Ein Skiausflug
5. April 1942
Lillian und Pus kommen am nächsten Tag doch mit auf die Skitour. Lillian spürt eine gewisse Nervosität, weil sie diesen Deutschen wiedersehen wird.
John Berthung hat mit den beiden Soldaten vereinbart, sich an einer von der Wehrmacht beschlagnahmten Hütte zu treffen. Ob er ihnen damit etwas sagen will?
Teschner und Crott sind pünktlich zur Stelle. Die beiden Deutschen erweisen sich in der Tat als ungeübte Skiläufer. Die Schwestern verdrehen die Augen. Mal liegt der eine im Schnee, mal der andere. Ständig muss man auf sie warten. Und so dauert es länger als sonst, bis man den Gipfel des Ramskarheia endlich erreicht hat. Teschner und Crott sind schweißgebadet. Aber der Anblick der schneebedeckten Berge, die aus den Fjorden ragen, entschädigt sie für die Mühen des Aufstiegs.
Die Gruppe beschließt, in der warmen Sonne eine Rast zu machen. Die Norweger öffnen ihre Rucksäcke und nehmen den Proviant heraus. Crott, der sich gleich neben Lillian gesetzt hat, holt aus seinem Rucksack ein seltsames dunkles Brot hervor, das in Norwegen unbekannt ist – was für ein säuerlicher, seltsamer Geschmack …
»Und das heißt wirklich Pumpernickel?«, fragt Lillian und muss über das merkwürdige Wort lachen.
Während Pus im Schnee spielt, hat sich Unteroffizier Teschner neben John Berthung niedergelassen. »Was für ein wunderbares Land und was für eine herrliche Natur hier in Nordnorwegen. Ich hab nicht gewusst, wie schön es hier ist! Hoffentlich kann ich zurückkommen, wenn Friedenszeiten sind.«
»Ja, das wären in der Tat bessere Umstände«, sagt John Berthung, und in seiner Stimme ist auf einmal eine gewisse Schärfe. Waren die Bedenken seiner Frau nicht doch richtig? Er sitzt hier in der Sonne mit deutschen Soldaten! Und mit seinen Töchtern! Wenn man bloß auf dem Abstieg keine Bekannten trifft!
Robert Teschner, dem Mann, der vor wenigen Wochen in der Heimat seine Frau verloren hat, scheint der Ausflug gut zu tun. Teschner wirkt zum ersten Mal gelöst. Er steht auf, um den Augenblick mit dem Fotoapparat festzuhalten. Für die Aufnahme legt Helmut Crott seinen Arm um Lillian. So wie man es tut, wenn man sich kennt und fotografiert wird. Lillian lässt es geschehen. Teschner drückt auf den Selbstauslöser seiner Kodak Retina. Und so entsteht das erste Foto von Lillian und Helmut.
Man macht sich auf den Heimweg. Jetzt geht es den Berg hinunter. Crott gibt sich alle Mühe, aber zu seinem Leidwesen fällt er genau wie Teschner immer wieder in den Schnee, während Lillian und Pus ihnen mit eleganten Schwüngen zeigen, wie man es richtig macht.
Unten angelangt nehmen die beiden Männer Haltung an und bedanken sich bei John Berthung für die Einladung. Dann geht Crott auf Lillian zu. »Ich werde diesen Tag nie vergessen, Lillian.« Sein Händedruck ist fest. Lillian erwidert den Druck, weiß aber nicht, was sie sagen soll. Zum Glück lässt Crott ihre Hand wieder los und wendet sich John Berthung zu. »Vielleicht kann man sich einmal in der Stadt wiedersehen?« Lillian und Pus blicken ihren Vater an. Sie merken, dass ihn diese Frage in Verlegenheit bringt. »Vielleicht«, antwortet er nach einer Pause, »vielleicht können wir einmal zusammen Schach spielen.«
John fragt sich auf dem Heimweg, ob er wirklich möchte, dass die beiden Deutschen in die Halvdansgate kommen. Zugegeben – sie sind sympathisch, die beiden. Vor allem dieser Crott hat ihm gefallen.
In den folgenden Wochen kommt Helmut Crott tatsächlich ein paar Mal in die Halvdansgate. Den Unteroffizier Teschner bringt er jedes Mal mit. Die beiden Herren spielen abwechselnd Schach mit John. Danach erhebt man sich und geht.
Annie Berthung mag diese Besuche nicht. Auch zur Hütte waren die beiden Soldaten noch einmal gekommen. Sie sorgt sich um das Ansehen ihrer Familie. An sich ist es ja nicht ungewöhnlich, dass deutsche Soldaten in den Häusern der Norweger ein- und ausgehen. Schließlich hat die Wehrmacht überall Zimmer für die Offiziere beschlagnahmt. Aber bei den Berthungs ist es nun einmal nicht so. Das wissen auch die Nachbarn. Diese beiden Deutschen kommen und gehen – ja, warum eigentlich …
Dabei hat Annie noch ganz andere Sorgen. Die Beschaffung von Lebensmitteln wird immer schwieriger. Sooft es geht, muss sie hinaus aufs Land, um die Dinge zu besorgen, die man in keinem Geschäft in der Stadt mehr kaufen kann. Die Rationierung ist inzwischen außerordentlich streng geworden. Daran sind die Deutschen schuld. Und ihr Krieg. Lillians Mutter verzieht jedes Mal das Gesicht, wenn dieser Crott und dieser Teschner an ihre Türe klopfen.
Lillian merkt den Unmut ihrer Mutter. Sie merkt aber auch, dass sie selbst sich freut, wenn Helmut Crott kommt. Einmal trifft es sich, dass die beiden im Flur kurz alleine sind. »Lillian, meinen Sie, wir könnten einmal zusammen spazieren gehen?«
»Ja, das wäre schön.« Sie erschrickt. Sie hat keine Ahnung, warum sie das gesagt hat. Und so setzt sie hinzu: »Aber das soll niemand wissen.«