42. Kapitel

29. Mai 2011
Casablanca, Marokko
13.10 Uhr

Den nächsten Tag verbummelte Ondragon beim Sightseeing in der Moschee Hassans des II. und ging später zum Mittagessen in den Tahiti Beachclub am Boulevard de la Corniche. Achille war noch immer mit den Behörden beschäftigt und auf der Tethys II blieb alles ruhig. Ebenso bei Kubicki im Hundeforum. Da er Malin vorgegaukelt hatte, er sei Unternehmensberater und hätte Termine, musste er bis zum Abend warten, bevor er sich wieder mit ihr treffen konnte.

Nach dem vorzüglichen Essen mit Blick auf das Mittelmeer rief er bei Charlize an, um sich nach ihrem Wohlergehen zu erkundigen. Zum Glück ging es ihr bereits so gut, dass sie das Krankenhaus in zwei Tagen verlassen durfte und zurück nach L.A. fliegen konnte. Ondragon freute sich darüber und berichtete ihr, wie sie in Casablanca vorankamen. Dabei verschwieg er vorsorglich seine kleine Affäre vom gestrigen Abend.

„Gibt es was Neues vom Code?“, wollte Charlize wissen.

„Leider nein“, sagte er.

„Hm, dieser Truthfinder braucht aber lange für die Dechiffrierung. Ich hatte gedacht, er ist ein Zahlengenie. So kompliziert kann der Code doch nicht sein. Dieser Dr. Schuch hatte schließlich auch nicht viel Zeit, um ihn zu entwickeln.“

„Das ist wahr. Aber da kann man mal sehen, wie schwer selbst ein vermeintlich einfacher Code zu knacken ist. Ohne das Schlüsselwort geht gar nichts.“

„So ist das wohl“, entgegnete Charlize und klang leicht enttäuscht. „Na, hoffentlich klappt es noch rechtzeitig.“

„Das hoffe ich auch. Ich habe nämlich wenig Lust, ohne einen Anhaltspunkt durch die Wüste zu irren.“

„Du sagst aber noch Bescheid, bevor ihr aufbrecht, ja?“

„Na klar“, sagte er.

„Ach, verdammt!“, Ondragon hörte, wie Charlize mit der Hand irgendwo draufschlug und es schepperte. „Ich wünschte, ich wäre bei euch und könnte dem Kerl selbst in den Arsch treten!“ Das war es also, was sie betrübte.

„Ich verspreche dir, dass ich ihn leiden lasse, okay?“

Ein Murren ertönte und dann ein „Okay.“

„Sei nicht traurig. Ich schicke dir eine kleine Aufmunterung nach Hause“, sagte Ondragon. „Ein kleines Päckchen.“

„Etwa die Eier von diesem Mistkerl?“

Ondragon musste lachen. „Nein. Aber du wirst es trotzdem mögen.“

„Wenn du das sagst.“

„Ach, Charlize. Ärger dich nicht. Werde gesund und flieg nach L.A., da bist du mir am hilfreichsten.“

„In Ordnung, Chef. Ich pack hier meine Sachen, sobald ich kann. Viel Glück!“

„Danke.“ Ondragon legte auf. Er verließ den Strandclub und fuhr mit dem Taxi zum Hotel, wo er sich einen FedEx-Boten bestellte, der das Paket mit der Lampe für Charlize abholte. Danach sah er auf die Uhr und entschied sich, Malin anzurufen. Er hatte ihre Nummer gestern Nacht bekommen, als er sich von ihr verabschiedet hatte. Ein Zeichen, dass sie ihn wiedersehen wollte? Nicht zwingend.

Hej, Paul. Schon Feierabend?“, hörte er sie mit ihrer dunklen Stimme fragen.

„Noch nicht ganz“, antwortete er, „aber in zwei Stunden. Wollen wir uns heute Abend treffen?“

„Wo?“

Sie wollte also. Ondragon hatte es gehofft, war sich aber nicht sicher gewesen, ob das Ganze vielleicht doch nur ein One-Night-Stand bleiben würde. „Ich hole dich um 18 Uhr ab. Zieh dir was Hübsches an.“

„Fein, dann gehen wir aus?“

„Ja, lass dich überraschen, Malin.“

„Gut, dann bis nachher. Ich freue mich, Paul.“ Sie verabschiedete sich und hörte sich dabei so an, als ob sie sich tatsächlich freue. Na ja, dachte Ondragon, nun würde womöglich doch noch ein Two-Night-Stand daraus werden. Zu viele Erwartungen legte er allerdings nicht in seine Begegnungen mit Frauen, denn etwas Längerfristiges würde dabei sowieso nie herauskommen. Schon wegen seines Jobs nicht. Das war einfach zu riskant für alle Beteiligten. Er musste unabhängig und unerpressbar bleiben, das zeigte allein schon die Sache mit Charlize. Aber gegen eine erfrischende amour fou war nichts einzuwenden.

Er wählte Achilles Nummer.

„Nichts Neues, Chef. Immer noch Stillstand auf dem Amt“, antwortete dieser ohne Umschweife.

„Halt dich ran. Erhöhe zur Not das Bakschisch.“

„Ja, hab ich schon im Blick.“ Achille klang leicht gereizt. Kein Wunder bei der Starrköpfigkeit der marokkanischen Behörden.

„Ach, und kennst du zufällig ein romantisches Restaurant hier in Casablanca?“

„Meinst du mit romantisch teuer und beeindruckend?“, hakte Achille nach.

„Exakt. Aber nicht zu aufdringlich.“

„Hast du etwa eine kleine aventure galante vor?“

Ondragon konnte Achilles förmlich durch den Hörer grinsen hören. „Geht dich gar nichts an!“

„Schon klar. Du stehst nicht auf Rüschen, aber auf romantisch. Aus dir soll mal einer schlau werden. Aber ich gönn es dir. Geh mit deinem Date ins ‚Ocean View Cabestan‘, das hat einen tollen Blick auf den Leuchtturm, da kommst du auf deine Kosten. Die haben dort auch eine sehr schicke Bar für hinterher. Soll ich dir einen Tisch für zwei reservieren?“

„Das wäre wirklich reizend von dir, Achille.“

De rien, Chef. Et grand bien te fasse!

Nachdem er das Gespräch beendet hatte, stand Ondragon vom Bett auf und überprüfte die Ausrüstung, die er mittlerweile in unauffälligen Duffelbags verstaut hatte. Alles stand bereit, er brauchte nur noch den Startschuss – in welcher Form auch immer. Danach ging er ins Bad, um sich für das Rendezvous frischzumachen.

Malin staunte nicht schlecht, als sie das Restaurant betraten. Ondragon vermutete, dass ihr Expeditions-Budget kaum für eine solch exklusive Location ausgereicht hätte, und freute sich, dass es ihr gefiel. Sie wurden an einen Tisch mit Blick auf den felsigen Strand gebracht und bestellten eine Flasche Weißwein, während draußen über dem Meer die Möwen in den pastellfarbenen Abend flogen.

„Das nenne ich mal feudal!“, sagte Malin beeindruckt. „Du weißt wirklich, wie man Frauen um den Finger wickelt. Man könnte fast meinen, du hättest darin reichlich Erfahrung.“

Ondragon lächelte geschmeichelt, sagte dazu aber nichts.

„Darf ich dir vorweg eine Frage stellen?“

Er nickte.

„Hast du zu Hause eine Mrs. Ondragon sitzen, die auf dich wartet? Ich meine, ich sehe keinen Ehering an deiner Hand.“

Ondragon hatte diese Frage erwartet, wenn auch nicht so früh. Malin schien sehr direkt zu sein. Er legte den Kopf schief und fragte provokant zurück: „Würde es dir etwas ausmachen?“

„Nein.“

„Mir auch nicht. Aber falls es dich beruhigt, ich bin Single. Mein Job ist der Beziehungskiller schlechthin.“

Die Bedienung kam mit dem Wein und schenkte ihnen ein. Ondragon probierte und nickte dem Kellner zu. Sie bestellten ihr Essen und der Kellner ließ sie daraufhin wieder allein. Ondragon wusste, dass diese Art von Treffen mit einer Frau in einem Restaurant jede Menge Platz für Gespräche bot. Gespräche, in denen er gezwungen sein würde zu lügen. Besser waren eigentlich Orte, an denen man nicht so viel reden konnte, wie Discotheken oder Bars, in denen eine Band spielte. Das lenkte ab. Doch heute hatte er die Situation absichtlich so gewählt. Er wollte mehr über Malin erfahren und hoffte, die Konversation so weit lenken zu können, wie es ihm passte.

„Ich bin ständig auf Reisen und mehr außer Landes als zu Hause. Das macht kaum eine Frau mit“, sagte er leichthin.

„Wo warst du denn schon überall?“

„Ach, überall.“ Er winkte ab. „Aber mit exotischen Orten, wie du sie bestimmt schon gesehen hast, kann ich nicht aufwarten.“

„Was war denn das Exotischste, wo du je warst?“, wollte sie wissen.

Ondragon überlegte. „Auf dem Freeway an einem Montagmorgen in Los Angeles, sieben Uhr, kaum jemand anderes war dort! Quasi ein Jahrhundertereignis! Und? Hast du einen Freund?“, fragte er frei heraus.

In Malins Augen leuchtete es kurz auf. „Ich glaube, mein Job ist in puncto fester Beziehung mindestens genauso unverträglich wie deiner. Aber ich will das Leben, das ich dadurch habe, nicht missen. Ich lerne viele interessante Leute kennen.“ Ihre Hand wanderte über den Tisch und legte sich auf seine.

Ondragon hob kaum merklich die Brauen. Bei dieser Frau brauchte er sich wirklich keine Gedanken um den passenden Annäherungsversuch zu machen, das erledigte sie schon von ganz allein. Er umfasste ihre Hand und in seinen südlichen Regionen begann es zu rumoren. Er wollte mehr von Malin fühlen, von ihr schmecken und riechen, auch wenn er sie vielleicht niemals wiedersehen würde. Gerade deswegen.

„Dann lass uns diesen Abend genießen“, sagte er und hob sein Glas, um mit ihr anzustoßen.

Das Essen kam. Ondragon hatte gegrillte Languste mit Chili-Limetten-Sauce und Malin ein Schwertfischsteak auf Artischockensalat. Während sie aßen, redeten sie locker über Malins Jagd-Abenteuer und Ondragons Erlebnisse als Diplomaten-Kind, das alle drei Jahre in ein anderes Land gezogen war. Dabei ertappte er sich immer wieder, wie er fasziniert in Malins Augen blickte. Sie schien das nicht zu bemerken, aber ganz sicher war er sich nicht.

Nach dem Essen bestellten sie ein leichtes Dessert aus verschiedenen Fruchtsorbets und dazu einen Mokka. Malin ließ es sich mit sichtlichem Genuss schmecken. Sie löffelte das cremige Eis mit der Begeisterung eines Kindes und ließ nichts davon auf dem Teller zurück. Als sie anschließend den Mokka geleert hatte, seufzte sie wohlig und stellte die kleine Tasse zurück auf den Tisch. „Das war wirklich gut!“

Ondragon lächelte. „Ja, das war‘s.“

Eine Weile sahen sie einander an, dann lehnte sie sich vor. „Verrätst du mir jetzt, woher du die vielen Narben hast?“

Ondragon war nicht sonderlich überrascht, er hatte gespürt, dass ihr diese Frage auf der Zunge gebrannt hatte. Er faltete die Serviette zusammen und legte sie auf den Tisch. „Tja, das ist leicht erklärt und kein Geheimnis. Ich habe sehr gefährliche Hobbies.“

„Und welche wären das?“

Voodoo-Zombies jagen, mit Waldmonstern kämpfen, unerwünschte Rivalen ausschalten, in Labore einbrechen, solche Dinge, dachte er. Laut sagte er: „Motorradfahren, Fallschirmspringen, Skilaufen, Surfen, Golf …“

„Golf?“

„Nein, das war nur ein Scherz.“ Er schmunzelte. „Aber alles andere stimmt. Und dabei kann man sich wunderbar wehtun.“

Sie schürzte die Lippen und nickte zustimmend. Doch ihre Augen sagten etwas anderes. Ondragon hatte den Eindruck, als liefe bei ihr im Hintergrund dauerhaft ein Misstrauensscanner. Nun gut, das war ihr auch nicht zu verübeln, denn schließlich sagte er ihr ja nicht die Wahrheit.

„Wollen wir an der Bar draußen noch einen Drink nehmen?“, lenkte er das Gespräch auf ein anderes Thema.

„Ich habe das Gefühl, dein Leben ist gar nicht so langweilig, wie du vorgibst“, sagte sie, ohne auf seine Frage zu reagieren. Ihr Blick hielt ihn weiterhin gefangen.

Ondragon setzte ein ergebenes Lächeln auf und sagte: „Touché.“ Er legte eine Hand auf seine Brust. „Ich kann mich in der Tat nicht über zu wenig Action in meinem Leben beschweren, und ich habe beileibe genug von dieser Welt gesehen, dass ich eine gewisse Abgeklärtheit entwickelt habe. Aber mal ehrlich, hätte ich das gleich zu Beginn raushängen lassen, hättest du mich fürchterlich gefunden.“

„Oh, du hast es raushängen lassen! Und du bist fürchterlich!“

Jetzt guckte Ondragon verdutzt.

Malin schaute ungerührt zurück. Doch dann schlich sich ein spitzbübisches Lächeln auf ihre Lippen und sie stieß ein glucksendes Lachen aus. „Ich hätte nicht gedacht, dass du dich so leicht aus der Fassung bringen lässt.“ Ihre Hand griff wieder nach der seinen. „Du bist keinesfalls fürchterlich, ehrlich. Ich mag dich.“

Ich mag dich, hallte es in seinen Ohren nach, während er sich zu ihr vorlehnte und ihr ins Ohr flüsterte: „Und ich will dich! Jetzt!“

Sie lächelte leicht verlegen und drückte seine Hand. Ihre Lippen streiften für eine Sekunde seine Wange. Mehr war nicht drin in der Öffentlichkeit, aber das Signal war eindeutig. Die Bar war vergessen. Eilig zahlte Ondragon die Rechnung und sie fuhren mit dem Taxi in das Golden Tulip, wo sie auf dem Zimmer 818 verschwanden. Was diesmal hinter der Tür geschah, war zwar nicht ganz so wild wie beim ersten Mal, dafür aber nicht minder geräuschvoll.

Ein Laut weckte Ondragon aus seinem seligen Schlaf und er musste sich erst mal orientieren. Angenehm überrascht stellte er fest, dass er noch immer neben Malin lag. Das Geräusch ertönte erneut. Irgendwo vibrierte leise sein Handy. Er stand auf und suchte in dem Klamottenknäuel auf dem Fußboden nach seiner Hose. Als er sie und das Handy gefunden hatte, hörte das Klingeln auf. Er sah auf das Display. Drei verpasste Anrufe von Truthfinder. Sofort war Ondragon hellwach. Hatte der Junge etwa den Code geknackt?

Er warf einen Blick auf Malin, die tief und fest schlief, und verzog sich mit leisen Schritten ins Bad. Nachdem er die Tür geschlossen hatte, drückte er die Rückruftaste.

„Mann, Mr. O, gut, dass Sie zurückrufen!“, meldete sich der junge Physiker aufgeregt. „Stellen Sie sich vor, ich hab’s!“

„Was? Den Code?“, fragte Ondragon leise.

„Nein, das leider nicht, aber wir – also mein Bekannter und ich – haben die Bedeutung des Kreuzes herausgefunden.“

„Na, immerhin.“ Ondragon ließ sich auf dem Rand der Badewanne nieder.

„Es war eigentlich ganz einfach“, sagte Truthfinder. „Aber wir haben viel zu kompliziert gedacht und sind erst später darauf gekommen, weil …“

„Hey, komm zur Sache! Es ist mitten in der Nacht und ich bin nicht allein!“

„Oh, Entschuldigung. Gut, also … Shit, jetzt haben Sie mich aus dem Konzept gebracht.“ Ondragon hörte, wie Truthfinder am anderen Ende hektisch auf seiner Tastatur tippte und rollte mit den Augen.

„So, da hab ich’s. Die römischen Ziffern, XX, V und XIV, stehen für den jeweils zwanzigsten, fünften und vierzehnten Buchstaben des Alphabets. Also das T, E und N. In ihrer Anordnung in dem Kreuz ergeben sie das Wort Tenet, das vorwärts wie rückwärts gelesen denselben Sinn ergibt.“

„Nämlich gar keinen!“, fuhr Ondragon ungehalten dazwischen. „Was soll das denn für ein Blödsinn sein? Tenet. Das hab ich noch nie gehört.“

„Jetzt warten Sie es doch ab. Ich will es ja gerade erklären!“

Truthfinder hatte recht, er war zu ungeduldig. Ondragon entschuldigte sich und ließ den jungen Wissenschaftler weiterreden.

Tenet ist ein Palindrom und bildet das sich kreuzende Mittelwort im Sator-Quadrat. Das ist eine sehr alte magische Formel, deren älteste Abbildung aus dem ersten Jahrhundert nach Christus stammt. Sie befindet sich in Pompeji, aber das nur so nebenbei. Warten Sie, ich schicke Ihnen ein Bild davon, dann können Sie sich das besser vorstellen.“

Wenige Sekunden später piepte das Handy und Ondragon öffnete die Bilddatei. Ein Quadrat aus Worten erschien.

Sator-QuadratRot.jpg

„Sator, Arepo, Tenet, Opera, Rotas“, las Ondragon laut vor. „Ist das Latein? Oder was soll das heißen?“

„Es gibt viele verschiedene Deutungen des Quadrats. Zwei davon sind am ehesten geläufig. In der einen werden zum Beispiel die Wörter nacheinander von links nach rechts gelesen, so wie Sie es eben getan haben. Die Übersetzung lautet dann: ‚Der Sämann Arepo hält mit Mühe die Räder‘. Die zweite Version – gleichzeitig auch die, die unter den Wissenschaftlern als wahrscheinlicher gilt – ergibt im Zickzack gelesen folgenden Wortlaut: ‚Sator opera tenet – tenet opera Sator‘. Soll heißen: ‚Der Sämann hält die Werke – die Werke hält der Sämann‘. Im übertragenen Sinne: ‚Der Schöpfer hält seine Schöpfung‘. Er bewahrt sie also.“

Ondragons Zentrifuge raste, während Truthfinder weiterhin über die Bedeutung des Spruches dozierte. Zwei Worte stachen dabei besonders in sein Hirn. Rad und Sämann. Das Rad des Sämanns! Schrieb das nicht Schuch? „Das Rad des Sämanns lässt sich nur schwerlich zurückdrehen.“ Das war verwirrend, denn es schuf einen Zusammenhang zwischen Monsieur Noire und dem Nazi-Wissenschaftler, den es eigentlich gar nicht geben durfte. Sator und Sämann. Was zum Teufel hatte Noire mit Dr. Schuch zu tun? Der eine war vor einem ganzen Jahrhundert geboren worden und beim Absturz eines Flugzeugs ums Leben gekommen, und der andere war mit großer Wahrscheinlichkeit ein junger Nordafrikaner, der von einem französischen Energiekonzern engagiert wurde, um die Kiste aus besagtem Flugzeug zu stehlen. Ondragons Gedanken überschlugen sich fast. Und was, wenn es doch eine Verbindung zwischen den beiden gab?

„Truthfinder, hast du die Worte aus dem Quadrat schon beim Code ausprobiert? Arepo und Co?“

„Ja doch, schon längst.“

„Und?“

„Nichts.“

„Scheiße!“ Trotzdem hatte Ondragon das Gefühl, dass der einzige Knotenpunkt, an dem die beiden Stränge zusammenliefen, jener rätselhafte Ort mitten in der Wüste sein musste. Dort, wo die Fracht der Junkers abgeladen worden war, dort, wo Schuch mit ansehen musste, wie Kammler drei seiner Kollegen zurückließ, dort, wohin ihr unbekannter Monsieur Noire unterwegs war, im Auftrag eines der größten Energiekonzerne der Welt!

„Wir haben nicht mehr viel Zeit!“, drängte Ondragon. „Versuch es weiter und finde heraus, warum jemand solch ein Kreuz oder Quadrat als Tattoo benutzen könnte!“

„Okay, Mr. O. Ich setze mich gleich dran. Sie hören dann von mir.“

Ondragon legte auf und starrte eine Weile nachdenklich in das dunkle Bad. Dann stand er auf. Er musste zurück in sein Hotel, dort wartete jede Menge Arbeit auf ihn. Die Zeit war zu knapp, als dass er sich allein auf die Recherchen von Truthfinder verlassen konnte. Die Groupe Hexagone durfte ihnen nicht zuvorkommen. Er würde auch Charlize mit hinzuziehen und schickte ihr eine kurze SMS. Danach öffnete er die Tür und fuhr erschrocken zusammen, denn Malin stand vor ihm. Sie trug einen Bademantel vom Hotel und gähnte. Er war hingegen noch immer nackt und zog sich schnell ein Handtuch um die Hüften.

„Mit wem sprichst du denn da?“, fragte sie verschlafen.

Ondragon hob sein Handy. „Ach, das war mein Mitarbeiter, es gibt neue Entwicklungen bei einem Klienten.“

„Mitten in der Nacht?“

Er seufzte. „Ja, sowas kommt vor. Außerdem ist es im Büro in L.A. erst sechs Uhr abends.“

„Stimmt.“ Malin sah auf ihre Hände. „Dann musst du jetzt wohl los.“

„Hm, leider.“

Verlegen verknotete sie ihre Finger. „Wir fliegen morgen früh weg. Die Genehmigung ist da.“

Ondragon schwieg. Er musste sich damit abfinden. Sie waren zwei Einzelgänger, die für einen kurzen Augenblick zueinander gefunden hatten und nun wieder getrennte Wege gingen. „Tja, so ist das“, sagte er, schob sich an ihr vorbei ins Zimmer und zog sich an.

Nachdem er alles zusammengesammelt und sichergestellt hatte, dass nichts von ihm in diesem Raum zurückgeblieben war, ging er zur Tür. Er griff nach der Klinke und drückte sie herunter. Er zögerte und drehte sich schließlich noch einmal um. Seine Hand glitt in die Innentasche seines Jacketts, und ohne darüber nachzudenken, ob es vernünftig war, denn das war es nicht, gab er Malin eine seiner Visitenkarten.

„Ruf mich an, wenn du mal in L.A. sein solltest.“

Sie nahm die Karte und hob skeptisch eine Augenbraue. „Du meinst wohl eher, falls du mal da sein solltest.“

Ondragon wollte noch etwas darauf erwidern, besann sich aber und verließ rasch das Zimmer.