46. Kapitel
01. Juni 2011
Westsahara
17.30 Uhr
Clandestin lenkte den Geländewagen über die sandige Piste nach Osten. Dort stand der Mond schon als weiße Scheibe über dem Horizont, obwohl es bis zum Sonnenuntergang noch etwas dauern würde. Im Rückspiegel sah er die Staubwolke, die er wie eine Signalflagge hinter sich herzog. Aus der Luft wäre er kaum zu übersehen. Aber das war im Moment egal. Der Deutsche war noch in Dakhla beschäftigt und es war fraglich, ob er seine Fährte überhaupt aufnehmen konnte, ob er überhaupt wusste, wo er anknüpfen sollte.
Clandestin wich einem Stein aus und lenkte das Fahrzeug wieder auf den schmalen Pistenstreifen zurück, der nur an einigen Reifenspuren zu erkennen war. Aber auch sie würden in ein paar Stunden vom Wind verweht werden. Und wenn erst mal die Nacht hereinbrach, wäre er vollkommen unsichtbar. In der Wüste arbeitete alles auf seiner Seite.
Clandestin öffnete das Fenster einen winzigen Spalt und sog den Geruch der Wüste ein. Die frische Note des lockeren Quarzsandes, das metallische Aroma des Wüstenlacks auf den verwitterten Steinen und natürlich der alles betörende Duft von Wasser, wenn man in die Nähe eines Gueltas oder einer Oase kam. Clandestin konnte Wasser förmlich riechen. Darin war er so zielsicher wie ein Dromedar. Ein Lächeln legte sich auf seine Lippen. Schon morgen Abend wäre er am Ende seiner Mission … wenn alles gut ging. Er würde die Nacht in der Wüste verbringen und am Morgen von Masut mit dem Flugzeug abgeholt werden.
Er kurbelte das Fenster wieder hoch und konzentrierte sich auf die Piste. Das Licht der Sonne wandelte sich allmählich zu flüssiger Bronze und übergoss die fernen Hügel mit einem überirdischen Glanz. Wieder musste er einem Stein ausweichen, der wie ein abgeschlagener Kopf im Sand lag, und seine Gedanken kehrten zwangsläufig zu dem Deutschen zurück. Mr. Big würde Achmed ganz schön zusetzen, das ahnte er. Aber Achmed war einer von ihnen. Er würde sich für sie opfern, wenn es sein musste. Er hatte sich dem Willen von Yaqub gebeugt. Sie alle beugten sich seinem Willen. Denn Yaqub war ein weiser Mann und wusste, was das Schicksal für sie bereithielt. Und das Schicksal von Achmed war es, sich für seine Brüder zu opfern. Der Schöpfer würde ihn mit offenen Armen empfangen.