14. Kapitel
20. Mai 2011
Fortaleza, Brasilien
17.34
Uhr
Vorsichtig schlich Clandestin dem Mann namens Ondragon hinterher. Der hatte gerade das verfallene Gebäude verlassen und ging in Richtung Strand davon. Clandestin hatte ihn schon den ganzen Tag über beobachtet. Es war klar, was der Kerl vorhatte. Er plante seine Tat. Das war gut, denn Clandestin hatte es satt zu warten. Er sah, wie Mr. Ondragon das Hotel betrat und folgte ihm. Inzwischen hatte er mehr über ihn herausgefunden. Zum Beispiel, dass er kein Amerikaner war, sondern Deutscher, zumindest zur Hälfte, und dass der Botschafter a.D. und die Olympiasiegerin seine Eltern waren. Wie goldig! Der Typ selbst war so eine Art Problemlöser, ein salonfähiger Gangster für alles – natürlich nur für diejenigen, die sich sein Honorar leisten konnten. Denn der gute Mr. O rangierte auf der Liste der weltweiten Spezialisten für besondere Angelegenheiten ziemlich weit oben. Das machte ihn teuer und sehr gefährlich!
Clandestin koppelte sich aus dem Kielwasser des hochgewachsenen Problembereinigers und ließ sich in die Lobby des Hotels treiben, dabei huschte sein Blick zu der hübschen nipo-brasileira, die mit übergeschlagenen Beinen in einem der Sessel saß und so tat, als lese sie in einem Prospekt. In Wahrheit wartete sie auf ihren Chef.
Geschickt manövrierte sich Clandestin in ihrem Rücken zu der Sitzgruppe. Er wollte sehen, was die beiden jetzt taten. Die Frau, Charlize Tanaka hieß sie, war vom BND in das Labor am Hafen eingeschleust worden. Was sie dort bloß gesehen hatte? War sie ihm ganz nahe gewesen? Dem Schatz? Clandestin fühlte einen wohligen Schauer der Vorfreude über seinen Körper wandern. Schon bald würde er den Schatz in seinen Händen halten und dann würde der den zweiten Teil seines Job erledigen müssen. Er dachte an den Mann, der ihm den Auftrag erteilt hatte, und ballte eine Hand zur Faust. Er durfte nicht versagen. Auf keinen Fall!
Clandestin sah sich um, aber in der Lobby hingen sonst nur noch Touristen in albernen Klamotten herum. Diese Kretins! Er hasste Menschen, die in ein anderes Land fuhren, um dort dasselbe zu tun wie zu Hause: Fressen, saufen, ficken! Gottlose Ignoranten!
Er schluckte seinen auflodernden Hass herunter und pirschte sich von hinten an die Dame seines Interesses heran. Sie hielt den Kopf in Richtung ihres Chefs gewandt, der ihr aus der Ferne einen vielsagenden Blick zuwarf und dann zu den Fahrstühlen weiterging. Clandestin nutzte die Gelegenheit und glitt unbemerkt an ihr vorbei. Dabei fing er den Geruch von Chemikalien, Parfüm und einem Hauch von Verwesung auf. Roch es dort, wo sie herkam, so? Im Labor bei dem Schatz?
Die Frau drehte sich um, als habe sie etwas bemerkt, doch Clandestin war längst verschwunden. Er stand hinter einem blickdichten Zierstrauch und spähte hinüber zu den Fahrstühlen. Die Anzeige über der Tür stoppte bei der Vier und bewegte sich dann wieder abwärts. Mr. Big war jetzt in dem Stockwerk, wo sich sein Zimmer befand. Clandestin hörte, wie das Handy der Frau piepte und sah, dass sie etwas auf dem Display las. Danach legte sie das Handy wieder weg und wartete weiter. Erst zehn Minuten später kam ein Kellner zu ihr und stellte vor ihr ein Getränk mit einer Papierserviette auf den Tisch. Clandestin wunderte sich, hatte sie doch zuvor gar nichts geordert. War er etwa für einen Moment unaufmerksam gewesen? Doch dann begriff er, als er sah, wie die Frau die Serviette zur Hand nahm und nur einen winzigen Augenblick zu lange darauf starrte, bevor sie sie wieder sinken ließ. In ihrer Miene hatte sich eine Veränderung vollzogen. Sie wirkte jetzt wie eine Wissende, nicht mehr wie eine Wartende.
Der Deutsche war ganz schön gerissen, dachte Clandestin. Er hatte seiner Komplizin eine verdeckte Botschaft durch den Kellner zukommen lassen. Was auch immer auf der Serviette stand, es hatte ihre Haltung minimal verändert, obwohl sie sich mit Sicherheit Mühe gab, dies zu verbergen. Ohne von dem Getränk zu kosten, erhob sie sich und verließ selbstbewussten Schrittes das Hotel. Clandestin überlegte, ob er ihr hinterhergehen und ihr das Handy stehlen sollte. Draußen auf der Promenade war noch viel los, und es könnte ihm durchaus gelingen, ihr das Gerät unbemerkt zu entwenden. Vielleicht fand er einen Hinweis auf den genauen Plan von Mr. Big. Dann müsste er nicht ständig auf diese ermüdende Weise an ihm kleben wie ein Kaugummi. Andererseits war die Gefahr zu groß, dass er die Frau auf sich aufmerksam machte. Also beruhigte er sich wieder und blieb, wo er war. Er hatte alles penibel vorbereitet und konnte die Dinge auf sich zukommen lassen. An geeigneter Stelle würde er eingreifen und sich nehmen, was quasi schon ihm gehörte.
Er besah sich erneut die Gäste im Foyer, bevor er wie zufällig zu dem Tisch schlenderte, an dem die Frau gesessen hatte. Die Serviette lag noch da. Reichlich nachlässig von der Dame, sie dort liegenzulassen, dachte er und ließ sie schnell in der Tasche seines Kapuzenpullis verschwinden. Danach rückte er die getönte Brille zurecht und verschwand um eine Ecke, wo er die Nachricht las.
„Verdammter Mist!“, murmelte er leise und zerknüllte ärgerlich die Serviette. Die Nachricht war in Japanisch geschrieben! Zwar beherrschte er eine ganze Reihe von Sprachen, aber Japanisch war nicht dabei. Merde!
Clandestin lockerte seine Haltung, setzte eine unbekümmerte Sunnyboy-Miene auf und schlenderte lässig aus dem Hotel. Draußen überquerte er in gemütlichem Tempo die Straße und suchte sich einen Platz unter den Palmen, von wo aus er den Haupteingang des Hotels sowie die Ausfahrt der Tiefgarage gut im Blick hatte. Das Auto, das diesem Kerl zur Verfügung stand, war zwar in einiger Entfernung am Straßenrand geparkt, aber man konnte ja nie wissen, auf welchem Wege Mr. Big das Hotel verlassen würde. Er durfte ihn jetzt keine Minute mehr aus den Augen lassen.
Wie ein Chamäleon verschmolz Clandestin mit der flanierenden Menge der Urlauber und kalibrierte seinen Blick auf hochgewachsene Männer. Denn so sehr Mr. Ondragon auch die Kunst der Verkleidung beherrschte, seine Körpergröße konnte er nicht verbergen. So wartete Clandestin geduldig, während die Schatten der hereinbrechenden Nacht immer länger wurden und die bunten Glühlampen an den Standbars aufflackerten wie tausend kleine Augen, die ihm bei seiner Arbeit behilflich waren.