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Er erwachte mit einem Ruck. Obwohl er den größten Teil der Nacht geschlafen hatte, war es ihm geglückt, auch am Vormittag noch eine Weile zu schlummern. Er schlief immer nur kurze Zeit am Stück, weil ihn die Schmerzen dazu zwangen, etwa alle zehn Minuten die Stellung zu ändern. Mittlerweile weckte er sich selbst, wenn es so weit war. Sein Körper hatte eine Routine entwickelt, sodass er nach einem kurzen Schlaf wieder aufwachte. Das Leben auf dem kalten, splitternden Holzboden im Werkzeugschuppen war schon fast zur Routine geworden.

Er schob sich in eine sitzende Stellung an der kalten Außenwand, bewegte sich langsam, fast träge. Ein paar Minuten widmete er dem Versuch, die Fesseln zu dehnen. Die Vernunft sagte ihm, dass er etwas tun musste, um nicht vollkommen zu resignieren, und dazu konnte er sich eben noch aufraffen. Er hoffte nicht mehr, er schaute nicht nach vorn. In seinem Leben würde es nichts mehr geben, was sich anzuschauen lohnte, er blickte stattdessen in die Vergangenheit zurück. Er sah sich selbst mit den beiden kleinen Jungen auf sich, wie zwei warme Kissen, flauschige Küken, die man zwicken und schnappen und mit denen man herumrollen konnte. Sie hatten praktisch keine Kanten, und wenn man einen Ellenbogen ins Auge bekam, dann tat es aus irgendeinem Grund nicht einmal weh. Die Körper waren darauf eingestellt, nicht wehzutun, also taten sie es auch nicht.

»Tante Mädchen pflanzt Blumen auf dem Balkon«, knurrte er, während er Tobias mit gestreckten Armen über sich in die Luft stemmte.

»Oh«, sagte Andreas, »können wir ihr helfen? Ich pflanze so gerne Blumen!«

»Natürlich, da freut sie sich bestimmt. Dann kann die Tante Mädchen jeden von euch in einen Topf stecken, damit ihr wachst und irgendwann so groß werdet, dass ich mich gar nicht mehr traue, mit euch zu raufen.«

»Komm, Tobias!«, rief Andreas und war schon auf dem Weg nach drüben.

Tobias befreite sich und rannte hinterher. Er selbst kam langsam auf die Beine, schob den Flickenteppich im Kinderzimmer mit dem Fuß wieder zurecht und klopfte sich die Hose und den Pullover ab. Er schloss die Tür zur Nachbarwohnung und ging in seine eigene hinüber.

Auf dem Balkon hatte Andreas die kleinen Hände in seine viel zu großen Handschuhe gesteckt und umfasste den Hals seines Bruders in einem Würgegriff.

»Nein, nein, nein«, sagte seine Frau. »So nicht. Wollt ihr jetzt Blumen pflanzen oder wollt ihr etwas anderes machen?«

»Ich will eine eigene Blume haben«, sagte Tobias.

»Ja, das darfst du. Tobias, du suchst dir eine Blume aus, und dann darf Andreas sagen, welche er haben möchte. Dann könnt ihr sie schön ordentlich einpflanzen. Aber ihr müsst auch daran denken, sie regelmäßig zu gießen.«

»Ich will die rote da haben«, sagte Tobias.

»Eine Pelargonie. Ja, die wird groß und schön, wenn sie wachsen darf. Und du, Andreas?«

»Die blaue«, antwortete er und deutete in den Karton hinein.

»Perfekt! Eine Petunie für Andreas. Dann macht ihr es so ...«

Sie gab jedem einen Terrakottatopf mit einer Scherbe auf dem Boden und stellte einen vor sich selbst auf.

»Nehmt euch ein bisschen Erde, so, und legt sie auf den Boden des Topfes ...«

Auf dem Balkon war kein Platz für sie alle, sodass er in der Türöffnung stehen blieb. Er bewunderte die geschickte Art seiner Frau und genoss ihre sanfte Stimme und die der Kinder. Der Duft des frisch gemähten Grases unten im Hof und der feuchten Erde auf dem Balkon füllte seine Nasenlöcher. Das Leben hatte gerade erst begonnen.