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Während der schweren Stunden, die direkt auf die unfassbare Katastrophe folgten und in denen seine Frau im Krankenhaus lag, übernahm er die furchtbare Aufgabe, den Friseursalon aufzusuchen. Danach hatte er an Ingegärds Seite gestanden, manchmal mit dem Arm um ihre Schultern, und sie hatten zugeschaut, wie nach den Kindern getaucht wurde. Erst als Christer nach einer Weile in Begleitung einiger Polizisten eingetroffen war, hatte die Entzweiung begonnen.

Im dunklen Labyrinth der Trauer waren sie alle vier gewandert, aber nicht gemeinsam. Niemand außer ihm selbst hatte es über sich gebracht, Solveig zu besuchen. Sie schrie in ihrer Verzweiflung und erklärte ein ums andere Mal mit immer brüchigerer Stimme, wie das Unglück geschehen war. Er streichelte sie und versuchte sie zu trösten, teilte die Schuld mit ihr, aber je mehr Zeit verging, desto mehr schwand ihr Wunsch, etwas mit ihm zu teilen. Am Ende gab sie ihre verzweifelten Versuche auf, sich an das Leben zu klammern, das sie gemeinsam hatten, nahm einsam alle Schuld auf sich und verschloss sich. Keine Worte konnten ihr Absolution vor dem strengsten aller Richter – ihr selbst – verschaffen, also verstummte sie.

Die Schuld, die Ingegärd nicht in geifernden Strömen über Einar ausschüttete, lud sie auf Christer ab. Ihm hatte sie die Verantwortung für die Kinder übergeben, als sie zur Arbeit gegangen war. Christer war es gewesen, der sie leichtsinnigerweise in Einars Obhut gegeben hatte – der keinerlei Erfahrung mit Kindern hatte, der ohne das geringste Verantwortungsbewusstsein die Kinder mitten auf der Straße in einem kochend heißen Auto zurückgelassen hatte, zusammen mit einer noch verantwortungsloseren Frau, einer Frau ohne Intuition, einer Frau, die nicht wusste, dass Kinder unbedacht und unvorhersehbar handeln können.

Christer versuchte sich verzweifelt von der Bürde zu befreien, die ihm auferlegt wurde, indem er sie an Einar weitergab. In einer wütenden Tirade voller ausdrucksstarker Formulierungen wie verletztes Vertrauen, Wortbruch und Selbstsucht verschaffte er sich Luft. Später erging er sich in vulgären Anspielungen auf seine Frau und bildhaften Beschreibungen ihres unzuverlässigen Charakters.

Am Ende wurde es still. Am Ende waren alle vier so weit voneinander entfernt, dass es nichts mehr zu sagen gab. Jeder von ihnen wählte seine Einsamkeit. Ingegärd und Christer konnten mit der Stille in ihrer Wohnung nicht leben, und keiner von ihnen konnte die Anwesenheit der Person ertragen, die sie am meisten an die verlorenen Kinder erinnerte. Sie packten ihre Sachen, und jeder ging seiner eigenen Wege. Er selbst blieb noch drei Jahre in Solveigs Wohnung. Drei Jahre voller Vorwürfe von anderen und von sich selbst und mit dem einzigen Ziel vor Augen, seiner Frau in ein normales Leben zurückzuhelfen.

Als die drei Jahre um waren, gab er auf. Er hielt die langen Blicke nicht mehr aus, die ihm auf der Straße hinterhergeworfen wurden, und die Erinnerungen, die ihn überallhin verfolgten. Deshalb zog er in den Lärm und die Anonymität der Großstadt. Er kaufte ein Reihenhaus für sich und Solveig und weigerte sich, seinen Traum aufzugeben, wieder mit der wunderbaren Frau zusammenzuleben, die er einst kennengelernt hatte.

Bis er eines Tages Kate begegnete. Einer einsamen asiatischen Frau umzingelt von Glatzköpfen und schwarzen Bomberjacken. Kleines, feiges Gesindel, das die Beine in die Hand nahm, sobald er seine Stimme erhoben hatte. Er musste nicht einmal seinen Polizeiausweis herausholen, bevor sie sich verkrümelten. Aber Kate war ganz aufgewühlt. Väterlich hatte er einen Arm um sie gelegt und sie auf ein Getränk und ein Stück Kuchen in einer Konditorei in der Nähe eingeladen. Sie fragte ihn nach seinem Namen, und er antwortete Eriksson. Vielleicht hatte sie ihn nicht richtig verstanden, vielleicht hatte er in ihren Ohren kompliziert oder auch nur langweilig geklungen. Jedenfalls nannte sie ihn Erik, und es machte ihm nichts aus. Er mochte es. Sie unterhielten sich über ihr Leben in diesem kalten Land, über ihr Heimweh nach den Philippinen, aber auch über die Vorteile, die Schweden hatte, und über ihre kleinen Kinder, die sich hier so wohlfühlten.

Nach einer Weile zeigte sie ihm ein Foto von sich und ihrer Familie, und sein Herz setzte einen Schlag aus, als er feststellte, dass sie mit Christer verheiratet war. Es fühlte sich an, als hätte ihm jemand einen Baseballschläger in den Bauch gerammt, als sich alles mit frischer Kraft wieder auf ihn stürzte: die Angst, die Trauer, die Schuld.

Er versuchte sie aufzuhalten, wollte davon nichts hören; er wollte nicht in Christers Revier eindringen, wollte weder bei sich selbst noch bei ihm alte Gefühle wieder zu neuem Leben erwecken. Aber Kate mit ihrer charmant direkten und offenen Art war nicht zu stoppen. Sie hatte einen Menschen getroffen, der ihr zuhörte, einen Menschen, der eine kleine verlorene Filipina mit Heimweh hinter den breiten Rücken in Björns Trädgård entdeckt hatte, also öffnete sie alle Schleusen und erzählte eine Geschichte von Depression und Unzugänglichkeit, von Albträumen, Entfremdung und Stimmungsschwankungen. Und er verstand; niemand konnte besser als er verstehen, wie ein Leben mit Christer sein musste, und ihr die Unterstützung geben, die sie brauchte, um weitermachen zu können.

Sie trafen sich wieder. Sie wollte ihn nicht gehen lassen, und er konnte sie nicht loslassen; glaubte, dass die Vorsehung einen besonderen Plan damit hatte, dass sich ihre Wege kreuzten. Als sie und Christer schließlich entschieden hatten, getrennte Wege zu gehen, und sie ihm mit einem Anflug von Resignation in ihren dunklen Augen erklärte, dass sie und die Kinder in eine Mietwohnung in Fittja ziehen würden, wurde ihm mit einem Schlag der Sinn dieser Begegnung klar. Es wurde Zeit, den Gedanken an ein normales Familienleben in seinem Reihenhaus in Huddinge aufzugeben. Er hatte eine neue Chance zur Wiedergutmachung bekommen, er konnte einen winzigen Teil der großen Schuld zurückzahlen, die er Christer Larsson gegenüber empfand. Er bot ihr eine für alle Beteiligten wesentlich angenehmere Lösung an.

Er arbeitete hart und für ihn selbst blieb nicht viel übrig, aber was konnte ihm größere Freude bereiten als die Nähe zu diesen braunäugigen und seidenweichen kleinen Kindern und der Anblick ihrer freudigen Gesichter, wenn sie mit ihren Freunden im Kindergarten spielten oder in der hellen, gemütlichen Wohnung mit Aussicht über das Wasser? Näher konnte er dem Glück nicht mehr kommen, und zum ersten Mal seit sehr langer Zeit hatte er das Gefühl, gebraucht zu werden.

Und in Kate hatte er eine Freundin gefunden. Sie stellten keine Ansprüche aneinander, und ihre ungezwungene Art lud zu Offenheit und Fröhlichkeit ein. Allerdings schämte er sich ein bisschen wegen der Geheimniskrämerei, mit der er sie beide umgab. Aber sie schien es ohne Weiteres zu akzeptieren, dass er ihr seine Telefonnummer nicht geben und seine Identität nicht offenbaren konnte. Ihr reichten ein Vorname, die Freundschaft und die Liebe, die er ihren Kindern schenkte. So musste es auch sein, denn mehr als alles andere sorgte er sich um Christer.