Michael Sonntag
Stadt ohne Sheriff
„... aus meinen kalten, toten Händen ...“
Charlton Heston
Nach einem langen Ritt hatten Daniel, Rick und Bruce Layton Town endlich erreicht. Dieses kleine Städtchen war ihnen als ein wahres Paradies beschrieben worden. Die Bezeichnung “Stadt” verdiente dieser Platz nicht wirklich. Es waren nur ein paar Häuser, die sich um eine staubige Linie, die sich “Main Street” nannte, drängten.
Was diesen Ort so paradiesisch für Männer wie sie machte, war die Tatsache, dass es hier keinen Sheriff geben sollte.
Es war früher Abend, als die Männer in die Stadt einritten und zu ihrem Glück hatte der Saloon gerade geöffnet. Der Saloon war eine schäbige Spelunke. Die viel zu teure Einrichtung, die schon etliche Beschädigungen aufwies und die vielen Whiskeyflecken auf dem exklusiv ausgelegtem Boden ließen darauf schließen, dass der Wirt versucht hatte, aus diesem Laden ein etwas besseres Lokal zu machen, dabei aber mehrfach am Verhalten seiner Gäste gescheitert war.
Genau so gefiel es den dreien am besten. Hier ließen sich am Kartentisch schnell ein paar Dollar machen und es würde auch niemanden stören, wenn sie dem ein oder anderen Betrunkenem die Taschen leerten.
Morgen würden sie das große Ding drehen und hatten solche Gaunereien eigentlich nicht mehr nötig, doch was sprach dagegen, ein paar Bucks mehr einstecken zu haben?
„Bruce, du bringst die Pferde in den Corral! Rick, sieh dich ein bisschen in der Stadt um! Ich will morgen früh wissen, wie wir am schnellsten hier weg kommen. Ich bestelle uns an der Bar schon mal die Zimmer und mach dann ein Spiel klar. Ihr stoßt dann dazu. Klar soweit?”
Obwohl Daniel nicht der Anführer der kleinen Gruppe war, folgten die beiden seinen Anweisungen für gewöhnlich. Also machten sie sich auf den Weg. Als sie zurück kamen, saß Daniel bereits am Spieltisch. Rick stieg in das Spiel mit ein. Seine Aufgabe war es, die Aufmerksamkeit der Mitspieler auf sich zu ziehen, damit Daniel seine Karten unbemerkt aus dem Ärmel ziehen konnte, während Bruce immer wieder einen Blick über die Schultern der Teilnehmer in die Karten warf und seinen Kumpanen Zeichen gab. Schon seit Jahren waren sie erfolgreich damit gewesen und wenn doch mal jemand dahinter kam war er selbst schuld, wenn er sich mit drei so schnellen Gunmen anlegte, die sich noch dazu links, rechts und hinter ihm befanden. Doch heute Abend blieb es ruhig, niemand durchschaute ihr schmutziges Spiel. Als sie den Spieltisch verließen, hatten sie zweihundert Dollar mehr eingesteckt. Gern hätten sie noch weiter gespielt, aber morgen würden sie ausgeschlafen und bei Kräften sein müssen.
Doch kaum hatte Daniel sich hingelegt, da öffnete sich die Tür zu seinem Zimmer. Sofort war er hellwach. Mit einer einzigen fließenden Bewegung schnellte er aus dem Bett und war bei seinem Colt. Diese traumhaft schöne Frau, die sich in sein Zimmer schlich, wirkte jedoch nicht im Geringsten bedrohlich.
„Wer ... wer sind sie?”
Etwas Dümmeres hätte er wirklich nicht sagen können, und in Gedanken schalt er sich bereits einen Narren.
„Du hast mir gefallen, Fremder”, sagte die Schönheit, statt seine Frage zu beantworten. Verlegen schob er seinen Colt wieder in das Halfter. Sie kam auf ihn zu, sagte „Ich will dich ganz für mich allein. Mit Haut und Haar”, und küsste ihn wild und verlangend, bevor er etwas erwidern konnte.
In der Bank herrschte Totenstille. Der Mann am Schalter hing dösend auf einem Stuhl und fächelte sich mit einem Tuch frische Luft zu, um sich wenigstens etwas Kühlung zu verschaffen. Schon jetzt, in den frühen Vormittagsstunden, war die Hitze unerträglich. Auf der Straße war niemand zu sehen. Genau so, wie die drei es sich erhofft hatten. Daniel und Rick stürmten mit gezogenen Colts in die Bank, während Bruce draußen die Pferde bewachte.
„All Right, Alterchen. Dann rück mal die Bucks raus, bevor mein Zeigefinger nervös wird”, fuhr Daniel den Alten an, ohne dass dieser etwas von sich geben konnte. Der Mann erhob sich ohne Murren und verhielt sich auch ruhig, als er den Safe öffnete und das Geld in Säcke verpackte. Fast machte er den Eindruck, als amüsiere ihn der ganze Vorfall nur. Nachdem sie ihn gefesselt hatten, verließen die Banditen die Bank seelenruhig. Bis hierhin war alles gut gegangen. Jetzt nur kein Aufsehen erregen. Genau so gelassen ritten sie aus der Stadt.
Sobald sie außer Sichtweite gewesen waren, waren sie geritten wie die Teufel. Der Abstand, den sie zurückgelegt hatten, war beträchtlich. Jetzt konnten und mussten sie sich die Zeit zum Ausruhen gönnen.
„Was war das für ein Jaulen?”, schreckte Bruce plötzlich aus dem Schlaf hoch.
„Was soll das schon gewesen sein? Ein Coyote. Schlaf weiter, du Idiot!”, erwiderte Daniel gereizt.
„Das war kein Coyote. Ich habs auch gehört”, sagte Rick.
„Ihr geht mir auf die Nerven. Kaum haben wir endlich ausgesorgt, fangt ihr an, Gespenster zu sehen. Bleibt hier, ihr Jammerlappen. Ich seh mal nach.”
Wütend stand Daniel auf und schnallte sich seinen Colt um. Kopfschüttelnd verließ er die schützende Nähe des Lagerfeuers. Was mochten die beiden gehört haben?
Hoffentlich keine Comanchen! Bei diesem Gedanken fröstelte ihn.
Aber nein!
Indianer hätten ihnen im Schlaf die Kehle durchgeschnitten und sich mit den Pferden davon gemacht. Dann kam ihm die Erleuchtung: Eine Falle! Sobald er zurück kam würden ihn seine “Freunde” mit einem Bleihagel empfangen um das Geld nur durch zwei teilen zu müssen. Aber da hatten sie die Rechnung ohne ihn gemacht. Vorsichtig und leise spannte er den Hahn seiner Waffe. Wenn er ihnen zuvor kam, hätte er den Vorteil der Überraschung und der Dunkelheit auf seiner Seite. Kaum, dass er diesen Plan gefasst hatte, hörte er hinter sich ein Knacken. Er wollte herum wirbeln, doch er bekam einen Schlag auf den Hinterkopf und verlor das Bewusstsein.
Bruce und Rick wurden derweil immer nervöser. Daniel war schon eine ganze Weile weg und die Pferde wurden verdammt unruhig. Dann hörten sie ein Knurren. Als sie sich umdrehten sahen sie einen lebendig gewordenen Alptraum auf sich zukommen. Das Wesen sah aus wie ein Wolf, war aber viel größer... und lief auf zwei Beinen.
„Was ist das?”, kreischte Bruce hysterisch. „Bring es um! Los, schieß doch, verdammt!!!”
Rick hatte den Schreck noch nicht verdaut, doch statt wie Bruce in Panik zu verfallen, handelte er. Einen Schuss nach dem anderen feuerte er der Bestie ins Herz. Die Kreatur wurde zwar von der Wucht der Kugeln zurück geworfen, fiel aber nicht. Als das Magazin leergeschossen war, konnte er nur noch die Waffe nach dem Monster werfen. Das war noch wirkungsloser als die Schüsse. Bei Bruce gewann die Angst die Oberhand über die Starre. Entsetzt warf der seinen Colt ebenfalls weg und wollte fortrennen. Doch weit kam er nicht. Hinter ihnen war eine zweites solches Wesen aufgetaucht. Mit einem einzigen Schlag trennte es Bruce den Kopf vom Hals.
Die erste Kreatur war nun bei Rick. Ihm erging es nicht besser. Mit einem Knurren riss der Wolf Ricks Kehle auf. Fasziniert betrachtete Rick die rote Flüssigkeit, die dem Monster ins Gesicht spritzte, ohne sich bewusst zu werden, dass es sein eigenes Blut war.
Als Daniel erwachte, sah er sich vorsichtig um. Er befand sich in einer Küche. Was war nur passiert?
Nur langsam gewöhnten sich seine Augen an das Halbdunkel. Was er sah, war schrecklich. An Fleischerhaken hingen menschliche Arme, Beine und Köpfe. Weiter hinten konnte er sogar einen Menschen erkennen, der wie ein Schwein halbiert und am Fuß aufgehängt worden war. Ihm wurde übel.
Da öffnete sich die Tür. Den Mann, der herein kam, hatte er schon einmal gesehen. Das war beim Kartenspiel in Layton Town gewesen.
„Er ist wach”, rief der Mann nach draußen. „Darf ich ihn ausnehmen?”
Die Traumfrau, mit der Daniel die Nacht zuvor verbracht hatte, trat durch die Tür.
„Nein. Ich habe doch gesagt, den will ich ganz für mich allein. Mit Haut und Haar”, sagte sie und leckte sich über die Lippen.