Meryjaine Webster

Der Selbstversuch

 

„Der Mensch ist die einzige Spezies, welche ihre Artgenossen aus egoistischen Gründen belügt, betrügt und tötet.“

 

Ich stand unter der Dusche und spürte, wie sich mein Puls beschleunigte, klopfend pulsierte er in meiner Halsschlagader. Mann, war ich aufgeregt und ich hatte eine Scheißangst. Verdammte Tat! Tollkühn war ich doch der Meinung, ich könnte einen Beitrag zu diesem tollen Buchprojekt leisten. Selbst schuld, selbst schuld, dröhnte eine hämische Stimme in meinem Kopf. Okay, okay, jetzt ganz ruhig, sagte ich zu mir und schäumte erst mal meine Haare ein. Das warme Wasser prasselte auf meine Schultern und langsam entspannten sich meine Muskeln und auch ich entspannte mich, meine Gedanken wanderten. Was war wohl zuerst da? Das Huhn oder das Ei? So was von irre … tausend Gedanken wollten sich wie ein Lindwurm durch meine Hirnwindungen bohren.

Stopp! Eine Idee? Hilfe, eine Idee? Reiß dich zusammen! ermahnte ich mich. Du brauchst erst mal einen roten Faden und eine Leidenschaft, dann kommen die Worte fast von alleine. Rot … rot! Rot, wie Blut. Eine Leidenschaft … Ich grinste idiotisch …

Rot, wie das Blut, das von der Hand des Mädchens tropfte. Plopp, plopp, ein Tropfen nach dem anderen sammelte sich in einer Pfütze am Boden. Fasziniert starrte ich von meinem Sessel aus auf den roten Kreis, der sich auf den Fliesen bildete.

 

Wir waren im Keller von Franks Ferienhaus. Er hatte die einstige Jagdhütte seines Großvaters geerbt und bewohnbar ausbauen lassen. Eigentlich mehr als das. Sie war ein richtiges Schmuckstück geworden und diente uns als luxuriöse Wochenend- und Partyhütte. Und mir vor allem, um in Ruhe meine Artikel schreiben zu können. Neben meiner Arbeit im Labor schrieb ich noch für ein Magazin.

Frank hatte hier unten ganze Arbeit geleistet und ein paar richtig schöne „Hobbyräume“ gezaubert. Den Ausbau des Kellers hatte er aus Gründen der Privatsphäre selbst vorgenommen. Sein handwerkliches Geschick und sein Sinn für Details ließen nie vermuten, dass er einen Feinkost- und Weinhandel betrieb. Sein Geschäft war sehr bekannt, auch über die Grenzen des Landes hinaus, schon seit Generationen, Miller & Sons. Verständlicherweise war es ihm daher lieber, wenn seine „Hobbys“ nicht zum öffentlichen Gesprächsthema wurden.

 

Jäh riss mich die Stimme des Mädchens aus meinen Gedanken.

„Bitte, lassen Sie mich doch einfach gehen. Ich weiß nicht mal mehr richtig, wie Sie aussehen und ich verrate bestimmt niemanden etwas. Hallo?“ Ihre Stimme brach ab. Sie heulte und schniefte. Tränen rannen unter dem Klebeband hervor und vermischten sich mit dem Rotz aus ihrer Nase. „Hallo, sind Sie noch da?“ Wieder ein Schniefen. „Ich will noch nicht sterben …“ Sie versuchte sich zu bewegen, ohne Erfolg, da tat sich nichts. „Hilfe! Hört mich denn niemand?!“ Tja, meine Liebe, dachte ich, es wird keiner kommen. Dein Hals, die Körpermitte und die Hand- und Fußgelenke sind mit Stahlschellen am Tisch festgemacht. Keine Chance.

Ich lächelte. Eine Sonderanfertigung.

Das Finale würde hier erst später kommen. Deshalb stand ich vorsichtig auf und schlich mich auf Zehenspitzen hinaus. Im Flur schaute ich auf das Glas Wodka-Martini in meiner Hand und kippte es in einem Zug runter. Ich ging in die Hocke und ließ das Glas auf den Boden rollen. Dann löste ich die Riemen meiner High Heels. Die Schuhe würden gleich nur stören. Ich fühlte mich etwas zittrig und ganz schön aufgekratzt. Wow, das musste das Adrenalin sein.

Ich war ziemlich aufgegeilt, so dass ich es kaum noch erwarten konnte. Nur noch ein paar Schritte und ich würde im Nebenraum sein.

„Hey Babe, was hat denn so lange gedauert, du wolltest dir doch nur noch einen Drink holen?“

Auch hier stand ein ähnlicher Tisch, weniger für Doktorspiele, dafür umso besser für SM-Varianten geeignet. Frank lag dort nackt und gefesselt, so wie ich ihn vorhin verlassen hatte. Ich hatte nur seine Hand- und Fußgelenke mit Lederriemen am Tisch festgemacht. Das musste reichen. Statt ihm zu antworten, ließ ich mein schwarzes Abendkleid zu Boden gleiten und stand nun nur noch in Dessous da.

„Wow, da hat sich das Warten ja gelohnt, Süße.“

Genau das dachte ich beim Anblick auf seinen in die Höhe gerichteten Schwanz auch. Mit quälend langsamen Schritten ging ich auf ihn zu und entledigte mich dabei meines BHs. Frank schluckte sichtlich erregt, leckte sich mit der Zunge über seine Lippen. „Babe ...“

 

Der Tisch war ganz herunter gefahren und ich konnte bequem aufsteigen. Ich schob meinen String etwas zur Seite und ließ mich mit einer fließenden Bewegung auf seinen harten Schwanz gleiten. Es durchzuckte mich wie ein elektrischer Schlag. Mein Rücken bog sich durch und ich kam auf der Stelle. Eine Weile hielt ich noch meine Augen geschlossen und genoss das wohlige Gefühl des Abebbens.

„So, so, du hast also schon die Kleine besucht und sie hat dich richtig angeturnt. Das freut mich. Ich habe sie auf dem Straßenstrich aufgegabelt.“

Frank stand auf Dreier und ich schlief auch gerne mal mit Frauen, also tat ich ihm den Gefallen ab und an. Ihn machte das immer ziemlich geil. Mich dagegen reizte ausschließlich das Gefühl der Macht. Diesmal würde es jedoch keinen Sex mit ihr geben, nur das wusste er noch nicht.

Leider konnten Männer ziemlich ungeduldig sein. „Babe, jetzt könntest du die Fesseln aber lösen, du hattest deinen Spaß. Ich will dich berühren, deine Brüste spüren …“

Von oben waren die Beats der Musik zu hören. Die Party war noch nicht vorbei. Dieses Wissen ließ meinen Magen einen kleinen Sprung machen, wie beim Achterbahn fahren. Hier war die Party auch noch nicht vorbei. So beugte ich mich runter, wanderte wie eine Katze seinen Oberkörper hinauf, dabei berührten meine Brustwarzen leicht seine Haut. Frank stöhnte auf, sein Schwanz bewegte sich merklich in mir, wuchs noch mehr. An seinem Ohr angekommen, raunte ich: „Pscht …“ und griff mit der rechten Hand nach dem Jagdmesser, das ich vorhin oberhalb seines Kopfes platziert hatte. Gefunden hatte ich es beim Nachlass seines Großvaters. Dieser war passionierter Jäger und seine Messer hielt er stets scharf und gepflegt, wie auch dieses Klappmesser. Danke Grandpa Miller.

 

Beim Aufrichten ließ ich die feine Schneide an seiner Wange vorbeilaufen. „Scheiße! Bist du verrückt! Was soll das?“ Ein kleiner Rinnsal Blut bahnte sich seinen Weg zum Hals hinunter. Wie bei dem Mädchen vorhin war ich fasziniert von der Farbe. „Scheiße, Mann! Mach‘ mich auf der Stelle los! Mein Gott, was ist denn in dich gefahren? Jane! Hörst du mich?“ Aber sicher hörte ich ihn. Ich wartete. Auf den richtigen Moment. Ungeduldig versuchte er seinen Oberkörper aufzurichten. Frank war gut trainiert und kam doch tatsächlich trotz der Fesseln relativ hoch. Genau wie ich es erwartet hatte. Jetzt. Der Moment. Mein Arm ging nach vorne. Das Messer und sein Bauch trafen zusammen. Da war kaum Widerstand. Erst als das Werkzeug bis zum Heft in seinem Fleisch steckte, schaute ich ihn an. Sein Blick spiegelte Entsetzen, Schmerz, Verrat, Unglauben… dann sank er auf den Tisch und ich ließ das Messer los.

 

„Jane …“ Seine Stimme war ein Krächzen. „Hol einen Arzt, Babe …“ Er stöhnte vor Schmerzen.

„Oh, es hat sich ausgebabet, Franky-Boy“, entgegnete ich ruhig und drehte dabei ein wenig am Messer. „Ich teile nicht gerne, du Arschloch. Hast du etwa geglaubt, ich komme nicht dahinter? Pah! Hast dich für ganz schlau gehalten. Und dann lädst du dieses Luder auch noch zur Party ein!“

Er wollte etwas sagen, hob seinen Kopf ein wenig, dabei floss ihm dunkles Blut aus dem Mund. „Ich weiß nicht, wovon du sprichst, du bist wahnsinnig …“ Sein Kopf fiel kraftlos wieder zurück.

Ich zog das Messer aus der Wunde. Blut, viel Blut. Vielleicht hatte ich die Bauchschlagader erwischt. Nicht mehr viel Zeit. Augenblicklich beugte ich mich runter, badete dabei regelrecht in seinem Blut. An seinem Ohr offenbarte ich ihm „Ja, ich weiß, ziemlich dramatisch“ und konnte ein Kichern nicht unterdrücken. „Das wollte ich schon immer mal sagen. Natürlich bist du ein Trottel und hast mich nicht betrogen. Ich hab‘ dir ja immer alles gegeben. Nun, was soll ich sagen, eine Scheidung ist mir zu teuer. Nein, ernsthaft, es gehört zu den Bedingungen für die Aufnahme.“ Franks Blick verschwamm und zeigte völliges Unverständnis. Aber wozu sollte ich jetzt noch Erklärungen an ihn verschwenden, er würde sowieso gleich tot sein. „Fahr zur Höl…“

An der Tür war ein Geräusch. Abrupt hielt ich inne. Langsam ging die Tür auf, viel zu langsam. Verdammt, war das vorhin auch schon so warm hier drinnen? In der Türöffnung tauchte endlich etwas auf, eine dunkle, große Gestalt. Ich war auf alles gefasst, hielt unwillkürlich den Atem an, aber es war nur Victor. Erleichtert stieß ich die Luft wieder durch die Nase aus und wischte mir mit dem Handrücken die Schweißperlen von der Stirn. Trotzdem nicht gut, nicht gut. Ich wollte doch fertig sein, bevor er hier auftaucht! Mist!

Dr. Victor Moreau, ich hatte ihn auf einem Symposion kennengelernt und war sofort fasziniert von seiner Aura. Seine Vorträge waren leidenschaftlich und visionär. Eine gleichgesinnte wissenschaftliche Seele, das wusste ich sofort, auf den ersten Blick. Er zog mich magisch an und so war es nicht verwunderlich, dass wir später an der Bar bewegte Diskussionen führten und in der gleichen Nacht noch im Bett landeten. Das war nun fast ein Jahr her. Seitdem trafen wir uns regelmäßig für Sex und zum Austausch unserer Forschungsideen. Ich führte ihn bald in unserem Freundeskreis als geschätzten Kollegen ein und er „freundete“ sich auch mit Frank an. In dem erwachte jetzt neues Leben. „Vic, Gott sei Dank, hilf mir, sie ist wahnsinnig geworden …“

Die Luft blieb ihm aus und so flehte nur noch sein Blick. Victor kam sichtlich konsterniert auf uns zu.

„Mein Gott, Jane, was ist hier los?“

Ich holte Schwung und jagte Frank das Messer in sein Herz. Mein Verstand setzte aus, es war animalisch, ich stach immer und immer wieder auf seinen Körper ein. Erst als Victor meinen Arm vorsichtig berührte, hörte ich auf. Ich schaute ihn blutüberströmt und schuldbewusst an. „Es tut mir leid, ich konnte nicht aufhören.“ Victor zog die Augenbrauen in die Höhe. „Darling, das war anders vereinbart. Was soll ich denn jetzt noch mit dem zerfetzten Oberkörper anfangen. Himmel, bin ich froh, dass ich die letzten Gäste oben schon verabschiedet habe. Wer weiß, was du sonst noch angestellt hättest, wäre ich später runtergekommen.“ Ich fühlte mich wie ein unartiges Mädchen und stieg vorsichtig vom Tisch herunter. „Der Rest ist doch noch ganz.“ Mein Schmollmund und ein gekonnter Augenaufschlag verfehlten ihre Wirkung nicht. Der Doktor konnte mir einfach nicht lange böse sein.

„Na gut, Bedingung war nur, dass er stirbt. Das ‚Wie‘ blieb ja dir überlassen. Einer Aufnahme in die Loge steht nun nichts mehr im Wege. Ich hätte nur gerne noch seine Organe untersucht.“ Da fiel mir etwas ein und ich lächelte ihn verschmitzt an. „Nebenan wartet eine Überraschung auf dich. Lass‘ dir bitte Zeit, ich will nicht zu viel verpassen, okay? Ich gehe nur eben duschen.“ Ich ging zur Treppe und Victor verschwand mit einem „Du bist die Beste, Darling.“ in den Nebenraum.

 

Ich ließ zwei Minuten verstreichen, dann folgte ich ihm.

Drinnen war es warm und ruhig. Das Mädchen war eingeschlafen und Victor betrachtete die Kleine wie eine heilige Opfergabe. „Victor …“ flüsterte ich. Er drehte sich um, sah so glücklich aus. „Hast du was vergessen, Darling?“

„Ja. Mein Herz.“ Ich ging auf meine Zehenspitzen und hauchte ihm einen Kuss auf den Mund. Hinter meinem Rücken hielt ich das blutige Jagdmesser in der Hand und im nächsten Augenblick war es schon in seinem Hals versenkt. Er taumelte zum Tisch, versuchte noch sich festzuhalten, sackte aber schließlich davor zusammen. „Es tut mir schrecklich leid, Victor, aber die Loge hat meine Aufnahmebedingungen geändert.“ Ein Röcheln noch, mehr brachte er nicht zustande. Tja, was muss, das muss, sagte ich mir, zog das Messer aus seinem Hals und bewunderte die immer größer werdende Blutlache zu meinen Füßen. Dann entfernte ich ihm sein Herz. Oder war es meins?

 

Inzwischen war die Kleine wieder erwacht, auch wenn sie noch nicht wirklich begriff, was passiert war. Mit einem Ruck entfernte ich den Klebestreifen über ihren Augen. Nun schrie sie. Verständlicherweise. Schmerz und Begreifen bahnten sich ihren Weg. „Ganz ruhig, meine Kleine. Ich habe den bösen Onkel erledigt“ und zeigte dabei mit dem tropfenden Herz in der Hand auf meinen Geliebten. „Jetzt kann ich endlich duschen gehen und dann kümmere ich mich um dich, versprochen.“ Ich wusste gar nicht, was es da schon wieder zu schreien gab.

Unter der Dusche hämmerte es in meinem Schädel, das Adrenalin rauschte noch durch meine Adern. In meinen Ohren klingelte es…

Es klingelte! „Moment, ich komme sofort!“ Schnell hatte ich den Bademantel angezogen und die Tür aufgerissen. Der Postbote.

„Guten Morgen, Jane. Eine Nachnahmesendung für Sie.“

„Oh, das ging schnell! Mein neuer Artikel“, rutschte es mir erfreut heraus.

„Auf Ihren neuen Artikel warte ich auch schon. Sie wissen es vielleicht nicht, aber ich bin ein großer Fan von Ihnen.“ Hübscher Bursche, war mir noch gar nicht so aufgefallen, schöne blaue Augen. „Möchten Sie eine Ausgabe haben? Ich hole nur schnell mein Portemonnaie und einen Stift aus der Küche, bin sofort wieder da.“ Ich zwinkerte ihm zu und er zupfte verlegen an seinem Ohrläppchen.

Versuch macht klug, dachte ich auf dem Weg zurück aus der Küche. Ich strahlte ihn an, er strahlte mich an, nein mein Dekolleté. Der Bademantel hatte sich etwas gelöst. Mister Postbote war schon jetzt ein williges Opfer. Ich strahlte noch mehr. „Hätten Sie nicht Lust, heute Abend zu unserer Party zu kommen? Ist alles ganz ungezwungen und Sie können auch gerne eine Freundin mitbringen.“