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Ob ich gehört habe, was Dad gesagt hat? Natürlich. Ich hatte schon mindestens eine Minute dort gestanden, Abdi und Suliman waren bei mir, und ich hatte es gehört. Und sie auch.

Wie ich mich dabei gefühlt habe? Jetzt erwartet bloß keinen ausführlichen Bericht darüber. Was soll’s? Ich weiß es, ihr wisst es. Bla, bla, bla. Weiter geht‘s.

Mein dramatischer Auftritt machte erst einmal alles sprachlos, aber ich redete einfach weiter, als wäre nichts passiert. »Seht mal, wen ich vor der Tür getroffen habe. Ich habe sie zur Party mit eingeladen.«

Ich winkte Suliman und Abdi herein und trat zurück, um zu sehen, was geschehen würde. Es gab eine von jenen kurzen Pausen, in denen man das Gefühl hat, dass alles möglich sei. Dann trat Sandy vor und streckte die Hand aus. »Herzlich willkommen«, sagte sie zu Suliman. »Es freut mich, Sie kennenzulernen. Ihre Tochter ist etwas ganz Besonderes, Mr Mussa.«

Khadija und Abdi schienen etwas sagen zu wollen, aber Suliman kam ihnen zuvor. Er trat vor, legte eine Hand an die Brust und verneigte sich leicht vor ihr.

»Bitte nennen Sie mich Suliman. Somalische Namen sind so kompliziert. Was kann ich für Sie tun?«

Er wirkte, als würde er täglich in schicken Appartements in der Stadt herumflanieren und Berühmtheiten treffen. Aber vielleicht tat er das ja, was wusste ich schon.

»Ich möchte meine Modenschau gerne in Somalia machen«, erklärte Sandy geradeheraus. »Aber David sagt mir, dass das viel zu gefährlich ist. Was meinen Sie? Halten Sie es für möglich?«

Suliman schwieg einen Moment. Dann meinte er vorsichtig: »Es ist nicht so einfach, nach Somalia zu reisen, wie nach Frankreich. Man muss … bestimmte Vorkehrungen treffen. Aber wenn man das tut, dann ist es natürlich möglich. Es fahren ja ständig Menschen dorthin.«

Sandy nickte zufrieden. »Und kann ich mir das leisten? Ich muss etwa zehn Models mitnehmen  – mindestens  – sowie Friseure, Make-up-Artists und Ankleidehilfen. Außerdem bin ich dabei, dann David und Marco …«

»Ich komme nicht mit«, unterbrach sie Marco.

»Aber ich«, verkündete ich und sah Sandy böse an. »Denkt nicht einmal daran, mich hierzulassen!«

Dad machte den Mund auf – und klappte ihn wieder zu. Ich wusste, was er dachte, aber offensichtlich wollte er das nicht hier ausdiskutieren.

Sandy wedelte vage mit der Hand. »Das sind nur grobe Schätzungen. Wir legen die Zahlen später fest.« Dann begann sie Suliman weiter auszufragen. »Wir brauchen einen Ort für die Show und ich will einen Livestream einrichten …«

Suliman zuckte bei all dem nicht einmal zusammen. Er sah auch nicht überrascht aus, als sie anfing, über das nötige Geld zu reden. Alles, was mit der Modeindustrie zusammenhängt, kostet unglaubliche Summen von Geld, aber er hörte sich gelassen an, was Sandy zu sagen hatte. Entweder hatte er bereits gut nachgeforscht oder er war Menschen gewohnt, die mit Hunderttausenden von Dollar hantierten.

Abdi allerdings nicht. Er riss die Augen auf und begann mit Khadija zu flüstern. Falls sie etwas sagte, war es zu leise, als dass ich es hätte hören können. Und da ihr Gesicht hinter dem schwarzen Schleier verborgen war, konnte ich ihren Gesichtsausdruck nicht erkennen.

Ich trat zu ihnen und fragte sie: »Was haltet ihr davon?«

Abdi zuckte mit den Schultern und versuchte, cool zu wirken, sagte aber nichts. Khadija jedoch antwortete mir:

»Als ich heute Morgen aus dem Haus gegangen bin, waren zehntausend Dollar noch eine Menge Geld. Jetzt scheint das gar nichts mehr zu sein.«

»Glaub das ja nicht«, warnte ich sie. »Zehntausend Dollar sind in der realen Welt immer noch eine Menge Geld. Aber die Modewelt funktioniert nach eigenen Gesetzen.«

Durch den Schlitz im Schleier funkelten Khadijas Augen. »Glaubst du, dass mir Sandy zehntausend Dollar zahlen wird?«

Es schien mir eine seltsam genaue Summe und am liebsten hätte ich gerufen: Natürlich nicht! Warum sollte eine Schülerin zehntausend Dollar für eine halbe Stunde Arbeit bekommen? Aber ich beherrschte mich. Mode ist ein irres, unausgewogenes Geschäft und man konnte nicht sagen, wie weit Sandy gehen würde, wenn sie sich erst einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte. »Warum ausgerechnet zehntausend Dollar?«, wollte ich wissen.

»So viel brauche ich«, murmelte Khadija. Das war zwar eigentlich keine Antwort, aber ich konnte nicht nachfragen, weil sie sich umdrehte, um Suliman und Marco zuzuhören.

Die beiden hatten sich spontan zusammengefunden. Irgendwie war Suliman innerhalb von fünfzehn Minuten zu einem Insider geworden und saß neben Marco auf dem Sofa. Beide hatten ihre BlackBerrys gezückt. Ich glaube, Marco konnte sein Glück gar nicht fassen. Es gibt kaum jemanden in der Modewelt, der so praktisch veranlagt ist wie er. Die beiden stellten Listen und Richtwerte auf, während Sandy und Dad daneben standen und ihnen aufmerksam zuhörten.

»Warum wollen Sie so viel Geld ausgeben, um Leute nach Somalia zu bringen?«, erkundigte sich Suliman. »Würden Sie auch so viele mitnehmen, wenn Sie die Show in New York machen würden?«

»Natürlich nicht«, antwortete Marco ungeduldig. »Da würden wir vor Ort Leute einstellen. Aber New York ist etwas völlig anderes.«

Suliman runzelte die Stirn. »Glauben Sie denn, alle Somalier wären kameltreibende Terroristen? Wir haben auch Friseure und Make-up-Artists. Und das ganze Land ist voll von wunderschönen Frauen.«

»Das ist reine Facharbeit«, behauptete Marco. »Es würde mich doch sehr überraschen, wenn irgendjemand in Somalia die entsprechende Erfahrung dafür haben würde.«

Sandy lehnte sich über seine Schulter. »Die Show muss perfekt werden«, erklärte sie bestimmt. »Ich bin bereit, dafür zu bezahlen.«

»Natürlich«, lächelte Suliman sie beruhigend an. »Aber es hat doch keinen Sinn, für Dinge zu bezahlen, die Sie nicht brauchen. Geben Sie mir ein paar Tage Zeit, mit meinem Kontaktmann in Eyl zu sprechen. Ich bin sicher, dass er die Leute für Sie finden kann, die Sie brauchen. Im Augenblick gibt es dort eine Menge Geld.«

»Piratengeld!«, warf Dad heftig ein.

Suliman sah ihn an. »Piraten sind genauso wie andere Menschen mit Geld. Sie geben es gerne für Luxus aus und ihre Frauen ebenfalls. Wenn mein Freund Somalier für das Make-up und als Ankleidehilfen finden kann, dann wird die ganze Reise … wirtschaftlicher.«

»Wir brauchen jemanden, der die ganze Sache managt«, erklärte Marco eindringlich. »Jemanden, der weiß, wie die Dinge laufen, sowohl hier als auch in Somalia.« Dabei sah er Suliman an.

»Ich kann das für Sie übernehmen, wenn Sie wollen«, meinte der leise.

Marco nickte leicht und die beiden beugten sich wieder über ihre Summen. Es passiert, dachte ich. Es wird wirklich so kommen.

Ich war mir nicht sicher, was ich davon halten sollte, aber eines wusste ich ganz bestimmt.

Ich würde nicht allein hierbleiben.

Schöne Khadija
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