Ich liebe Spiele, aber meine angeborene Ungeduld lässt keine gute und durchdachte Strategie zu, und ich hasse es, zu verlieren. Es war Hal, der die Intrige liebte, den intellektuellen Wettstreit. Also hatte er mich von Anfang an in die schwächere Position gebracht. Das ärgerte mich noch mehr, je länger ich das Bild betrachtete.
Dies war eine weitere Rückkehr in unsere Kindheit. Wir konnten nicht einfach Verstecken spielen wie normale Kinder. Hal bestand darauf, komplizierte Spiele zu entwickeln – Spiele, bei denen er wusste, dass er die Oberhand behalten würde. Er hatte einmal einen ganzen Vormittag damit verbracht, eine Schnitzeljagd vorzubereiten. Die Spur führte zu seinem Dachzimmer, wo, wie er beteuerte, eine Zwanzigdollarnote auf mich wartete, wenn ich die Hinweise richtig deutete. Am Ende war dort kein Geld, sondern der ausgetrocknete Kadaver einer Maus. Hal hatte schallend gelacht, als ich sie schließlich fand.
Nachdem ich das Rätsel einige Sekunden lang studiert hatte, erkannte ich, dass ich es nicht so einfach würde lösen können, und wandte meine Aufmerksamkeit dem Artefakt zu, um das es ging. Hals Beschreibung lieferte mir so gut wie keine Anhaltspunkte, aber ein Versuch, per Online-Recherche irgendwelche Hinweise darauf zu finden, konnte nicht schaden. Das von Interpol betriebene Datenarchiv gestohlener Kunstwerke, das Art Loss Register, und das Kunstdiebstahl-Programm des FBI zählten zu den klassischen Hilfsmitteln des Kunsthandels. Ich kannte einen Händler mit besonders schlechtem Ruf, der regelmäßig diese Quellen anzapfte, um abschätzen zu können, wie heiß ein Objekt war, ehe er sich offiziell dafür interessierte. Wenn es tatsächlich aufgelistet war, pflegte er seine Provision zu verdreifachen.
Nichts bei Interpol beschrieb auch nur entfernt eine verschwundene neoassyrische Schrifttafel. Das war keine Überraschung. Angesichts des verbrannten Aktenarchivs des Museums von Bagdad würden auch die besten Polizeidienste einige Zeit brauchen, um die verschwundenen Objekte aufzulisten.
Das FBI führte einige der bekanntesten gestohlenen Stücke in seinem Verzeichnis. Wie ich erwartet hatte, wurde die Elfenbeinplakette mit dem Bild eines Löwen, der gerade einen Nubier tötet, ein ganz erstaunliches Kunstwerk, unter den zehn wichtigsten verschwundenen Werken aufgeführt. Aber auch dort fand ich keinerlei Hinweise auf die Schrifttafel. Größere Hoffnungen verband ich mit einem Blick in das Art Loss Register, denn ich wusste, dass es mindestens 200 000 Objekte, Antiquitäten und Sammlerstücke dokumentierte. Aber auch ein intensives Durchkämmen dieser Website erbrachte nichts.
Ein Blick auf die Uhr machte mich darauf aufmerksam, dass ich zu meiner Verabredung mit dem Detective aufbrechen musste. Sollte ich den Brief mitnehmen und ihm zeigen? Ich hatte keinen Beweis, dass er tatsächlich von Hal stammte, und ich hätte mir diese Geschichte genauso gut ausdenken können. Ich entschied mich dafür, das Rätsel auszudrucken und in die Hosentasche zu stecken. Ich dachte, ich könnte mich schon damit beschäftigen, falls mein Termin aus irgendeinem Grund verschoben wurde. Ich lud Hals Datei auf mein BlackBerry, steckte den Speicherstift in einen neuen Umschlag und schrieb meinen Namen darauf.
Damit blieb nur noch eins, was dringend erledigt werden musste.
Nina, der die Wohnung auf der anderen Seite des Flurs gehörte, schaute des Öfteren nach unserer Bleibe, goss die Blumen und kontrollierte die Klimaanlage, während Sam und ich auf Reisen waren. Ich nahm an, dass sie an einem Sonntagmorgen eigentlich zu Hause sein musste. Also ging ich hinüber und klingelte bei ihr.
Ein seltsames Lächeln huschte über ihr Gesicht, als ich sie bat, den Umschlag für mich aufzubewahren. Nicht die beste aller Lösungen, aber alles, wozu ich im Augenblick Zeit hatte. Sie betastete das Papier. »Das ist doch nicht etwa dein Vorrat an Stoff, nicht wahr? Ich glaube nicht, dass du mir den anvertrauen solltest.« Sie schüttelte den Umschlag. »Du musst wissen, dass ich nachschaue.«
»Es ist gestohlener Schmuck. Diamanten von zwanzig Karat. Sie sind ein Vermögen wert.«
»Oh, dann ist es kein Problem.« Sie lachte und versprach, gut auf den Umschlag aufzupassen. »Das mit heute Abend hast du doch nicht vergessen, oder?«
Ich sah sie irritiert an. »Tut mir leid, Nina, ich habe harte vierundzwanzig Stunden hinter mir. Sag mir noch einmal, was du meinst.«
»Meine Party. Du hast dich schon viel zu lange in deiner Bude verkrochen. Es wird dir guttun, wieder mal unter Leute zu kommen.«
»Ach ja, richtig. Ich weiß noch nicht, ob ich kommen kann. Es hat sich etwas Wichtiges ergeben. Aber ich versuche mein Bestes.« Ich bedankte mich bei ihr und ging zum Fahrstuhl.
Nachdem ich fast eine Stunde im Warteraum des zehnten Reviers gesessen hatte, wurde ich schließlich von einem Polizisten in Uniform aufgerufen und durch den Flur zu dem Schreibtisch einer Sachbearbeiterin geleitet. Von Detective Gentile war nichts zu sehen. Der Polizist überprüfte den Inhalt meiner Hosentaschen und fuhr mit einem Detektorstab über meinen Körper. Als die Beamtin Fragen stellte, um meine alte Akte auf den neuesten Stand zu bringen, protestierte ich.
»Gentile hat es so angeordnet«, war alles, was sie erwiderte. Sie machte ein aktuelles Foto von mir und bestätigte meine Augenfarbe, meine Größe und mein Gewicht. Ich wies darauf hin, dass meine Augen während der letzten vierzehn Jahre ihre Farbe nicht verändert hätten, und verriet ihr, dass eine Frau einmal gesagt habe, sie sähen aus wie dunkler Samt.
Die Beamtin runzelte die Stirn und fixierte mich über den Rand ihrer Brille. Dann beugte sie sich wieder über das Formular und schrieb »braun«.
»Mit Bart sehen Sie viel besser aus«, sagte sie. »Auf Ihrem Führerschein steht als Name Madak; auf Ihrer Visa-Karte schreiben Sie sich Madison. Weshalb dieser Unterschied?«
»Richtig ist der Name auf dem Führerschein. Er ist türkisch. Mein Bruder änderte ihn in Madison um, als ich nach Amerika kam.«
»Er benannte Sie nach einem amerikanischen Präsidenten, nicht wahr?« Sie hob die Schultern fast bis zu den Ohren hoch und ließ sie wieder sinken. Ich war mir nicht sicher, ob sie damit eine unangenehme Anspannung lockerte oder andeuten wollte, dass sie eine ausführlichere Erklärung wünschte. »Demnach steht die korrekte Version auf Ihrem Führerschein?«
»Das ist richtig.«
»Ihr richtiger Name ist Jonathan?«
»Ja.«
»Was ist mit dem zweiten Namen? K-E-N-I-T-E. Ist der auch richtig?«
»Ja. Eigentlich ist das mein türkischer Name. Er wird Ken-it-ee ausgesprochen.«
»Wenn ich Ihre Mutter wäre, hätte ich mich für Ken entschieden.« Sie kicherte, als sei das ein besonders gelungener Witz.
Ich verkniff mir einen Kommentar.
Der Polizist in Uniform, Vernon mit Namen, brachte mich zu einem Verhörzimmer, das mit einem uralten Stahltisch und dazu passenden Stühlen möbliert war. Die ehemals weißen Wände hatten die Farbe dunkler Eierschalen und der graue Teppichboden war von billigster Qualität. Dank der auf vollen Touren laufenden Klimaanlage war es in dem Raum eiskalt und es roch nach altem Zigarettenrauch. Ich vermutete, dass dieser Ort seine eigenen Gesetze hatte, wie der Vatikan zum Beispiel.
Vernon verließ den Raum, schloss die Tür und lehnte sich dagegen. Durch das strukturierte Glas konnte ich verschwommen sein Oberhemd sehen. Ich konnte erkennen, wie Leute vorbeigingen, und hörte sie kurz miteinander sprechen. Unter anderem erfuhr ich, dass Detective Gentiles Spitzname Genitalia lautete – und das klang nicht besonders freundlich.
Hierherzukommen erwies sich mehr und mehr als Fehler. So viel zum Thema gute Absichten. Würden sie versuchen, mir irgendwie Hals Tod anzuhängen? Ich verbrachte meine restliche Wartezeit damit, mir die Geschichte zurechtzulegen, die ich ihnen zu erzählen gedachte, und achtete darauf, dass darin keine Ungereimtheiten oder Diskrepanzen auftauchten. Ich wollte irgendwie die Information über Eris und ihr Riesenbaby rüberbringen, ohne zuzugeben, dass ich den Ort des Geschehens verlassen hatte.
Als die Tür sich schließlich öffnete, kamen die Inquisitoren herein – zwei Männer. Vernon begrüßte den ersten Mann mit einem Kopfnicken, »Lieutenant Gentile« schloss die Tür und baute sich wieder davor auf, diesmal jedoch von innen. Gentile und der andere Mann nahmen mir gegenüber Platz und legten ihre Aktenordner auf den Tisch.
Gentile hantierte an den Schaltern der Videokamera herum und schaltete sie ein, dann nannte er die Uhrzeit, das Datum und die Namen der Gesprächsteilnehmer. Der zweite Mann war Louis Peres, ein anderer Detective.
Gentile hätte in einem früheren Leben als Verteidiger im Profi-Football spielen können. Vielleicht war sein Jackett auch zu klein. Jedenfalls wölbten sich seine Muskeln und spannten die Nadelstreifen fast bis zum Zerreißen. Seine Wangen waren mit Aknenarben übersät, das Haar kurz geschnitten und grauweiß. Er trug eine Rolex Cellini Classic und hatte einen silbernen Ring am kleinen Finger. Dem Aussehen nach dürfte er bald seinen sechzigsten Geburtstag feiern. Ziemlich alt für einen Cop. Gentile musterte mich eingehend. Peres blätterte in seinem Aktenordner, ohne mich eines Blickes zu würdigen.
Eine Beamtin in Zivil brachte eine Karaffe mit Eiswasser und einige Trinkgläser. Sie stellte die Gläser und die Karaffe vor den Detectives auf den Tisch und ging wieder hinaus.
»Okay«, sagte Gentile. »Fangen wir an. Erzählen Sie uns, was passiert ist.« Er hob die Augenbrauen, starrte mich drohend an und schob das Kinn vor wie ein Berufsringer, der seinen ersten Würgegriff ansetzen will.
»Ehe wir dazu kommen, möchte ich bemerken, dass ich freiwillig hergekommen bin. Warum behandeln Sie mich wie einen Kriminellen?«
»Wir versuchen nur, die Fakten zusammenzutragen, Mr. Madison. Ein Mann ist tot. Lassen Sie hören, was Sie dazu zu sagen haben.«
Seine Reaktion erfüllte mich nicht unbedingt mit Zuversicht. »Na schön. Ich kam her, weil jemand Hal einen Schuss mit hochgradig reinem Heroin verpasst hat, nämlich eine Frau, die ich auf Hals Party kennengelernt habe. Ich hörte, wie sie und ein anderer Mann mit Hal stritten, als ich die Party verließ.«
»Oh? Und um welche Zeit war das?«
»Etwa gegen Mitternacht. Ich bin direkt zu einem Club gefahren. Sie können das gerne nachprüfen, wenn Sie wollen.«
Ich wusste, dass Diane meine Aussage bestätigen würde, und der Zeitrahmen würde mich als Tatverdächtigen ausschließen. Ich nannte ihm den Namen des Clubs und erklärte, wie er Diane erreichen könne. Gentile kritzelte etwas auf ein Notizblatt und reichte den Zettel Peres, der den Raum verließ. Ich betete im Stillen, dass Diana bereits an ihrem Arbeitsplatz war.
Gentile fuhr fort: »Können Sie diese Leute identifizieren?«
»Der Name der Frau war Eris. Ihren Nachnamen kenne ich nicht. Sehr attraktiv, Ende zwanzig, körperlich fit, um die eins fünfundsechzig groß. Der Mann in ihrer Begleitung maß sicher über zwei Meter und war ziemlich massig.«
Gentile wischte sich mit einer Hand über die Stirn. Obgleich es in dem Raum ausgesprochen kalt war, schwitzte er heftig. Sein Gesicht war so rot wie rohes Rindfleisch. »Colin Reed beschrieb die Frau genauso. Er behauptete, sie habe die Party schon vor ihm verlassen.«
Natürlich würde Reed, ein verheirateter Mann, das eher erzählen, als zuzugeben, dass er mit ihr hatte ins Bett gehen wollen. »Wenn sie wirklich gegangen ist, muss sie später wieder zurückgekommen sein. Jedenfalls habe ich sie dort gesehen.«
Gentile machte sich weitere Notizen auf seinem Schreibblock, aber ich konnte erkennen, dass er meiner Geschichte keinen Glauben schenkte. »Sind Sie wieder im Geschäft? Wie ist Vanderlin an seine Drogen herangekommen?«
»Schauen Sie in Ihren Akten nach. Sie wissen, dass ich nie etwas mit Opiaten zu tun hatte.«
Gentile tat so, als schlage er seinen Aktenordner auf. Eine lächerliche Geste, denn er hatte das Ganze sicherlich längst nachgelesen, ehe er den Raum betreten hatte. Er blätterte ein paar Seiten weit. »Verurteilt wegen einfachen Diebstahls vierten Grades, 1989, wegen Handels mit Marihuana. 1990 angeklagt wegen des Verkaufs einer verbotenen Substanz, zweiundzwanzig Gramm Kokain. Aus der Geschichte haben Sie sich herauswinden können. Vielleicht betreiben Sie Ihre Geschäfte jetzt in größerem Stil.«
»Das war in meiner wilden Jugend. Ich war damals noch ein halbes Kind. Mit all dem habe ich längst Schluss gemacht. Außerdem waren die Mengen nicht der Rede wert.«
»In welcher Beziehung standen Sie zu Vanderlin?«
Diese Frage hätte ich ihm vor vierundzwanzig Stunden auf Anhieb beantworten können. Die Freundschaft zwischen uns war gelegentlich ziemlich gestört gewesen, aber ich hatte in Hals Gefühlen eine Bitterkeit mir gegenüber feststellen müssen, von deren Existenz ich nichts geahnt hatte. Trotzdem fiel meine Antwort für Gentile sehr kurz aus. »Mein Bruder und sein Vater waren befreundet. Wir wuchsen zusammen auf.«
»Ihr Bruder, das ist Samuel Diakos, und sein Vater ist Peter Vanderlin, nicht wahr?«
»Richtig. Samuel war mein Halbbruder, vierzig Jahre älter; eher wie ein Vater.«
»Warum haben Sie einen anderen Nachnamen?«
»Das ist eine lange Geschichte.«
»Ich habe Zeit.«
»Samuel und ich hatten denselben Vater. Er war im Zweiten Weltkrieg Widerstandskämpfer der ELAS, der griechischen Volksbefreiungsarmee. Samuel und er wurden von den Nazis geschnappt und in ein Arbeitslager gesteckt. Als die Lagerverwaltung erfuhr, dass mein Vater Goldschmied war, schickten sie ihn zur Deutschen Gold- und Silberscheideanstalt, einer Firma, die auf das Einschmelzen von Edelmetallen spezialisiert war. Dort musste er den Schmuck inspizieren, den man den Gefangenen abgenommen hatte, und seinen Wert taxieren.«
»Offensichtlich hat ihr Vater überlebt.«
»Das hat er. Eines Tages fand er einen Ring zwischen dem anderen Schmuck, den er einst für Samuel angefertigt hatte. Er glaubte, sein Sohn sei tot. Nach Kriegsende floh er in die Türkei, weil das griechische Regime Jagd auf alles machte, was politisch links stand. Er hielt seine Identität geheim und gab sich einen türkischen Nachnamen – Madak. Jahre später heiratete er wieder und bekam einen zweiten Sohn – mich. Samuel hatte in all den Jahren stets nach seinem Vater gesucht. Als er schließlich seine Spur fand, erfuhr er von mir und dass meine Eltern bei einem Erdbeben ums Leben gekommen waren. Daraufhin reiste er sofort in die Türkei, um mich zu sich nach Hause zu holen.«
»Oh, das stimmt. Sie waren das arme türkische Waisenkind. Samuel Diakos hat sie besser behandelt als einen leiblichen Sohn. Sie haben sich für seine Großzügigkeit revanchiert, indem Sie ihn umbrachten.«
Plötzlich sah ich nur noch rot. Die unermessliche Menge an Schuldgefühl über Samuels Tod, die ich mit mir herumschleppte, verwandelte sich in blinde Wut. Ich machte Anstalten aufzuspringen, doch der uniformierte Cop hielt mich fest und schlang einen Arm um meinen Hals.
Ich stand kurz davor, das Bewusstsein zu verlieren, als ich Gentile sagen hörte: »Okay, Verne, lassen Sie ihn los. Geben Sie ihm ein paar Minuten, um sich zu beruhigen.« Der Cop löste den Arm um meinen Hals, blieb jedoch hinter mir stehen.
Gentile schenkte Wasser in sein Glas und trank einen Schluck. Das Ergebnis seines letzten Vorstoßes gefiel ihm offensichtlich. »Haben Sie irgendetwas aus Vanderlins Haus an sich genommen, ehe Sie die Party verließen?«
»Nein.« Ich fragte mich, wie er auf so etwas kam.
»Colin Reed erzählte uns, er habe Sie mit Vanderlin streiten hören. Um was ging es?«
»Hal schuldete mir Geld, das ich ihm geliehen hatte. Er erklärte mir, er habe das Geld nicht.«
»Dann nahmen Sie sich das, was er Ihnen schuldete, in anderer Form, nicht wahr? Sie schnappten sich das restliche Heroin, oder?«
»Unsinn.«
Gentile klappte seinen Aktenordner lautstark zu. »Mr. Madison, es gibt eindeutige Beweise, dass Vanderlin durch einen drogenbedingten Unfall ums Leben kam, und zwar ohne fremde Beteiligung. Diese Information wurde bereits veröffentlicht. Was uns interessiert, ist, wie er sich seine Drogen beschafft hat.«
»Sehen Sie, das ist doch nur ein Ablenkungsmanöver. Die Frau, von der ich Ihnen erzählt habe, hatte es auf etwas abgesehen, das Hal Vanderlin meinem Bruder gestohlen hatte, eine neoassyrische Schrifttafel, die möglicherweise aus dem Irak stammt. Sie ist ziemlich viel wert.«
»Könnten Sie das für uns einfache Menschen einmal übersetzen, so dass auch wir es verstehen?«
»Es handelt sich um eine in Stein gehauene Inschrift aus der Zeit, als das assyrische Reich in voller Blüte stand. Das war etwa 800 bis 612 v. Chr.«
»Vielen Dank, Professor. Sie handeln seit nunmehr sieben Jahren mit Sammlerstücken und Kunstobjekten. Ist das richtig?«
»In etwa.«
»Ein lukratives Geschäft?«
»Es geht rauf und runter. Manchmal läuft es gut. Dann kann es auch mal sehr ruhig sein. Es kommt darauf an, welche Kontakte man unterhält und wie man sich sein Netzwerk aufgebaut hat.«
»Und woher kommen sie? Ihre Kontakte, meine ich.«
»Ursprünglich über Samuel. Er war Archäologe und hatte außerdem Assyrologie studiert. Er kannte diese Welt – die Händler, die Wissenschaftler, die Museumsverwaltungen. Mittlerweile habe ich mir meinen eigenen Kundenstamm aufgebaut. Während der letzte beiden Jahre brauchte ich seine Hilfe kaum mehr in Anspruch zu nehmen.«
»Heißt das, Sie haben sich auf Objekte aus dem Vorderen Orient spezialisiert?«
»Zuerst ja, weil es auch Samuels Spezialgebiet war. Seitdem habe ich jedoch mein Angebot erweitert. Ich handle auch mit Kunst aus der Renaissance, und dann war da natürlich auch noch Peter Vanderlins Sammlung.«
»Ihre Talente sind breit gefächert. Sie müssen eine Menge von Kunst verstehen, um sich auf einem so weiten Territorium zurechtzufinden.«
Ein unaufrichtiges Kompliment, dachte ich, das ganz bewusst ausgesprochen worden war. »Ich weiß eine Menge über den Nahen und den Mittleren Osten, weil ich bei einem Experten für diese Kulturen aufgewachsen bin. Was die anderen Bereiche betrifft, so halten meine Kenntnisse sich dort in Grenzen. Meine Spezialität ist das Verkaufen. Auf gewisse Art und Weise bin ich ein Makler. Das Wichtigste ist, dass man seine Kunden sehr gut kennt – und ihre Träume. Mit den Objekten selbst kann man auch ihre wissenschaftliche Bewertung kaufen.«
Gentile hielt inne, um einen kurzen Blick in seinen Aktenordner zu werfen. »Wie Sie es bei der Madonna von Livorno getan haben?«
»Diese Geschichte wurde außergerichtlich geregelt, wie Sie wahrscheinlich wissen. Der Typ, dem sie gehörte, verkaufte eine Fälschung. Ich hatte damit nichts zu tun.«
Gentiles Stuhl knarrte, als er sich zurücklehnte. »Ich schätze, Ihre Experten haben ebenfalls Mist gebaut.«
»Selbst große Auktionshäuser können sich schon mal irren.«
Die Tür wurde geöffnet. Louis Peres kam herein, setzte sich, dann beugte er sich vor und flüsterte mit Gentile.
Gentile nickte und kehrte zu seinen Fragen zurück. »Ich nehme an, Sie kennen eine Reihe prominenter Sammler. Wären einige von ihnen bereit, Gesetze zu übertreten, um ein Objekt zu erwerben, an dem ihr Herzblut hängt?«
»Sie denken an Kunstdiebe, die auf Bestellung für einen Multimillionär tätig werden, der in seiner Villa einen geheimen Tresor voller gestohlener Chagalls und Picassos hat? Das ist nur ein Mythos.«
Gentile hob die Augenbrauen. »Wirklich?«
»Sie kennen die Psychologie eines Sammlers nicht. Der wesentliche Punkt ist, seine Käufe der Welt zeigen zu können, nicht, sie zu verstecken. In neunundneunzig Prozent aller Fälle sind Kunstdiebe eher hirnlos. Sie stehlen die Stücke und stellen dann fest, dass sie nichts damit anfangen können, weil sie einfach zu genau dokumentiert sind.«
Ich konnte den Zweifel in Gentiles Gesicht deutlich erkennen. »Das scheint sie aber nicht davon abzuhalten, es immer wieder zu versuchen.«
»Das meiste wird als Pfand oder für die Geldwäsche benutzt. Der Profit kommt von den Lösegeldern. Versicherungsgesellschaften drücken lieber ein Auge zu und zahlen ein Lösegeld, als für den Gesamtwert eines Kunstwerks aufzukommen. Ein einziges Gemälde von Rembrandt ist insgesamt vier Mal gestohlen worden. Bei Antiquitäten, die aus Plünderungen stammen, ist es ein wenig anders. Es ist sehr viel schwieriger, deren Herkunft und Echtheit zu beweisen. Aber es ist relativ einfach, eine falsche Provenienz zu konstruieren. Oder man nimmt eine umgekehrte Restaurierung vor.«
»Was ist das?«, fragte Gentile.
»Experten sorgen dafür, dass echte Stücke wie Fälschungen aussehen. Selbst wenn eine Beschaffungsnummer existiert, ist es nicht allzu schwierig, sie zu entfernen. Jedes Jahr werden auf diese Art Milliardenbeträge umgesetzt. Das ist eine unglaubliche Menge Geld. Samuel sah, dass Objekte zum Kauf angeboten wurden, von denen er genau wusste, dass sie gestohlen waren, doch er konnte nichts dagegen tun, weil er es nicht beweisen konnte. Das hat ihn immer in rasende Wut versetzt. Tatsache ist, dass die Antiquitätenmärkte vom Diebstahl abhängig sind. Abgesehen von Wiederverkäufen sind Plünderungen der einzige Weg, um für Nachschub zu sorgen.«
»Geschieht das wirklich so offen?«, fragte Gentile. Seine Frage schien echt zu sein. Vielleicht hatte er es aufgegeben, mir irgendwelche Köder vorzuwerfen.
»Gewöhnlich werden sie über kleinere Auktionshäuser abgesetzt, die nicht so wählerisch sind. Das verschwundene Artefakt, das ich erwähnte, stammt wahrscheinlich aus der alten Stadt Ninive.« Gentile nickte, aber ich vermutete, dass er mit Ninive nicht viel vertrauter war als mit dem, was er mit einem Fischbesteck während eines festlichen Banketts anfangen sollte.
Er deutete mit dem Zeigefinger auf mich wie ein Staatsanwalt im Gerichtssaal. »Was war Vanderlin von Beruf? Ein Professor?«
»Er hatte einen Lehrauftrag in Philosophie, keine feste Anstellung.«
»Demnach fehlte ihm das Fachwissen, um mit Museumsstücken zu handeln?«
»Richtig.«
»Sie erwähnten, Sie hätten ihm dabei geholfen, die Sammlung seines Vaters zu verkaufen. Ist das richtig?«
»Ja.«
»Vanderlins Vater lebt noch. Hatte sein Sohn das Recht, so etwas zu tun?«
»Er hatte entsprechende Vollmachten. Sein Vater leidet an Alzheimer.«
»Sie wollen damit sagen, dass er, nachdem Sie zu seiner Zufriedenheit die gesamte Sammlung seines Vaters aufgelöst haben, dieses eine Objekt ohne Ihre Hilfe verkaufen wollte?«
»Ja, das habe ich doch schon gesagt. Er hat es meinem Bruder gestohlen.«
Gentile schloss die Augen, als meditiere er über meine Worte. Schließlich stützte er seine schweren, massigen Hände auf den Tisch und erhob sich. Sein Stuhl kippte beinahe um, als er ihn zurückschob. Er kam um den Tisch herum auf meine Seite und blieb dicht neben mir stehen, damit mir seine Massigkeit hautnah bewusst wurde. Ich konnte die Eier mit Speck, die er zum Frühstück verzehrt hatte, in seinem Atem riechen.
»Kehren wir zur vergangenen Nacht zurück. Sie erzählten uns, Sie hätten Hal Vanderlin gegen Mitternacht verlassen, um danach eine Bar aufzusuchen.«
Was bezweckte er damit, dass er wieder auf die Überdosis zu sprechen kam? Ich schaute zu Peres. Er war endlich aufgewacht und fixierte mich.
»Das ist seltsam. Denn Diane Chan sagt, Sie seien erst nach zwei Uhr dort aufgetaucht. Also füllen Sie diese Lücke für mich, bitte.«
Sie hatten die ganze Sache wundervoll in Szene gesetzt, mich an der langen Leine laufen und von geplünderten Kunstgegenständen erzählen lassen, und ich war ihnen bereitwillig in die Falle gegangen.
Gentile zeigte das erste aufrichtige Lächeln, seit wir den Raum betreten hatten.
Ich wehrte mich noch für eine Weile und argumentierte, Diane müsste sich in der Zeit geirrt haben, aber sie wussten es besser. Am Ende erzählte ich ihnen, dass ich zurückgekehrt sei, als Hal mich anrief, und seine Leiche gefunden hätte. Nachdem Eris und ihr Freund mich bedrohten, sei ich geflüchtet aus Angst, dass sie auch mich töten würden.
Wie vorherzusehen war, hatte Gentile sich für die plausibelste Lösung entschieden und angenommen, ich sei Hals Lieferant gewesen und hätte die Geschichte mit Eris und der gestohlenen Schrifttafel nur als Tarnung erfunden. Aber dafür hatte er keinen Beweis, sondern konnte nicht mehr tun, als einen Verdacht zu hegen. Am Ende konnte er mich nicht festhalten.
Als ich mich erhob, um zu gehen, sagte er drohend: »Mr. Madison, die Untersuchung Ihres Verkehrsunfalls ist noch nicht abgeschlossen. Und wenn wir zu der Überzeugung gelangen sollten, dass sie Mr. Vanderlin mit Heroin versorgt haben, erwartet Sie mindestens eine Anklage wegen Totschlags. Unternehmen Sie keine langen Reisen. Ich möchte nicht erfahren, dass Sie Ihre Waren an irgendeinem Strand in Brasilien verscherbeln.«
Als ich der Polizei meine Aufwartung machte, hatte ich ständig an eine Frau gedacht – Eris. Jetzt gab es eine andere, die ich nicht vergessen konnte – Diane Chen. Was hatte sie vorhergesagt? Verrat. Die Wahrsagerin hatte ihre eigene Prophezeiung erfüllt.