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Der Wind wehte jetzt kräftig, und die Wolken hingen schwer über der Stadt, anscheinend bereit, jederzeit ihren Inhalt über die frierenden Stockholmer zu ergießen. Die Wolkendecke hinderte die vielversprechenden Strahlen der Märzsonne effektiv daran, ihr Ziel zu erreichen, und obwohl es erst drei Uhr am Nachmittag war, dämmerte es bereits.

Jamal Hamad ging mit hochgezogenen Schultern, die Hände in den Taschen vergraben. Nicht so sehr wegen des Wetters, sondern vielmehr wegen seiner Gemütslage. Denn in vielerlei Hinsicht handelte er überstürzt. Hoffte er zumindest. Der Zweck dieses kleinen Ausflugs war ein Schuss ins Ungewisse. Hundert zu eins, dass er mit leeren Händen zur Wache zurückkehren würde. Aber das spielte keine Rolle, denn in diesem Fall wollte er nichts lieber als das. Außerdem war es schön, für eine Weile wegzukommen. Die Begegnung mit Westman an der Rezeption, als sie ihn nicht eines einzigen Blickes würdigte, jagte ihm jetzt noch kalte Schauer über den Rücken. Im Büro herrschte Eiszeit. Warum, wusste er nicht so richtig, aber es war verdammt unangenehm.

Alles hatte ein halbes Jahr zuvor begonnen, als er mit Westman einen ganzen Abend im Pelikan gesessen und gequatscht hatte. Wie immer hatten sie jede Menge Gesprächsstoff und die Stimmung war rau, aber herzlich. Es war spät geworden, beinahe Mitternacht, als er aufbrechen wollte. Sie hatte gefragt, ob sie nicht weitermachen sollten, aber er war hart gegen sich selbst geblieben und hatte abgelehnt, weil er am nächsten Morgen früh aufstehen wollte, um gegen Bella Hansson Golf zu spielen. Dass es Bella Hansson war, und dass sie außerdem ein paar Straßen weiter im Auto auf ihn wartete, ging niemanden etwas an. Nicht einmal Westman. Es bestand die unwahrscheinliche Möglichkeit, dass sie eins und eins zusammengezählt hatte und tatsächlich dachte, da wäre etwas zwischen ihnen beiden. Mit allem Recht, denn da war ja tatsächlich was. Es hatte mit einem lächerlichen, aber prestigeträchtigen Fünfkampf zwischen ihnen begonnen. Sie wollten Bowling, Golf, Tennis und, ja, was auch immer es noch gewesen sein mag, gegeneinander spielen, und es war ein bisschen mehr daraus geworden. Jetzt war es vorbei, und mehr war auch nicht gewesen. Jedenfalls nicht vonseiten der Beteiligten. Aber vielleicht von Westmans? Denn sie hatte seit diesem Abend kein freundliches Wort mehr für ihn übrig gehabt, und er konnte keine andere Erklärung dafür finden als Eifersucht.

Nicht, dass er jemals ein besonderes Interesse von ihrer Seite bemerkt hatte. Was natürlich auch damit zu tun haben konnte, dass er bis vor Kurzem noch verheiratet war. Aber so dumm konnte sie nicht sein, dass sie nicht bemerkt hatte, dass sie etwas Besonderes für ihn war? Und wenn sie selbst kein Interesse zeigte, konnte sie ja wohl kaum erwarten, dass er im Zölibat lebte. Oder war es vielleicht genau das? Wollte sie ihn einfach nur für sich haben, gönnte sie ihm nicht, mit anderen zusammen zu sein?

Und die Strafe dafür, dass er ihre unausgesprochenen Regeln missachtet hatte, war grausam. Isolation, Schweigen und kleine Nadelstiche, sobald sich die Gelegenheit bot. Subtil und raffiniert. Zickig. Ganz anders als die Petra, die er gekannt hatte. Aber seine Verfehlungen waren anscheinend schwerwiegend gewesen und er schien noch dankbar sein zu dürfen, dass sie ihn nicht gleich windelweich prügelte. Oder vielleicht auch nicht. Ein heftiger Ausbruch wäre ihm tatsächlich lieber gewesen, und anschließend die Karten auf den Tisch.

Aber das Schlimmste daran war, dass er sie umso mehr zurückhaben wollte, je mehr sie ihn demütigte. Dass er sie haben wollte. Kranke Welt, dachte Hamad, als es ihm schließlich gelang, den komplizierten Schließmechanismus zu überwinden, und die Pforte aufschwang.

Er zog ein paarmal an der Tür, ohne sie aufzubekommen, bevor er den Riegel direkt über seinem Kopf entdeckte. Noch eine Sicherheitsvorrichtung, die die Kinder daran hindern sollte, in einem unbeobachteten Augenblick nach draußen zu entkommen. Er betrat den Flur, zog die Tür hinter sich zu und stellte seine eigenen Stiefel brav zu denen der Kinder.

Das Erste, was er sah, als er wieder aufschaute, war eine große Tafel an der Wand, an der Porträtfotos der beiden Kinder von Catherine Larsson hingen, umrahmt von Blumen, die aus kleinen Krepppapierknäueln in verschiedenen Farben gebastelt worden waren. Unter den Bilder stand fein säuberlich mit Goldstift geschrieben: »Tom und Linn, wir vermissen euch.« Unter dem Text hatten das Personal und die Kinder, nach bestem Vermögen, ihre Namen geschrieben. Hamad musste schlucken. Auf einem kleinen Tisch unterhalb der Tafel hatten sie eine Vase mit einem hübschen Blumenbukett in fröhlichen Farben aufgestellt und drumherum Kuscheltiere platziert.

Er schlich vorsichtig in den Gruppenraum, um die gemeinsame Aktivität nicht zu unterbrechen, die gerade vor sich ging. Eine Frau in seinem Alter spielte den Kindern ein Puppentheater vor. Sie stand mit dem Rücken zu ihm, verborgen hinter einer großen Sperrholzplatte mit einem in Kopfhöhe ausgesägten Fenster. Die Hände hatte sie in zwei Kasperletheaterpuppen gesteckt: ein Krokodil und einen König, die sich eifrig unterhielten. Die Kinder, die auf dem Boden vor dem selbst gebauten Theater saßen, betrachteten die Puppen mit großen Augen und vollkommen still, bis das Krokodil plötzlich einen Kommentar abgab, der alle zum Lachen brachte. Die Erzieherin ergriff die Gelegenheit, sich zu Hamad umzudrehen, ihn kurz zu mustern und mit leiser Stimme zu fragen:

»Sind Sie Polizist?«

Er fragte sich, ob es wirklich so deutlich zu sehen war, bestätigte aber ihre Vermutung. Sie deutete mit einem kurzen Nicken in die Richtung, aus der er gekommen war.

»Maud ist in der Küche und spült, sprechen Sie mit ihr«, flüsterte sie, bevor sie ihm wieder den Rücken zuwandte und ihre Vorstellung fortsetzte.

Er schlich wieder aus dem Raum, durchquerte den Flur und ging erneut an dem kleinen Altar vorbei. Er hörte das Klappern von Porzellan und folgte dem Geräusch, bis er vor dem Eingang zur Küche stand. An der Spüle stand eine Frau um die sechzig in Bluejeans und mit kurz geschnittenen Haaren, die die langen Ärmel ihres marineblauen T-Shirts hochgekrempelt hatte. Sie war tief in Gedanken versunken und bemerkte nicht, wie Hamad in die Küche trat. Er räusperte sich, während er die Brieftasche mit seinem Polizeiausweis aus der Gesäßtasche zog.

»Oh, ich habe gar nicht gemerkt, dass jemand da ist«, entschuldigte sie sich, ließ die Spülbürste und den Plastikbecher fallen, den sie gerade säuberte, und trocknete sich die Hände an den Hosenbeinen ab.

»Entschuldigen Sie vielmals, dass ich störe«, sagte Hamad und zeigte ihr mit der linken Hand den Polizeiausweis, während er ihr die rechte Hand zum Gruß entgegenstreckte. »Jamal Hamad von der Hammarbywache.«

Sie nahm seine Hand, stellte sich als Maud Fahlander vor und deutete auf den Küchentisch.

»Ja, hier ist nichts mehr, wie es war«, seufzte sie und setzte sich ganz vorne auf die Kante eines Küchenstuhls.

Hamad nahm ebenfalls Platz.

»Das kann ich mir vorstellen«, sagte er verständnisvoll, »und es tut mir wirklich leid, was passiert ist.«

»Am liebsten würde man ja zu Hause liegen und weinen«, sagte sie und schüttelte resigniert den Kopf, »aber heute sind wir alle drei hier. Wegen der Kinder. Die Kinder sind auch fast alle da. Wir haben miteinander und mit den Eltern gesprochen und sind zu dem Schluss gekommen, dass es so am besten ist. Darüber zu sprechen und es den Kindern zu erklären.«

»Ich habe die Tafel draußen gesehen«, sagte Hamad, »und den ... Altar. Das ist sehr schön.«

Er spürte, wie seine Augen feucht wurden, und versuchte die Tränen wegzublinzeln.

»Wir haben sie heute Vormittag gemacht, zusammen mit den Kindern. Um mit der Trauer umzugehen«, erklärte Maud Fahlander.

»Wie nehmen sie es auf?«

»Sie sind ja so klein. Für die meisten von ihnen ist es nicht leicht, diese Information richtig zu verarbeiten. Wir sind auch nicht in die Einzelheiten gegangen ... wie genau sie umgebracht worden sind und so. Wir haben ihnen erzählt, dass ein böser Mann sie mit einem Messer erstochen habe. Das hat natürlich für Unruhe gesorgt. Ob ihnen so etwas auch passieren könnte.«

Sie atmete tief durch, bevor sie fortfuhr.

»Sie stellen viele Fragen. Ein paar Kinder haben geweint. Wir nehmen sie oft in den Arm und sprechen viel über Tom und Linn, in positiven Worten. Ich denke trotzdem, dass die Kinder gut damit umgehen. Für die Eltern ist es schlimmer. Und natürlich auch für uns.«

Sie verstummte. Hamad fiel nichts Angemessenes darauf ein, sodass sie eine Weile schweigend zusammensaßen. Die Tür zur Nachbargruppe wurde geöffnet und schlug mit einem Knall wieder zu. Die Erzieherin wurde von dem plötzlichen Geräusch aus ihren Gedanken gerissen.

»Kommen Sie denn weiter?«, wollte sie wissen.

»Auf derartige Fragen darf ich leider nicht eingehen«, sagte Hamad. »Wir haben noch niemanden gefasst, aber ich kann Ihnen versichern, dass wir diesem Fall höchste Priorität geben. Und natürlich werden wir Sie informieren, wenn wir ein Ergebnis haben.«

Maud Fahlander seufzte und schüttelte betrübt den Kopf.

»Das ist doch verrückt«, sagte sie. »Absolut unfassbar.«

Hamad stimmte ihr zu.

»Ich habe schon miterleben müssen, dass Kinder krank wurden und gestorben sind«, fuhr sie fort. »Oder dass sie verunglückt sind. Aber auf diese Weise niedergemetzelt ...«

Sie schüttelte erneut den Kopf.

»Worüber wollten Sie denn mit mir sprechen?«

Hamad lief ein Schauer den Rücken hinunter.

»Ich habe im Grunde nur eine Frage«, sagte er.