Über die Gräber – vorwärts
April 1940
Der Infanterist Crott hat endlich wieder Land unter den Füßen. Er und die anderen Geretteten kommen am nächsten Morgen in Oslo an. Keine Zeit, um sich zu erholen. Die, die überlebt haben, müssen die Leichen der toten Kameraden vom Schiff tragen und sie auf dem Kai im Hafen von Oslo auslegen. Die Reihe ist lang.
Crott hat den Befehl bekommen, die Erkennungsmarken vom Hals der Leichen zu nehmen. Sie müssen an die Familien in der Heimat geschickt werden. »Gefallen für Führer und Vaterland«. So wird es nachher in den Mitteilungen für die Angehörigen stehen. Crott sieht in die Gesichter seiner toten Kameraden. Soweit man sie noch erkennen kann. Andere wiederum sehen aus, als würden sie noch leben. Er selbst bemüht sich um einen neutralen Gesichtsausdruck.
Seit heute Morgen ist Crott Obergefreiter. Die Karriere hat er den britischen Torpedos zu verdanken. Bald wird man am Revers seiner Uniformjacke ein rotes Band mit Längsstreifen anbringen, zum Zeichen, dass er bei der Besetzung Norwegens mit dabei gewesen ist.
Der Führer nennt die »Operation Weserübung« in seiner Reichstagsrede im Juli 1940 das »kühnste Unternehmen der deutschen Kriegsgeschichte«23. Über die Toten und Vermissten spricht er nicht.
In der Nacht des 12. April werden die Überlebenden der Schiffe Wigbert und Friedenau mit einem Bus durch die verdunkelte norwegische Hauptstadt gefahren. Die Fahrt endet im Stadtteil Töyen. Und schon wieder in einem Klassenzimmer. Der Obergefreite Dr. Helmut Crott ahnt, dass die Schule trotz seiner Dissertation für ihn noch nicht erledigt ist. Jedenfalls nicht in diesem Krieg. Auf dem Schulfußboden liegen die, die vom Kampf übrig geblieben sind. Für den nächsten Kampf. Bei der Feier für die gefallenen Kameraden wird General Falkenhorst sagen: »Lasst uns die Trauer hinter uns legen. Unser Wahlspruch soll sein: Über die Gräber – vorwärts!«24
Um mehr über die Vorgänge im Kattegatt herauszufinden, logge ich mich im Internet unter dem Namen Wigbert in ein Marineforum ein und frage, ob jemand etwas über dieses Schiff und seine Besatzung weiß. Einen Tag später habe ich zehn Antworten auf meine Frage. Eine kommt von einem Norweger, der einen Hinweis auf eine Seite mit Fotos schickt, die deutsche Soldaten während ihrer Zeit in Norwegen aufgenommen haben und die ihnen in der Gefangenschaft abgenommen worden sind. Ich finde tatsächlich ein Foto, das die beiden sinkenden Schiffe zeigt: Im Vordergrund die Friedenau und dahinter die Wigbert. Irgendwo da in den Wellen kämpft mein Vater um sein Leben.