5. Kapitel

20. Mai 2011
Fortaleza, Brasilien
14.20 Uhr

Nachdenklich strich Clandestin über den angeklebten Bart und zog sich wieder in den Schutz der Betonsäule am Hoteleingang zurück.

Dieser Ondragon schien ein ausgekochter Profi zu sein. Zumindest war es nicht leicht, an ihm dranzubleiben, denn ständig prüfte der Kerl, ob er verfolgt wurde. Nur aus gebührendem Abstand hatte er den Amerikaner, oder was immer er war, und seine hübsche Begleitung beobachten können.

Beinahe vergeblich hatte Clandestin in den letzten Tagen versucht, etwas mehr Licht in die Identität des Mannes zu bringen, den der BND angeheuert hatte. Der dubiose Mr. O verbarg sich hinter einer noch dubioseren Firma, die Ondragon Consulting hieß und ihren Sitz in Los Angeles hatte. Smart solutions worldwide – der Slogan war das Einzige, was er dazu hatte herausfinden können. Sonst nichts, keine Telefonnummer, keine Anschrift oder sonst einen Kontakt.

War Ondragon Consulting eine Scheinfirma? Möglich, aber Clandestin schätzte, dass es sich dabei eher um eine Adresse für Insider handelte. Mr. O war ein Berater der speziellen Sorte, einer, der nicht zimperlich war, dafür hatte er eine Nase. Über den Mann selbst gab es ebenfalls nicht viel, obwohl der Name Ondragon nicht gerade oft in den Internetverzeichnissen vertreten war – wenn es sich dabei überhaupt um einen echten Namen handelte! Denn er erschien Clandestin ein wenig zu fantasievoll. Allerdings hatte er ein paar Einträge zu diesem Namen gefunden, die ungewöhnlich waren. Ein ehemaliger deutscher Botschafter und eine schwedische Goldmedaillengewinnerin bei den Olympischen Winterspielen von 1976. Ob diese beiden etwas mit Mr. O zu tun hatten, blieb allerdings offen. Auf jeden Fall handelte es sich bei diesem Ondragon keineswegs um einen Amateur, und er würde sich einen ausgefeilten Plan einfallen lassen müssen, um ihn überrumpeln zu können. Vielleicht war die Frau, diese Asiatin, ein geeignetes Druckmittel. Ihre Aufgabe in dem Spiel war ihm bisher noch nicht ganz klar – das würde er erst noch herausfinden müssen. Sicher war nur, dass die Dame nicht mit Mr. O liiert war, obwohl die beiden das durch ihre Tarnung als Pärchen weismachen wollen. Dafür waren ihre Liebesbekundungen zu flach. Dennoch schienen sie sehr vertraut miteinander zu sein, aber eher auf eine professionelle Art und Weise. Aus der Entfernung hatte er leider keines ihrer Gespräche mithören können, nicht einmal das mit der Geheimdienst-Tante in der Strandbar.

Nachdenklich schaute Clandestin dem Taxi hinterher, in das die Frau gestiegen war. Da er längst wusste, wo die beiden abgestiegen waren, konnte er sich ganz entspannt an ihre Fersen heften. Mit seinem Motorroller kam er in diesem elendigen Verkehr sowieso viel besser voran. Alles, was er brauchte, war ein guter Plan und den richtigen Moment.

Er löste sich von der Säule und trat hinaus ins grelle Sonnenlicht. Mit den Händen in den Taschen seiner Shorts schlenderte er in Richtung Strand davon, wo er seinen Motorroller abgestellt hatte.