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Als Freya angelaufen kam, begannen die Frauen gerade mit mir zu reden.

Sandy verstand nicht, warum es so schwer für mich war, in ein somalisches Dorf zu kommen und meinen Namen nicht nennen zu dürfen. Natürlich waren die Frauen misstrauisch. Sie wollten wissen, wo meine Familie war und wohin ich gehörte. Als sie merkten, dass ich ihnen das nicht sagen würde, wusste, ich, was sie dachten. Jemand, der so etwas nicht sagen wollte, hatte sicherlich etwas zu verbergen.

Aber selbst wenn ich es ihnen hätte sagen dürfen, welchen Namen hätte ich nennen sollen? Khadija Ahmed Mussa? Geri? Oder meinen richtigen Namen, der alles verraten hätte? Vielleicht war es einfacher, zu sagen: Ich bin Qarsoon.

Während ich für Sandy und Zoë übersetzte, versuchte ich das den Frauen zu erklären, und sie wurden gerade etwas freundlicher, als Freya gestikulierend auf uns zukam.

»Die hält nicht lange durch, wenn sie so herumrennt«, meinte eine der somalischen Frauen. Sie hieß Nhur und bis dahin hatte sie kaum gesprochen. Jetzt sah sie Freya entgegen und auch die anderen Frauen nickten und runzelten die Stirn. Es war heiß und drückend.

Freyas Gesicht war zwar sehr rot, aber sie schien kaum zu merken, wie verschwitzt sie war. Sobald sie nahe genug war, begann sie hektisch zu reden und warf sich fast auf Sandy.

»Tony Morales! Da – er ist gerade angekommen. Wir müssen aufpassen …«

Sandy fasste sie an den Schultern und hielt sie fest. »Das ist gut«, erklärte sie bestimmt. »Er verschafft uns eine großartige Publicity.«

Aber Freya beruhigte sich nicht. »Aber wenn er versucht, ihr den Schleier herunterzureißen …«

»Das wagt er nicht«, erwiderte Sandy. »Er ist vielleicht entschlossen, aber er ist kein Vollidiot. Aber es ist vielleicht trotzdem gut, die Leute vor ihm zu warnen.« Sie wandte sich an mich. »Könntest du das bitte tun?«

Eine oder zwei der Frauen hatten es bereits verstanden und sagten es weiter, verwundert und misstrauisch. Als ich wieder zu reden begann, erntete ich mitfühlendere Blicke als zuvor.

»Der Mann, der eben angekommen ist, will mein Gesicht fotografieren«, erklärte ich. »Das darf ich nicht zulassen. Gibt es einen Ort, an dem ich mich vor ihm verstecken kann?«

Sie tuschelten untereinander, dann lächelte mich Nhur breit an. »Du kannst jederzeit in mein Haus kommen. Und deine Freundin auch. Vielleicht sollten wir jetzt dorthin gehen. Sie sollte aus der Sonne.«

Ein paar der anderen Frauen nickten zustimmend und ich nahm Freya an der Hand. »Nhur bietet uns einen Ort an, an dem ich mich verstecken kann. Sollen wir ihn uns ansehen?«

Es war ein kleines Haus mit nur einem Raum ganz am Rand des Dorfes. Drinnen war es heiß und stickig, aber zumindest waren wir raus aus der grellen Sonne. Seufzend nahm Freya den Hut ab.

»Oh, Gott sei Dank! Ich hasse dieses blöde Ding. Ich weiß, dass ich ihn aufsetzen muss, aber davon wird mein Kopf so nass!« Sie fuhr sich mit den Fingern durch die Haare, die sich ihr in feuchten Löckchen um das Gesicht kringelten.

Nhur schnippste verächtlich nach dem Sonnenhut. »Nicht gut«, sagte sie auf Englisch. Dann betrachtete sie kopfschüttelnd Freyas Hose mit den eng anliegenden Hosenbeinen und dem engen Bund und verzog lustig das Gesicht. »Heiß, heiß, heiß

»Ich weiß«, gab Freya missmutig zu. »Aber ich muss mich bedecken, sonst werde ich knallrot verbrannt.«

Nhur verstand kein Wort, konnte aber erraten, was Freya sagte, sah sie lange und nachdenklich an und hob dann die Hand. »Warte. Ich komme wieder.«

Als sie das Haus verließ, hörte ich, wie die anderen Frauen sie fragten: »Was machst du, Nhur? Komm und zeig Zoë deine schönen Hennamuster.« Nhurs Antwort konnte ich nicht verstehen, aber ein paar Minuten später kam sie zurück, die Hände voller bunter Stoffe.

»Das ist besser«, sagte sie zu Freya.

Ich erkannte es sofort und sah auch, dass es – nach dem Muster, der Stoffqualität und der sorgfältigen Art, wie es gefaltet war, zu urteilen – das beste Kleid einer Frau für besondere Tage war.

Freya starrte es nur an. »Was will sie?«, fragte sie leise. »Was soll ich tun?«

»Sie leiht dir bessere Kleidung«, erklärte ich. »Das ist sehr freundlich von ihr. Du musst sie anziehen.«

»Aber … wie denn?«

Zum ersten Mal erlebte ich Freya unsicher. Vorsichtig streckte sie die Hand aus und berührte das Kleid, das Nhur ausbreitete.

»Wir helfen dir«, bot ich ihr an. »Zieh mal diese ganzen warmen, engen Sachen aus.«

Ich musste sie erst eine Weile überreden, aber am Ende tat sie es doch. Und dann mussten wir sie anziehen wie ein kleines Kind. Sie hielt still, während wir ihr das Kleid über den Kopf zogen und die Hände durch die Ärmel schoben. Als Nhur das große Kopftuch nahm, um es ihr um den Kopf zu legen, wurde es peinlich.

»Das soll ich tragen?«, erschrak Freya und trat einen Schritt zurück.

Nhur runzelte die Stirn. »Sie muss den Kopf bedecken«, erklärte sie auf Somali. »Weiß sie denn nicht, dass die Sonne sie krank machen kann?«

»Doch, das weiß sie«, erwiderte ich. »Aber sie hat da so ein paar komische, abergläubische Vorstellungen. Einen Augenblick bitte.« Kopfschüttelnd wandte ich mich auf Englisch an Freya. »Ich weiß, was du denkst … aber in Somalia ist das anders. Das Kopftuch ist das Beste, was du tragen kannst. Bitte versuch es.«

Freya sah es misstrauisch an. »Ich weiß nicht …«

»Bitte«, wiederholte ich. Ich konnte nicht ertragen, dass sie wieder diesen schrecklichen, schweißtreibenden Hut trug.

Freya streckte die Hand aus und berührte das Material.

»Na gut«, gab sie schließlich nach. »Aber ihr müsst mir zeigen, wie man es anlegt.«

Ich legte es ihr über den Kopf und um die Schultern und zeigte ihr, wo sie die Nadeln einstecken musste, wenn sie sie brauchte. Dann trat ich zurück und zog ihr das Kleid gerade.

»Und jetzt versuch mal zu gehen«, verlangte ich.

Das Haus war so klein, dass sie nur ein paar Schritte machen konnte, aber ich sah, wie sich ihr Gesicht veränderte, als sie den Luftzug von dem langen Rock verspürte, der ihr um die Beine schwang. Auch Nhur sah es und lächelte.

»Und jetzt mache ich Tee«, erklärte sie.

Schöne Khadija
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