«Wir sind jetzt am Durchgang», antwortete Tia, die ihre Gefährten inzwischen zu der Wandöffnung geführt hatte. «Es wird einen Augenblick dauern, bis wir durch sind, denn leider liegt er ziemlich hoch an der Wand.»
Ihr ursprünglicher Einfall, ein Fass als Trittstufe zu benutzen, hatte sich aus begreiflichen Gründen erledigt. Glücklicherweise war Leon nicht auf dieselbe Idee gekommen. Stattdessen half er Justin, indem er mit verschränkten Händen einen Steigbügel formte. Justin trat hinein, ergriff beherzt den unteren Rand der Felsspalte und wand sich ohne große Schwierigkeiten hindurch.
«Alles klar, ich bin drüben!»
«Bestens!» Zufrieden stellte Tia fest, dass das Echo seiner Stimme auf einen geräumigen Hohlraum schließen ließ. «Dana, Sie sind die Nächste! Benutzen Sie möglichst nur die linke Hand zum Klettern. Ihr rechter Arm sollte nicht belastet werden. Leon, am besten hebst du sie hoch.»
«Oh Gott, das schaffe ich nie.» Danas Stimme zitterte. Es war bereits schwer gewesen, sie überhaupt zum Verlassen der halbwegs sicheren Felsterrasse zu bewegen, auf der die kleine Gruppe gelagert hatte. Justin hatte sie am Arm geführt, denn sie war immer noch geschwächt und nicht sicher auf den Beinen. Vor allem aber fürchtete sie sich vor dem Pilz und wischte sich alle paar Sekunden nervös über Arme und Schultern, als müsse sie eine Spinne abschütteln. Im Nachhinein schalt sich Tia, dass sie allzu offenherzig über die Gefahren spekuliert hatte, die von dem monströsen Gewächs ausgehen konnten.
«Das kriegen wir schon hin!», meinte Leon zuversichtlich. «Sie haben doch nichts dagegen, wenn ich Sie mal kurz an den Hüften fasse?»
«Ich weiß nicht», zögerte Dana betreten. «Ich bin … leider kein Fliegengewicht.»
«Keine Sorge, ich stemme regelmäßig Gewichte», schmunzelte Leon, packte sie und wuchtete sie in die Höhe. «Tasten Sie nach dem Durchgang!»
Doch Dana keuchte erschrocken. «Da ist dieses eklige Pilzzeug! Überall rund um die Öffnung!»
«Es kann Ihnen nichts tun, wenn Sie schnell genug hindurchkriechen!», sagte Tia.
«Na los!», stieß Leon gepresst hervor. «Wenn Sie mir nicht helfen, kann ich Sie nicht mehr lange halten!»
«Gib mir deine Hand!», rief Justin von der anderen Seite. «Ich zieh dich rauf!»
Es dauerte einen Moment, bis Leon aufatmete und endlich loslassen konnte. Doch schon drang ein weiterer Schreckensruf zu ihnen herab.
«Hilfe! Ich stecke fest!»
«Oh nein.» Tia streckte sich und bekam Danas Füße zu fassen. Offensichtlich steckte sie bis zur Hüfte in der Schachtöffnung, kam jedoch nicht weiter. «Ziehen Sie, Justin!»
«Ich versuch’s ja!» Die Antwort klang gedämpft, da der Körper des Mädchens den Durchgang blockierte.
«Heb mich hoch!», wandte sich Tia an Leon. «Ich muss ihr helfen. Steigbügel genügt.»
Leon tat, wie ihm geheißen. Tia packte Danas Beine und versuchte zu schieben.
Was für eine absurde Situation, dachte sie. Armes Mädchen, ich möchte nicht mit ihr tauschen.
Dana schien ähnlich zu empfinden, denn vor Angst und Scham brach sie plötzlich in Tränen aus. «Es hat keinen Zweck! Ich bin zu dick. Am besten lassen Sie mich hier zurück!»
«Reden Sie keinen Unsinn!», fauchte Tia zwischen zusammengebissenen Zähnen, während sie sich in Ermangelung einer dezenteren Alternative gegen Danas Gesäßbacken stemmte. «Versuchen Sie sich ein wenig zu drehen!»
Während Dana sich wand, spürte Tia nackte Haut: Der Reißverschluss des Overalls, der dem Mädchen viel zu eng war, hatte sich geöffnet und gab ein Stückchen Bauch frei, das nun direkt auf den Pilzranken scheuerte.
Verflixt … das war gar nicht gut. Wenn sie noch länger in diesem Loch feststeckte, würde der Pilz ihre Haut angreifen.
«Entspannen Sie alle Muskeln, auch den Po! Lassen Sie die Beine locker hängen!» Tastend überzeugte sie sich, dass Dana der Aufforderung nachkam. «Justin? Ziehen Sie jetzt – so fest Sie können!»
Tia packte Danas schlaffe Beine und stemmte sie in die Waagerechte. Es gab einen leichten Ruck, und endlich glitt der Körper des Mädchens durch die Öffnung. Tia schob nach, bis auch ihre Knie und Füße verschwunden waren. Dann ließ sie sich aufatmend an der Wand herabsinken.
«Alles bestens!», rief Justin, während von Dana nur ein unterdrücktes Schluchzen zu hören war.
«Na denn.» Erleichtert wandte Tia sich Leon zu. «Glaubst du, du schaffst es alleine?»
«Sicher», sagte Leon stoisch. «Geh ruhig vor! Wir sehen uns auf der anderen Seite.»