»Norwegen wird bis zum Äußersten verteidigt«

Frühjahr 1945

 

Die letzten Monate des »Tausendjährigen Reiches« haben begonnen. Die Wehrmacht befindet sich zu Beginn des Jahres 1945 an allen Fronten auf dem Rückzug. Auch die Ardennen-Offensive im Dezember 1944 wird die Niederlage nicht aufhalten. Aber was passiert in Norwegen, wo immer noch über 300 000 deutsche Soldaten stationiert sind?

Die »Festung Norwegen« spielt in den politischen und militärischen Überlegungen der obersten deutschen Führung während der letzten Monate des Krieges nur eine drittrangige Rolle. Im Kriegstagebuch des Oberkommandos der Wehrmacht ist belegt, dass es bei den Lagebesprechungen im Wesentlichen um den Abzug der Verbände aus dem Norden an andere Fronten geht. Diese Truppenbewegungen bringen neue Probleme, denn die norwegischen Widerstandsgruppen stören mit ihren Aktionen empfindlich. Sabotageakte gegen Eisenbahnen und Verladehäfen häufen sich.

Die norwegische Exilregierung und Teile der Widerstandsbewegung haben die Befürchtung, dass die Deutschen das Land nicht kampflos aufgeben werden. Reichskommissar Terboven gibt Mitte Februar einer schwedischen Zeitung ein Interview und betont: »Norwegen wird bis zum Äußersten verteidigt.«70 Es deutet wenig darauf hin, dass sich die deutschen Truppen in Nordeuropa kampflos ergeben werden. Und nach den Grausamkeiten in Finnmark sind die Norweger voller Sorge, dass sich Ähnliches auch im Süden wiederholen könnte. Exilregierung und Widerstandsbewegung entwerfen einen Plan für die Beendigung des Krieges. Punkt 1 dieses Planes ist eine »geordnete deutsche Kapitulation«. Die Hoffnung, dass dies gelingen könnte, hatten nur ganz wenige Optimisten.

Historische Quellen belegen jedoch, dass in der zweiten Aprilhälfte nur noch Terboven und einige Anhänger Quislings für einen Kampf bis zum letzten Mann eintreten. Die Wehrmachtsführung, die inzwischen von Oslo nach Lillehammer umgezogen ist und an deren Spitze nun Ritterkreuzträger Franz Böhme steht, ist in ihrer Haltung unentschieden.

Am 30. April 1945 begeht Hitler in Berlin Selbstmord. Sein Nachfolger, Großadmiral Dönitz, bestellt am 1. Mai die Hoheitsträger aus den besetzten Gebieten zu sich, um die Lage zu erörtern. Aus Norwegen reisen zu der Konferenz am 3. Mai Terboven und Böhme an. Offensichtlich wird erörtert, ob das besetzte Norwegen ein »Faustpfand« in den Bemühungen sein könnte, einer bedingungslosen Kapitulation zu entgehen. Aber »alles deutet darauf hin, dass die Runde am 3. Mai 1945 mit dem Beschluss bzw. Befehl Dönitz’ auseinanderging, es auf ein weiteres sinnloses Blutvergießen in den okkupierten nordischen Staaten nicht ankommen zu lassen, sondern vielmehr alle Vorbereitungen für eine friedliche Abwicklung der Besatzung zu treffen.« Böhme erlässt am 6. Mai einen Tagesbefehl, in dem der »Auftrag der Wehrmacht zur Verteidigung Norwegens« bekräftigt und »eiserne Disziplin« gefordert wird.71

 

Völlig zu Recht hat die norwegische Forschung hervorgehoben, dass es Böhme in erster Linie darum ging, die Auflösung seiner Truppe zu verhindern. Die Aufrechterhaltung der Disziplin war unumgänglich, weil sich die Kapitulation und Entwaffnung einer Armee von 300 000 Mann nur bewerkstelligen ließ, die absolut in der Hand ihrer Offiziere war … Ein weiteres Motiv für den im Tagesbefehl angeschlagenen Ton war … möglicherweise die Genehmigung zum geschlossenen Rückmarsch ins Reich zu erhalten.72

 

Bis heute ist nicht klar, wann und von wem die Entscheidung getroffen wurde, im Norden keinen Krieg mehr zu führen. Klar ist nur, dass Terboven anders entschieden hätte. Ihm war an einer friedlichen Abwicklung nicht gelegen. Doch Terboven spielt keine Rolle mehr in Norwegen. Dönitz hat ihn am 7. Mai abgesetzt. Reichskommissar soll nun der Wehrmachtbefehlshaber Böhme werden. Da am frühen Morgen dieses 7. Mai aber im französischen Reims der Chef des Wehrmachtführungsstabes, Generaloberst Alfred Jodl, die Urkunde der bedingungslosen Kapitulation unterzeichnet, erhält Böhme noch am Abend seiner Ernennung zum Reichskommissar den Befehl, sich entsprechend dieses Vertrages zu verhalten. Böhme gehorcht. Um 22 Uhr erklärt er über den Rundfunk, dass sich die Wehrmacht auch in Norwegen ergebe.73

Helmut erfährt dies in Drammen, 40 Kilometer südwestlich von Oslo. Auch seine Kompanie war im April zurückbeordert worden, und er wartet mit den anderen Soldaten darauf, wie es jetzt weitergehen soll.

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