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Suliman hatte eine ganze Flotte von Autos und Lastwagen organisiert, um Sandy vom Flughafen abzuholen. In drei oder vier davon saßen Mädchen – hauptsächlich die englischen Models und Zoë, das Make-up-Mädchen. In einem weiteren Wagen fuhren Amina, Khadija und ich und ein weiterer war für David und Freya reserviert.

Sandy bestand darauf, mit den Kleidern zusammen im Laster zu fahren  – mit zehn riesigen flachen Koffern. Sie ließ die Männer, die sie auf den Laster luden, keine Sekunde aus den Augen, und als sie den letzten Koffer aufgeladen hatten, befahl sie, sie fest zu verschnüren.

»Wenn denen irgendetwas passiert«, drohte sie, »dann ist alles abgesagt. Dann packen wir wieder ein, gehen nach Hause und niemand wird hier Geld verdienen!« Sie sah zu, wie diese Botschaft von Mann zu Mann unter den Sicherheitsleuten weitergegeben wurde.

Diese Wachleute waren auch der Grund, warum wir so viele Fahrzeuge brauchten. Es waren zwanzig große Männer mit Gewehren über der Schulter. Die Messer an ihren Gürteln erinnerten mich an den Dolch meines Vaters – gefährliche Klingen in abgenutzten Lederscheiden. Sie unterhielten sich mit Suliman, beobachteten alles interessiert und kauten auf den grünen Qat-Blättern, die er ihnen gab.

Sandy trat an sie heran und fragte leise: »Brauchen wir diese Leute wirklich alle?«

Suliman zuckte mit den Achseln. »Wenn wir sie mitnehmen, dann werden wir sie höchstwahrscheinlich nicht brauchen. Aber wenn wir sie nicht mitnehmen …« Er runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. »Sie haben eine Menge zu beschützen. Wir sollten lieber auf Nummer sicher gehen. Aber es ist natürlich Ihre Entscheidung.«

Die Models tuschelten, wuselten herum und sahen die Wachen unter ihren langen Wimpern hervor an. »Ich wusste nicht, dass es so werden würde«, hörte ich eine von ihnen murmeln.

Suliman sah Sandy an und tippte auf seine Uhr. »Wir haben einen langen Weg vor uns. Wenn Sie etwas anders organisieren wollen, müssen Sie es jetzt tun.«

Plötzlich tauchte David neben ihr auf. »Sie will nichts ändern«, erklärte er abrupt. »Es ist gut so.«

Sandy blinzelte und sah zu ihm auf. Dann nickte sie. Es war das erste Mal, dass ich sah, wie sie ihm gegenüber nachgab.

»Fahren wir«, sagte Suliman. Er drehte sich um, gab den Wachen ein Zeichen und alle stiegen ein. Freya stand mit dem Rücken zu uns und sah in die nackte, felsige Wüste hinter dem Flughafen. Als David sie an der Schulter berührte, wandte sie sich um.

»Wir fahren hinter dem ersten Laster her«, erklärte David ihr. »Komm, Freya, wir müssen vor dem Sonnenuntergang da sein.« Er hielt ihr die Tür des Autos auf und schob sie hinein.

Ich befand mich mit Amina und Khadija im Auto dahinter. Auf die Vordersitze sprangen zwei Wachen und ich dachte, dass wir sofort losfahren würden. Aber so schnell passierte erst einmal gar nichts. Noch eine ganze Viertelstunde saßen wir in dem stickigen Wagen, bevor endlich der Motor angelassen wurde und wir unsere Reise begannen.

Wir befanden uns in der Mitte einer langen Reihe von Fahrzeugen auf dem Weg … ins Nirgendwo. Galkayo blieb hinter uns zurück und wir fuhren über trockenen, felsigen Boden auf dem nichts wuchs außer ein paar dürren, dornigen Büschen. Die Luft war heiß und drückend und wir fuhren in der Staubwolke, die die Autos vor uns aufwirbelten. Wenn ich durch das Heckfenster sah, konnte ich sie hinter uns als lange Spur in der Luft hängen sehen.

Und so blieb es zehn Stunden lang. Wir fuhren immer weiter. Gelegentlich kamen wir durch kleine Dörfer, kaum mehr als Ansammlungen von einigen Häusern mit Dächern aus Wellblech. Es waren nur wenige andere Autos unterwegs, nur ein paar Kinder, die magere Ziegen trieben, und ein paar Frauen mit schweren Bündeln.

Ich hatte Mühe, mich damit zu identifizieren. Das ist dein Land, sagte ich mir. Hier gehörst du her. Aber ich wusste nicht einmal, was das bedeutete.

In Battle Hill erzählten die alten Leute oft über Somalia, vom weiten Himmel und den großen, leeren Ebenen – als ob Leere etwas wäre, auf das man stolz sein sollte. Ich verstand es einfach nicht. Als wir aus Galkayo fortfuhren, hatte ich das Gefühl, mich von der Welt zu verabschieden.

Wie war es wohl, immer hier zu leben und auf Ziegen aufzupassen wie die Jungen, die wir an der Straße gesehen hatten? Ich konnte mir das nicht vorstellen. Was für Musik hörten sie? Wo trafen sie sich mit ihren Freunden?

Ich hätte Khadija gerne ein paar Fragen gestellt, aber Amina saß zwischen uns und sah nach vorne gebeugt zwischen den Schultern der Wachen aus dem Fenster. Erst nach einer Weile verstand ich, dass auch sie noch nie hier gewesen war. Für sie war das alles genauso neu wie für mich.

 

Das Dorf, in dem wir schließlich anhielten, war etwas größer als die anderen, durch die wir gekommen waren. Es bestand aus mindestens dreißig oder vierzig Gebäuden. Ein paar von ihnen waren dauerhaft aus Ziegelsteinen und Wellblech gebaut, doch manche waren nur für kurze Zeit aus Zweigen und gewebten Matten erstellt worden. Stromkabel wurden an schrägen Masten vom Horizont herangeführt und es gab ein paar Läden, auf deren Wände lauter Bilder gemalt waren.

Wir bekamen keinen rechten Eindruck davon, wie es in diesem Dorf normalerweise zuging. Sobald wir ankamen und ein Wagen nach dem anderen anhielt, wurden wir von einer Horde Männer umringt, die sich uns vorzustellen versuchten. Als ich verstand, was sie sagten, wurde mir klar, dass die meisten von ihnen gar nicht aus dem Dorf kamen. Sie waren von Suliman für die Show engagiert worden.

Sobald ich aus dem Auto gestiegen war, kam Sandy vom Laster zu mir gelaufen.

»Bleib bei deiner Schwester. Ich will nicht, dass jemand versucht, ihr Gesicht zu sehen.«

Dachte sie ernsthaft, dass sich hier jemand für Khadija interessierte? Ich hielt sie für paranoid  – aber sie hatte das Sagen. Also nickte ich gehorsam. Sie tätschelte mir den Arm und lief zu Suliman.

Amina und Khadija standen am Rand der Menge und hörten den Frauen zu, die versuchten, mit Zoë zu reden.

»Wer von euch wird mit mir zusammenarbeiten?«, fragte Zoë. »Ich bin die Make-up-Artistin.«

Sie gestikulierte und malte unsichtbare Linien in die Luft, woraufhin sich die Frauen gegenseitig lachend anstießen. Dann öffnete sie ihre Make-up-Schachtel und sie begannen kritisch die Kosmetika zu begutachten, sich über die Farben zu unterhalten und sie auf ihren Händen auszuprobieren.

Einige von ihnen trugen Hennamuster auf den Handflächen, bei deren Anblick Zoë vor Freude quiekte wie ein kleines Mädchen. »He, Sandy! Sieh dir das mal an! Könnten wir so etwas auch in der Show haben?«

Sandy kam angerauscht und stellte sich in den Kreis der Frauen, um ihre Hände zu begutachten. Sie strahlte ebenso wie Zoë. »Wow! So etwas habe ich früher schon gesehen, aber noch nie so schön. Wer macht das? Wie können wir fragen?«

Sie sah sich nach jemandem um, der übersetzen konnte, und sofort war Khadija da und redete abwechselnd Englisch und Somali. In ihren schwarzen Kleidern stach sie unter den bunt gekleideten Frauen mit den großen Kopftüchern hervor.

Als sie erklärt hatte, was Zoë gesagt hatte, lachten sie und wedelten mit den Händen in der Luft und dann erhob sich zweisprachiges weibliches Geschnatter. Kein guter Ort für mich, also zog ich mich zurück und suchte Suliman.

Er und David waren bei den Männern. Sie stellten sich vor und tauschten höfliche Redensarten aus. Ich kam näher, in der Hoffnung, dass sie mich miteinbeziehen würden, doch noch bevor sie mich bemerkten, tauchte plötzlich Freya neben mir auf. Ihr Gesicht unter dem großen Sonnenhut war stark gerötet und sie sah verschwitzt und erschöpft aus. Doch nicht nur die Hitze trieb ihr das Blut ins Gesicht.

»Sieh mal da!«, sagte sie verärgert und deutete an den Häusern vorbei.

Gerade kam ein verbeulter alter Discovery ins das Dorf. Darin saßen zwei Sicherheitsleute und ein kleiner, plumper Mann mit einem Klecks Sonnencreme auf der Nase.

»Wer ist das?«, fragte ich. »Noch einer von Sandys Leuten?«

Freya verzog das Gesicht. »Das soll wohl ein Witz sein. Das ist Tony Morales. Er ist auf der persönlichen Jagd nach einem Foto von Qarsoons Gesicht hinter dem Schleier. Wenn wir nicht aufpassen, geht er direkt auf sie zu und reißt ihn ihr ab.«

Oh nein, das wird er nicht tun!, dachte ich. Das wäre eine schreckliche Beleidigung – besonders hier. Khadija war vielleicht nicht meine richtige Schwester, aber es war meine Aufgabe, sie vor derartigen Dingen zu beschützen.

»Jemand muss sie warnen«, meinte ich. Eigentlich wollte ich selbst gehen, aber Freya war zu schnell für mich.

»Ich gehe«, sagte sie und trotz der Hitze rannte sie los, bevor ich etwas sagen konnte.

Schöne Khadija
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