Wem gehört Norwegen
Dezember 1939
Ein deutsches Kanonenboot ist schon einmal in norwegischen Gewässern aufgetaucht, vor der Jahrhundertwende, 1889, und hat den deutschen Kaiser Wilhelm II. sozusagen als Touristen ins Land der Fjorde gebracht. Es muss Seiner Majestät dort wohl gefallen haben, denn bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs kam der Kaiser jeden Sommer auf der Yacht Hohenzollern an die norwegische Küste und mit ihm auch der deutsche Hochadel.
Ende der dreißiger Jahre macht man in Berlin keine Pläne mehr für Urlaubsreisen nach Norwegen, jetzt will man sich des Landes bemächtigen. Skandinavien hat für die Kriegsführung der Deutschen eine wichtige strategische Bedeutung. Die Besetzung Skandinaviens würde ihnen die Vorherrschaft über Ost- und Nordsee bringen und den Zugang zum Atlantik und zum Nordmeer ermöglichen. Wichtige Trümpfe im Kampf gegen England.
Am Tirpitz-Ufer in Berlin, dem Sitz des Oberkommandos der Marine, ist es vor allem der Oberbefehlshaber der Kriegsmarine, Erich Raeder, der von der Notwendigkeit der Okkupation überzeugt ist, um nicht wie im Ersten Weltkrieg in der Deutschen Bucht festzusitzen. Er hat deshalb die Stützpunktfrage schon 1938 und 1939 von seinen Stäben prüfen lassen. Nach Kriegsbeginn im September 1939 sind diese Überlegungen wieder aktuell geworden. Raeder, mittlerweile Großadmiral, erklärt in einer Lagebesprechung am 3. Oktober 1939, es sei notwendig, »den Führer baldmöglichst mit den Überlegungen der SKI (Seekriegsleitung) über die Möglichkeiten zur Ausweitung der Operationsbasis nach Norden vertraut zu machen«11.
In Karl Dönitz, dem Befehlshaber der U-Boote, findet Raeder große Unterstützung, aber Hitler selbst reagiert zunächst zurückhaltend auf solche Gedankenspiele. Für ihn hat die Westoffensive zur Unterwerfung Frankreichs absoluten Vorrang, und er betrachtet andere Unternehmungen als eine gefährliche Verzettelung der Kräfte. Großadmiral Raeder lässt sich die Sache jedoch nicht ausreden und gewinnt die Zustimmung von Generalmajor Alfred Jodl im Oberkommando der Wehrmacht.
Vorläufig jedoch stagniert das Projekt. Am 8. Dezember 1939 versucht Raeder noch einmal, Hitler für eine Besetzung Norwegens zu erwärmen. Doch Hitler reagiert nach wie vor abweisend. Da bekommt Raeder Hilfe von unerwarteter Seite: Der norwegische Ex-Major Quisling, dessen Name später zum Synonym für Landesverrat schlechthin wird, fährt nach Berlin und trifft dort am 11. Dezember Erich Raeder. Nach diesem Gespräch notiert Hitlers Chefideologe Alfred Rosenberg in sein Tagebuch: »Eben mit Raeder gesprochen. Er sagte: Wie ein Wink des Schicksals. Er hält morgen dem Führer Vortrag.«12
Vidkun Quisling, der seine rotblonden Haare ähnlich wie sein Vorbild Hitler gescheitelt trägt, ist Anfang der dreißiger Jahre einmal für zwei Jahre norwegischer Verteidigungsminister gewesen. Viele seiner Landsleute hatten das für einen Skandal gehalten, weil Quisling immer mehr in faschistisches Fahrwasser geriet.
Nach 1933 gründet Quisling die Nasjonal Samling, eine Partei, die – dem Leitbild der NSDAP entsprechend – strikt nach dem Führerprinzip aufgebaut ist.
Nach seinem Gespräch mit Quisling präsentiert Raeder das Ergebnis sofort seinem Führer. Das Protokoll dieses Treffens hält fest:
Q., früher Kriegsminister, Führer der Nationalen Partei, macht zuverlässigen Eindruck, berichtet: Stimmung in N (Norwegen) sehr stark gegen Deutschland eingestellt. Einfluß Englands sehr groß, vor allem durch Storting Präsident Hambro (Jude und Freund von Hore Belisha), der in N. zur Zeit allmächtig [sei].13
Es war Quisling, der Raeder darauf hingewiesen hat, dass der norwegische Parlamentspräsident Jude sei und deshalb natürlich mit dem jüdischen Kriegsminister Großbritanniens Leslie Hore Belisha unter einer Decke stecken müsse. Raeder berichtet Hitler zudem, dass nach Quislings Einschätzung eine englische Besetzung Norwegens bereits beschlossene Sache sei. Und er fügt hinzu:
Q. hat gute Beziehungen zu Offizieren des n. Heeres und hat Anhänger in wichtigen Plätzen und in wichtigen Stellungen. Q. ist bereit, in solchem Fall die Regierung zu übernehmen und Deutschland zu Hilfe zu rufen.14
Hitler lässt sich von Raeders Bericht umstimmen und empfängt Quisling und dessen Mitarbeiter Hagelin in den folgenden Tagen zweimal. Jodl kann daraufhin am 13. Dezember in sein Tagebuch eintragen: »17.00 Uhr Führer befiehlt, dass mit kleinstem Stab die Untersuchung geführt wird, wie man sich in den Besitz Norwegens setzen kann.« Raeder hat damit sein Ziel erreicht.
So werden an jenem 13. Dezember 1939 in Berlin nicht nur die Weichen für den Krieg im Norden gestellt, sondern auch für die Begegnung zwischen der Norwegerin Lillian und dem deutschen Soldaten Helmut. Ohne ihre Liebe gäbe es mich nicht.