V
Eingebettet in ein flaches Erdloch gab das Feuer
keinen Rauch ab, sondern nur einen Schleier erhitzter Luft, welche
die aufrechten Linien der am Rande der Lichtung wachsenden Birken
verzerrte, so dass die Bäume zu erzittern schienen, so als ob sie
sich in einem See spiegelten. Die leicht gekräuselte
Wasseroberfläche des unmittelbar an die Lichtung anschließenden
Ozeans setzte sich in dem Muster der Wolken fort, die über den
Abendhimmel hinter den Birken glitten. Breaca hatte beinahe das
Gefühl, sie sei wieder in der Höhle, gefangen in den Fieberträumen,
die die Ahnin ihr gesandt hatte, doch sie befand sich unter freiem
Himmel.
Und dennoch schien es, als ob selbst diese Träume
noch freundlicher gewesen wären als die Wirklichkeit. Eingewickelt
in ihren Umhang saß sie mit dem Rücken gegen einen Felsen gelehnt
und wünschte sich - ohne jedoch Hoffnung auf die Erfüllung ihres
Wunsches zu hegen - die Wärme und die Kameradschaft eines Hundes an
ihrer Seite. In jenen Tagen vor dem Einfall der Römer hätte kein
Jäger, kein Krieger, kein Händler oder reisender Schmied jemals
unter freiem Himmel geschlafen, ohne dabei einen Hund zur
Gesellschaft zu haben, der die Kälte der Nacht von ihm fern
hielt.
Zwar war dies nur eine der am wenigsten auffälligen
Veränderungen, die mit der Flut der römischen Invasion einhergingen
- doch war gerade dieses Fehlen der Hunde eine der einprägsamsten
Erinnerungen an jenes Leben, das einst das der Bewohner Britanniens
gewesen war. Und es war ein weiterer jener vielen, im Einzelnen
fast unwesentlichen, in der Gesamtheit aber geradezu erdrückenden
Gründe, die Breaca zu ihrer Entscheidung geführt hatten: Sollte sie
jemals vergessen, warum sie genau jenen Weg eingeschlagen hatte,
den sie nun ging, dann dachte Breaca von Mona, einst
Stammesmitglied der Eceni, an das verheißungsvolle Bild eines
Hundes, der ihr an einem warmen Herbstabend Gesellschaft leistete.
Nicht zuletzt dieses Bildes wegen hatte sie ihre Krieger im Stich
gelassen, jene Krieger, denen sie die Bodicea gewesen war, die
Überbringerin des Sieges, und hatte die Insel Mona verlassen -
Mona, fast zwanzig Jahre lang ihr Zuhause und ihr Schutz. Sogar
ihre Kinder hatte sie dafür verlassen. Jene Kinder, denen sie
letztlich aber ja ohnehin nie eine echte Mutter gewesen war. Als
Breaca also die Höhle der Ahnenträumerin verließ, die Wunde an
ihrem Arm bereits wieder halb abgeheilt, hatte sie den Kopf ihrer
Stute in Richtung Osten gelenkt, dorthin, wo die Gebiete der Eceni
lagen - und sie hatte seitdem kein einziges Mal mehr
zurückgeblickt.
Die Götter zeigen einem die vielen
Möglichkeiten, die die Zukunft bereithält... das Dargebotene zur
Wirklichkeit werden zu lassen, ist dann allerdings allein Aufgabe
der Menschen.
Das waren die Worte der Träumerin der Ahnen
gewesen, als Breaca aufgebrochen war. Sie hatte durch den
Hundsstein gesprochen, als Breaca gerade die letzten Grasbüschel
von dem Stein zupfte - ganz so, wie sie es versprochen hatte. In
dem Augenblick hatte Breaca dem Hundsstein nur flüchtig gelauscht
und war gleich darauf auf ihn hinaufgeklettert, um ihr Pferd zu
besteigen.
Wirklich zum Nachdenken über die Worte der Urahnin
war Breaca erst später gekommen, als sie auf kaum benutzten Pfaden
in Richtung Osten geritten war und sich zunächst auf die kleineren
Opfer konzentriert hatte, die ihr Vorhaben von ihr verlangen würde;
damit der Gedanke an die größeren, noch anstehenden Entbehrungen
sie nicht gleich zu Anfang bereits erdrückte. Und es war wahrlich
nicht schwer gewesen, sich Dinge in Erinnerung zu rufen, um die man
trauern konnte: der Verlust von Stone, der der beste Kampfhund war,
den sie jemals gehabt hatte, und der der letzte noch lebende
Nachkomme von Hail war; der Verlust des grauen Hengstes, der im
Frühjahr die blaue Stute hätte decken sollen; der Verlust des
einjährigen Stutenfohlens, das die bereits lebende Tochter des
Hengstes und der Stute war und das eines Tages seine beiden
Elternteile weit übertroffen hätte; der Verlust der vielen
Jagdmesser, die jetzt auf dem Bord neben ihrer Schlafstelle in dem
großen Rundhaus lagen; der Verlust der uralten Klinge mit dem Bild
der Bärin auf dem Heft, die gerade ihre Jungen säugte, jener
Klinge, die einst ihrem Vater, Eburovic, gehört hatte und davor
dessen Vater und davor wiederum dessen Mutter, deren Geschichte
zurückreichte bis in jene Zeit, als noch die Urahnen der jetzigen
Eceni gelebt hatten.
Diese Klinge hätte an Cunomar gehen sollen, als ein
Geschenk anlässlich seiner drei langen Nächte der Einsamkeit - aber
vielleicht würde er sie ja trotz allem noch bekommen. Ardacos
wusste, wo sie versteckt lag, und wenn der richtige Zeitpunkt
gekommen war, würde er wissen, was zu tun war, würde die richtigen
Worte bei der Übergabe finden, als ob er der Vater des zum Manne
werdenden Jungen wäre, nicht lediglich sein Lehrer. Cygfa würde an
der Zeremonie nicht teilnehmen dürfen - nur Männern war es erlaubt,
der Weihung eines Jungen zu seinen langen Nächten der Einsamkeit
beizuwohnen, so wie nur Frauen den Mädchen zur Seite stehen
durften. Hinterher aber könnten Cygfa und Airmid und Graine ihm das
Haar flechten, wenn er wieder herauskam, um …
Breaca hielt inne und verfluchte ihre ungezügelten
Gedanken. Sie hatte sich noch nie als schwach betrachtet. Und das
sollte auch so bleiben.
Angespannt atmete sie durch, hob den Kopf und
richtete ihren Blick über das Feuer hinaus und genau dorthin, wo
sich vor dem Halbrund von Nemains Licht die Silhouetten der
blattlosen Zweige abzeichneten. Als Breaca oberhalb des römischen
Lagers gelegen hatte, war der letzte Tag des abnehmenden Mondes
gewesen, doch er war bereits zu alt, als dass man ihn in der Nacht
noch hätte erblicken können. Nun war er bereits wieder halb voll
und warf Schatten über die Landschaft. Fünf Tage waren vergangen,
während sie in der Höhle ihre Wunden geheilt hatte, und ein jeder
dieser Tage war so lang gewesen wie ein ganzes Leben.
Die Geräusche der Nacht waren zahlreicher geworden.
Aus Richtung Süden fegte ein feuchter Wind heran und presste die
über dem Feuer schwebende Hitze flach und breit auseinander. Die
immer dunkler werdenden Bäume neigten ihre Wipfel nach Norden, und
der Himmel hinter ihnen glitzerte im Licht der ersten Sterne. Die
Rotschimmelstute scharrte unruhig mit den Hufen, schnupperte
prüfend in die Brise, stampfte abermals auf und schnaubte dann
leise durch die Nüstern.
Beweg dich!
Doch es war nicht etwa die Ahnin, die sich an sie
wandte, sondern Breacas eigene, älteste Instinkte, die untrennbar
mit dem Schlangenspeer und dem Leben verwoben waren. Breaca erhob
sich, schüttelte den Umhang aus und warf ihn über die Feuerkuhle,
um den hellen Lichtschein zu ersticken. Ihre Katapultsteine hielt
sie in der einen Hand, die Schleuder in der anderen, und schon war
sie im Schutz der Bäume verschwunden, wo sie lautlos über die
regennassen Blätter eilte. Das Unterholz, durch das sie schritt,
schien sich bereitwillig vor ihr zu teilen, um sie
hindurchzulassen, und sich anschließend wieder hinter ihr zu
schließen, ganz so, als wolle es bestreiten, dass Breaca überhaupt
jemals dort gewesen sei.
Wende dich nach Süden; denn auch der Wind
kommt aus Süden und hat der Stute den Geruch von Menschen
entgegengetragen.
So leicht und geräuschlos wie der Flug einer Eule
rannte Breaca in einem Bogen in die vorgegebene Richtung und
tauschte dabei die Schleuder gegen ihr Messer aus, um den Verfolger
aus der Deckung heraus schneller töten zu können. Ihre Stute stand
so still und reglos da, als ob sie aus Granit gemeißelt und Teil
der Nacht wäre. Unter Umständen würde der mittlerweile aus dem vom
Feuer gewärmten Mantel aufsteigende Dampf den Fährtenlesern zwar
verraten, dass sie sich auf der Lichtung aufgehalten hatte, ihre
neue Position aber ließ sich daraus nicht ablesen.
Der Feind war allein und hielt sich geschickt
verborgen. Er lag ruhig unter einem verkümmerten Schwarzdornbusch,
und Breaca bemerkte ihn nur auf Grund seines hellen Haarschopfes.
Somit war er also kein Römer; denn von den Eindringlingen hatten
nur die gallischen Kavalleristen solches Haar, und die besaßen
wiederum nicht die Fähigkeit dazu, sich so geschickt zu verbergen.
Dann musste er wohl ein Späher von den Coritani sein, ein
Abtrünniger aus dem Stamm im Osten, dem Nachbarn der Eceni, der
sich für Rom ausgesprochen hatte. Die besten der Fährtenleser aus
dem Stamme der Coritani erhielten stets eine ansehnliche Entlohnung
in Gold, wenn sie dafür wieder einmal auf die Jagd nach ihren
eigenen Landsleuten gingen. In den vergangenen Tagen hatte Breaca
bereits zwei dieser Verräter getötet. Dabei musste sie feststellen,
dass die Coritani auch nicht begabter waren als ihre römischen
Herren; einzig, dass sie sich in offenem Gelände ein wenig
vorsichtiger zu bewegen wussten.
Sie wartete, beobachtete eine Weile und hieb
schließlich ihre Messerklinge in die Erde, um mit der freien Hand
ihre schwarz angemalten Katapultsteine zu betasten. Bei zweien
dieser Steine verliefen rote Schlangenlinien über den schwarzen
Untergrund. Noch auf Mona hatte Breaca diese Schlangenlinien
aufgemalt, damals, als die Schlangenträumerin nurmehr eine
ungefährliche und weit zurückliegende Erinnerung gewesen war. Sie
erkannte die Steine an dem Schmerz, den sie in ihrer Hand
hervorriefen. Einen davon zog sie nun aus ihrem Lederbeutel und
legte ihn in die Vertiefung ihrer Schlinge. Diese beiden Steine
vermochten nicht nur das Leben eines Feindes zu zerstören, sondern
sie löschten auch noch die Feuer seiner Seele. Das war ein
Schicksal, wie es für einen Verräter gerade richtig war, und selbst
die gottlosen Coritani würden lernen, dieses Schicksal zu
fürchten.
In dem Moment, als der aus ihrem Umhang
aufsteigende Dampf zu Rauch wurde, kam der Späher aus seinem
Versteck hervor und bewegte sich vorwärts, wobei er auf dem Bauch
voranglitt, so geschmeidig und leise wie eine Schlange. Wenngleich
die Strategie und Vorgehensweise seiner Verfolgung auch schrecklich
unbeholfen war, so konnte er sich doch außergewöhnlich gut bewegen;
er glitt in wellenförmigen, fließenden Bewegungen vorwärts, die
weder Blätter noch Zweige aufrascheln ließen, sondern ihn
stattdessen geradewegs zu jener Stelle führten, wo Breaca vor
kurzem noch gesessen hatte.
Doch wo ein Fährtenleser war, der sein Handwerk
beherrschte, war vielleicht auch noch ein zweiter. Allein dieses
Wissen war es, das Breacas Hand innehalten ließ, als der Späher
hinter dem Schwarzdornbusch hervorkam und der rot-schwarze
Katapultstein ihn in diesem Augenblick eigentlich leicht hätte
töten können. Die Bodicea hatte nicht so viele Winter allein
gejagt, um nun der List eines Kriegers zu erliegen, der bereit war,
sich selbst zu opfern, wenn er sie damit in eine Falle locken
konnte. Sie beobachtete die Stelle, an der der Späher gelegen
hatte, und wartete.
»Er ist gut, nicht wahr? Aber nicht so gut wie du
und ich.«
Das Flüstern war Teil der Nacht, ein Seufzen von
leichten Windstößen. Und es war die Stimme eines Freundes und
wahrlich das Letzte, was Breaca in diesem Moment zu hören erwartet
hätte.
»Ardacos?«
Langsam wandte sie sich um. Vom Fuße einer Birke
blickte der kleine Krieger mit der wettergegerbten Haut zu ihr auf
und grinste. Ardacos war der Anführer der Krieger der Bärin und
damit zugleich auch der glühendste Verfechter ihrer altertümlichen
Art zu jagen. Er kämpfte nackt und zu Fuß, von Kopf bis Fuß
eingeschmiert mit dem gräulichen, mit Färberwaid vermischten
Bärenfett, das dem Bärinnenkrieger seine Macht verlieh. Zudem
schmückte er sich mit einer Kriegsbemalung aus Kalk und Tonerde,
die seine Feinde noch jedes Mal in Angst und Schrecken versetzte.
Jetzt trug er allerdings nicht seine Kriegsbemalung, und er strömte
auch nicht den stinkenden Bärengeruch aus, aber nackt war er
trotzdem, abgesehen von einem Messergürtel. Wie ein Stein oder ein
schlafender Bär schien sein Körper mit der Umgebung zu
verschmelzen. Und dass Breaca ihn nun sehen konnte, rührte
lediglich daher, dass er von ihr gesehen werden wollte. Aller
Wahrscheinlichkeit nach war sie bei der Verfolgung des Spähers also
einfach an Ardacos vorbeigeschlichen, ohne auch nur das geringste
Anzeichen für seine Gegenwart wahrzunehmen.
Ihre Überraschung verwandelte sich kurzzeitig in
Zorn und ging dann in eine beklemmende Besorgnis über. Schon einmal
war Ardacos von den Mitgliedern des Ältestenrats ausgesandt worden,
um die Bodicea zu finden und wieder nach Hause zu bringen. Sie
wollte nicht dazu gezwungen sein, gegen ihn anzukämpfen und ihr
Recht, ihre Reise in den Osten fortsetzen zu dürfen, gewaltsam
durchzusetzen.
Mit tonloser Stimme fragte sie ihn: »Warum bist du
hier?«
»Ich habe mich verpflichtet, deinen Sohn während
deiner Abwesenheit zu beschützen. Die Bärin hatte mich darum
gebeten, und ich habe mich natürlich nur allzu gerne dazu bereit
erklärt. Wo er hingeht, dorthin gehe auch ich. Wen er jagt, den
jage auch ich, selbst wenn das Opfer seine eigene Mutter
ist.«
Ardacos deutete mit einem kurzen Kopfnicken nach
vorn, und was ohnehin bereits offensichtlich hätte sein sollen, war
nun endlich klar zu erkennen: Der Fährtenleser, der die Bodicea
aufgespürt hatte, war nicht etwa ein Verräter vom Stamme der
Coritani, sondern es war Cunomar, ihr ältestes Kind, jener Junge,
der in vielerlei Hinsicht genau wie sein Vater war - und leider
doch nicht in jeglicher Hinsicht.
Cunomar hatte in diesem Augenblick den Rand der
Lichtung erreicht und bahnte sich weiter einen Weg zwischen den
Birken hindurch. Breaca spürte das Gewicht des rot angemalten
Steins, der in ihrer Schleuder lag. Ihr wurde schwindelig vor
Angst, als sie plötzlich begriff, wie nahe sie daran gewesen war,
ihren eigenen Sohn zu töten. Wie ein Echo hallte die Stimme der
Ahnin durch ihren Kopf. Denn wenn du den Sieg willst, musst du
dafür deine Kinder aufgeben.
»Aber nicht auf diese Art.« Breaca hatte den
Gedanken unwillkürlich laut ausgesprochen, ohne es eigentlich
beabsichtigt zu haben.
Ardacos schüttelte den Kopf. »Ich bin hier, um ihn
zu beschützen. Ich hätte nicht zugelassen, dass du den Stein
wirklich nach ihm schleuderst.«
»Tatsächlich?« Mit einem raschen Blick schätzte sie
den Abstand zwischen ihr und Ardacos ein. Zwischen ihnen lagen etwa
zwei Speerlängen - und sie könnten wahrscheinlich noch den ganzen
Rest ihres Lebens damit zubringen, darüber zu diskutieren, ob diese
Entfernung tatsächlich kurz genug gewesen wäre, um Breaca von ihrem
tödlichen Steinwurf abzuhalten.
»Das verstehe ich nicht«, fuhr sie fort. »Warum ist
Cunomar denn hier? Und warum verfolgt er mich wie ein Späher, wenn
er doch einfach heranreiten und sich zu mir ans Feuer setzen
könnte?«
»So, könnte er das? Er jedenfalls sieht das anders.
Und deine Tochter glaubt sogar, dass du uns für immer verlassen
hast. Damit hat nun, zum ersten Mal übrigens, etwas deine Kinder
wirklich zusammengeschweißt - ihre Angst und ihre Trauer um den
Verlust ihrer Mutter. Sie wollen dich also entweder wieder nach
Mona zurückholen oder dich auf deiner Reise begleiten. Dein Sohn
glaubte, wenn er einfach auf dein Feuer zugeritten wäre, dann wärst
du verschwunden, noch ehe er dich überhaupt erreicht hätte. Und hat
er mit dieser Einschätzung etwa nicht Recht gehabt?«
Es war spät, und Breaca war müde. Außerdem hatte
sie sich noch immer nicht so ganz von der entzündeten Speerwunde
erholt. »Cygfa meint also, ich hätte Mona auf immer verlassen?«,
fragte sie. »Woher will sie das denn wissen?«
Ardacos fuhr einmal mit der Zunge über den Rand
seiner weißen Zähne. Er ließ ein Zischen der Missbilligung hören
oder auch der Verzweiflung. »Breaca, du hast zwei Töchter, und von
den beiden ist nicht etwa Cygfa die Träumerin, sondern Graine, dein
eigen Fleisch und Blut. Sie hat von deiner Verwundung geträumt, und
sie weiß, dass die Großmütter und die große Ahnin wollen, dass du
in den Osten reitest - den Grund aber, warum die Geister dich von
uns fortschicken, kennt Graine nicht. Sie wusste auch nicht, ob es
dir überhaupt schon wieder so gut gehen würde, dass du reisen
kannst.«
Er streckte die Hand aus und berührte die rot
angeschwollenen Ränder der langsam heilenden Wunde am Arm der
Bodicea. In mittlerweile wieder etwas sanfterem Ton sprach er: »Ich
habe dir schon einmal gesagt, dass du nicht allein jagen solltest.
Der Speer ist tief in das Fleisch eingedrungen.«
»Aber nicht übermäßig tief. Außerdem ist derjenige,
der den Speer geschleudert hatte, jetzt tot. Er...«
»Mutter?«
Irgendwann im Verlauf ihrer kurzen Unterhaltung
hatten Breaca und Ardacos aufgehört zu flüstern, und Cunomar, der
sie gehört hatte, hatte seine Pirschversuche aufgegeben. Er stand
in der Mitte der Lichtung und starrte in die Richtung, von der er
vermutete, dass Ardacos und seine Mutter sich dort aufhalten
müssten. Genauso wie Ardacos, so jagte auch er nackt, und der ein
Stück weiter am Himmel emporgestiegene Mond ließ sein Haar und
seine Haut hell aufleuchten. Auf so vielerlei Arten war er das
Ebenbild seines Vaters, und doch war er so ganz offensichtlich ein
vollkommen anderer Mensch.
Breaca konzentrierte sich für einen Augenblick ganz
auf jene kleinen Hinweise, die die von Caradoc weitervererbten
Wesenszüge verrieten, und versuchte auf diese Weise, den Gedanken
an den rot geäderten Katapultstein in ihrer Hand zu verdrängen.
Dann stand sie auf und begrüßte ihren Sohn mit einem Lächeln. »Ich
bin hier. Und wenn du bitte meinen Umhang von der Feuerkuhle ziehen
könntest, bevor er ganz verbrennt, dann kann ich ihn vielleicht
noch einige Nächte länger tragen.«
Ausdruckslos starrte Cunomar seine Mutter an. Im
Gegensatz zu Ardacos trug er sowohl die Kalkfarbe als auch das Fett
der Bärinnenkrieger auf seiner Haut. Und als ob er seine innere
Haltung auch wirklich ganz deutlich hervorheben wollte, hatte er
auf sein Gesicht immerhin so viel von der traditionellen Maske des
Bärenschädels gemalt, wie es einem Jungen, der noch nicht seine
drei langen Nächte in der Einsamkeit absolviert hatte, gerade noch
erlaubt war. Weiße Kreise umschlossen seine Augen, und schmale
Streifen zogen sich über die gesamte Länge seiner Wangenknochen
hinweg, wo sie in einem Dorn endeten, der bis zu seiner Stirn
hinaufreichte. Breaca hatte plötzlich das Gefühl, einen Fremden vor
sich zu haben; tatsächlich aber war Cunomar ihr bereits fremd
gewesen, seit er aus dem Schiff ausgestiegen war, das ihn von
Gallien herübergebracht hatte. Genau das hatte auch die Ahnin ihr
schon erklärt. Bislang aber hatte Breaca diese Wahrheit noch stets
bestritten. Jetzt und hier jedoch verstand sie die vielen
Schichten, die eine Wahrheit zuweilen ausmachten. Jetzt verstand
sie endlich, welchen Preis sie für den Sieg zu zahlen geschworen
hatte.
Und es ist besser, du verlierst sie jetzt an
Mona...
Leise wiederholte sie: »Cunomar? Du hast dich bei
meiner Verfolgung sehr geschickt angestellt. Wenn du jetzt bitte
meinen Umhang von der Feuerstelle nehmen könntest...?«
Er starrte sie noch einen Augenblick länger an,
dann ging er wortlos und mit steifen Schritten davon, um ihrer
Bitte nachzukommen. Weißer Rauch quoll in üppigen Wolken empor,
gefolgt von einem kräftigen Auflodern der mangels Sauerstoff schon
fast erloschenen Flammen.
»Ich danke dir. Hinter dem aufrecht stehenden Stein
neben deinem linken Fuß liegt etwas Feuerholz. Wenn du es in die
Flammen legen könntest, dann haben wir es wenigstens warm, während
wir uns zusammensetzen und du mir erzählst, wie du dich so nahe an
mich heranschleichen konntest. Die Späher der im Dienste der Römer
stehenden Coritani würden dich in Gold dafür entlohnen, wenn du es
ihnen verraten würdest.«
Breaca sprach, wie sie normalerweise mit einem Kind
sprechen würde, und das bemerkte auch ihr Sohn. Er hockte sich
neben die Feuerkuhle, und die Flammen erleuchteten die ganz und gar
nicht mehr wie von dieser Welt scheinende Bärenschädelmaske auf
seinem Gesicht - und in den Zügen unter der Farbe zeichneten sich
Groll und Misstrauen ab. Sein Blick huschte kurz zu der Schleuder
hinüber, die von Breacas Hand herabbaumelte, und verharrte für
einen Augenblick auf der Waffe.
»War es Ardacos, der dich davon abgehalten hat,
mich zu töten?« Es lag so viel Schmerz in dem Klang dieser
Worte.
Dein Sohn verzehrt sich nach deiner Liebe. Warum
schenkst du sie ihm nicht endlich? Aber um Liebe geben zu
können, musste zuerst einmal ein offenes, ehrliches Verhältnis
zwischen zwei Menschen bestehen, und es war lange her, seit Breaca
ihm gegenüber das letzte Mal ganz offen und ehrlich gewesen
war.
Breaca stand kurz davor, ihren Sohn endgültig zu
verlieren. Und in diesem Bewusstsein setzte sie sich auf einen
Stein und sprach mit ihm das erste Mal so, wie sie mit seinem Vater
gesprochen hätte. »Nein, nicht Ardacos war es, der mich davon
abgehalten hat, dich zu töten, obgleich er das wahrscheinlich getan
hätte. Sondern ich dachte mir, dass du vielleicht nur der Lockvogel
sein könntest, der vorausgeschickt worden war, um mich aus meinem
Versteck zu locken. Ich wollte warten, um herauszufinden, wer da
vielleicht noch hinter dir auftauchen würde.«
»Aber weil ich eben kein von den Römern bezahlter
Coritani-Späher bin, war derjenige, der hinter mir Wache gehalten
hatte, auch bloß Ardacos, der Beschützer der Kinder der Bodicea.
Und als Vater in der Schlacht an der Lahmen Hirschkuh gekämpft
hatte, hatte man Dubornos dazu abgestellt, auf mich aufzupassen. Da
der jetzt aber auf Graine Acht gibt, muss ich fortan eben von
Ardacos beschützt werden. Muss wohl für sie beide ziemlich ermüdend
sein.«
Breaca hielt den Blick starr in die Flammen
gerichtet, suchte nach möglichen Antworten und fand doch keine.
»Frag ihn doch einfach selbst«, entgegnete sie stattdessen.
»Während eurer Rückreise nach Mona wirst du ja sicherlich Zeit
genug finden, um die Antwort aus ihm herauszupressen.«
Ein Schatten gesellte sich zu ihnen. Selbst im
Schein eines Feuers schaffte Ardacos es noch immer, halb unsichtbar
zu bleiben. Er trug eine zu einem Bündel zusammengeschnürte
Bärenhaut bei sich, legte es zu Breacas Füßen nieder und erklärte:
»Das hier habe ich dir mitgebracht. Wenn du zu deinem Volk
zurückkehrst, um den Torques der Stammesführerin entgegenzunehmen,
solltest du besser nicht ohne diese Dinge hier erscheinen.«
»Woher willst du wissen, ob ich zurückkehre, um den
Torques entgegenzunehmen?«
»Einer der drei Kuriere von Efnís hatte Mona noch
lebend erreicht«, antwortete Ardacos. »Zwar fand er auf der
Überfahrt über die Meerenge den Tod, aber zumindest Airmid hörte
noch seine Botschaft und verstand damit auch, was Graines Träume
uns sagen wollten. Du kehrst zurück, um an Stelle von Tagos die
Herrschaft über die Eceni zu übernehmen; das heißt, falls Tagos
dich die Herrschaft übernehmen lässt. Und allein schon, um über
eine solche Möglichkeit auch nur nachdenken zu können, solltest du
sowohl deine Klinge als auch die Klinge deines Vaters bei dir
haben.«
Neben der Feuerkuhle schnürte er sein Bündel auf,
und auf dem glatt ausgebreiteten Leder der Bärenhaut lagen zwei
Schwerter; der Griff des größeren der beiden Schwerter mit dem
Motiv der ihre Jungen säugenden Bärin lag schräg auf dem Heft des
kleineren, das den Schlangenspeer zeigte, so dass die beiden Muster
miteinander zu verschmelzen schienen und zu einem neuen Symbol
wurden. Eburovics Bärinnenklinge trug die Seele der Ahnen in sich,
jener Generationen von Ahnen, die viel zu viele waren, als dass man
sie noch hätte zählen können; der Verlust dieser Klinge war eine
der vielen Quellen ihres Schmerzes gewesen. Die Klinge mit dem
Schlangenspeer aber hatte Breaca einst in sämtliche Schlachten
mitgenommen, die sie jemals gekämpft hatte - und sich der Trauer
über den Verlust dieser Waffe hinzugeben, hatte sie gar nicht erst
gewagt.
Nun griff sie über die Feuerkuhle hinweg, hob die
Schlangenklinge hoch und spürte die leichte Erregung des Todes, die
dieses Schwert stets in sich trug. Darauf folgte ein tiefer
Frieden, den Breaca eigentlich gar nicht vermisst hatte - bis sie
ihn jetzt wieder in sich fühlte. »Ich danke dir, Ardacos. Bei
einigen Dingen ist es mir ziemlich leicht gefallen, sie
zurückzulassen. Dieses Schwert hier gehörte allerdings nicht
dazu.«
»Aber uns zu verlassen ist dir leicht gefallen?«
Ardacos’ Stimme klang gepresst, als er seine Frage an sie richtete.
Auf seine Art war er ebenso tief verletzt wie Cunomar. Er war einst
Breacas Liebhaber gewesen, nach Airmid und vor Caradoc. Und er
hatte geglaubt, dass sie ihm stets alles anvertraut hätte.
»Aber nein, natürlich nicht. Wie kannst du so etwas
auch nur denken? Doch ich wollte dich eben auch nicht darum bitten,
eines Tages an einem römischen Galgen zu baumeln. Und das alles
nur, weil ich dich bei mir haben wollte, um...«
Unter einem ungeschickt platzierten Fuß brach
knackend ein kleiner Zweig. Doch sie waren allesamt Krieger, sogar
Cunomar; und noch ehe die zerrissene Stille sich wieder um sie
schließen konnte, hatten sich alle drei bereits in die Dunkelheit
jenseits der Feuerkuhle zurückgezogen. Wieder einmal lag Breacas
Umhang über dem Feuer und verhüllte das Leuchten der Flammen. Die
Wolle dampfte, und schneller als beim ersten Mal stiegen auch schon
die ersten Rauchwölkchen von dem Stoff auf. Nur undeutlich war
wahrzunehmen, wie daraufhin die Klingen von drei Messern durch das
Mondlicht fuhren.
Noch einmal knackte der Zweig, und schließlich noch
ein drittes Mal, und endlich wurde deutlich, dass er nicht durch
Zufall zerbrochen worden war, sondern mit Absicht, als eine Art
Zeichen.
»Gehört deine Familie jetzt also schon zu deinen
Feinden?« Die Stimme erschallte von einer Stelle zwischen den
Bäumen, und es war die Stimme jenes Menschen, der zwar nicht zu
Breacas Blutsverwandtschaft gehörte, wohl aber zu der
Verwandtschaft ihres Herzens, und sie klang amüsiert und so, als ob
sie sich eines herzlichen Willkommens bereits gewiss sei. Mit hell
schimmerndem Haar und erfüllt von der Lebendigkeit der Nacht führte
Cygfa ihr Pferd auf die Lichtung.
»Stell dir vor, da hat man doch tatsächlich einfach
deine Träumerin ohne ihre Kriegerin zurückgelassen - und deine
Tochter ohne ihre Mutter. Also habe ich geschworen, dass ich sie
beide entweder zu dir bringen würde oder dich zurück zu ihnen.
Damals war ich mir allerdings noch nicht im Klaren darüber gewesen,
wie schwer es werden würde, dich aufzuspüren. Wenn Ardacos dir also
nicht bereits auf die Schliche gekommen wäre und vor ihm sogar noch
Cunomar, dann hätte ich dich wohl nie gefunden. Im Übrigen solltest
du jetzt mal dringend deinen Umhang vom Feuer nehmen. Der ist doch
noch viel zu gut, um ihn jetzt hier verkohlen zu lassen.«
Cygfa war ganz und gar die Tochter von Caradoc. Ihr
träges Lächeln, mit dem sie ihren Worten den Stachel zu nehmen
wusste - und ihnen damit eine andere, noch viel schwerer zu
ertragende Bedeutung verlieh -, war genau wie das seine. Zwölf
Herzschläge lang blieb die junge Kriegerin allein in dem klaren
Mondlicht stehen, und Breaca hatte gerade noch Zeit genug, um ein
kurzes Gebet an Briga und Nemain zu senden und sie anzuflehen,
nicht auch noch die schlimmste ihrer Befürchtungen wahr werden zu
lassen - doch vergebens. Denn da erzitterten auch schon die Buchen,
und zwischen ihnen traten Airmid und Graine hervor. Die Nacht
schien plötzlich still zu stehen. Es wäre um so vieles besser
gewesen, wenn sie die Höhle niemals verlassen hätte.
»Airmid...«
Doch sie waren nicht allein gekommen. Airmid schien
neben sich ein Wesen festzuhalten, von dem bisher nur eine
verschwommene Kontur zu erkennen war. Dann ließ sie den Schatten
los, und er sprang in großen Sätzen auf Breaca zu. Ein Hund weiß
nichts von den oft nur schwer zu entschlüsselnden Botschaften der
Ahnen und von den Visionen, die diese den Menschen schicken. Stone
jedoch, der letzte und zugleich beste aller Nachkommen des
Kampfhundes Hail, hörte den Schmerz in der Stimme jener Frau, die
er von allen Menschen am innigsten liebte, und er wusste, dass nur
er allein diesen Schmerz lindern konnte.
Zumindest diesen Hund durfte Breaca nun ja wohl
willkommen heißen, ohne den ihr von den Ahnen in Aussicht
gestellten Sieg schon im Voraus komplett zu vereiteln. Der Schmerz
aber, den Breaca jetzt spürte, war noch größer als der bei Caradocs
Gefangennahme. Sie kniete nieder und breitete die Arme aus. Stone
durchmaß die letzten Meter der Lichtung in einem solchen Tempo, als
ob er gerade an einer Hetzjagd teilnähme. Breacas gesamte Familie,
sowohl ihre Familie in Fleisch und Blut als auch die nur noch im
Geiste bei ihr weilenden Mitglieder, schauten zu, als die Bodicea
die Hände in der Mähne ihres Kampfhundes vergrub und neben den
beiden ein wollener Umhang sich in dicke Rauchwolken aufzulösen
begann.
Es war schließlich Graine, die den Umhang ihrer
Mutter von der Feuerkuhle wegzog. Doch sie war noch zu klein, um
ihn ganz hochheben zu können. Die angesengte Wolle fiel über sie,
während der untere Teil des Umhangs auf dem Boden schleifte. Dicht
an ihrer Schulter stiegen kleine Rauchwölkchen empor. Das Feuer,
das an dieser Stelle geschwelt hatte, loderte unter der erneuten
Zufuhr von frischer Luft wieder auf. Hell erleuchtete der
orangerote Schein der Flammen die eine Seite ihres Gesichts,
während er die andere Hälfte in Dunkelheit tauchte. Bemalt mit
einem Muster aus Licht und Schatten, presste Graine energisch die
Lippen zusammen und spannte die Züge ihres kleinen Gesichts an. Sie
wollte nicht weinen.
»Wir alle haben dich gefunden«, erklärte sie, für
den Fall, dass das noch nicht offensichtlich gewesen sein sollte.
»Ich habe von den Birken geträumt, und Cygfa hat dann deine Fährte
entdeckt. Und als wir in deine Nähe gekommen sind, war Airmid
diejenige, die merkte, dass Cunomar schon hier war.«
Breitbeinig stand sie nur eine Speerlänge von ihrer
Mutter entfernt und hielt ihre kleinen Kinderfäuste fest an die
Brust gepresst. Die Tochter der Bodicea würde niemals in Gegenwart
anderer Tränen vergießen. Die vorausschauende Träumerin hingegen,
die schon um den Schmerz geweint hatte, den ihre Mutter nun gerade
empfand, als sie noch einen ganzen Tagesritt von Breaca entfernt
gewesen waren, und die auch geträumt hatte, wie ihre Mutter sich
daraufhin in einem Wald versteckte - diese Träumerin durfte nun
durchaus weinen.
Diese beiden unterschiedlichen Seiten ihres Wesens
lieferten sich in Graines Innerem nun einen so erbitterten Kampf,
dass dem kleinen Mädchen tatsächlich die Tränen in die Augen
stiegen - doch sie weigerte sich, sie hinunterkullern zu lassen.
Graine trat einen Schritt zurück, bis sie gegen Airmid stieß, die
dicht hinter ihr gestanden hatte, und ließ Trost suchend ihre
kleine Hand in die der Träumerin gleiten.
In Breacas Nacken richteten sich die feinen Härchen
auf. Irgendwo in weiter Ferne erschallte das Lachen der
Ahnin.
… es ist besser, du verlierst sie jetzt an Mona,
wo man sie liebt...
Wie ein Messer schälte die Erkenntnis der Wahrheit
nun auch noch die letzten Illusionen aus Breaca heraus. Selbst als
sie ihre Bedeutung noch gar nicht voll und ganz verstanden hatte,
hatte sie die Logik der Ahnin bereits nachvollziehen können: Für
die Menschen, die sie liebte, war es weitaus besser, wenn sie
umsorgt im Westen blieben, als wenn Breaca ihrer aller Leben in den
zerstörten Ländern des Ostens aufs Spiel setzte; dort, wo die
Kinder letztendlich den Preis der Niederlage zahlen mussten,
eingesperrt in einen Sklavenpferch. Nun, da sie die Wahrheit mit
einer solchen Klarheit erkannte, da sich die Erkenntnis sowohl in
Cunomar als auch in Graine unmissverständlich widerspiegelte, waren
alle vorherigen Zweifel mit einem Mal verflogen, brachen sämtliche
Trugbilder in sich zusammen.
Breaca erhob sich, wollte ihnen all dies erklären,
und musste feststellen, dass dort, wo sie gerade eben noch Graine
gesehen hatte, nun Airmid stand. Mit einem Mal war es ihr
unmöglich, noch irgendetwas zu sagen. Langsam sank sie wieder zu
Boden.
Airmid stand vollkommen reglos da. Die Träumerin
war so hoch gewachsen, wie das Kind es mit Sicherheit niemals sein
würde; einige bereits ergraute Strähnen in ihrem Haar leuchteten im
hellen Schein des Feuers auf, und das über Airmids Brauen
verlaufende Stirnband schimmerte, als ob es mit den Schuppen eines
noch lebenden Lachses bestickt wäre. Um ihren Hals schmiegte sich
eine Kordel mit versilberten Froschknochen, dem äußeren
Erkennungszeichen ihres Traumsymbols. Im Licht der Flammen
erschienen ihre Augen wie dunkle Tunnel.
Als ob sie beide ganz allein wären, sagte sie:
»Breaca, was hat die Ahnin dich sehen lassen?«
Sie beide kannten sich seit ihrer Kindheit, waren
die beiden Hälften der gleichen Seele. Selbst Caradoc hatte sich
nicht zwischen sie drängen können. »Weißt du es denn noch nicht?«,
erwiderte Breaca.
»Ich möchte es aber lieber noch einmal von dir
hören.«
»Ich habe ein komplett verwüstetes Land gesehen.
Die Rundhäuser waren abgerissen worden, um ihre Balken zu Feuerholz
zu machen. Auf den Koppeln wuchs kein Futter mehr, die Tiere waren
an Hunger eingegangen. Ich habe einen Pferch voller Kinder gesehen,
man hatte sie zu Sklaven gemacht. Sie weinten Tränen aus Gold, und
ihre verhungernden Eltern fingen die Tränen in ihren bloßen Händen
auf, als wären sie wertvolles Getreide. Dann - das war das Geschenk
der Ahnin an mich - sah ich auf einer Hügelkuppe eine Schlacht
toben. Der römische Adler war zerschlagen worden, und über ihm
schwebte der Schlangenspeer. Die Ahnin sagte, wenn ich in den Osten
ginge und es mir gelänge, die Krieger noch einmal zum Kämpfen zu
bewegen und ihnen Mut und Zuversicht einzuflößen, wenn ich es
schaffen sollte, sie mit Waffen auszustatten, und wenn ich unter
ihnen einen finden sollte, der ebenfalls noch eine Vision hat und
der genügend Mut besitzt, um die Krieger in die Schlacht zu führen
- wenn ich all das schaffte, dann wäre es möglich, das Blatt der
Geschichte zu wenden und die römische Flut wieder
zurückzudrängen.«
Sie sagte jedoch nicht: »Und in den Sklavenpferchen
sah ich Graine.« Dieser Teil der Vision gehörte ganz allein ihr,
und so sollte es auch bleiben. Ein Bild, das man noch nicht in
Worte gefasst hatte, konnte man immer noch wieder seiner Macht
berauben.
Die über der Lichtung schwebende Luft wurde kühler,
und das Mondlicht strahlte klarer. Keiner bewegte sich, niemand
sprach. Keine der beiden Visionen ließ noch irgendwelche Fragen
offen; es gab keinen Spielraum mehr für Interpretationen. Es blieb
ihnen nur noch darüber zu entscheiden, wie sie die beiden
Traumbilder miteinander verknüpfen sollten. Stone winselte und
drückte sich seitlich an Breaca, schob seine Schnauze unter ihre
Hand. Auch Graine trat an ihre Seite und lehnte sich gegen sie, so
dass nun sowohl das Gewicht des Hundes als auch das ihres Kindes
gegen die gerade abheilende Speerwunde auf ihrem Arm drückten. Doch
es lag ein merkwürdiger Trost in diesem Schmerz. Breaca wich nicht
zur Seite.
Cunomar war der Erste, der sich wieder rührte. Er
schaute nicht zu seiner Mutter hinüber, sondern befestigte
stattdessen sein Messer an seinem Gürtel und hockte sich dann neben
die Feuerstelle. Er legte einige kleine Holzspalte in die Flammen,
um dem Feuer sowohl Wärme als auch Licht zu entlocken, ohne dabei
jedoch Rauch zu verursachen.
Auch Airmid trat nun näher an die Flammen heran. An
Breaca gewandt sagte sie leise: »Dann hattest du also vor, die Welt
ganz allein aus den Angeln zu heben. Hast du denn noch immer nicht
begriffen, dass du, wenn du es jetzt ganz allein mit Tagos
aufnehmen willst, dabei höchstens dein Leben verlierst? So viel
zumindest hat Efnís’ Kurier uns nämlich noch verraten
können.«
»Aber Efnís irrt sich«, widersprach Breaca. »Er
vergisst, dass Tagos ein Mann ist, der noch vor seinem Stolz von
seiner Gier geleitet wird.«
»Was?« Airmid lachte spöttisch. »Dann willst
du dich ihm also quasi opfern, willst seine Gier stillen?« Niemals
zuvor hatte die Ahnin es geschafft, ihren Zorn auf so schmerzhafte
Art und Weise durch einen anderen gegen Breaca zu lenken.
Fünf Tage in der Höhle und drei Tage auf dem Rücken
ihres Pferdes hatten Breaca genügend Zeit verschafft, um sich
sämtliche möglichen Arten, mit Airmid aneinander zu geraten, einmal
vorzustellen. Nicht ein einziges Mal aber hatte sie an eine solch
öffentliche, so unvorhergesehene Auseinandersetzung wie diese hier
gedacht. Sie erhob sich und schob langsam den Hund und das Kind
beiseite, die sich noch immer an sie zu schmiegen versuchten. Es
war schon immer einfacher gewesen, sich mit Airmid im Stehen
auseinander zu setzen. »Wie sonst soll Rom mich denn akzeptieren,
wenn nicht als seine Gemahlin?«, fragte sie.
»Aber gerade wenn sie dich tatsächlich akzeptieren
sollten, würden sie auch deine Kinder akzeptieren, als ob es die
seinen wären. So sehen es die Römer nun einmal. Die Kinder eines
Mannes müssen für sie nicht zwangsläufig seine leiblichen Kinder
sein.«
Während sie innerlich darum rang, das bislang
offenbar nur für sie Offensichtliche noch klarer zu vermitteln,
entgegnete Breaca: »Aber sie wären dort trotzdem nicht in
Sicherheit, und auch du wärst dort nicht geschützt. Die Kinder, die
in der Vision der Ahnin vorkamen, waren allesamt versklavt worden,
und ihre Eltern verhungerten. Und es gab keine Träumer mehr: Sie
waren alle tot. Ich würde also niemals von dir verlangen, dass wir
den Weg gemeinsam gehen, und ich erlaube dir auch nicht, dass du
jetzt so etwas von mir erwartest. Außerdem haben die Entscheidung
darüber doch ohnehin die Götter getroffen und nicht etwa ich.
Allerdings - ich habe für mich beschlossen, ihre Entscheidung
anzunehmen.«
»Allerdings - auch wir, die wir nicht zu den
Göttern gehören, treffen unsere Entscheidungen, und die sehen nun
einmal anders aus.«
»Nein.«
»Es liegt doch gar nicht in deiner Macht, uns
aufzuhalten.«
»Airmid, würdest du mir bitte endlich einmal
zuhören? Ich werde euch nicht mit in den Osten nehmen, nur um
hilflos zusehen zu müssen, wie man euch dort an die Kreuze nagelt -
jetzt nicht und auch nicht zu irgendeinem späteren
Zeitpunkt.«
Wenn Breaca sie zuvor bereits schon schockiert
haben mochte, verschlug es ihnen jetzt geradezu die Sprache. Das
Instrument der Kreuzigung war im Westen noch nicht allzu
verbreitet, ganz so, als ob Rom sich diese grausamste aller
Bestrafungen noch für einen späteren Zeitpunkt aufsparen wollte,
wenn es sie wirklich gebrauchen konnte. Und wer immer als
Erwachsener noch bei Verstand war, erwähnte sie mit keinem Wort -
als ob sie sich davor fürchteten, die Zeit, da die Kreuzigungen
auch im Westen begannen, damit näher zu bringen.
Ardacos und Cygfa, die am Rande des Feuerscheins
standen, machten hastig das Unheil abwehrende Zeichen. Kalkweiß und
zitternd sagte Airmid: »Und meinst du etwa, wir würden dasselbe
gerne über dich erfahren, dass du ganz allein am Kreuz gestorben
bist?«
Trotz ihres bebenden Körpers zitterte Airmids
Stimme kein bisschen; sie war eine Träumerin, und die Übung verlieh
ihr Disziplin. Lediglich ihr Ton wurde plötzlich immer lauter und
schriller, bis sich schließlich nicht mehr verbergen ließ, dass es
nicht Zorn war, der in Airmid aufwallte, sondern dass ein Kummer
aus ihr hervorbrach, der kaum mehr zu ertragen war und den sie
schon zu lange Zeit für sich hatte behalten müssen.
Eine Wolke verdunkelte den Mond. Die Lichtung
schien sich enger um sie zu schließen, erhellt nur noch von dem
verschwommenen Bernsteingelb der Flammen. Diejenigen, die am Rande
des Feuerscheins standen, schienen zu noch weniger zu verschwimmen
als einem bloßen Schatten. Airmid stand zwei Schritte von Breaca
entfernt, dicht genug, um sie berühren zu können. Die Hitze, die
von ihrer Haut ausstrahlte, war stärker als die lediglich aus der
Ferne liebkosende Glut des Feuers. Aus ihrem Umhang stieg der
Geruch von Kräutermischungen auf und verwob sich mit dem vom Meer
aufsteigenden Nebel und dem Schweiß der Pferde, und doch vermochte
er nicht den Duft von Airmid selbst zu überlagern, der sich die
ganzen Jahre über nie verändert hatte. Airmid wartete, regungslos,
und plötzlich schienen Breaca und sie wieder Kinder zu sein, die
die ersten Regeln der Liebe lernten; doch sie waren Erwachsene und
kannten bereits den niemals endenden Schmerz des Verlusts; und sie
waren allein, umgeben von Freunden, die sie nicht stören würden.
Alles, was Breaca nun tun musste, war, die Hand auszustrecken, die
Kluft zwischen ihnen zu überbrücken - und die Welt würde nicht mehr
länger die sein, die sie gewesen war, seit Breaca aus der Höhle
herausgetreten war und den Stein der Ahnen sauber geschrubbt hatte,
um damit ihre Schuld zu begleichen.
Irgendwo schnaubte leise ein Pferd, es war jedoch
nicht Breacas Stute. Stone, den sie in der Zwischenzeit schon
wieder ganz vergessen hatte, nahm plötzlich eine steife Haltung an
und stupste gegen ihre Hand. Breaca riet und fragte: »Dubornos?«
Und stellte dann fest, dass sie in einer Nacht, in der sie sich nur
allzu oft geirrt hatte, wenigstens dieses eine Mal Recht behalten
sollte.
Am Rande der Lichtung stand ein schlanker,
rothaariger Mann - und irgendwie hatte sie ihn bereits erwartet; er
war das letzte noch fehlende Puzzleteilchen gewesen, das das Muster
vervollständigte und ihre Familie im Geiste komplett machte.
Gemeinsam mit Cygfa und Cunomar war Dubornos damals
von den Römern gefangen genommen und zwei Jahre lang in Rom
festgehalten worden. Im Gegensatz zu Ersteren hatte er allerdings
ebenso viele körperliche Narben davongetragen wie seelische. Man
hatte ihm sämtliche Finger der einen Hand gebrochen, und an jenen
Stellen, an denen die Fesseln ihn in die beiden Handgelenke
geschnitten hatten, waren die Sehnen nur noch sehr schwach. Statt
mit dem schweren Schild und dem Langschwert, die er beide nicht
mehr tragen konnte, kämpfte er nun also bloß noch mit einem langen
Messer und der Steinschleuder.
Groß, dünn und melancholisch wie Dubornos war,
hatte er sein gesamtes Leben seit seiner Kindheit der strengen
Ausbildung und den Regeln der Sänger gewidmet. Die Schlachten aber
hatten ihn auch zu einem Krieger gemacht, und schon lange hatte er
die Rolle des Beschützers der Kinder der Bodicea auf sich genommen.
Es war also unvorstellbar, dass Graine Mona hätte verlassen können,
ohne dass er davon erfahren hätte und ohne dass er ihr gefolgt
wäre.
Er trat einen Schritt von dem Baum fort, an den er
sich gelehnt hatte, und es wurde klar, dass seine Gegenwart
zumindest für die anderen Anwesenden keineswegs eine Überraschung
war. Wahrscheinlich hatte man ihn dazu eingeteilt, auf die Pferde
Acht zu geben, und ohne guten Grund hatte er sie jetzt sicherlich
nicht verlassen. Cygfa fragte ihn denn auch sofort: »Sind es etwa
die Legionen?«
»Wer denn sonst? Die Späher der Coritani haben
deine Fährte schon gestern verloren, und Breacas Fährte war ihnen
ja ohnehin nicht aufgefallen, aber Rom hat auch noch eine
Fährtenleserin vom Stamm der Ordovizer in seinem Dienst stehen, und
die ist aus einem ganz anderen Holz geschnitzt.«
Cygfa war ebenfalls eine Angehörige des Volkes der
Ordovizer, und ihre Mutter war die Anführerin des Stammes gewesen,
bis auch sie von den Römern gefangen genommen worden war. Mit
blitzenden Augen widersprach Cygfa: »Kein einziger von den Kriegern
der Ordovizer würde Geld von den Römern annehmen. Ganz egal, wie
viel Gold man ihnen anbieten würde, die Ordovizer lassen sich nicht
einfach kaufen!«
»Nein. Und das wissen sogar die Römer. Aber sie
haben der Frau ja auch kein Gold angeboten, sondern sie haben ihre
Kinder als Geiseln genommen. Und sollte es ihr nicht gelingen, die
Bodicea aufzustöbern, dann wollen sie zu jedem Vollmond eines ihrer
Kinder töten. Eines von ihnen ist bereits tot. Zwei leben noch. Und
die will sie nicht auch noch hängen sehen.«
Immer wieder die Kinder. Man könnte jetzt
sicherlich die Götter fragen, warum sie es zuließen, dass solche
Dinge passierten, aber damit würde man nur Zeit verlieren und
bekäme wahrscheinlich auch keine aufschlussreichere Antwort als
die, die man bereits erhalten hatte. »Hast du schon mit ihr
gesprochen?«, fragte Breaca.
»Nein. Aber heute Morgen in der Dämmerung habe ich
sie in ihrem Lager belauscht. Sie sprach übertrieben laut mit den
Spähern der Coritani. Ich glaube, sie wusste, dass ich da
war.«
»Wie viele Römer bringt sie mit?«, fragte
Ardacos.
»Vier Zenturien der Zwanzigsten Legion und achtzehn
Jäger vom Stamme der Coritani und...«, damit verbeugte Dubornos
sich in die Richtung von Cygfa, »... eine ordovizische Kriegerin,
die so viel wert ist wie zwanzig von ihnen.«
»Wie weit...«, setzte Breaca gerade an, doch dann,
mit einer Aufwallung von Bitterkeit, sagte sie: »Sie sind
hier.«
Sanft strich ein Windhauch durch ein nahe gelegenes
Tal - nur, dass es hier keine Täler gab. Die Legionen hatten es
also noch immer nicht verstanden, dass eine Tarnung, die im einen
Teil des Landes gute Dienste leistete, in einem anderen Teil noch
lange nicht funktionieren musste. Wenn dieses Geräusch, dieses
Rauschen, also plötzlich in bewaldetem Gebiet ertönte, dann war das
gleichbedeutend mit einem Fanfarenstoß, mit der die eine römische
Zenturie die andere benachrichtigte.
Doch in der Aussicht auf Kampf lag auch ein
gewisser Trost. Innerhalb dieses winzigen Augenblicks, in dem die
Zeit für einen Moment still zu stehen schien, war Airmid bereits
vergessen. Breaca tastete nach ihrem Hund und stellte fest, dass
Stone bereits kampfbereit an ihre Seite geglitten war. Das raue
Fell auf seinem Rückgrat hatte sich aufgerichtet, und er zitterte
bereits vor lauter Verlangen, endlich wieder kämpfen zu dürfen.
Ihre Klinge lag noch immer auf der Erde, an genau jener Stelle, wo
Ardacos sie hingelegt hatte. Breaca bückte sich nach der Waffe,
bemerkte dann jedoch, dass Airmid sie bereits aufgehoben hatte und
sie ihr nun mit dem Heft voran hinhielt.
»Sie sind deinetwegen gekommen«, sagte Airmid, »und
zwar nur deinetwegen. Und das mit ganzen vier Hundertschaften von
Männern. Wenn du also den Wunsch haben solltest, eines sauberen
Todes zu sterben, dann könnte dies die richtige Nacht dafür sein.
Wenn du aber willst, dass deine Kinder überleben sollen, dann
kämpfst du jetzt besser nicht, sondern bringst sie stattdessen in
Sicherheit. Beides jedenfalls kannst du nicht haben.«
Doch Breaca schüttelte den Kopf. »Ich kann euch
nicht mit nach Westen nehmen. Sie werden doch bestimmt sämtliche
Straßen, die in Richtung Mona führen, überwachen.«
»Natürlich. Also musst du uns in den Osten
mitnehmen, zumindest fürs Erste.« Airmid lächelte trocken. »Ich
habe um all dies wirklich nicht gebeten, und ich habe es auch
bestimmt durch nichts heraufbeschworen, das schwöre ich.«
»Ich weiß. Und auch ich will dich jetzt nicht auf
diese Weise verlieren.« Ihr ganzes Leben hindurch hatte Breaca
gelernt, in der Gefahr des Krieges selbst dann noch logisch und
nüchtern zu denken, wenn andere dies schon nicht mehr vermochten.
Das war ihre Gabe, und sie hütete sie gut, selbst in diesem
Augenblick, als die scheinbare Sicherheit, die die klare Vision der
Ahnin vermittelt hatte, in sich zusammenbrach und plötzlich keinen
Sinn mehr zu ergeben schien. An Dubornos gewandt fragte sie: »Eure
Pferde, sind sie weit weg?«
»Wir könnten sie noch rechtzeitig erreichen.«
»Gut. Ich habe das Pferd des Kuriers bei mir. Das
wird sie erst einmal für eine Weile ablenken. Und wenn ich dann
noch meinen Umhang auf seinen Rücken lege, auf den ja immerhin das
Zeichen des Schlangenspeers gemalt ist, kann die Kriegerin der
Ordovizer ihnen vielleicht wenigstens damit beweisen, dass sie sie
zu der Bodicea geführt hat. Ardacos?«
Der kleine Krieger rannte bereits los. »Das
übernehme ich, und ich nehme auch Graines Pony mit. Gib Graine
dafür mein Pferd. Es ist besser als ihr Gaul.«
Ardacos wollte offenbar allein aufbrechen, doch
wenn er sterben sollte, würden sie noch nicht einmal erfahren, wann
oder wie er den Tod gefunden hatte. Breaca befahl also: »Cygfa.
Begleite ihn. Kämpfe, wie auch die Bärinnenkrieger kämpfen.«
Die Bärinnen hielten sich nicht an den Ehrenkodex
der Krieger, sondern griffen, wenn nötig, auch von hinten an - und
damit keiner von ihnen lebend den Legionen in die Hände fallen
würde, töteten sie diejenigen von ihren Leuten, die im Kampf zu
stark verwundet worden waren, um noch fliehen zu können. Denn das
war wahrlich die bessere Alternative.
Auch Cygfa war bereits im Aufbruch begriffen. Sie
schenkte Breaca ein flüchtiges Grinsen. »Danke. Ich werde schon
darauf Acht geben, dass er den nächsten Morgen noch erlebt. Und tu
du das Gleiche für die anderen.«
Damit war auch Cygfa verschwunden, und jene, die
noch übrig waren, trieben ihre Pferde zusammen; sie waren drei
Erwachsene, ein Kind und Cunomar, der weder das eine noch das
andere war und der sich nichts sehnlicher wünschte, als wie die
Bärinnenkrieger zu kämpfen. Ihre Tiere waren allesamt kampferprobt,
und bis auf Graine konnten sie alle auch im Galopp auf ein Pferd
springen. Über das Scharren der Hufe hinweg ertönte aus den Bäumen
noch einmal Cygfas Stimme: »Wo treffen wir uns?«
Ein Teil von Breaca hatte so etwas bereits
vorausgesehen, also antwortete sie: »Dort, wo das Land der Cornovii
an das Land der Ordovizer grenzt, an der Stelle, wo die vier Flüsse
zusammenfließen. Ardacos kennt das Gebiet. Bete darum, dass er
überlebt, um dich dorthin zu führen.«