich bestimmt schon, wo er geblieben war, verstand nicht, warum er beim Schuhmacher so lange brauchte, vermutete aber vielleicht, dass dort sehr viele Leute waren, dass er einen Bekannten getroffen hatte, an dem er aus Höflichkeit nicht einfach vorbeigehen konnte, mit dem er erst ein paar Worte wechseln musste.

Tatsächlich waren sie nur zwei Kunden im Laden, aber der andere – eine hochschwangere Frau von etwa fünfunddreißig Jahren – war plötzlich ohnmächtig geworden, woraufhin er sich mit ihrem Kopf auf seinen Knien auf den Boden setzte, von wo aus er Anweisungen erteilte. Nachdem er zuerst den verwirrten Schuhmacher dazu bewegt hatte, einen Rettungswagen zu rufen, ließ er ihn als Nächstes Handtücher und einen Krug Wasser holen. Damit befeuchtete er das blasse Gesicht der Frau und versuchte so gut es ging, die Wunde an ihrem Hinterkopf zu reinigen, die sie sich bei ihrem Fall zugezogen hatte. Gleichzeitig redete er beruhigend auf sie wie auch auf den halb hysterischen Schuhmacher ein, den er gleichzeitig dazu anhielt, neugierige Passanten aus dem Laden fernzuhalten.

Zur selben Zeit begannen die Jungen auf der Rückbank unruhig zu werden, und die Temperatur im Auto stieg in der strahlenden Maisonne immer weiter. Sie hatte vorgeschlagen, dass sie »Ich sehe was, das du nichts siehst« spielen könnten, und das hatte sie ein paar Minuten im Zaum gehalten, bis beim kleinen Tobias die Konzentration nachließ. Sie hatte ihnen auch ein Märchen erzählt, aber es dauerte nicht lange, bis den Kindern auch das zu langweilig wurde. Da entdeckte sie den Kiosk hundert Meter weiter die Straße hinunter, wo der Fluss einen Bogen machte, und ihr fiel ein, dass heute ja Samstag war und dass sie die Jungen mit etwas Süßem verwöhnen könnte, während sie warteten.

»Ich weiß etwas«, sagte sie zur Rückbank gewandt. »Wir fahren zu dem Kiosk dorthinüber und kaufen für jeden ein Eis!«

»Ja, das machen wir!«, antworteten die Jungen wie aus einem Mund.

»Aber ich will lieber einen Lutscher«, sagte Andreas.

Dankbar nahm sie den Vorschlag an, denn sie ahnte, dass Lutscher der Innenausstattung des Wagens weniger Schaden zufügen würden als Eis, und diesen beiden Wildfängen direkt neben dem Fluss freien Lauf zu lassen, dafür fühlte sie sich noch nicht reif genug.

»Ich auch«, sagte Tobias, »und ich kann auch das Auto das kurze Stück bis dahin fahren.«

»Das kommt überhaupt nicht infrage, Tobias, aber einen Lutscher darf jeder von euch haben.«

»Kannst du denn das Auto fahren, Tante Mädchen?«, fragte Tobias mit spürbarer Skepsis in der Stimme.

»Natürlich, junger Mann, ich bin sogar die beste Fahrerin in der Familie. Aber ihr dürft niemandem erzählen, dass ich es euch verraten habe«, fügte sie geheimnistuerisch hinzu und hielt den Finger vor den Mund.

Die Jungen schauten einander an und begannen zu kichern. Ob es aus Freude darüber war, von ihr ins Vertrauen gezogen worden zu sein, oder ob sie sich beide einig darüber waren, wie absurd ihre Behauptung war, konnte sie nicht entscheiden, aber sie saßen jedenfalls still und betrachteten sie mit großen Augen, als sie auf die Fahrerseite hinüberkletterte. Sie drehte den Zündschlüssel und löste die Handbremse, während die Jungen ihr Tun erwartungsvoll beobachteten. Sie spürte ihre Augen im Rücken und wurde plötzlich fast nervös unter ihren wachsamen Blicken. Dann schüttelte sie das Unbehagen entschlossen ab und fuhr das kurze Stück bis zum Kiosk, parkte rückwärts neben dem kleinen Laden ein, sodass sie mit der Front zur Straße stand, und zog die Handbremse an.

»Du konntest das Auto ja richtig fahren!«, rief Tobias sichtlich beeindruckt.

Ihre Blicke begegneten sich im Rückspiegel, und seine grünen Augen funkelten aufgeregt über den Sommersprossen.

»Dürfen wir mitkommen und aussuchen?«, fragte Andreas.

»Nein, ihr bleibt hier sitzen. Was wollt ihr haben?«

Sie drehte sich zu ihnen um.

»Ich will einen großen Lutscher«, antwortete Andreas.

»Ich will einen roten Lutscher«, sagte Tobias.

»Einen großen Lutscher und einen roten«, wiederholte sie. »Ist es egal, welche Farbe der große Lutscher hat, Andreas?«

»Nur kein Lakritz.«

»Mein roter Lutscher soll auch groß sein«, sagte Tobias. »Aber ein kleiner geht auch.«

»Hauptsache, er ist rot«, sagte sie mit einem Lachen. »Ich glaube, ich habe verstanden.«

Sie öffnete die Autotür und stieg in die Frühlingssonne hinaus. Vom Fluss wehte ein herrliches Lüftchen herüber, und der liebliche Duft einer Traubenkirsche schlug ihr von der anderen Seite der Straße entgegen.

»Benehmt euch, Jungs. Haut euch nicht gegenseitig tot, denn dann gibt es keinen Lutscher mehr.«

Mit einem kurzen Zwinkern schlug sie lächelnd die Tür hinter sich zu.