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Nachts war es kalt, richtig kalt im Schuppen. In dem Raum befand sich ein kleiner Heizkörper, er war an der inneren Wand platziert, in der es keine Fenster gab. Die Winterkälte strömte durch den Spalt unter der Tür und von der kleinen Fensterluke daneben herein. Der Raum war stockdunkel und um ihn herum war es vollkommen still, nur aus der Ferne klang das Brausen der Stadt herüber.

Er spannte alle Muskeln in Händen und Armen an und versuchte, das Seil um seine Handgelenke auseinanderzudrücken. Er wiederholte die Übung zehn Mal, aber es machte nicht den geringsten Unterschied. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als immer weiter zu drücken, bis er draußen war. Das war seine einzige Chance, und sie war so gut wie nicht vorhanden, so viel war ihm klar.

Danach legte er sich erschöpft auf den Rücken und starrte in die Dunkelheit. Der Hinterkopf und der Rücken taten ihm weh, aber da konnte man nichts machen. Irgendwo musste es wehtun. Irgendwo tat es immer weh. Da klingelte es an der Tür. Bei dem neuen, modernen Dingdong-Geräusch, mit dem sie der Hausbesitzer verwöhnt hatte, nachdem die alte Klingel kaputtgegangen war, zuckte er zusammen. Ein angenehmes, einladendes Geräusch für den Läutenden, ganz anders als das wütende alte Summen. Sie rollte mit den Augen und schaute ihn mit einer Miene an, die resigniert wirken sollte, aber er sah nur die funkelnden blauen Augen unter dem blonden Pony. Er sah nicht, was sie damit ausdrücken wollte, er sah nur ihre Schönheit.

»Ich gehe schon«, sagte er mit einem Lächeln und ging die wenigen Schritte vom Balkon hinüber in den Flur.

Mit den Händen immer noch in den Gartenhandschuhen öffnete er die Tür.

»Hallo! Du, ich hab da grad ein kleines Problem ...«

Es war der Nachbar. Hinter ihm im Treppenhaus stand seine Tür sperrangelweit offen, und man konnte die lebhaften Stimmen der Jungen aus der Wohnung hören. Er hielt inne, als sein Blick auf die Gartenhandschuhe fiel.

»Stör ich dich bei der Arbeit?«, fragte er scherzhaft.

»Ja, wir machen den Balkon gerade schön, pflanzen ein paar Blumen. Wie kann ich dir helfen?«

»Wie schön, wie schön. Tja, meine Frau ist zur Arbeit und ein Kumpel hat gefragt, ob ich ihm nicht helfen könnte, sein Boot ins Wasser zu lassen. Wenn wir heute noch fertig werden wollen, dann wäre es am besten, wenn wir jetzt gleich loslegen könnten. Könntet ihr vielleicht eine Weile auf die Jungs aufpassen?«

»Klar, kein Problem.«

Es war nicht das erste Mal, dass sie auf die Nachbarsjungen aufpassten, sie taten es gern, wenn es nötig war. Die Jungen waren zwei Wirbelwinde von drei und fünf Jahren, aber sie waren zwei lustige kleine Kerlchen, charmant und anhänglich.

»In anderthalb Stunden ist sie im Salon fertig, also könnt ihr sie dann gerne dort abgeben, wenn es euch passt. Sie wollte danach noch mit ihnen Schuhe kaufen gehen.«

»Kein Problem. Sollen wir hier oder bei euch auf sie aufpassen?«

»Wie es euch am besten passt. Ich lasse die Tür offen, dann könnt ihr es es halten, wie ihr wollt. Warte mal kurz!«

Er eilte noch einmal in seine Wohnung zurück und kehrte mit einer Flasche Rioja in der Hand zurück. Als er sie überreichte, verbeugte er sich feierlich.

»Um den Samstagabend mit der schönen Angetrauten zu vergolden!«

Sie tauchte im Hintergrund auf und winkte fröhlich.

»Vielen Dank schon mal für eure Hilfe!«, sagte der Nachbar und war schon auf dem Weg.

»Keine Ursache, es ist uns ein Vergnügen!«, rief sie ihm nach, während er im Treppenhaus verschwand. »Geh du schon mal rüber zu den Jungen und guck nach, was sie so machen, dann kümmere ich mich weiter um die Pflanzen«, fuhr sie an ihren Mann gewandt fort.

Er reichte ihr die Handschuhe und trat durch die offene Tür der Nachbarsfamilie.

Die Jungen saßen im Kinderzimmer auf dem Fußboden und bauten eine Brio-Bahn auf.

»Hallo, Jungs! Darf man mitmachen?«

Sie warfen sich fröhlich auf ihn, und alle drei tobten erst eine Weile auf dem Boden herum, bevor sie sich wieder dem Eisenbahnbau zuwandten. Das gehörte dazu; zuerst musste man eine Weile raufen. Er dachte, dass er, wenn er selbst einen Sohn bekäme, nur raufen und bauen würde, für das Spielen wäre die Mutter zuständig. Das Herumfahren mit den Zügen verabscheute er, aber den Bahnbau entwickelte er zu einer Kunst. Es brauchte seine Zeit, er ließ die Jungen überlegen und lenkte sie mit sanfter Hand, damit sie das Gefühl hatten, die Strecke ganz ohne seine Hilfe gebaut zu haben. Am Ende war sie fertig und es gab kein Zurück mehr; jetzt musste man endlose Zugspiele spielen. Aber dieses Mal wurde er von dem kleinen Tobias gerettet, der fragte:

»Wo ist die Tante?«

»Jetzt hör mal zu, junger Mann«, antwortete er mit beleidigter Miene. »Die Tante ist keine Tante, sondern ein Mädchen.«

»Und wo ist die Tante Mädchen?«

Der große Bruder Andreas und er selbst lachten los, bis sie nach hinten auf den Boden fielen, und es Zeit war für die nächste kleine Rauferei.