57. Kapitel

02. Juni 2011
in der Wüste
am Nachmittag

Mit ihrem obligatorischen Schatten an der Seite kam die großgewachsene Schwedin auf sie zumarschiert. Luke Skywalker trug seine Top-Gun-Mütze tief ins Gesicht gezogen und Malin einen breitkrempigen Stoffhut. Ihre Haare waren zu einem lagen Zopf geflochten, der ihr auf den Rücken fiel.

„Hallo! Brauchen Sie Hilfe?“, rief sie ihnen auf Englisch entgegen und wies auf das in die Höhe gereckte Leitwerk der verunglückten Cessna.

„Ja!“, rief Ondragon zurück. Und etwas leiser: „Könnte man so sagen.“ Mit einem gewissen Argwohn, den er vor ein paar Minuten noch nicht verspürt hatte, betrachtete er sie. Warum tauchte sie ausgerechnet jetzt hier an diesen gottverlassenen Ort auf? War sie tatsächlich wegen der weißen Dromedare gekommen, oder stellte sie womöglich ein Ablenkungsmanöver von Monsieur Noire dar? Arbeiteten die beiden zusammen? Konnte das sein? Und warum kam ihm dieser Gedanke erst jetzt? Ondragon stellte fest, dass er seinen eigenen Misstrauensscanner in Bezug auf Malin sträflich vernachlässigt hatte. Er würde das dringend nachholen müssen.

Unterdessen kam die schwedische Jägerin mit langen Schritten näher. Doch plötzlich stutzte sie und blieb abrupt stehen.

„Du?!?“, sagte sie und schaute ihn verdutzt an.

Ondragon spielte den Verlegenen. „Ja, ich.“

In Malins Blick schlich sich der ihm bereits bekannte Argwohn. Und er bemerkte, dass sie einen Sicherheitsabstand von fünf Schritten zu ihm einhielt. Genau die Distanz, die es einem Angreifer unmöglich machte, sich mit einem Satz zu nähern.

Entschuldigend hob er beide Hände, blieb aber, wo er war. Denn nicht nur Luke trug eine Pistole an seinem Gürtel, sondern auch Malin. Und wer wusste, ob sie die Waffen nicht gebrauchen würden in einer Situation, die ihnen verständlicherweise seltsam vorkommen musste.

„Ich … also, ich habe dafür eine Erklärung“, sagte Ondragon in neutralem Ton. Er spürte Achilles Blick von der Seite, doch hatte er wenig Lust, die unausgesprochene Frage des Franzosen zu beantworten. Aber Achille schien auch so zu kapieren, was da vor sich ging, denn er begann, breit zu grinsen.

„Eine Erklärung, soso“, wiederholte Malin. „Darauf bin ich gespannt.“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust und wartete.

„Es tut mir leid“, sagte er schließlich zerknirscht. „Ich habe dir in Casablanca nicht die Wahrheit gesagt. Ich bin kein Unternehmensberater … ober besser gesagt, ich bin schon ein einer, aber von der besonderen Art.“

Malin guckte noch immer skeptisch. Ihre abweisende Haltung hatte sich um keinen Millimeter verändert. Auch Mr. Top Gun starrte ihn äußerst misstrauisch an.

„Ich erledige Aufträge“, fuhr Ondragon vorsichtig fort, „für bestimmte Leute und …“

Ein alarmiertes Leuchten trat in Malins Augen und ehe er es sich versah, hatte sie die Waffe gezogen und auf ihn gerichtet. Es war eine Desert Eagle, die stärkste Handfeuerwaffe, die es gab. Die Frau machte keine Kompromisse.

„Du willst mir mein Geschäft vermasseln, du verdammter Hurensohn!“, knurrte sie.

„Was?!“, stieß Ondragon aus. „Nein! Auf keinen Fall!“ Er lachte verlegen, um die Situation zu entschärfen. Aber Malin ging nicht darauf ein. Sie hob die Hand mit der Pistole und zielte direkt auf sein Gesicht. „Glaub nicht, dass du mich verarschen kannst. Ich weiß, was du vorhast. Aber das wirst du schön bleibenlassen.“

Auch Luke hatte nach seiner Waffe gegriffen, doch der junge Pilot wirkte weitaus unsicherer. Sein Arm zitterte und sein Blick huschte unstet hin und her. Aus den Augenwinkeln sah Ondragon, wie Achille nach hinten in seinen Gürtel griff, wo sich dessen Waffe verbarg.

„Ich kann sie beide für dich erledigen, Chef“, flüsterte er. „Ihre Leichen können wir prima entsorgen. In der Düne findet man die nie. Außerdem hätten wir dann ein neues Flugzeug.“

Nach der Sache mit Achmed wusste Ondragon nur zu gut, dass Achille es ernst meinte. Aber ihm lag etwas an Malin, und er wollte nicht, dass ihr etwas zustieß, auch wenn sie ihn jetzt vielleicht schon hasste.

„Wartet!“, rief er und trat einen Schritt vor, um ein erneutes Blutbad zu verhindern. „Hört mal alle zu!“

Achille warf einen fragenden Blick zu ihm herüber, doch Ondragon ignorierte ihn und wandte sich an die schwedische Jägerin. „Malin, glaub mir, ich will dir nicht in die Parade fahren. Dein weißes Dromedar ist mir vollkommen egal. Ich bin aus einem ganz anderen Grund hier. Wenn du die Waffe wegsteckst und dich beruhigst, dann werde ich es dir erklären, aber nur unter vier Augen. Das ist die Voraussetzung!“

Malin schien zu überlegen. Ihre Lippen waren zu einem schmalen Strich zusammengepresst. Ihre Augen starr auf ihn gerichtet. Dann ließ die Pistole sinken. „Gut, ich gebe dir genau eine Chance!“, sagte sie und steckte die Waffe weg.

Ondragon nickte erleichtert und deutete auf das provisorische Zelt. „Dort haben wir Schatten und Wasser, und wenn du willst, mache ich dir auch einen Mokka.“

„Spar dir die Höflichkeiten, ich will nur eine Erklärung, sonst nichts!“

„Okay, okay, alles klar.“

Sie gingen zu dem Zelt, wo Ondragon ihr den Eingang aufhielt.

„Sei vorsichtig, Malin!“, rief Luke ihr auf Schwedisch hinterher.

„Ich komme, klar, Pelle!“, antwortete Malin, ohne sich nach dem Piloten umzudrehen, und trat ins Zelt. Bevor Ondragon ihr folgte, gab er Achille ein Zeichen, dass er auf Luke aufpassen sollte. Im Zelt bot er Malin einen Becher mit Wasser an, den sie nach einigem Zögern schließlich annahm und durstig austrank. Dann setzten sie sich einander gegenüber auf die ausgebreiteten Matten. Ondragon war innerlich angespannt und suchte nach den richtigen Worten. Er wusste, dass er bei Malin nur mit der Wahrheit weiterkam. Allerdings würde er diese um gewisse kritische Pfunde abspecken müssen. Wahrheit light, sozusagen.

Im Gegensatz zu der langbeinigen Schwedin, die mit steifem Rücken dasaß, lehnte er sich betont entspannt zurück und legte den Kopf schief, um zu demonstrieren, dass er friedfertiger Absicht war.

„Tja, da sind wir also“, sagte er schließlich. „Hätte nie gedacht, dass wir uns noch mal wiederbegegnen. Erst recht nicht hier in der Wüste. Aber bevor du wieder ausrastest, lass mich dir als erstes sagen, das ich mich sehr darüber freue. Ehrlich.“

Malin blickte ihn starr an, sie blinzelte nicht mal.

„Okay, du freust dich nicht. Dann versuche ich, dir jetzt die Lage zu erläutern. Vorweg muss ich dir allerdings sagen, dass meine Aufträge meist einer strengen Geheimhaltung unterliegen.“

Malin verzog verächtlich das Gesicht, so als durchschaue sie seine lahme Ausrede.

„Dort draußen in der Wüste liegt etwas verborgen“, sprach Ondragon unbeirrt weiter, „das möchte mein Auftraggeber unbedingt haben. Und damit meine ich, wirklich unbedingt! Deshalb hat er mich beauftragt, diesen Gegenstand für ihn zu beschaffen. In gewissen Kreisen bin ich bekannt dafür, solche Wünsche zu erfüllen.“ Er hob eine Hand, um einen Einwand von Seiten Malins zu unterdrücken. „Natürlich sind darunter auch illegale Dinge, aber darüber sprachen wir ja bereits, und ich denke, darin nehmen wir uns beide nichts. Also lassen wir das, uns gegenseitig mit Vorwürfen zu überschütten. Das fände ich, nun ja, etwas scheinheilig.“

Er sah, wie Malin nickte. Eine erste zustimmende Reaktion.

„Es ist nämlich so“, fuhr er fort, „ich löse Probleme. Probleme aller Art. Man könnte mich auch den ‚Problem-Bereiniger‘ nennen. Und mein Geschäft boomt – ob du es glaubst oder nicht. Schließlich hat jeder von uns das ein oder andere Problemchen, das er gerne aus der Welt geschafft haben möchte. Ich wette, selbst du hast eins.“ Er zwinkerte ihr zu. „Aber ich schweife ab. Zurück zu meinem Auftrag. Das, wonach ich suche, verbirgt sich hier irgendwo in den Dünen. Und es ist sehr wichtig, dass ich es finde. Das Schicksal einiger Personen hängt davon ab.“ Wenn nicht gar das Schicksal von uns allen, dachte Ondragon im Stillen.

Malin rührte sich ein wenig in ihrer steifen Haltung und ließ ihren Blick durch das Zelt wandern. „Und was ist es?“, fragte sie schließlich. „Das, wonach du suchst?“

„Wenn ich dir das verrate, bringe ich mich um meinen Ruf. Diskretion ist mein oberstes Gebot.“

Malin zog eine Augenraue hoch und plötzlich lachte sie laut auf. „Du solltest dich mal reden hören. Das klingt wirklich bescheuert! Du jagst als Indiana Jones verkleidet durch die Wüste und wahrscheinlich ist es die Bundeslade, hinter der du her bist. Oder der Heilige Gral? Uhhh, wie geheimnisvoll! Aber du glaubst doch wohl nicht ernsthaft, dass ich dir das abkaufe?“

„Ich dachte, eine Abenteurerin wie du versteht, was ich tue.“

„Sag mir, wonach du suchst, und ich denke darüber nach, ob ich dir glaube.“

Ondragon hob entschuldigend beide Hände. „Das kann ich nicht, tut mir leid.“

„Da hast du es! Scheiß auf deine Diskretion! Ich glaube, du willst mich nur hinhalten. Das alles ist bloß eine Taktik, mit der du verbergen willst, dass du auch hinter dem Ebäydäg her bist. Du willst das Geld dafür alleine kassieren! Mann, was war ich dämlich, mich mit dir einzulassen. Das war ein schwacher Moment. Aber den wird es nicht noch einmal geben.“ Sie wollte nach ihrer Waffe greifen, doch Ondragon schnellte blitzartig vor und warf sich auf sie. Mit einer Hand hielt er sie davon ab, die Pistole zu ziehen, und presste die andere auf ihren Mund. Nur einen winzigen Moment lang war Malin überrascht, doch dann wehrte sie sich so heftig, dass sie ihn beinahe abgeworfen hätte. Sie war wirklich stark und Ondragon hatte alle Mühe, sie unter sich festzuhalten.

„Jetzt hör mir endlich zu!“, zischte er ihr ins Ohr. „Ich will nichts von deinen Scheißkamelen! Ich kann die Viecher nicht ausstehen! Aber wenn du stillhältst, dann bin ich vielleicht so nett und verrate dir, wo ich eines von deinen Ebäydäg gesehen habe!“

Die schwedische Jägerin hörte auf zu zappeln. Doch ihr Blick sandte noch immer heiße Funken aus. Er wusste, es machte sie rasend, dass er sie in seiner Gewalt hatte. Sie stieß einen gedämpften Laut unter seiner Hand aus.

„War das eine Zustimmung?“, fragte er.

Sie nickte.

Vorsichtig nahm er seine Hand von ihrem Mund.

„Du solltest mal wieder duschen!“, fauchte sie ihn an. „Und jetzt geh runter von mir! Ich werde schon nicht schreien. Aber wehe, das ist ein Trick!“

„Es ist kein Trick“, sagte er ruhig, doch Malin warf ihm nur einen bösen Blick zu.

„Okay“, erwiderte er beschwichtigend, „ich verrate dir einen Teil meines Auftrags, damit du mir endlich glaubst.“ Er holte seinen Notizblock hervor, blätterte zu einer Abbildung und zeigte sie ihr. Dabei sah er, wie sich Malins Miene ein wenig aufhellte.

„Du suchst ein Flugzeug?“, fragte sie.

Ondragon nickte. Die Lüge war nahe genug an der Wahrheit dran. „Ja, aber nicht irgendein Flugzeug. Siehst du? Es ist eine alte Nazi-Maschine, eine Junkers, die Ende des Zweiten Weltkrieges hier über der Wüste abgestürzt ist.“

„Und dein Auftraggeber will, dass du sie findest und zu ihm bringst? Wie soll das gehen? Das Ding ist doch viel zu groß.“

„Das stimmt. Aber er will ja auch nicht das Flugzeug selbst, sondern etwas, das in ihm ist.“

„Und was ist das?“

Ondragon verzog bedauernd die Mundwinkel.

„Ach, natürlich: geheim“, sagte Malin spöttisch und ein erstes Lächeln zeigte sich auf ihren Lippen. „Ist es wenigstens wertvoll?“

„Das liegt ihm Auge des Betrachters“, entgegnete er. „Ich persönlich würde für den alten Schrott nicht so viel Aufwand betreiben. Aber egal, so bekomme ich wenigstens mein Geld.“ Er sah sie ernst an. „Es wäre übrigens schön, wenn du Pelle Knatte nichts davon erzählst. Es geht schließlich um …“

„… deine Berufsehre. Schon verstanden.“ Sie tat so, als spucke sie auf ihre Hand und hielt diese dann hoch. „Ich gelobe hoch und heilig, nichts von dem zu verraten, was ich eben von dir erfahren habe!“

Ondragon nickte dankbar und entspannte sich.

„Entschuldige, dass ich dir nicht geglaubt habe“, sagte Malin schließlich etwas kleinlaut. „Aber ich habe tatsächlich gedacht, dass du mir den Auftrag abjagen willst.“ Sie lachte, als hielte sie ihr vorangegangenes Misstrauen jetzt selbst für absurd.

Er winkte großzügig ab. „Ist schon vergessen. Ich hätte dir in Casablanca einfach nicht erzählen dürfen, dass ich ein langweiliger Unternehmensberater bin. Meine Schuld.“

Eine Weile saßen sie da.

Dann legte Malin den Kopf auf die Seite und fragte mit einem kecken Grinsen: „Und verrätst du mir jetzt, wo du das weiße Dromedar gesehen hast?“

„Erst wenn du mir noch einen Gefallen tust.“

Malin kniff die Augen zusammen. „Du bist ein verfluchter Feilscher, weißt du das?“

„Weiß ich.“ Ondragon verzog die Lippen.

„Na gut“, seufzte Malin, „raus damit.“

„Wie du vielleicht schon bemerkt hast, sitzen wir hier mächtig in der Klemme. Wir hatten einen kleinen Unfall und nun ist unser Flugzeug im Arsch. Ist ja auch nicht zu übersehen. Aber du brauchst keine Angst zu haben, wir kommen schon alleine von hier weg. Du musst uns also nicht als Anhalter mit zurück nehmen. Aber ich habe jetzt leider keine Möglichkeit mehr, eine letzte Lufterkundung durchzuführen, die ich noch bräuchte, um das Flugzeugwrack zu lokalisieren. Ich habe das Gebiet eingegrenzt und bin mir sicher, dass …“

„Hab schon verstanden, du brauchst gar nicht weiterzureden. Ich leihe dir Pelle Knatte und sein Flugmobil, aber nur wenn wir gleichzeitig schon mal nach den Dromedaren Ausschau halten können. Sonst noch was?“

Ondragon schüttelte den Kopf. Sie sahen einander an. Dann holte er seinen Fotoapparat hervor und zeigte Malin die Bilder von den weißen Dromedaren.