*

Die Sonne war für eine Weile hinter den Wolken hervorgekommen, da war er sich sicher, denn etwas mehr Licht als gewöhnlich hatte seinen Weg durch das kleine Fenster gefunden. Jetzt wurde es langsam wieder dunkel draußen, und er konnte kaum noch etwas erkennen. Es war ihm gelungen, sich seit dem Vormittag wach zu halten. Nicht weil das Dasein dadurch erträglicher wurde, sondern weil er sich so unvorstellbar danach sehnte, in der Nacht mehrere Stunden schlafen zu können. Natürlich nur in Zehn-Minuten-Schichten, aber trotzdem.

Jetzt saß er mit dem Rücken an der kalten Außenwand und horchte auf die Geräusche, die von draußen hereindrangen. Er hörte das dumpfe Dröhnen eines Feuerwehrautos, gefolgt von gewöhnlichen Sirenen. Zum Geräusch des Einsatzfahrzeugs zog er rhythmisch und mit aller Kraft an den Seilen, mit denen seine Hände auf dem Rücken zusammengebunden waren. Was so gut wie nichts bewirkte. Sie fühlten sich absolut unnachgiebig an, und er war überzeugt, dass diese Übungen ihn nicht weiterbrachten. Aber was sollte er sonst tun? Die Hoffnung, dass das Dehnen irgendwann etwas nützte, hielt seine Seele gesund. Er wollte diese Qualen nicht länger durchstehen, die Schmerzen pochten in jedem Glied seines Körpers, und er war nass und fror bis auf die Knochen.

Er drückte sich mit den Zehen von der Spalte zwischen zwei Bodendielen ab und konnte sich ein Stückchen weiter die Wand hinaufpressen. Gerade genug, um seinen steif gefrorenen Körper auf die Knie kippen zu können. Dann ließ er sich mit der rechten Schulter zuerst auf den Boden fallen. Es tat weh, aber er versuchte, den Schmerz nicht zu beachten. Mit seinen zusammengebundenen Füßen stieß er sich von der Wand ab, und es gelang ihm, die wenigen Handbreit zu überwinden, die ihn von der Wasserschale trennten. Mühsam hob er den Kopf gerade hoch genug, um das Gesicht ins Wasser legen und ein paar der lebenswichtigen Tropfen in sich hineinschlürfen zu können. Anschließend war er so ermattet, dass er sich auf die Seite legte und mehrere Minuten nach Luft japste. In diesem Moment hätte er sofort einschlafen können, aber er zögerte es so lange wie möglich hinaus. Er wollte sich noch ein paar Stunden wach halten, um dann in die lieblichen Arme des Schlafes zu sinken.

Es knisterte unter seinem Kopf, und als er sich erholt hatte, schob er sich etwas weiter weg von dem harten Brot, so weit, dass er mit dem Mund ein Stück davon erreichen konnte, wenn er sich auf den Bauch drehte. Die hastige Bewegung, die diese Drehung mit sich brachte, ließ den Schmerz in seiner rechten Schulter aufflammen, und er stöhnte. Wie ein Reptil streckte er seine Zunge ein paarmal nach dem Brot aus, bis es schließlich lange genug kleben blieb, um ihr in den Mund zu folgen. Vorsichtig senkte er den Kopf und kaute gründlich, während seine Stirn auf dem Boden ruhte, bevor er den Nacken wieder nach hinten beugte und schluckte.

Er versuchte zu schreien, aber aus seiner Kehle kam nur ein heiseres Fauchen. Seine Stimme hatte er bereits in der ersten Nacht kaputt geschrien. Es spielte ohnehin keine Rolle, denn dort draußen schien zu dieser Jahreszeit niemals jemand vorbeizukommen. Aber bald, in nur wenigen Wochen, würde der Schuppen für die Saison geöffnet werden und die Gartengeräte, die in ihm lagerten, hinaus in die Frühlingserde wandern. Die Erde, die Hosenbeine waren über den Knien ganz schwarz von der Erde, aber was machte das schon? So sollten Jungen im Frühling aussehen. Die Erde war reiner Schmutz, und der Duft von Blumenerde füllte das Auto, als er aus der Parklücke vor dem Giebel ihres Mietshauses zurücksetzte. Die Jungen zankten sich auf dem Rücksitz, und plötzlich schoss ein kleiner Fuß durch die Lücke zwischen seinem Sitz und dem seiner Frau.

»Jetzt ist aber Schluss!«, sagte er, so streng er vermochte. »Das ist gefährlich. Im Auto müsst ihr still sitzen, damit ihr nicht gegen einen der Hebel hier stoßt. Sonst bauen wir noch einen Unfall, und das wollt ihr doch nicht, oder?«

»Wofür ist dieser Hebel denn gut?«, fragte der kleine Tobias neugierig.

»Das ist die Handbremse.«

»Darf ich daran ziehen?«

»Nein, du darfst im Auto nichts anfassen, das ist schrecklich gefährlich.«

»Was passiert denn dann?«

»Wenn du an der Handbremse ziehst, hält das Auto ganz plötzlich an und jemand kann uns hinten drauffahren.«

Tobias drehte sich um und schaute durch die Heckscheibe.

»Aber da ist doch niemand hinter uns!«, rief er aufgeregt. »Dann kann ich doch bestimmt ...«

»Andreas, pass bitte auf deinen kleinen Bruder auf«, unterbrach ihn seine Frau.

Dann wandte sie sich ihrem Mann zu und sagte mit einem schiefen Lächeln:

»Zwei Stunden sind absolut genug ...«

»Aber diese Sorte braucht achtzehn Jahre, um groß zu werden«, seufzte er mit gespielter Resignation.

Die Jungen blieben auf dem ganzen Weg in die Stadt sehr lebhaft und mussten mehrere Male mit freundlichen, aber bestimmten Worten aufgefordert werden, sich ein bisschen ruhiger zu verhalten. Der Weg, auf dem sie jetzt fuhren, verlief parallel zum Fluss und die Sonnenstrahlen glitzerten munter auf dem schwarzen Wasser. Genau dort, wo die etwas dichtere Bebauung des Stadtkerns begann, fuhr er langsamer und parkte den Wagen direkt neben dem verspielt murmelnden Fluss.

»Ich muss nur kurz zum Schuhmacher und meine Schuhe abholen«, erklärte er. »Ich bin gleich wieder da, Jungs, dann fahren wir zu Mama.«

»Darf ich das Auto fahren? Bitte, ich will vorne sitzen!«, bat Tobias.

Der schwer beanspruchte Babysitter schmetterte die Tür zum Fahrersitz mit einem Knall zu und steckte den Kopf durch das Seitenfenster hinein, das er halb heruntergedreht hatte.

»Nein, junger Mann, das darfst du nicht. Und jetzt seid nett zu Tante Mädchen!«

Bevor er den Kopf wieder herauszog, warf er seiner Frau einen Luftkuss zu, den sie erwiderte, bevor er sich umdrehte und die Straße überquerte. Erst dann kam die Reaktion des älteren Bruders.

»Okay«, hörte er Andreas ihm vom Rücksitz hinterherrufen, sicherlich mit den besten Absichten.