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Unsere Reise nach Somalia verlief absolut, ganz und gar anders als die von Khadija und Abdi.

Die beiden verließen England völlig unbehelligt und unauffällig, wie eine normale Familie, die Somalia besucht. Aber wir, wir hatten die heißeste Story zu bieten, die es in der Modewelt aktuell zu erzählen gab.

Zwei Tage bevor wir abreisten, ließen Sandy und Marco Dads Bild von Khadija auf dem Balkon durchsickern. Und sie verbreiteten eine Spur aus Gerüchten, die die Presse aufschnappte.

Das geheimnisvolle Gesicht von Super-Q! lauteten die Schlagzeilen. Was hat sie zu verbergen?

In London kursierten die wildesten Geschichten. Sie wurden mit jedem Mal, das sie weitergegeben wurden, immer verrückter.

Qarsoon verbarg ihr Gesicht, weil es durch einen Säureangriff entstellt war.

Nein, sie war eine Prominente, die sich als Model versuchen wollte, ohne ihre andere Karriere zu gefährden. (Ihr glaubt nicht, wer sie wirklich ist …!)

Unsinn! Eigentlich war sie ein Mann  – und trug als Beweis einen langen schwarzen Bart!

Als wir London verließen – am Tag vor dem Beginn der Fashion Week – kampierten ein halbes Dutzend Reporter vor Sandys Wohnung. Sie folgten uns zum Flughafen und umringten uns, als wir aus dem Auto stiegen.

Sandy legte sorgfältig ein paar falsche Fährten aus, um sie weiter zu beschäftigen. Auf Tony Morales’ Foto war ein Stück von Khadijas billigen Turnschuhen zu sehen gewesen und so hatte Sandy genau so ein Paar für eines der neuen Models gekauft, die sie mitnahm.

Das arme Mädchen! Ihr hättet ihr Gesicht sehen sollen, als Sandy ihr die Schuhe gab. Aber sie konnte sich schlecht weigern, sie zu tragen. Sandys Show sollte ihr großer Durchbruch werden.

Und sie war nicht die Einzige, die leiden musste. Ein anderes Mädchen hatte einen schäbigen Jeansrucksack dabei, genau wie Khadija. Und wieder eine andere musste Khadijas Haltung auf Dads Bild imitieren. Es gefiel keiner von ihnen, aber sie taten alle, was man ihnen sagte  – und die Fotografen merkten das alles und tuschelten untereinander, während sie herauszufinden versuchten, wer die richtige Qarsoon war.

Sandy saß natürlich in der VIP-Lounge, aber die Mädchen mussten sich am normalen Check-In-Schalter anstellen. Ein- oder zweimal kam sie heraus, um mit ihnen zu reden  – nur um sicherzugehen, dass die Reporter auch nichts verpassten. Und jedes Mal, wenn sie auftauchte, blitzten die Kameras und wurden ihr zahllose Fragen entgegengeschrien.

»Welche ist es?«

»Kommen Sie, Sandy, sagen Sie es schon!«

In der VIP-Lounge war es ruhiger  – aber nicht gerade friedlicher. Dad war unglaublich wütend, dass Sandy mich mitnahm. Jedes Mal, wenn sie wiederkam, versuchte er, ihre Meinung noch zu ändern.

»Das ist unverantwortlich, Sandy!«, beharrte er. »Du kannst Freya nicht einfach mitnehmen, nur weil sie es so will. Sie ist noch nicht alt genug, um eine solche Entscheidung zu treffen!«

Sandy hatte ihm nicht erzählt, dass ich sie erpresste. Sie blickte nur ins Leere und wedelte abwehrend mit der Hand. »Qarsoon braucht eine Ankleidehilfe«, meinte sie. »Jemanden, dem ich wirklich vertrauen kann. Und ich werde nicht noch mehr Leute in unser Geheimnis einweihen – daher wird das Freya sein.«

Sie wiederholte es so oft, dass es schon fast glaubhaft klang.

Als wir Dubai erreichten, sprach Dad nicht mehr mit uns beiden. Ich ließ ihn schmollen und machte ein paar Recherchen im Internet. Es gab so viel über Qarsoon, dass ich gar nicht alles lesen konnte. Ich überflog nur die neuen Seiten und sah mir die an, die besonders ausgeflippt waren.

Ich las gerade eine besonders krasse Verschwörungstheorie (Warum sie ihr Gesicht verbergen muss? Weil es gar nicht ihre eigenes ist! Sie ist der erste menschliche Klon – und sie ist für die Enthüllung auf dem Weg zu dem Kontinent, an dem die Menschheit begann. WIR MÜSSEN DIESEN WAHNSINN SOFORT BEENDEN !!!), als mir jemand über die Schulter sah und eine bekannte, ölige Stimme mir ins Ohr säuselte:

»Komm, Freya, gib mir einen Hinweis. Das sollte meine Story sein.«

Ihr wollt bestimmt nicht wissen, wie das ist, wenn einem Tony Morales im Nacken hängt. Ich sprang so schnell aus dem Sessel hoch, dass ich beinahe aus den Schuhen geschossen wäre. Nicht, dass ihm das etwas ausgemacht hätte. Tony lachte mich einfach nur aus.

»Spann mich nicht auf die Folter, Freya. Du musst ja gar nicht das ganze Geheimnis verraten. Ich will nur wissen, welchen Flug nach Somalia ihr nehmt.«

»Den, der ohne dich abfliegt«, antwortete ich bereits im Gehen.

Als ich Sandy erzählte, was er vorhatte, klatschte sie in die Hände. »Fantastisch! Wir müssen dafür sorgen, dass er kommt. Tony ist immer gut für die Publicity. Wenn er ein richtig gutes Bild macht, kommen wir vielleicht sogar auf die Titelseite. Aber wenn er für seine Information nicht arbeiten muss, wird er misstrauisch werden. Geh doch mit Zoë einen Kaffee trinken und lass ihn ein paar Dinge mithören.«

Zoë war die Studentin, die sie eingestellt hatte, um das Make-up zu koordinieren. Sie war mollig und fröhlich und sehr gesprächig. Als ich sie in der Abflughalle fand, war sie von der Idee, ein wenig Undercoverarbeit zu tun, ganz begeistert.

Wir holten uns einen Latte macchiato und ich ließ sie erzählen, wie sie es hinbekommen könnte, dass meine Augen größer wirkten und meine Haut besser würde. Dabei behielt ich die ganze Zeit über den Spiegel hinter der Bar im Auge und als ich sah, wie sich Tony Morales hinter uns auf einen Stuhl setzte, sah ich auf die Uhr.

»Hat das Boarding für unseren Flug schon begonnen?«, flüsterte ich unbeholfen.

Zoë sprang auf und ging zum Monitor. »Wie war noch mal die Flugnummer?«, fragte sie.

Unwillig runzelte ich die Stirn und ging zu ihr. »Na, so viele Flüge nach Galkayo gibt es nicht. Da, das ist er. Und es ist noch nicht so weit.«

Zoë sah über meine Schulter. »Gute Arbeit«, murmelte sie leise. »Er zieht los, um noch einen Platz zu ergattern. Hoffentlich gibt es noch welche.«

»Oh, bestimmt«, meinte ich. »Sandy überlässt nichts dem Zufall.«

Und tatsächlich, als wir an Bord des kleinen Flugzeugs gingen, saß er ein paar Reihen hinter uns.

 

Am frühen Morgen kamen wir in Galkayo an und ich stolperte müde aus dem Flugzeug. Trotz der frühen Stunde spürte ich die Hitze, die vom Asphalt aufstieg. Ich stellte mir lieber nicht vor, wie heiß es gegen Mittag sein würde.

Als ich die Treppe hinunterging, hörte ich, wie Dad hinter mir nach Luft schnappte. Unten legte er mir den Arm um die Schultern.

»Riechst du das?«

Gehorsam schnüffelte ich. Da war etwas, eine gewisse Note in der Luft.

»Was ist das?«, fragte ich.

»Das ist Afrika. Ich wusste gar nicht, wie sehr ich es vermisst habe.« Dad sah mich reumütig an. »Ich wollte dich immer mal mit hierher nehmen.«

Ich verzog das Gesicht. »Fast hättest du mich hereingelegt.«

»Nein, ich meine es ernst. Es ist nur …« Er zuckte mit den Achseln. »Ich hätte lieber gewartet, bis die Lage etwas besser ist.«

»Vielleicht ist sie ja besser«, meinte ich. »Das kann man nie wissen.«

Nebeneinander gingen wir zum Terminal. Die Models staksten in ihren lächerlichen High Heels hinter uns her. In der Ankunftshalle blieb Dad stehen und wartete auf Sandy.

»Holt uns hier jemand ab?«, fragte er, als sie uns einholte. »Was hast du arrangiert?«

»Suliman sollte hier sein«, antwortete sie. »Mit Autos, die uns alle in die Wüste bringen.«

Dad wirkte erschrocken. »Was? Jetzt sofort?«

»Natürlich«, erklärte Sandy bestimmt. »Wir haben drei Tage, um die ganze Sache vorzubereiten, und dann senden wir einen Livestream in die ganze Welt. Wir haben keine Zeit, uns hier aufzuhalten.«

Damit ging sie voran in die Ankunftshalle.

Schöne Khadija
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