Carmen Weinand

 

Als Loki nach Jahrhunderten der Untätigkeit zum ersten Mal wieder die Augen in einem echten Körper aufschlug, traf ihn fast der Schlag.

 

Um ihn herum waren Leichen. Nicht zwei oder drei sondern Hunderte. Und er war eine davon. Viele davon waren gut erhalten. Er nicht, denn ihm fielen zwei Finger ab, als er sich von dem Haken, an dem er hing, losriss und mit einem ziemlich ekligen Geräusch auf den Boden aufschlug. An der Wand gegenüber stand auf einem Plastikschild „Catacombe dei Cappuccini Palermo“. Verdammt! Loki verließ die Kapuzinergruft ohne den staubigen alten Kadaver und fand schließlich am 10. März 1969 ein rosiges Baby in einem Duisburger Krankenhaus. Schnell schlüpfte er hinein, bevor ihm jemand anderes zuvor kommen konnte. Schon besser – lebendig, rosig und neugeboren. Alles lief nach Plan, bis der schnauzbärtige Sizilianer ins Zimmer kam und ihn seine süße kleine Carmen nannte. Das darf doch nicht wahr sein! Ich bin ein Weib. Das war also die Rache von der Odin sprach, nachdem Loki ihn mit seinen Tricks und hinterhältigen Streichen fast in den Wahnsinn getrieben hatte. Nun gut. Als Meister der Täuschung und Verwandlung würde er auch damit zurechtkommen. Carmen Weinand war ein hinterlistiges, aber sehr kreatives Kind. In jungen Jahren schrieb sie bereits Gedichte und Geschichten und zeichnete Portraits. Als Erwachsene siegte kurzzeitig ihre männliche Ader und sie absolvierte eine Ausbildung zur Energieelektronikerin. Im Inneren tobten jedoch schon von Geburt an Lokis morbide Energien, die immer wieder an die Oberfläche drängten, bis sie in der Teilnahme an dieser Horror-Anthologie gipfelten. Carmen Weinand, eine treusorgende Ehefrau und Mutter?

 

Loki kann sich kaum das Grinsen verkneifen.