Man verlässt im Krieg nicht sein Elternhaus

Februar 1945

 

Lillian schaut immer wieder auf die Fahrkarte. Sie hat endlich den ersehnten Platz auf dem Schiff erhalten. Es wird die Lofoten sein, die sie in zwei Wochen nach Süden bringen wird.

Ihre Eltern sind entsetzt, als Lillian ihnen erzählt, dass es nun tatsächlich Ernst wird mit ihrer Abreise. »Man verlässt im Krieg nicht sein Elternhaus.« Ihr Vater hat sie kaum angesehen, aber Lillian merkt, dass seine Stimme doch eher besorgt als zornig klingt.

Die Abfahrt soll am 8. Februar sein. Als Helmut von dem Termin erfährt, setzt er noch einmal alles daran, nach Harstad zu kommen, um sich von Lillian zu verabschieden. Da er immer wieder auch als Kurier eingesetzt wird, gelingt es ihm. Er ist jetzt übrigens Unteroffizier geworden, denn Beförderungen und Auszeichnungen scheinen das Gebot der Stunde zu sein.

Am Nachmittag vor der Abreise gehen die beiden ein letztes Mal den Weg in Richtung Trondenes. Es ist kalt, und sie stapfen langsam durch den Schnee. Heute ist es Lillian völlig gleichgültig, ob sie jemand sieht. »Ab morgen bin ich weg«, geht es ihr durch den Kopf, »da könnt ihr denken, was ihr wollt!« Viel mehr beschäftigt sie, wann sie Helmut wiedersehen wird.

»Auch wenn wir das nicht wissen«, sagt er und drückt sie an sich, »wir wissen, dass wir uns lieben, dass wir aufeinander warten. Wir wissen, dass wir uns wiedersehen werden, wo und wann das auch immer sein wird.«

Zwei deutsche Soldaten kommen ihnen entgegen und grüßen Helmut kurz im Vorbeigehen.

»Ich bin so froh, dass du in den Süden fährst, Lillian, denn es ist völlig unsicher, wie das hier ausgehen wird.« Sie nickt und fängt dann doch an zu weinen. »Aber ich habe auch Angst, wie es da unten weitergehen wird. Und ich bin traurig, dass ich Harstad verlasse, meine Eltern, meine Geschwister …« Sie drehen um. Bevor Lillian alleine zur Halvdansgate weitergeht, bleiben sie noch einmal stehen und umarmen sich.

»Ich habe ein Abschiedsgeschenk für dich, Helmut.« Lillian holt eine kleine Dose aus ihrer Manteltasche. Es ist ein goldener Ring. Diesen Ring hatte ihr die geliebte Großmutter vererbt, die vor ein paar Monaten gestorben war. »Ich habe den Ehering von Bestemor Solstad in zwei goldene Ringe umgetauscht. Einen für jeden von uns.« Helmut macht sich gar nicht erst die Mühe, seine Tränen zu verbergen. »Ich liebe dich so sehr, Lillian.«

Es wird ein halbes Jahr vergehen, bis sie sich wiedersehen werden.

Erzähl es niemandem!: Die Liebesgeschichte meiner Eltern
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