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Am Sonntag war meine Geburtstagsparty.

Nicht mein richtiger Geburtstag, damit das klar ist. Ich bin im September geboren – mitten im Trubel der Londoner Fashion Week. Damals bekam Sandy eine Menge Publicity (welcher andere Designer trat schon mit einem Neugeborenen auf dem Arm auf die Bühne, um den Applaus entgegenzunehmen?), aber seitdem ist das Datum meines Geburtstags immer ein Problem gewesen.

Besonders, was die Partys angeht.

Am Anfang, als Dad noch eine richtige Karriere hatte, war er meist am anderen Ende der Welt. Also musste Sandy meine Partys organisieren und meine Freunde wurden ganz kurzfristig zu allen möglichen merkwürdigen Orten eingeladen. Zum Beispiel Starbucks um halb zehn am Montagmorgen. Oder in den Garten in unserem Block, um Mitternacht (das war sehr beliebt). Oder in einen Zug nach Manchester. (Natürlich macht ihnen das Spaß, hatte Sandy behauptet. Alle Kinder lieben Züge.)

Als Dad schließlich nachgab und Lehrer wurde, entschied er, dass ich einen offiziellen Geburtstag im Juli brauchte. Weil man dann davon ausgehen konnte, dass Sandy da war. Und er hatte die Idee, eine große Lunch-Party für mich zu organisieren, mit neuen Überraschungskleidern für mich und Caterern, die für das Essen sorgten. Keine Kinder – für den Fall, dass etwas schiefging. Nur Dad und Sandy und ich. Und meine Taufpaten Merry und Spike.

Es war lustig, die beiden nebeneinander sitzen zu sehen. Jedes Jahr wurde Merry scharfkantiger und gepflegter als im Jahr zuvor, mit goldenen Ringen an allen Fingern und Haaren wie ein goldener Helm. Und Spike wurde jedes Jahr dünner und blasser, hatte immer abgerissenere Kleider und ein gelberes Gesicht. Und sie hörten nie auf, einander zu necken.

Bis Spike vor zwei Jahren starb. Danach war es nicht mehr lustig.

Wir decken immer noch seinen Platz und gießen ihm ein Glas Brandy ein.

Dieses Jahr sah es so aus, als sollte es die beste Party überhaupt werden. Dad und ich hatten eine Woche lang am Menü gebastelt und als ich am Sonntagmorgen das Kleid auspackte, war es perfekt. Es war schlicht und lässig, ohne aufwendigen Firlefanz – und natürlich ohne Label. Dad schneidet sie immer ab und schwört, er hätte es bei Marks & Spencer gekauft.

Pünktlich um elf Uhr nahm ich ein Bad und Dad rief Sandy an, um sicherzugehen, dass sie es nicht vergessen hatte. Es muss eine Art Widerstand gegeben haben, denn ich vernahm ein wenig Geschrei, aber als ich angezogen war, tauchte Sandy auf, mit einem großen Strauß weißer Rosen und einem winzigen Päckchen in einem japanischen Geschenktuch. Alles sah gut aus.

Und als Merry eintrat, schien das Ganze perfekt.

Meine Party ist die einzige Gelegenheit, bei der sie sich gehen lässt. Überall sonst muss sie smart, aber zurückhaltend sein, und ihr professionelles Image aufrechterhalten. Zu meiner Party trägt sie immer ein total ausgeflipptes Kleid, eine Explosion aus rotem Taft oder einen Regen aus Metallkugeln. Dieses Jahr war es glatter, smaragdgrüner Satin mit einer großen Rüsche auf der Vorderseite.

Sandy schlug die Hände über dem Kopf zusammen: »Nein, Merry!«, schrie sie. »Oh, nein, nein, nein!«

Merry sah recht selbstzufrieden drein, denn genau diese Reaktion hatte sie sich erhofft. Meine Geburtstagsparty ist eine der wenigen Gelegenheiten, bei denen sie ihr Lieblingsspiel spielen kann: Sandy schockieren. Sie schwang die Hüften, um die Rüschen wogen zu lassen, küsste mich und zog mein Geschenk hervor (eine Mara-Hennessy-Tasche, für die wohl jeder außer mir gestorben wäre).

Dad tat so, als wolle er nach seiner Kamera greifen, aber Merry schlug ihm auf die Finger. »Wage es ja nicht! Ein Foto und ich verklage dich!«

Die erste Stunde amüsierten wir uns bestens. Sandy und Merry spielten sich die Bälle zu und tauschten entsetzliche Gerüchte aus, die immer absurder wurden. Als wir beim Erdbeer-Windbeutel-Kuchen angekommen waren, hatten sie jeden Bezug zur Realität verloren. (»Und du ahnst nicht, wer die andere Frau gewesen ist!« »Nein! In einem BALLON ??«) Wir lachten alle vier völlig hysterisch.

Doch gerade als Dad den Nachtisch verteilte, änderte sich plötzlich alles.

Merry machte die Handtasche auf, um nach einem Taschentuch zu suchen, weil ihr die Tränen übers Gesicht liefen. Als sie sich das Gesicht abtupfte, fragte sie ganz nebenbei: »Oh, weil ich gerade daran denke, Sandy … du hast vergessen, Siobhan dieses Jahr für deine Show zu buchen.«

Sandy sah auf ihren Teller und schubste eine Erdbeere mit dem Löffel herum. »Eigentlich ist Siobhan nicht ganz das, was ich brauche. Nicht dieses Jahr.«

Merry ließ das Taschentuch in die Handtasche fallen und hob ganz langsam den Kopf. Sie riss die Augen auf. Wir alle rissen die Augen auf. Aber Sandy schob nur weiter die kleine Erdbeere auf dem Teller herum.

»Was?«, fragte Merry kurz und scharf. Das Lachen war mit einem Schlag erstorben.

Jeder will Siobhan. Immer. Sie hat eines dieser wundervollen irischen Gesichter – weiße Haut, blaue Augen und rabenschwarzes Haar – und die Kamera liebt sie. Bis zu diesem Moment war sie, seit Sandy sie bei der Arbeit an einer Käsetheke entdeckt hatte, das Gesicht bei Sandy Dexter gewesen.

Und sie war Merrys Star.

Sandy sah nicht auf. »Diese Kollektion ist ein wenig anders«, erklärte sie. »Ich brauche ein anderes Model für Anfang und Ende der Show. Und Siobhan würde es nicht gefallen, die Nummer zwei zu sein.«

(Damit hatte sie recht. Siobhan ist wahrscheinlich die empfindlichste, eigensüchtigste und arroganteste Neunzehnjährige der Welt.)

Merry ließ ihre Handtasche zuschnappen. »Und … ist das jetzt nur ein Wechsel für den Catwalk? Oder willst du ein neues Gesicht für diese Kollektion?«

»Ich glaube, wir haben schon jemanden gefunden«, murmelte Sandy. Sie hob den Kopf und sah Merry unschuldig an. »Wir nennen sie Qarsoon.«

»Carsone?« Merry sah aus, als hätte sie aus Versehen in eine Zitrone gebissen. »Was ist denn das für ein Name?«

»Es bedeutet Die Verborgene«, erklärte Sandy und lachte kurz auf. »Das ist natürlich nicht ihr richtiger Name.«

»Natürlich nicht.« Merry schluckte schwer. »Und wer ist ihr Agent?«

Sandy sah sie groß an. »Ich fürchte, das ist ein Geheimnis.« Sie nahm die Erdbeere auf den Löffel und aß sie, als sei alles in Ordnung. Als ob sie nicht gerade ihre älteste Freundin vor den Kopf gestoßen hätte.

Dad hatte wie erstarrt mit einer leeren Schüssel in der Hand daneben gestanden. Er blinzelte und nahm sich etwas von dem Kuchen. »Das hier sollte doch eine modefreie Zone sein«, erinnerte er sie fröhlich. »Wisst ihr, das hier ist Freyas Geburtstag.«

Er versuchte sein Bestes, die Party wieder in Schwung zu bekommen, und fast wäre es ihm auch gelungen. Merry riss sich zusammen und gab ihre beste Vorstellung einer gut gelaunten Patin und Sandy erzählte eine lustige Geschichte von Vivienne Westwood, die ich noch nie gehört hatte. Aber nichts konnte die plötzliche Kühle aus dem Raum vertreiben.

Ich starrte Spikes Glas an. Tot oder nicht, war er mir heute noch der angenehmste Gesellschafter.

Trotz Dads Bemühungen, die Konversation am Laufen zu halten, erstarben die Gespräche schließlich. Um drei Uhr wurde Sandy geradezu unausstehlich und sie versuchte nicht einmal mehr, über irgendwelche Witze zu lachen. Auch Merry gab schließlich auf und schlug sich die Hand vor den Mund.

»Ich glaube, ich werde senil!«, rief sie. »Mir ist gerade eingefallen, dass ich noch etwas im Büro regeln muss!«

Dad runzelte die Stirn. »Merry, du musst doch nicht …«

Merry schenkte ihm ein breites, falsches Lächeln. »Es herrscht Hochbetrieb!«, meinte sie leichthin. »Die Modewelt schläft nie. Bis dann, meine Lieben!«

Sie schob den Stuhl zurück und zielte mit ein paar Küssen auf Mum und Dad. Ich ging mit ihr zur Tür, um sie zu verabschieden, und als sie die Jacke anzog, beugte sie sich vor und flüsterte: »Sandy sieht sehr dünn aus. Steht sie stark unter Druck?«

»Es geht ihr gut«, antwortete ich fest. Sandy stand immer unter Druck. Sie mochte das. Das wusste Merry genauso gut wie ich.

»Probleme mit der Kollektion?« Merrys Stimme klang scharf wie ein Skalpell, das sich durch meine Haut zu bohren versuchte.

Ich machte die Tür auf. »Es ist alles in Ordnung, Merry. Wirklich. Ich weiß, dass es schwer ist für Siobhan …«

»Ach, das …« Merry wedelte abwehrend mit der Hand, als wären Siobhans Wutanfälle nebensächlich. »Siobhan kann schon für sich selbst sorgen. Nein, ich mache mir nur Sorgen. Aber wenn du weißt, dass alles in Ordnung ist …?« Sie hob die Augenbraue und kurz bevor die Frage unangenehm lange in der Luft stand, gab sie mir einen flüchtigen Kuss und entschwebte.

Ich wollte genauso gerne eine Erklärung haben wie sie. Sobald sie weg war, marschierte ich zum Tisch zurück.

»Und?«, fragte ich zornig.

Sandy machte große Augen. »Du weißt, dass ich es ihr nicht sagen konnte, Freya. Du weißt, warum es ein Geheimnis bleiben muss.«

»Aber du musstest es doch nicht auf diese Art und Weise tun, du hast sie förmlich rausgeschmissen«, behauptete ich. »Warum?«

Sandy stand auf. »Sie konnte nicht länger hierbleiben. Qarsoon bringt ihren Vater hierher. Es ist ein sehr wichtiges Meeting.«

»Was??«, rief Dad.

Sandy sah ein wenig schuldbewusst drein. »Ich wollte nicht, dass sie jemand in meine Wohnung gehen sieht. Ich wollte es dir eigentlich sagen, David.«

»Wie konntest du dich nur jetzt mit ihnen verabreden?«, fragte ich.

Sandy verzog das Gesicht. »Es war nicht meine Absicht, es heute zu tun. Aber ich hatte schon fast die Hoffnung aufgegeben, sie noch zu finden. Als dann Abdi angerufen hat …«

»Da hast du schlicht vergessen, dass heute meine Geburtstagsfeier ist«, warf ich ihr vor. »Stimmt’s?«

Sandy seufzte. Und dann nickte sie. »Ich mache es wieder gut, Freya, das verspreche ich dir. Aber ich muss diese Show arrangieren, verstehst du?«

»Oh ja, ich verstehe vollkommen«, erklärte ich, rannte in mein Zimmer und knallte die Tür hinter mir zu.

So schnell ich konnte, zog ich die schicken Schuhe und das Kleid aus, das Dad mir gegeben hatte, und ließ es achtlos auf den Boden fallen. Dann zog ich Jeans und T-Shirt an und steckte die Füße in die ältesten Turnschuhe, die ich finden konnte.

Als ich die Tür wieder aufmachte, war der Tisch abgeräumt und Sandy und Dad waren in der Küche und spülten die Gläser. Ich sah, dass Dad wütend war, aber nicht wütend genug, um ihr zu verbieten, das Treffen in seiner Wohnung abzuhalten.

»Ich gehe weg«, erklärte ich.

»Das musst du nicht«, meinte Sandy und legte das Handtuch weg. »Wenn du bleibst …«

Doch ich wollte gar nicht hören, was sie zu sagen hatte, sondern marschierte einfach hinaus und ging die Treppen hinunter, ohne auf den Lift zu warten. Es war egal, wohin ich ging, ich wollte einfach nur laufen.

Schöne Khadija
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