12. Kapitel
25. Juli 1899
Colorado Springs
19.00 Uhr
Am Abend machte sich Philemon erschöpft auf den Weg zum Hotel. Die mahnenden Worte von Löwenstein in seinem Kopf waren allmählich leiser geworden und wurden schließlich vom Knurren seines Magens übertönt. In schmackhaften Bildern malte Philemon sich aus, was er zum Abendessen zu sich nehmen würde, und marschierte geschwind die Pikes Peak Avenue entlang, als er plötzlich von der Seite angesprochen wurde.
„Na, noch nicht vom Blitz getroffen worden?“ Es klang mehr wie ein Scherz als eine ernstgemeinte Frage.
Philemon wandte den Kopf und erkannte den blonden Typen aus dem Benson’s. Er trug einen schwarzen Derbyhut und einen braunen Tweetanzug, der leichte Abnutzungserscheinungen an den Ellenbogen aufwies, aber ansonsten tadellos saß. Ohnehin wirkte der Kerl viel gepflegter als bei ihrem ersten Treffen. Anscheinend war er doch kein einfacher Arbeiter, wie Philemon vorschnell angenommen hatte. Worin er sich allerdings nicht getäuscht hatte, war der muffig süßliche Geruch, der noch immer von ihm ausging.
„Nein, Sir“, entgegnete er und blieb stehen, „der Blitz hat mich noch nicht erwischt. Und seien Sie versichert, unsere Experimente sind vollkommen unbedenklich. Es wirkt alles gefährlicher, als es in Wirklichkeit ist.“
„Unbedenklich … na, wenn Sie das sagen.“ Der Blonde schmunzelte. „Gestatten, Joe Herkimer. Aber nennen Sie mich ruhig Joe.“ Er hielt ihm eine Hand entgegen, die Philemon schüttelte, während er sich selbst vorstellte.
„Ah, Sie sind Elektroingenieur, nicht wahr?“
„Woher wissen Sie das?“
„So etwas spricht sich hier schnell herum.“ Herkimers Grinsen wurde breiter. „Auch, dass Sie im Alta Vista Hotel wohnen wie Dr. Tesla und die anderen beiden Assistenten. In diesem Nest bleibt nichts lange geheim, müssen Sie wissen. Die Vögelchen pfeifen es laut von den Dächern.“
„Wohl wahr!“, bestätigte Philemon. „Und was machen Sie, falls ich das fragen darf? Ich meine, wenn Sie nicht gerade im Benson’s beim Lunch sitzen?“
Der Blonde lachte und es wirkte ansteckend. „Wissen Sie, ich bin Telegraphist bei der Denver and Rio Grande Railroad Company. Falls Sie also mal eine dringende Nachricht haben und das öffentliche Telegraphenamt bei der Post überlaufen ist, dann kommen Sie ruhig zu mir ins Bahnhofsdepot. Ich regele das schon. Aber nun erzählen Sie doch mal, wie ergeht es Ihnen dort draußen in der Einöde? Muss ganz schön langweilig sein, in dieser Abgeschiedenheit zu arbeiten?“
Da Philemon gegenüber Dr. Tesla absolutes Stillschweigen geschworen hatte, antwortete er so unverfänglich wie möglich. „Die Arbeit ist in der Tat recht mühsam, aber auch überaus interessant. Ich kann noch viel vom Doktor lernen.“
„Dem verrückten Dr. Frankenstein mit seinen Blitzeapparaten?“
„Dr. Tesla ist kein Frankenstein, sondern ein ehrenwerter Gentleman! Ein Mann von Welt und ein angesehener Ingenieur. Sie sollten ihm und seiner Arbeit mehr Respekt zollen. Wenn es ihn nicht gäbe, befände sich Ihr schönes Colorado Springs hier noch im tiefsten Mittelalter! Dr. Tesla hat uns die Elektrizität gebracht, er hat die Welt illuminiert! Ihm haben wir es zu verdanken, dass unsere Heime und Straßen in den Nächten erleuchtet sind und die Maschinen in den Fabriken laufen. Amerikas Wirtschaft blüht, und das ist sein Verdienst! Der Doktor ist ein Wohltäter, ein großer Menschenfreund. Sie können sich glücklich schätzen, dass er Ihren kleinen Ort für seine außergewöhnlichen Forschungen auserkoren hat!“
„Das sehen die Leute hier aber anders. Fragen Sie nur herum, Phil. Jeder wird Ihnen erzählen, was man von Ihrem angeblichen Wohltäter hält! Er vertreibt die Kurgäste mit seinem Gepolter und versetzt die Bürger in Angst und Schrecken.“
„Meinen Sie etwa das schwachsinnige Gefasel dieses Ziegenhirten? Das ist nichts als Unfug!“ Philemon war kaum mehr als eine Woche in Colorado Springs und hatte die Schauergeschichte des Ziegenhirten Benjamin Foley schon mehrfach aufgetischt bekommen. In unterschiedlichen Varianten wohlgemerkt, was ihn daher arg am Wahrheitsgehalt zweifeln ließ.
„Der alte Ben ist zwar ein Nichtsnutz und Tagedieb“, räumte Herkimer ein, „aber er ist nicht schwachsinnig. Gehen Sie zu ihm, Mr. Ailey, und hören Sie sich seine Geschichte an. Und dann denken Sie noch einmal über das nach, was Sie über Dr. Tesla zu wissen glauben. Ben hat mit eigenen Augen gesehen, was der Doktor nachts dort draußen in der Prärie treibt, während alle anderen schlafen. Er kann bezeugen, dass etwas Unerklärliches in jener Nacht vorgegangen ist. Fragen Sie sich nicht selbst, was mit ihrem Vorgänger geschehen ist?“
„Mr. Myers wurde in einer dringenden Angelegenheit fortgerufen. Sonst nichts. Alles andere sind Märchengeschichten eines altersschwachen Hinterwäldlers!“
„Und warum hat dann der gute Mr. Myers sein Gepäck zurückgelassen?“
Philemon stutzte. Sprach Herkimer etwa von dem großen Koffer, der bei seiner Ankunft noch in seinem Zimmer gestanden hatte? Der Page hatte ja gesagt, dass das Gepäckstück von seinem Vorgänger stammte. „Meines Wissens wollte Mr. Myers sich das Gepäck nachschicken lassen, vermutlich, weil es für eine rasche Reise mit dem Zug zu sperrig war. Das ist im Übrigen gängige Praxis. Kann also sein, dass der Koffer noch einige Tage im Hotel herumgestanden hat, bevor er mit dem nächsten Zug aufgegeben wurde.“
„Der Koffer ist aber nicht aufgegeben worden, er ist immer noch hier“, sagte Herkimer und sah ihn ernst an.
„Er ist noch hier …“, wiederholte Philemon, weil ihm nichts Besseres einfiel. Aber woher wusste der Blonde eigentlich, was es mit dem Koffer auf sich hatte? Sein Misstrauen wuchs. Klar, der Kerl hatte behauptet, er arbeite als Telegraphist bei der Eisenbahngesellschaft, da wusste er natürlich, was über das Kabel depeschiert wurde, aber was, wenn er log? Philemon blieb auf der Hut. „Vielleicht sind keine wichtigen Sachen im Koffer gewesen und es gab keine Eile, ihn hinterherzuschicken“, entgegnete er ruhig.
„Das Ding steht aber in einer Abstellkammer oben im Ostflügel des Hotels. Denken Sie, dass es üblich ist, Gepäck dort zu lagern, das eigentlich weitergeschickt werden soll? Es hat bereits drei Züge in Richtung Osten gegeben, mit denen der Koffer hätte transportiert werden können. Es existiert aber keinerlei Anweisung dafür.“
Allmählich ging ihm der Kerl mit seinen Verschwörungstheorien auf die Nerven. Mit einem ironischem Unterton erwiderte Philemon: „Keine Ahnung, wie derlei Dinge hier in Colorado Springs gehandhabt werden. Ist mir, ehrlich gesagt, auch egal. Ich kümmere mich um meine eigenen Angelegenheiten, und das sollten Sie besser auch tun, Mr. Herkimer. Wenn Sie gestatten, würde ich mich jetzt gerne in mein Hotel begeben.“
„Wie Sie wollen, Phil. Ich hatte nicht die Absicht, Sie in irgendeiner Weise zu brüskieren. Ich wollte Ihnen bloß mitteilen, dass die Dinge manchmal nicht so sind, wie sie vielleicht zu sein scheinen. Denken Sie darüber nach.“
Philemon schluckte eine weitere Bemerkung herunter. Es brachte nichts ein, sich mit diesem Kerl herumzuärgern. Er verstand nicht das Geringste von der Großartigkeit Nikola Teslas und dessen fabelhafter Forschung. „Auf Wiedersehen, Mr. Herkimer“, sagte Philemon höflich und tippte an den Hut. „Ich wünsche einen angenehmen Abend.“
„Glauben Sie mir, Mr. Ailey, auch Sie werden Ihre Meinung über Dr. Tesla noch ändern!“
„Das glaube ich kaum“, gab Philemon zurück.
„Je nun, so sei es. Aber vergessen Sie nicht: Sollten Sie Probleme haben, nicht verzagen, Herkimer fragen!“
Philemon schnaubte verächtlich, während er seinen Weg fortsetzte und dabei starr nach vorne auf die Straße schaute. Wenig später erreichte er das Hotel und war wegen seines raschen Schrittes durchgeschwitzter, als ihm lieb war. Zudem geisterte neben Löwensteins Worten nun auch noch dieser vermaledeite Koffer durch seine Gedanken. Das war zu viel der Ungereimtheiten, und Philemon befürchtete, dass sie ihm keine Ruhe lassen würden. Natürlich konnte es sein, dass der Koffer in der Abstellkammer gar nicht der von Mr. Myers war, sondern alles nur eine Verwechselung. Vielleicht aber auch nicht. Ein Blick auf das Namensschild würde da leicht Aufklärung bringen. Philemon beschloss, in einer der kommenden Nächte heimlich auf den Speicher zu schleichen und nachzusehen, doch jetzt musste er dringend etwas essen.
Er stieg die Treppen hinauf und begab sich auf sein Zimmer, wo er sich einer kurzen Toilette unterzog und sein Hemd wechselte, damit er für den Speisesalon des Hotels eine entsprechend vornehme Erscheinung aufwies. Im Alta Vista legte man höchsten Wert auf eine korrekte Garderobe samt Etikette.
Mit beinahe brüllendem Magen betrat Philemon den Salon, der mit bodenlangen Damastvorhängen, Kronleuchtern und teurem Mobiliar im Queen-Anne-Stil ausgestattet war. Mit ihrer verschnörkelten Plastizität vermittelten die Möbel zwar eine gediegene Gastfreundlichkeit, dennoch schätzte Philemon mehr das Schlichte. Zum Beispiel die kühle, grafische Linienführung der Jugendstil-Bewegung, die gerade von Europa nach Amerika schwappte und in New York die neueste Mode war.
Er ließ sich vom professionell lächelnden Maître d’hôtel zu seinem Tisch geleiten und nahm auf dem ihm dargebotenen Stuhl Platz. Mit steifem Rücken schob sich Philemon näher an den Tisch heran, auf dem ein klassisches Gedeck aus peinlich genau ausgerichtetem Silberbesteck, wertvollen Bleikristallgläsern und einem Kandelaber drapiert war. Er entfaltete die gestärkte Serviette, während der Maître ihm mit nasaler Affektiertheit die Gerichte des Tages anpries. Er wählte eine klare Bouillon mit Gemüseeinlage als Vorspeise, eine gedünstete Forelle als Hauptgang und dazu eine Karaffe mit kühlem Bergquellwasser – das günstigste Menü, welches die Küche zu bieten hatte. Denn eigentlich war es Philemons Plan gewesen, in den billigen Esslokalen der Stadt zu speisen, um sich etwas von seinem nicht gerade üppigen Lohn zu sparen, aber das hatte er durch seinen bekanntgeworden Status als Assistent des unliebsamen Dr. Tesla recht schnell abschminken müssen. Auch seine beiden Kollegen Löwenstein und Czito aßen aus diesem Grund im Hotel.
Der Commis de rang brachte eine Karaffe mit Wasser und schenkte ihm ein. Nachdem er wieder verschwunden war, sah Philemon sich unauffällig um und erschauerte unwillkürlich bei dem Anblick der aufgetakelten Gäste an den anderen Tischen. Übergewichtige Matronen in ihren wallenden Kleidern saßen neben blässlichen Gentlemen mit gezwirbelten Schnurrbärten und verkrampften Kiefermuskeln. Kurgäste. Vor einigen Jahren hatte Philemon mehrere Monate im schweizerischen Davos verbracht, und die Leute dort hatten haargenau so ausgesehen. Abscheu wallte in ihm auf. Obwohl seine Eltern der wohlhabenden Mittelschicht von New York angehörten und ihn zeit seines Lebens mit der nötigen Etikette ausgestattet hatten, die in allen Belangen seinem gesellschaftlichen Rang entsprach, fühlte er sich in solchen Etablissements stets deplatziert. Sie standen im Kontrast zu dem spartanischen Arbeitsplatz draußen in der staubigen Prärie. Philemon liebte die Einfachheit, die nüchterne Funktionalität des Labors, die ihn zu ungeahntem Schaffensdrang anspornte. Und in diesem Punkt stimmte er mit seinem Mentor überein: Große Ideen können nur aus Einsamkeit und Not geboren werden.
Als Philemon die Suppe serviert bekam, sah er, dass Löwenstein und Czito den Salon betraten. Er winkte ihnen und sie kamen an seinen Tisch. Nachdem sie Platz genommen und beim Maître eines der Tagesmenüs bestellt hatten, kehrte eine heitere feierabendliche Stimmung in die Runde ein. Czito trank frisch zubereitete Limonade und Löwenstein gestatte sich einen großen Schluck Coca-Cola.
„Ah, wie belebend! Eine Coke um acht wirkt bis elf! Der Slogan ist tatsächlich wahr!“, scherzte er und stürzte durstig den Rest des Getränks herunter. „Ich wünschte, wir hätten draußen im Labor eine von diesen neuen Linde-Kühlmaschinen, dann könnten wir die Cola direkt dort lagern und kalt trinken. Warm ist das Gesöff leider ungenießbar.“ Er bestellte sich eine zweite Flasche, als der Hauptgang kam. Hungrig aßen sie ihr Menü, denn auch die Verpflegung wurde im Labor recht schmal gehalten. Nichts sollte sie von der Arbeit ablenken und manchmal gab es zwischendurch lediglich trockenen Zwieback und Wasser. Kurz kam Philemon die Idee, dass ein solch sublimer Mensch wie der Doktor wahrscheinlich allein von der Energie lebte, die er aus dem Äther gewann. Eine erheiternde Vorstellung.
„Was lachen Sie, Phil?“, fragte Löwenstein.
„Ach, ich frage mich nur, wovon der Doktor lebt. Er steckt seit drei Tagen in seiner Kammer, und ich habe ihn nicht essen oder trinken sehen.“
„Er ist sehr genügsam. Aber wenn er isst, dann tut er das in einem äußerst ritualisierten Rahmen. Er hat in diesem Bezug einige ungewöhnliche Angewohnheiten, wenn ich das mal so ausdrücken darf.“
Philemon war neugierig geworden. Er tupfte sich Mund und Schnurrbart mit der Serviette ab und lehnte sich zurück. „Was für Angewohnheiten sind das denn?“
Löwenstein sah Czito an, der kaum merklich nickte. So war das also, der Serbe gab hier den Ton an, wenn auch stumm.
„Sie haben doch sicher bemerkt, dass der Doktor stets Handschuhe trägt und niemals zur Begrüßung Hände schüttelt. Das liegt daran, dass er Angst vor Keimen hat, die allein durch Kontakt übertragen werden könnten. Seine gesundheitliche Konstitution ist sehr fragil, auch wenn er kaum Schlaf benötigt und tagelang ohne Essen auskommt, so muss er sich doch vorsehen, nicht krank zu werden. Als junger Mensch war er oft malad. Er hat einst die Cholera überlebt, müssen Sie wissen, und er möchte eine erneute schwere Krankheit um jeden Preis verhindern, da sie ihn schwächen und in seiner Arbeit weit zurückwerfen würde. Also gibt es für ihn nicht nur stets ein neues Tischtuch, sondern es ist auch seine Gewohnheit, jedes Besteckteil, mit dem er zu speisen gedenkt, zuvor eigenhändig zu polieren. Dafür benötigt er jeweils eine Serviette pro Gang. Isst er also eine Suppe, einen Hauptgang und eine Nachspeise, so braucht er schon allein für das Besteck drei makellos saubere Servietten. Mit den Gläsern und dem Porzellan verfährt er genauso. Außerdem darf kein Obst auf dem Tisch stehen, das hält er für unrein. Seine Speisen müssen stets auf das Gramm genau abgewogen werden. Ist dem nicht so, sieht er das sofort mit einem einzigen Blick und lässt das Gericht zurückgehen. Er selbst behauptet sogar, dass er seit Jahren das gleiche Körpergewicht hat. Exakt 141 Pfund! Ist das nicht erstaunlich?“
„Ja, das ist es“, entgegnete Philemon. „Pflegt er denn auch hier im Hotel zu speisen?“
Löwenstein nickte und ruckte mit dem Kopf in Richtung eines Tisches, der komplett mit Paravents umstellt war. „Wenn er isst, dann dort, abgeschottet von allen anderen Gästen.“
„Aber wenn er solche Angst vor Keimen und Krankheiten hat, warum speist er dann nicht auf seinem Zimmer?“
Löwenstein hob die Schultern. „Keine Ahnung. Es ist ein Spleen von ihm. Vielleicht will er den Kontakt zu den Menschen nicht ganz verlieren, und dies ist seine Art des Kompromisses. Aber fällt Ihnen an seinem Tisch nicht noch etwas auf?“
Philemon sah zu dem abgeschirmten Platz hinüber. „Nein“, sagte er.
Löwenstein lächelte milde. „Dort sind drei Paravents aufgestellt und drei Kerzenhalter befinden sich auf dem Tisch. Drei Stühle stehen darum herum. Die Zahl der Servietten muss immer durch drei teilbar sein. Und 141 durch drei ergibt, na? 47, genau! Eine Primzahl.“
„Sie meinen, der Doktor ist besessen von Zahlen?“
„Von der Drei, um genau zu sein“, sagte Löwenstein. „Und von Primzahlen. Aber besessen wäre ein viel zu unhöfliches Wort für einen Mann von solcher Einzigartigkeit, dessen Geist so viele Sphären über uns schwebt, dass es uns Jahrhunderte kosten würde, um auch nur einen Bruchteil von der Kraft seiner Visionen zu erlangen. Deshalb bevorzuge ich stets gemäßigte Ausdrücke, wenn ich über ihn rede. Das sollten Sie auch tun, Phil.“
Ein freundlich verpackter Tadel, dachte Philemon und sah Löwenstein an. Der Deutsche hatte freilich recht. Für Dr. Tesla galten andere Maßstäbe. Und Worte waren viel zu trivial, um das zu beschreiben, was er tatsächlich war. Derlei Begrifflichkeiten mussten erst noch erfunden werden, um dem Mann gerecht zu werden. „Der Doktor ist gewiss außergewöhnlich“, sagte er ehrfurchtsvoll. „Und ich schätze mich glücklich, für ihn zu arbeiten.“
„Das können Sie auch, mein Freund. Ah, da ist er ja! Er hat sein Labor verlassen!“
Philemon folgte Löwensteins Blick und sah die hochgewachsene Gestalt des Doktors am Eingang des Salons stehen. Auch die anderen Gäste wandten ihre Köpfe und sahen den späten Besucher mit unverhohlener Neugier an. Mit auf den Rücken gelegten Händen wartete Dr. Tesla darauf, zu seinem Tisch geführt zu werden. Sein Gesicht wirkte blass, die Haut über den Wangenknochen durchscheinend wie Pergamentpapier. Er erzeugte den Eindruck, als arbeite und lebe er in einer Höhle – ein Geschöpf, dessen Zuhause das Zwielicht war.
Höflich nickte Dr. Tesla seinen Assistenten zu, als er vom Maître zu seinem Tisch geleitet wurde. Dort nahm er hinter den Paravents Platz. Kurz darauf war es nur noch sein hagerer Schatten, der durch den Stoff des Sichtschutzes zu ihnen hinüber in die wirkliche Welt drang, und das leise Klirren von Besteck.