Deutsche Besatzung in Norwegen
Das Land ist während der fünfjährigen deutschen Okkupation nicht nur ganz dem politischen und militärischen, sondern auch dem wirtschaftlichen Willen der neuen Herren ausgeliefert. In seinem Schreiben an Josef Terboven vom 27. März 1941 fordert Generaloberst Nikolaus von Falkenhorst:
Auslieferung der Restmengen Heu, Stroh, Fleisch und Fett, die durch Erlass des Oberkommandos der Wehrmacht vom 15.1.1941 befohlenen norwegischen Aufbringungssoll für die Zeit vom 1.8.40 bis zum 31.7.41 bisher noch nicht geliefert sind. Auslieferung der für die Versorgung der Wehrmacht bis zum 30.9.1941 benötigten und zugesagten Restmenge ungebrannten Kaffees. Ermittlung und Bekanntgabe des gesamten in Norwegen vorhandenen Zeltraumes sowie an Rucksäcken, Wetterschutzkleidung einschließlich Gummistiefel und Arbeitsbekleidung unter Angabe der Lagerorte bis zum 1.5.1941. Bereitstellung von zunächst 50 000 Paar Ski- bzw. Bergschuhen an Wehrmachtbefehlshaber in Norwegen bis zum 15.5.1941.«41
Die Wehrmacht nimmt sich also für ihre 400 000 Soldaten, was sie braucht. Besondere Rücksicht auf die Bedürfnisse der Bevölkerung wird dabei nicht genommen. Norwegen ist ohnehin das Land, das im Verhältnis zu seiner Bevölkerungszahl die meisten deutschen Besatzungssoldaten auf seinem Territorium ertragen hat.
Man weiß, dass noch viele Jahre nach dem Krieg so mancher ehemalige Besatzungssoldat nach Norwegen gereist ist, um seiner Familie die Orte zu zeigen, an denen er während des Krieges stationiert war. Dann war die Verwunderung oft groß, wenn die Norweger ihn nicht freudig begrüßt haben und nicht gemeinsam mit ihm über die alten Zeiten reden wollten.
Der norwegische Historiker Ole Christian Grimnes resümiert, dass die Besetzung Norwegens weder in der deutschen Geschichtsschreibung noch im Bewusstsein der Deutschen bis heute eine große Rolle spiele.42 Viele andere Ereignisse hätten Vorrang. Für das norwegische Bewusstsein jedoch sei die deutsche Besatzung ein Trauma und ganz zentral und die Erinnerung daran unauslöschlich.
Was die Norweger mit dieser Zeit verbinden, kann man erfassen, wenn man ein Buch des Bundesarchivs über die Okkupationspolitik des deutschen Faschismus in Norwegen und Dänemark liest. Die dort veröffentlichten 156 Dokumente mit Richtlinien, Vorschriften, Lagebeurteilungen und Aktenvermerken lassen ahnen, wie der Terror der deutschen Sicherheitspolizei und ihres gefürchteten Armes, der Gestapo, über den beiden Ländern gelegen hat.
Am 26. April 1942 hat dieser Terror auch Telavåg, ein kleines Dorf an der norwegischen Westküste, erreicht:
An diesem Morgen überrascht die Gestapo in einem Haus des Dorfes zwei aus Großbritannien eingetroffene Widerstandskämpfer. Es kommt zum Schußwechsel, bei dem der Gestapochef von Bergen und sein Stellvertreter, aber auch ein Untergrundkämpfer getötet werden. Vier Tage später kommt die SS mit Reichskommissar Josef Terboven an der Spitze nach Telavåg.
Sie sprengen und brennen sämtliche Fischerhäuser nieder und vernichten das Hab und Gut der Bewohner. Die Gestapo verhaftet alle Männer zwischen 16 und 60 und verschleppt sie ins Konzentrationslager Sachsenhausen. Frauen und Kinder kommen nach wochenlangen Verhandlungen mit dem Roten Kreuz frei.
Telavåg ist für die Norweger, was die SS-Massaker von Lidice für die Tschechen oder Oradour für die Franzosen sind.43
Die Verfolgung der norwegischen Juden beginnt im Mai 1940, Verhaftungen und Deportationen nehmen ab Winter 1941/42 zu. Von den insgesamt 760 nach Deutschland deportierten Juden überleben nur 25. Ungefähr der Hälfte der bei Kriegsausbruch in Norwegen lebenden 1800 Juden gelingt es aber, nach Schweden zu flüchten und sich so in Sicherheit zu bringen.
Seit Februar 1942 ist Vidkun Quisling Chef einer reinen NS-Regierung, allerdings unter der strengen Kontrolle des deutschen Reichskommissars. Die Nasjonal Samling versucht in einer politisch-ideologischen Offensive auf eine nationalsozialistische Revolution in Norwegen hinzuarbeiten. Das misslingt nicht nur, sondern führt auch zu wachsendem Widerstand in der Bevölkerung.
Als Terboven beispielsweise die Gründung eines norwegischen Sportverbandes verfügt, in den sämtliche Sportvereine Norwegens einzutreten haben, verweigern sich die Sportler. So kommt es, dass es während der Besatzung keine Sportveranstaltungen mehr gibt. Und die, die von der Besatzungsmacht oder der Nasjonal Samling organisiert werden, finden vor leeren Rängen statt. Die gesamte Sportjugend – vom örtlichen Fußballverein bis zum großen norwegischen Skiverband – protestiert damit auf ihre Weise gegen die neuen Machthaber. Auch die Schulen lassen sich nicht für die Ideen der Nasjonal Samling einspannen – mit der Konsequenz, dass im März 1942 1000 Lehrer verhaftet und auf Befehl Terbovens zur Zwangsarbeit nach Nordnorwegen transportiert werden.44
Vielleicht mehr als in irgendeinem anderen besetzten Land haben die Norweger das Gefühl, daß ihre nationale Linie – angefangen beim Widerstand des Königs und der Regierung gegen den deutschen Überfall 1940 – richtig und lobenswert war. Dies hat dazu geführt, daß, während die Deutschen dem Nationalstaat gegenüber mißtrauisch geworden sind und nach gesamteuropäischen Lösungen streben, der Nationalstaat in Norwegen gestärkt wurde und das Land als einziger der skandinavischen Staaten außerhalb der Europäischen Union geblieben ist. In den letzten Jahren aber richtet sich der Blick auch in Norwegen auf die zweifelhaften Seiten der Okkupationsgeschichte, denen früher wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde.45
Dazu gehört auch, dass man in Norwegen angefangen hat, sich Gedanken darüber zu machen, wie das Land nach 1945 mit jenen jungen Frauen umgegangen ist, die mit einem deutschen Soldaten zusammen waren.