Ausgebombt

Juli 1943

 

Nach der deutschen Kapitulation im Kessel von Stalingrad ändert sich die Kriegssituation, die Deutschen erleben an allen Fronten Niederlagen, die Alliierten gewinnen mehr und mehr die Oberhand.

Der Luftangriff der Engländer auf Essen am Abend des 5. März 1943 markiert einen weiteren Wendepunkt auf dem Weg Deutschlands in die militärische und politische Niederlage. Für das britische Oberkommando hat mit der Bombardierung der Krupp-Stadt die Battle Of The Ruhr begonnen. Bis dahin ist der Angriff der tausend Bomber auf Köln vom 30./31. Mai 1942, die Operation Millennium, der größte Angriff der britischen Luftkriegsführung gegen das Deutsche Reich gewesen. Nach dem Angriff auf Essen wird es weitere schwere Bombardierungen auf Köln und Düsseldorf geben. Aber auch Städte wie Aachen, Krefeld, Bielefeld, Münster, Mönchengladbach und Wuppertal liegen aus britischer Sicht in der Ruhr Area.

Wuppertal wird ebenfalls zum Ziel der Bomber. Seit 1940 fallen immer wieder Spreng- und Brandbomben auf die Stadt. Als Carola und Heinz in einer Nacht den Schutzbunker aufsuchen wollen, sagt der Luftschutzwart zu Heinz: »Sie dürfen rein, die Jüdin nicht.«

 

In der Nacht vom 29. auf den 30. Mai 1943 erlebt Barmen einen großen Fliegerangriff, die Alliierten wollen aber vor allem Elberfeld treffen. Mittlerweile gibt es kaum noch Luftschutzbunker, die ihren Namen verdienen, und die meisten Menschen müssen die Angriffe in Kellern, die als Schutzräume ausgewiesen sind, überstehen. Auch am 24. Juni kommt es zu weiteren Bombardements.

Zehn Tage später schreibt Heinz an seinen Sohn:

 

Nachdem wir einigen Abstand von den grausigen Dingen gewonnen haben, will ich Dir jetzt Näheres mitteilen. Der Alarm war wie üblich kurz vor 1 Uhr. Nachdem schon 20 Minuten verstrichen waren, kam Herr Ständer in den Keller gestürzt, um zu melden, daß die berühmten Christbäume unmittelbar über uns ständen. Schon waren auch die ersten Einschläge zu hören. Nach nur einigen Minuten war auch der Feuerschein unter den Türritzen des Kellers zu sehen. Dann ging es Schlag auf Schlag. Wir haben dann etwa 20 Minuten später unseren Keller verlassen und sind durch mehrere Durchbrüche mit den übrigen Bewohnern des Hauses in den Keller der Schule an der Ecke Kölner/Langestraße geflüchtet. In bereitgestellten Wasserkübeln wurden Tücher und Mäntel angefeuchtet, um später als Schutz gegen Flammen und Funkenflug zu dienen. Inzwischen folgte Welle auf Welle, und die Zeit wollte nicht vorwärtsgehen. Als übereifrige Ordner einen der rückseitig gelegenen Ausgänge öffneten, um schon während des Angriffs mit dem Abtransport der Menschen zu beginnen, sahen wir, daß schon die Blumen- und Langestraße ein Feuermeer war.

Gegen 2 Uhr war der Spuk zu Ende, d.h. wir hörten nichts mehr, denn Licht und somit Entwarnung klappten nicht mehr. Als wir aber an den Hauptausgang kamen, bot sich ein grauenhaftes Bild. Die Flammen zogen bereits an der Tür vorüber. Ein mächtiger Sturm hatte sich aufgetan. Ich mußte Mutti mit mir nach draußen reißen, wozu sie allein wohl kaum den Mut aufgebracht hätte. Schon gleich nach dem Verlassen der Schule mußte ich sehen, daß in unserem Hause die ganze Etage über uns in hellen Flammen stand und im nächsten Augenblick auf unsere Wohnung übergreifen mußte. An eine Rettung irgendwelcher Gegenstände war in diesem Augenblick nicht zu denken, da es erst einmal galt, Mutti in Sicherheit zu bringen. Wir sind dann durch die Lagerstraße gerannt, die ganz mit Qualm und Funkenflug angefüllt war. Dann ging es durch die ebenfalls in ihrer ganzen Ausdehnung brennende Viehhofstraße bis zum Weidenplatz. Nach stundenlangem Warten wurden wir auf einem Lastauto zum Zoo befördert, wo eine Auffangstelle eingerichtet worden war. So haben wir das Leben gerettet.

 

Als Heinz in den Morgenstunden allein zur Blumenstraße läuft, um zu retten, was zu retten ist, ist sein Entsetzen groß.

 

Als ich unser Haus wiedersah, musste ich mich doch zusammennehmen. Alles ausgebrannt bis zur ersten Etage. Nur die leeren Fensterhöhlen waren noch zu sehen, wo ehemals unsere schöne Wohnung war.

 

Über 6000 Menschen verlieren bei den Luftangriffen auf Wuppertal ihr Leben, die Hälfte aller Wohnungen wird zerstört. Heinz hatte bereits nach dem Angriff auf Barmen Koffer mit Kleidung und Dokumenten zu verschiedenen Adressen außerhalb Wuppertals gebracht. Seine Vorsicht zahlt sich aus, aber die gesamte Wohnungseinrichtung und viele persönliche Dinge sind Opfer der Flammen geworden.

Helmut antwortet seinen Eltern auf die Nachrichten aus Wuppertal:

 

Über allen diesen traurigen Feststellungen steht aber doch die mehr als erfreuliche Gewissheit, dass Ihr wenigstens körperlich keinen Schaden erlitten habt, so daß auch trotz Eures nicht mehr ganz jugendlichen Alters ein neuer Weg zum Glück im eigenen Heim jederzeit offensteht. Wir wollen also in keiner Weise die Flügel hängen lassen, sondern weiter nach meinem Prinzip ›Nun gerade!‹ handeln.

Erzähl es niemandem!: Die Liebesgeschichte meiner Eltern
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