Neuer Einsatz

August/September 1943

 

Nach vier Wochen Landarbeit bekommt Lillian Bescheid, dass sie sich im Rahmen des nationalen Arbeitseinsatzes wieder beim Arbeidskontor in Harstad zu melden hat. Dort erfährt sie, dass sie für die nächsten Monate im deutschen Offizierskasino arbeiten soll. Und zwar als Serviererin.

»Kommt überhaupt nicht in Frage, dass du da arbeitest, Lillian!« John ist rasend, als ihm davon berichtet wird, und macht sich sofort auf den Weg zur deutschen Stadtkommandantur.

»Sie müssen für meine Tochter etwas anderes finden«, bittet er Unteroffizier Ascher, den er von verschiedenen Druckaufträgen kennt. Der Deutsche sieht sich Lillians Papiere an.

»Ich sehe in den Unterlagen, dass Ihre Tochter gut Deutsch spricht. Dann könnte sie uns woanders tatsächlich nützlicher sein. Zum Beispiel hier bei uns in der Kommandantur.«

Einige Tage später steht Lillian vor dem großen Haus in der Rikard Kårbøs Gate. Im Erdgeschoss befinden sich eine Bäckerei und ein Obstgeschäft. In beiden Läden gibt es allerdings kaum noch etwas zu kaufen.

Der Treppenaufgang zum ersten Stock ist schmutzig, das Geländer mit den kleinen gedrechselten Säulen beschädigt. Im Hinterhof streunen Katzen um die Abfalleimer. Die Treppe zum zweiten Stock endet in einem langen dunklen Korridor. In besseren Tagen hatte hier oben einmal das Hotel »Royal« seinen Platz gehabt. Jetzt steht an der Tür auf Deutsch: »Geschäftszimmer«.

Lillian soll sich beim Adjutanten des Stadtkommandanten melden. Der Mann reicht ihr ein Formular zur Unterschrift, das sie über ihre Schweigepflicht belehrt.

»Sie schickt der Himmel, Fräulein Berthung! Mir fehlen nämlich Leute zum Übersetzen. Dienstzeit von 9 bis 17 Uhr. Mittags machen wir zwei Stunden zu. Hoffe, dass Sie sich rasch einarbeiten. Alles Gute, Heil Hitler und auf Wiedersehen bis morgen früh, Punkt 9 Uhr.«

Im Geschäftszimmer der Kommandantur arbeitet auch Erik Ulvall, der ebenfalls Deutsch spricht. Ulvall ist etwas älter als Lillian und genau wie sie zu einem neunmonatigen Arbeitseinsatz verpflichtet. Er ist sehr wütend über diese Zwangsverpflichtung, denn sie verhindert, dass er mit seinem Studium beginnen kann. Er hasst den Arbeitsdienst, und die deutschen Besatzer hasst er sowieso.

Als Helmut von Lillians neuem Arbeitsplatz erfährt, ist er alles andere als begeistert. Er kennt seine Kameraden und weiß, dass eine Frau wie Lillian nicht lange von Anzüglichkeiten und Belästigungen verschont bleiben wird. Helmuts Befürchtungen erweisen sich nicht als grundlos. Das merkt Lillian nur allzu bald.

Zudem belasten sie die Erwartungen von Ulvall, der immer wieder von ihr wissen will, ob sie seine Wut auf die Deutschen auch teilt. Er soll auf keinen Fall etwas von Helmut erfahren, nimmt sich Lillian vor. Umso größer ist ihr Entsetzen, als Ulvall sie eines Tages am Ärmel festhält: »Man sagt, dass du einen Freund hast. Einen deutschen Soldaten. Jetzt weiß ich nicht, auf welcher Seite du stehst und was ich von dir denken soll.« Lillian überlegt einen Augenblick. Sie windet sich aus seinem Griff und sagt: »Nicht alle Deutschen sind für Adolf Hitler.«

 

Lillian und Helmut haben inzwischen einen neuen Ort gefunden, an dem sie sich treffen können. Es ist die Hütte am Steinsåsvann. Lillian hat heimlich einen Schlüssel nachmachen lassen. Sie fahren mit dem Fahrrad bis zum See, verstecken die Räder und rudern zur Hütte. Helmut hat wie immer für Proviant gesorgt und natürlich auch die Leberwurstbrote nicht vergessen. Die Vorhänge lassen sie lieber geschlossen und den Kamin kalt. So sieht es unbewohnt aus.

Erzähl es niemandem!: Die Liebesgeschichte meiner Eltern
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