XXVI

 
»Wann ist Tagos aufgebrochen?«
»Kurz nachdem es angefangen hatte zu schneien. Die Sonne schien noch.«
Von wirbelnden Schneeflocken umgeben stand Breaca im Dämmerlicht. Lodernde Kiefernharzfackeln warfen ihr Licht auf das letzte Gestöber eines Schneesturms. Der schlimmste Teil war vorübergebraust, während Breaca geschlafen hatte. Zurückgelassen hatte er knöchelhohen Schnee; nicht zu tief, um noch hindurchreiten oder -laufen zu können, aber genug, um die Bodenlöcher und Furchen in den Pfaden zu verbergen und einen schnellen Ritt zu einem Risiko werden zu lassen.
Zum Schutz vor dem schlimmsten Angriff des Sturms hatten Airmid, Cygfa und Dubornos sich in einem Halbkreis um Breaca herum aufgestellt. Dunkles, weizenblondes und rotes Haar verwob sich miteinander, hell beschienen vom Fackellicht. Sie waren müde, alle drei, ganz so, als ob die Zeit, die zwischen Tagos’ Aufbruch und jenem Augenblick, als sie die Bodicea weckten, schwierig gewesen wäre und ihnen doch noch keine Lösung erbracht hätte.
Breaca zwang sich, aus ihrem menschlichen Windschutz herauszutreten. Ein kaltes, hartes Brausen umfing sie; sie konnte sich einfach in die Luft hineinlehnen und stürzte doch nicht zu Boden. Der Sturm zerrte an ihrem Haar, riss es nach Osten, in jene Richtung, in die Tagos verschwunden war.
»Ist es denn sicher, dass er Philus’ Sklaventruppe gefolgt ist?«
»Nein, aber das sei sein Ziel, so hatte er zumindest gesagt.«
»Er war wie verwandelt, nachdem du mit ihm gesprochen hattest«, erklärte Airmid. »Und dann sind seine beiden Männer, Gaius und Titus, zurückgekommen - er hatte sie ausgeschickt, um den Sklavenhändlern zu folgen. Aber sie brachten schlechte Nachrichten mit, oder so schien es zumindest. Und ehe sie aufbrachen, haben alle drei noch ihre kupfernen Armreife zerbrochen, die der Gouverneur ihnen als Gastgeschenk überreicht hatte.«
Cygfa lächelte verdrießlich. »Ich glaube, unser ›König‹ möchte uns einfach wissen lassen, dass er nicht mehr länger Roms Hure ist. Ob er aber den Mut besitzt, davon im Frühling auch den Gouverneur in Kenntnis zu setzen, bleibt natürlich eine ganz andere Frage. Wenn er Glück hat, versperrt der Schnee die Pfade, ehe einer seiner ehemaligen Freunde, die noch immer auf der Seite Roms stehen, ein Pferd besteigen und mit der Neuigkeit schnurstracks in Richtung Westen reiten kann.«
»Trotzdem wird er früher oder später wegen Verrats sterben, sobald irgendeiner aus Camulodunum davon erfährt.« Breaca drehte sich seitwärts dem Wind entgegen. »Airmid? Gibt es irgendetwas, das wir noch tun können?«
Die Träumerin hatte sich die ganze Zeit über nicht geregt. Ihr Körper schien sich teilnahmslos in den Wind zu lehnen, als ob sie selbst gar nicht anwesend sei. Sie schüttelte den Kopf. »Die Götter haben uns den Schnee gesandt, um uns vor den Legionen zu schützen. Es interessiert sie nicht, ob wir Tagos dadurch erst finden, nachdem Philus ihn niedergemetzelt hat.«
Breaca kniete nieder und drückte die Hände in den Schnee. Die Kälte vertrieb die letzten Reste von Schläfrigkeit aus ihr. »Vielleicht interessiert es sie aber, wenn Tagos stattdessen lebend gefangen genommen und zum Verhör nach Camulodunum gebracht wird - ich habe ihm nämlich von dem Bärentanz erzählt und von Cunomars Ehrengarde. Und allein auf Tagos’ Fähigkeit, den Inquisitoren Stand zu halten, möchte ich mich nur ungern verlassen. Ich denke, wir sollten also losreiten und uns auf die Suche nach ihm machen.«
Airmid stand neben Breaca; sie strahlte Sicherheit und Stärke aus. Die beiden anderen waren bereits bewaffnet. Als ob sie tanzten, durchschnitten die von Breaca geschmiedeten Waffen den im Fackellicht wirbelnden Schnee.
»Das Gleiche denken auch wir«, erwiderte Cygfa. »Darum haben wir dich auch geweckt.«
 
Sie waren zu viert, drei Krieger und eine Träumerin. Langsam, ohne Licht und mit Cygfa als ihrem Späher ritten sie durch das dichte Waldland. Zwar entsprach es nicht der Wahrheit, dass Cygfa auch im Dunkeln sehen konnte, doch ihr Sehvermögen kam dem immerhin nahe genug.
Kein Sturm peitschte mehr den Schnee, so dass dieser nun langsam zwischen den Bäumen hindurchrieselte und für ein leichtes Vorwärtskommen bereits zu tief geworden war; wenn die Götter also tatsächlich wollten, dass die vier Reiter in Sicherheit blieben, so hatten sie ihr Ziel zweifellos erreicht. Kaum waren sie vorbeigeritten, da hatte der herabrieselnde Schnee ihre Spuren auch schon wieder überdeckt, und nichts deutete mehr darauf hin, dass sie hier entlanggekommen waren.
Breaca war noch immer nicht ganz wach. Bruchstückhafte Träume von Kriegerprüfungen woben Muster durch die dunkle Nacht, so dass sie unentwegt Cunomar vor sich zu sehen glaubte, gemeinsam mit dem halben Dutzend Krieger seiner Ehrengarde, die wahrhaft außergewöhnlich waren. Die Schädeltrommeln sandten ihre hypnotischen, den Verstand verzehrenden Rhythmen aus. Grinsend trat jeder Einzelne der weiß angemalten Krieger auf sie zu, und statt Waffen trugen sie Bärenklauen; Breaca hingegen musste ihnen allein mit dem Schwert begegnen. Sowohl dann, wenn sie sich in ihren Träumen befand, als auch, wenn sie wachen Bewusstseins durch den Wald ritt, wünschte Breaca sich, dass das Schwert, welches sie in der Hand hielt, jenes Schwert wäre, mit dem sie schon ihr ganzes Leben gekämpft hatte, und nicht bloß die Ersatzwaffe, die sie im Geheimen für die Kriegerprüfungen angefertigt hatte. Mit der Waffe ihres Vaters hätte sie Cunomar zu ihrer Rechten platzieren können und Cygfa zu ihrer Linken, auf der Schildseite, und selbst ganz Rom hätte es dann nicht mehr vermocht …
Ein Pferd wieherte schrill in letzter Todesqual, und ein Mann rief irgendetwas, dann schrie auch er gellend; ein anderer Mann brüllte einen Befehl auf Latein.
»Das ist Philus«, sagte Cygfa. »Und der tote Mann ist Gaius«, fügte Airmid hinzu. »Tagos hat also nur noch Titus zur Verteidigung.«
»Dann sind sie also zwei Mann gegen die zwei Dutzend Männer von Philus. Und wir sind zu viert, so dass wir...« Cygfa ließ ihr Pferd im Schnee herumwirbeln. »Gütige Götter... ist das Cunomar?«
Breaca nickte. Erneut erfüllte das Chaos der Schädeltrommeln ihr Bewusstsein, machte es ihr unmöglich zu sprechen. Zum ersten Mal seit ihrer Herstellung begann die Waffe in ihrer Hand zu singen. Doch nichts von alledem konnte auch von den anderen gehört werden; das entfernte Geräusch von Kriegern, die durch den Wald rannten, und das hohe Wimmern der Totenklage der Bärinnenkrieger jedoch erkannte jeder, der je im Westen und an Ardacos’ Seite gekämpft hatte.
Dubornos, der auch im Kampf stets einen kühlen Verstand bewahrte, horchte mit schiefem Kopf. »Dein Sohn ist ganz in der Nähe«, sagte er. »Wenn wir warten, werden wir den Sklavenhändlern zahlenmäßig bald überlegen sein; andererseits, wenn wir sehr schnell reiten, dann glaube ich, könnten wir das Schlachtfeld auch noch erreichen, während sie wiederum uns wenigen gegenüber in der Überzahl sind.«
Sie hätten besser warten sollen, alle waren sich dessen bewusst, doch dann ertönte der schrille Schrei eines zweiten Pferdes, und Breaca erkannte darin Tagos’ kastanienbraune Stute, jene, die sie ihm erst im Sommer zum Geschenk gemacht hatte. Und plötzlich und aus keinem bestimmten Grund wusste Breaca, dass sie Tagos nicht sterben sehen wollte - und dass sie einen verzweifelten Drang zum Kämpfen verspürte.
Die alte Narbe in ihrer Handfläche brannte, als wäre sie gerade erst frisch aufgeschnitten worden; Breaca hatte die Freude, die in diesem Schmerz vergraben lag, schon ganz vergessen. Zum ersten Mal seit drei Jahren spürte sie wieder die unwiderstehliche Sogwirkung eines echten Kampfes. Wie Feuer rauschte ihre Kraft durch ihre Adern. Ihre Stute ließ sich immer schwerer bändigen - und Breaca wollte sie auch gar nicht mehr zurückhalten.
Sie warf einen raschen Blick zu Airmid hinüber, die sie noch hätte aufhalten können und es doch nicht tat. »Wir werden zu sechst gegen zwei Dutzend stehen. Und wäre dies nicht auch der Wille der Götter, dann hätten sie doch gewiss noch mehr Schnee geschickt, um uns davon abzuhalten, nicht wahr?«
»Gewiss.« Die Träumerin deutete zum Himmel hinauf. »Und genau dieser Schnee ist ja auch bereits auf dem Wege. Willst du also unbedingt deinen Kampf haben, so solltest du ihn dir bald gönnen, ansonsten wirst du dich wie blind durch das Weiß des Schneesturms kämpfen müssen.«
»Danke. Pass auf dich auf!«
Breaca ließ der Stute ihren Willen, und, getrieben von Cygfa und Dubornos, stürmte diese durch den noch unberührten Schnee.
Ihre Pferde waren kampferprobt; sie galoppierten geradewegs auf das Kampfgeschehen zu, ohne dass man sie hätte antreiben müssen. Der Pfad beschrieb eine Kurve, und schon kurz darauf erreichten sie das Lager der Sklavenhändler. Philus hatte offenbar - und genau zum falschen Zeitpunkt - befohlen, dass Fackeln entzündet und ein kleines Feuer aufgeschichtet werden sollte, und in diesem plötzlichen Lichterglanz zeigten sich nun Bäume und ein kleiner Fluss sowie die in Todesangst versetzten Sklavenhändler, die sich, mit den Rücken zum Wasserlauf aufgestellt, zunächst einmal nur einigen wenigen Kriegern gegenübergesehen hatten, die dann aber plötzlich gar nicht mehr so wenige waren und schließlich, entsetzlicherweise, sogar zu viele wurden.
 
Langsam begann es wieder zu schneien, und der Kampf war schnell und hart. Zu Breacas Linker, an der Schildseite und somit auf jenem Platz, der einem Krieger die größte Ehre verhieß, kämpfte Cygfa. Und schon bald darauf - rascher, als irgendjemand von ihnen erwartet hätte - trat zwischen den Bäumen zu ihrer Rechten auch Cunomar hervor, umgeben von der Mehrheit seiner Ehrengarde. Der Rest, angeführt von Ardacos, stürmte von hinten auf die Sklavenhändler zu, und mit ihren fuchtelnden Bärentatzen zerschmetterten sie den Feind, wie ein Hammer heißes Eisen auf einem Amboss zerschmettert.
Mehr als die Hälfte von Philus’ Männern waren kampferprobte Söldner. Sie hatten für die Legionen schon in Iberien, in Mauretanien und in den germanischen Provinzen gekämpft, gegen Krieger, die ihren noch lebenden Feinden das Mark aus den Knochen zu saugen pflegten. Und ihr Instinkt und die jahrelange Übung leisteten ihnen gute Dienste. Sie formierten sich zu einem Keil, ohne dass ihnen dies jemand befohlen hätte; und als Ardacos’ Bärentatzen sich um sie zu schließen begannen, bildeten sie wiederum ein Quadrat, das sich unentwegt um sich selbst drehte, so dass alle Männer mit dem Gesicht nach außen dastanden und ihre kleinen, runden Reitschilde an den Kanten aufeinander trafen, jedoch mit genügend Platz darunter, dass ihre Kurzschwerter noch dazwischen hervorzustechen vermochten.
Doch auf der Rückseite des Quadrates hatte das Gemetzel bereits begonnen. Denn dort hatten jene Sklavenhändler, die keine Söldner waren - und die folglich auch keine Ahnung davon hatten, wie man sich in einer Schlacht zu verhalten hatte -, Schutz hinter einem Flechtwerk aus Weidenruten gesucht, das noch aus jenen Tagen im Hochsommer stammte, als, gemeinsam mit ihrem Vieh, auch die Hirten draußen gelebt hatten. Und genau damit hatten die Sklavenhändler sich auch ihren einzigen Fluchtweg abgeschnitten. Ardacos schickte sechs Krieger gegen zwölf Männer aus, hätte aber auch bloß die Hälfte schicken können, und die Bärinnenkrieger hätten dennoch gesiegt. Schließlich erhob sich über alle anderen Geräusche des Blutbades das Siegesgeheul der sechs jungen Krieger, als ein jeder von ihnen zum ersten Mal im Namen des Bären tötete.
Die Söldner hatten bereits begriffen, dass eine Flucht nun nicht mehr möglich war. Denn sie konnten zählen und sahen die Übermacht des Feindes. Und selbst, wenn sie bis jetzt noch nicht mit den Bärinnenkriegern in Berührung gekommen waren, so hatten sie doch bereits anderen Kriegern aus anderen Völkern gegenübergestanden, die ebenfalls unbekleidet in die Schlacht stürmten, eingehüllt in den Schleier ihrer Götter und von einem so hell strahlenden Mut erfüllt, dass auch der Letzte ihn sehen konnte. Jeder der Männer wählte sich einen der auf ihn zukommenden Krieger aus, spuckte auf seine Waffe und schwor, zumindest diesen einen zu töten, ehe er selbst starb.
Breaca erkannte jenen Mann, der sie zu seinem Opfer auserkoren hatte. Sein Blick verbrannte sie geradezu. Und sein kurzes Schwert sang allein für sie. Doch auch das ihre sang mit einer Grausamkeit, die der der Bärinnenkrieger in nichts nachstand. Breaca riss ihr Schwert hoch, ließ es die vom Töten erfüllte Luft kosten und war wieder die Bodicea, und ihre Welt hatte ihr Gleichgewicht wiedergefunden.
Sie drückte ihrer Stute die Knie in die Seiten, drängte sie vorwärts. Sie konnte zwar nicht erkennen, wo Philus war, ob zwischen den im Quadrat formierten Soldaten oder in dem sich in einen Schlachthof verwandelnden Verschlag dahinter, doch es war schließlich auch keine Zeit, um sich gründlich umzuschauen; Cygfa war in einem schrägen Winkel bereits vorgestürmt und ließ rechts von sich gerade ihre Waffe niedersausen, um einem schwarzhaarigen ehemaligen Legionär den Arm zu brechen.
Blut spritzte aus einem durch den gewaltigen Schlag aufgeplatzten Gefäß; der Mann sank kraftlos auf die Knie und starrte ungläubig auf das aus ihm herausströmende Leben. Breacas Widersacher dagegen fluchte und trat die umherliegenden Leichen beiseite, verzweifelt darum bemüht, die Lücke in der Schildwand wieder zu schließen.
In genau diese Lücke aber trieb Breaca ihr Pferd und ließ mit einer Rückhandbewegung ihre Klinge niedersausen. Die Waffe traf auf Eisen, und dann noch zweimal. Ihr Gegner kämpfte gut; er kämpfte zu Fuß gegen eine Kriegerin, die zu Pferde saß, und dennoch wich er nicht einen Schritt zurück. Schon sehr bald hielt er inne in seinem Versuch, Breaca zu töten, und wollte stattdessen das Pferd verkrüppeln. Vielleicht hätte er damit sogar Erfolg gehabt, wenn die Stute nicht von einer Kriegerin abgerichtet worden wäre, die das Leben ihres Tieres genauso hoch schätzte wie ihr eigenes. Das Tier wusste also, wie es sich selbst schützen konnte, während es sich zugleich bemühte, seiner Reiterin gewissermaßen einen ruhigen Untergrund zu bieten, von dem aus diese wiederum ihre Hiebe austeilen konnte. Ein Schlag von den Vorderhufen der Stute riss dem Mann den Helm vom Kopf, und der vierte, vielleicht auch fünfte Hieb der Bodicea zerschmetterte schließlich seinen Schädel und spaltete ihn bis zur oberen Zahnreihe hin auf. Noch während er zu Boden stürzte, riss sie bereits wieder ihr Schwert aus ihm heraus.
Als sein Geist vorbeistreifte, wurde Breaca allerdings für den Bruchteil einer Sekunde abgelenkt, so dass sie jenen Augenblick verpasste, als Cunomar, der zum ersten Mal in einer Schlacht und nicht aus dem Hinterhalt heraus kämpfte, seinen Gegner tötete. Sein Schlachtruf verscheuchte die Geister, und Breaca wandte sich gerade noch rechtzeitig um, um zu sehen, wie er sich rasch vorbeugte, die Hand in das Blut seines gefallenen Widersachers tauchte und sich einen blutigen Handabdruck auf den Oberarm presste. Er hob den Kopf, um einen erneuten Triumphschrei auszustoßen, doch dann traf sein Blick auf den ihren. Cunomar zeigte seine Freude, wie auch Caradoc sie gezeigt hatte, jedoch auf eine drastischere Art und Weise. Er grinste und hob seine rot verschmierte Hand. »Für Vater«, rief er, »und für Graine!«
Breaca entbot ihm den Gruß eines Kriegers und sah, dass auch seine Welt ihr Gleichgewicht gefunden hatte.
Dann verebbte der Gefechtslärm allmählich. Die quadratische Formation von Legionären war aufgebrochen, konnte nicht mehr zusammengefügt werden, und das Töten verlief nun schneller, als die Legionäre ihren nahenden Tod erkannten und ihr Schicksal annahmen. Dubornos war ganz in Breacas Nähe. Sie packte seinen Arm und rief: »Wo ist Tagos? Wo ist Philus?«
»Dort. Zusammen. Sie kämpfen.« Er zeigte mit dem Ellenbogen in die entsprechende Richtung und ließ zugleich sein Pferd herumwirbeln. »Und Philus ist im Vorteil.«
Sie war die Bodicea; sie brauchte einen Befehl nur zu denken, und schon folgten sie ihr. Und noch während Breaca sich in die andere Richtung wandte, nahm Cygfa bereits ihren Platz zu ihrer Linken ein. Und Cunomar rannte bereits auf ihrer Rechten neben ihr her. Dubornos grinste über die Ungeduld der Jugend, hielt sein eigenes Pferd dagegen aber noch zurück, wartete erst auf Breacas Befehl.
Noch immer hallte das Flüstern der Schädeltrommeln durch Breacas Kopf, und auf ihren nackten Armen schmolz der Schnee. Breaca deutete mit ihrer Waffe voraus, so dass das Licht von Philus’ Fackeln über das Metall glitt. »Helft ihm.«
Doch sie kamen zu spät. Bereits in dem Augenblick, als ihre Stute über den blutigen Morast sprang, wusste sie es. Philus hörte sie, beschloss aber offenbar, sich nicht umzuwenden. Auch Tagos hörte Cunomars Bärenheulen, und die ungebändigte Kraft dieses Schlachtrufs stahl für einen Moment seine Aufmerksamkeit.
Vielleicht wäre er in jedem Fall gestorben; er war noch nie ein Krieger von besonderem Talent gewesen, doch es schmerzte dennoch, ihn ähnlich wie die Sklavenhändler einfach niedergemetzelt zu sehen, mit einem Schwerthieb gegen die Beine, den er nicht mehr abzuwehren vermochte, und dann einem Hieb in die Schulter oberhalb seines Armstumpfs, den er ohnehin niemals hätte parieren können und der folglich sowohl Tagos’ Rippen als auch seine Lunge einfach zerquetschte und dem schließlich der endgültige Schlag auf Tagos’ Kopf folgte, der sein Ziel aber verfehlte, denn Philus hätte sich besser umschauen sollen, hätte wissen müssen, dass Dubornos, der immerhin Tagos’ Vetter war, bereits hinter dem Sklavenhändler stand und dass dieser den Tod eines Blutsverwandten niemals ungesühnt lassen würde.
Breaca hörte, wie Cunomar Dubornos seinen Glückwunsch zurief, erkannte, wie weit ihr Sohn davon entfernt war, einem Mann einen Sieg zu missgönnen, der doch unter Umständen auch sein eigener hätte sein können. Wahrlich, die Welt hatte sich gewandelt.
Philus starb also rascher als Tagos, der auf dem Boden lag und mit einem leisen Pfeifen aus einem Riss in der Nase Blasen aus Blut ausstieß. Breaca glitt von ihrem Pferd und kniete in dem immer dichter fallenden Schneegestöber neben Tagos nieder. Ihre Kinder stellten sich in einem Halbkreis um sie herum auf, gemeinsam mit Dubornos und Airmid, die selbst nicht gekämpft hatte, dafür aber die Nacht freigehalten hatte von unerwünschten Geistern.
Tagos’ Hand war bereits kalt, ihre Innenfläche schmierig und feucht. Er öffnete den Mund, um zu sprechen, doch kein Ton drang mehr aus seinen zerquetschten Lungen. Er schloss die Augen, und Breaca beobachtete, wie er die Stirn in Furchen legte. Die Augen noch immer geschlossen, schaffte er es schließlich doch noch zu sprechen: »Philus hat einen Boten nach Camulodunum geschickt... Es tut mir Leid. Sie werden von Graine wissen. Gaius folgte ihm, kam aber wieder zurück. Er hätte ihn...«
Breaca drückte seine Hand. »Gaius hat bereits den Fluss überschritten und befindet sich nun in der Obhut Brigas. Was auch immer er hätte tun sollen, nun weiß er es besser als wir.«
»So wie auch ich es bald besser wissen werde. Bald.« Der Schatten eines Lächelns huschte über seine Lippen. »Die Eceni haben eine neue Anführerin, eine, die den Willen zum Kampf hat. Sobald der Schnee schmilzt, kannst du dein Kriegsheer aufstellen, und wenn die Legionen dann in Richtung Westen aus Camulodunum hinausmarschieren, wird die Stadt reif sein für ihre Eroberung. Führe deine Krieger mit Weisheit.«
»So lange mir das vergönnt sein mag. Tagos, mach die Augen auf.«
Unter Mühen öffnete er sie wieder. Breaca beugte sich über ihn, so dass er sie anblicken konnte, ohne den Kopf drehen zu müssen oder die Augen. Sie neigte sich zu ihm hinab und küsste ihn mit trockenen Lippen auf den Mund, schmeckte das Blut in seinem Atem.
Leise sprach sie: »Warte auf mich in den Ländern jenseits des Lebens. Denn sowohl Airmid als auch Caradoc werden uns überleben. Und dann wird endlich Zeit genug sein, um herauszufinden, was aus uns beiden eigentlich noch hätte werden können.«
Das war das größte Geschenk, das sie ihm noch machen konnte, und es war ein Geschenk, das von Herzen kam. Er starb mit vor Freude leuchtenden Augen und mit fest um ihre Hand geschlossenem Griff.
Die Seherin der Kelten
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