III
Die Leiche des Kuriers trieb den Fluss hinab, der
durch die Höhle floss, über Wasser gehalten nur noch von seiner
Tunika und seinem Mantel.
Breaca war keine Sängerin; Monas Gesetze, die
Gesetze der Götter und der Ahnen, erlaubten es ihr also nicht, die
Totenklage für einen Verstorbenen anzustimmen, doch sie durfte die
Anrufung zumindest aussprechen, und das tat sie dann auch. Erst an
der Stelle, an der sie eigentlich laut den Namen des Verstorbenen
hätte sagen müssen, erkannte sie, dass sie ihn gar nicht wusste.
Die Strömung trug den Kurier unterdessen über den Lichtkegel des
Feuers hinaus. Breaca hörte noch, wie seine Tunika an irgendetwas
entlangschleifte und dann an den Felsen zerriss.
Sein Geist hatte den großen Fluss bereits überquert
und war in das Land jenseits des Lebens geglitten. Er folgte einem
Ruf, den nur er hören konnte. Es hatte einmal eine Zeit gegeben,
als Breaca keine Geister mehr gesehen hatte - ausgenommen die ihrer
eigenen Familie, und auch das nur noch während der Schlachten, wenn
die Wände zwischen den beiden Welten am dünnsten waren. Jetzt aber
sah sie den Geist eines jeden Kriegers, der niedergemetzelt worden
war, den Geist eines jeden Legionärs, eines jeden von der roten
Ruhr niedergestreckten Mannes. Nur den Geist ihrer Schwester Silla
hatte sie noch nicht gesehen, und deshalb war sie jetzt
überrascht.
Breaca starrte in die flüssige Schwärze des Flusses
und bemühte sich angestrengt, sich an das Mädchen zu erinnern, um
dessen Hals sie einst den goldenen Torques gelegt hatte, der sie
damit als Anführerin der Eceni ausgewiesen hatte.
Ohne dass sie darum gebeten hatte, erschienen vor
Breacas geistigem Auge zunächst einige Bilder von Bán. Direkt nach
ihm stiegen aber auch wieder die Erinnerungen an Silla auf; und
daran, wie Bán und Silla sich damals als Kinder ein Bett im
Rundhaus geteilt hatten, sich wie junge Welpen um ihren Anteil an
den Schlaffellen balgten und um die Hunde, die sie beide die Nacht
über warm hielten - und wie Bán und Silla dann schließlich doch
dicht aneinander gekuschelt eingeschlafen waren. Doch diese
Balgereien hatten weniger als ein Jahr gedauert, dann war Hail
gekommen, der große, gescheckte Kampfhund mit den an Hagelkörner
erinnernden Sprenkeln im Fell, die sich über seinen gesamten Körper
verteilten. Von da an hatte es keine Fehden um Felle oder Hunde
mehr gegeben. Denn von dem Augenblick seiner Geburt an war Hail
Báns Hund gewesen …
Doch es tat nicht gut, sich an Hail zu erinnern. An
sein Leben zu denken bedeutete nämlich, zugleich auch an seinen Tod
zu denken, und in dieser Erinnerung lag einfach zu viel
Schmerz.
Zu spät erst schloss Breaca die Augen. Aus den
Pforten, die sich nun plötzlich wieder geöffnet hatten, ergoss sich
eine ganze Flut von Erinnerungen; Erinnerungen an Silla, die
rittlings auf dem angeblich nicht zu reitenden rotgrauen
Hengstfohlen ihres Vaters saß, mit Bán hinter ihr, der die Arme um
ihre Taille geschlungen hatte und gleichzeitig das wilde,
unberechenbare Tier zu einem Galopp drängte, um zu sehen, wie mutig
Silla wirklich war. Es stiegen Bilder auf von Bán, wie er Silla
beibrachte, eine Schlinge zu werfen, um damit das Hengstfohlen
einzufangen, oder wie sie am besten einen Speer schleuderte. Und
dann erinnerte Breaca sich noch an Augenblicke, in denen Bán
einfach nur er selbst gewesen war, Bán, das zurückhaltende, ernste
Kind, das dieses verblüffend strahlende Lächeln besaß und dessen
Träume und Visionen es mühelos mit denen der Großmütter aufnehmen
konnten - Bán, der eines Tages ein ebenso mächtiger Träumer werden
sollte, wie Airmid es war.
Und schließlich, denn ein Kind bleibt nun einmal
nicht auf ewig ein Kind, sondern wächst zu einem Erwachsenen heran,
war es unmöglich, nicht auch an jenen verzweifelten, gebrochenen
Mann zu denken, der sich nun Valerius nannte und der, als Breaca
ihn das letzte Mal gesehen hatte, auf dem Deck eines Schiffes aus
Gallien gelegen, seine Eingeweide in die See erbrochen und Breaca
darum angefleht hatte, ihn doch bitte auf saubere und anständige
Weise ins Jenseits zu befördern.
Diese Erinnerungen schmerzten, und Breaca hatte sie
keineswegs willentlich heraufbeschworen. Früher, als sie noch
glaubte, ihr Bruder sei gestorben, war es einfacher gewesen,
damals, als sie noch über die Träumer gewacht hatte, während diese
die vielen Wege in den Ländern jenseits des Lebens abgesucht
hatten, um Báns Seele zu finden und ihn zurückzugeleiten in die
Obhut Brigas.
Doch sie waren erfolglos geblieben - natürlich -,
denn Báns Seele war nicht verloren gewesen, sondern hatte mit
geradezu verzehrender Hitze in dem Herzen und dem Geist eines
Mannes weitergelebt, der zu der Zeit bereits auf der Seite Roms
kämpfte. Die Entdeckung, dass Bán doch noch am Leben war und dass
ausgerechnet er jener Dekurio der thrakischen Kavallerie gewesen
war, die die Dörfer der Eceni nach der römischen Invasion über zehn
lange Jahre in Angst und Schrecken versetzt hatte, war nur einigen
wenigen anvertraut worden. Efnís wusste davon, doch hätte er diese
Tatsache ohne zwingende Notwendigkeit niemandem weitererzählt. Es
war also durchaus möglich, dass Silla gestorben war, ohne je die
Wahrheit erfahren zu haben, sondern in dem Glauben, dass Bán
bereits vor ihr gegangen war. Der Gedanke, wie sie nun das Land der
Toten auf der Suche nach ihrem Bruder durchwanderte, war Breaca
unerträglich.
Dennoch musste auch dieser Gedanke ertragen werden,
zusammen mit der Nachricht, dass Silla tot war, und gemeinsam mit
all dem Schmerz, der mit diesem Wissen einherging. Nur mit größter
Anstrengung schaffte Breaca es, die Vergangenheit in den hintersten
Winkel ihres Bewusstseins zurückzudrängen und sich dazu zu zwingen,
wieder in der Gegenwart zu leben. Die Wunde an ihrem Arm brannte
mit einer solchen Glut, dass sie Breaca geradezu zu verzehren
schien. Sie lag bäuchlings am Flussufer und hielt den Arm so lange
ins Wasser, bis dessen Kälte die Haut betäubt hatte.
Sie hatte die Wange an das nasse Gestein gepresst.
Das schwache Licht des Feuers warf zitternde Schatten auf den
Fluss. An der Stelle, wo die Leiche des Kuriers an den Felsen
hängen geblieben war, kräuselte sich das Wasser in einigen trägen
Wirbeln, ehe es weiterströmte.
Laut sagte Breaca: »Ich habe ihn gar nicht nach
seinem Namen gefragt. Es ist schon zu lange her, dass ich in
menschlicher Gesellschaft gelebt habe. Ich fange langsam an, mit
Menschen weniger behutsam umzugehen, als ich mit einem Pferd
umgehen würde.«
Um ihn brauchst du dich nicht mehr zu
kümmern; er ist jetzt in der Obhut der Götter. Du bist es, die
Hilfe braucht. Du hattest mich schon einmal um Hilfe gebeten,
willst du mich nun ein zweites Mal darum anrufen?
Die Träumerin der Ahnen war dicht bei ihr. Ihre
Stimme stieg aus dem Fluss auf und aus dem Rauch des Feuers, der
über dem Wasser schwebte, und sie hatte einen neckischen, doch
zugleich auch äußerst bedrohlich anmutenden Unterton an sich. So
war es schon immer gewesen, schon von dem Moment an, als sie beide
einander das erste Mal begegnet waren, damals, in einer
Neumondnacht mitten in einem römischen Feldlager, als Airmid die
Ahnin angerufen hatte, den Gouverneur zu töten, in der Annahme,
dass sie dadurch Caradoc retten könnten. Der Gouverneur war
daraufhin auch gestorben, doch Caradoc verweilte trotzdem noch
immer in Gallien. Die Ironie der Geschichte lag schließlich aber
vor allem darin, dass statt Caradoc Valerius zurückgekehrt war und
dass die Ahnin diesen Tausch auch noch für einen gleichwertigen
Ersatz hielt.
Airmid hatte große Angst vor dieser Träumerin
gehabt; gerade Airmid, die doch sonst nichts und niemanden
fürchtete. Breaca hatte Airmid damals während ihrer nächtlichen
Arbeit unentwegt angetrieben, denn in Breacas Gedanken hatte es nur
noch Caradoc gegeben. Später dann hatte sie sich gezwungen, die
listige, verführerische Stimme, die sie bis in die dunkelsten
Winkel ihrer selbst gelockt hatte, wieder zu vergessen. Nun
erinnerte sie sich erneut daran - und wünschte prompt, sie hätte es
nicht getan.
In dem plötzlichen Gefühl des Gefangenseins tastete
Breaca nach der hinter ihr verlaufenden Höhlenwand und stemmte den
Rücken dagegen, ganz so, wie sie sich verhalten hätte, wenn sie
bewaffneten Männern gegenübergestanden hätte. »Das hast du mich
auch schon am Eingang der Höhle gefragt, und meine Antwort bleibt
die Gleiche: Als wir uns das letzte Mal begegnet sind, kannte ich
dich noch nicht. Jetzt, da ich dich kennen gelernt habe, werde ich
niemals wieder um deine Unterstützung bitten. Ich bin nur gekommen,
um dich um den Schutz deiner Höhle zu bitten. Du hast mir diesen
Schutz gewährt, und dafür bin ich dir dankbar. Jetzt aber werde ich
wieder gehen, denn ich möchte dich nicht mehr länger stören.«
Das Lachen der Ahnin klang wie das Gleiten von
Schlangen über Sand und flößte einem größere Angst ein als
sämtliche Legionen. Aber wo willst du dich denn jetzt hinwenden,
Kriegerin? Und warum?
»Ich will nach Mona, wohin denn auch sonst? Der
Ältestenrat muss darüber informiert werden, dass Silla gestorben
ist und Tagos die Herrschaft über die Eceni an sich gerissen hat
und dabei auch noch die Unterstützung Roms genießt.«
Aber willst du dich nicht lieber nach Osten
wenden? Du, die du doch die Erstgeborene der königlichen Familie
der Eceni bist, du, die du von deinem Geburtsrecht und deiner
Abstammung her eigentlich den Torques der Ahnen tragen solltest?
Jenen Halsreif, der dir weitervererbt wurde, damit du ihn in Ehren
hältst und bewahrst als Beweis dafür, was dir dein Volk
bedeutet?
In dieser Frage lag eine Falle verborgen, doch
Breaca konnte sie nicht ausmachen. Also erwiderte sie: »Du hast die
Botschaft doch selbst gehört. Es ist im Augenblick zu unsicher, in
Richtung Osten zu reisen. Efnís war das offenbar bereits klar, dass
ich besser hier bleiben sollte und den Krieg im Westen fortführe;
dass nur von hier aus überhaupt noch eine Chance besteht, die Römer
aus dem Land zu jagen. Und mit diesen Neuigkeiten gedenke ich
jetzt, nach Mona zurückzukehren. Es hat sich also nichts
geändert.«
Und dennoch, die Toten haben bereits zu dir
gesprochen: »So wirst du nie gewinnen, wenn du als Einzelne gegen
eine Überzahl kämpfst.« Der Geist des Standartenträgers hat es dir
schon ganz richtig verraten. Bist du dir wirklich sicher, dass du
die Wahrheit erkennst, wenn du sie hörst?
»Den Worten eines Römers traue ich
prinzipiell nicht, noch nicht einmal denen eines toten. Efnís hat
mir etwas anderes mitgeteilt, und er würde nicht lügen. Ihm liegen
die Eceni genauso sehr am Herzen wie mir.«
So, dein Volk liegt dir also am Herzen? Ich bin
mir da nicht so sicher. Donnernd hallte der Zorn der Ahnin von
den Höhlenwänden wider. Gerade dir sollen sie also am Herzen
liegen, dir, die du deine Leute in den Händen eines unbedarften
Kindes und eines Mannes zurückgelassen hast, der sich bereits an
Rom verkauft hat? Dafür lieben dich die Eceni gewiss
nicht!
Die Worte schmerzten, und somit waren sie
höchstwahrscheinlich wahr. »Ich kämpfe doch nur deshalb im Westen,
eben um den Osten zu befreien«, widersprach Breaca. »Im Osten leben
doch jetzt ohnehin keine Krieger mehr. Rom hat sie doch alle
niedergemetzelt, jene, die noch den Willen und die Geschicklichkeit
zum Führen einer Waffe besaßen.«
Aber sie haben dein Volk noch nicht gänzlich
ausgeblutet. Ein erst kürzlich hingerichteter Legionär sieht die
nahende Zukunft zuweilen klarer, als eine lebendige Kriegerin dies
vermag. Oder soll ich dir vielleicht einmal vor Augen führen, dir,
letzte Kriegerin der Eceni, wie es ist für ein Volk, geschröpft zu
werden, bis ihm nichts, aber auch wirklich gar nichts mehr zum
Leben bleibt?
Zu spät verstand Breaca, was da nun auf sie zukam,
und es gab keine Möglichkeit mehr, ihm noch zu entrinnen. Ob sie
ihre Augen nun schloss oder sie offen ließ, die Bilder waren die
gleichen, stürmten von den schwarzen Wänden der Höhle auf sie ein,
stiegen aus dem wirbelnden Wasser auf, sprangen von dem massiven
Felsboden unter ihr empor.
Was Breaca nun sehen musste, das war nicht mehr
länger der Stamm ihrer Kindheit mit den Erinnerungen an Bán - doch
es waren längst nicht nur die Bilder von Bán, die fehlten, auch die
Rundhäuser waren verschwunden, waren auseinander gerissen worden,
um ihr Holz als Feuerholz zu verwenden, als es nichts anderes mehr
zum Verbrennen gab. An ihre Stelle waren kleine Hütten getreten,
und selbst diese waren zerbrochen. Das Land war kahl und
ausgezehrt, die Weiden bis auf den letzten Halm abgegrast, die
Pferde verhungert und der Teich der Götter ausgetrocknet.
Inmitten all dieser Ödnis und der Ruinen hatten
sich spindeldürre Männer und Frauen - gekleidet in die typischen
blauen Tuniken und Umhänge der Eceni - um einen kleinen Pferch
herum versammelt, so wie sie es früher an den Markttagen getan
hatten. Sie alle hatten die schwieligen, mit Erde beschmutzten
Hände der Erntehelfer und Pflanzer. Nicht einer von ihnen war
Krieger oder Träumer; keiner trug die Abzeichen eines Mitglieds des
Ältestenrats, keiner zeigte mehr irgendein Anzeichen von Stolz oder
Kampfeswillen oder von dem Feuer, das einst in ihren Herzen
gebrannt hatte.
Legionssoldaten in voller Rüstung umringten diese
Menschen. In der Mitte dieser beiden Ringe standen die Kinder, mehr
als zwanzig an der Zahl, mit weit aufgerissenen Augen und zu Tode
verängstigt. Jedes dieser Kinder war durch schwere Ketten um den
Hals und um die Fußgelenke an seinen Nachbarn gefesselt. An den
Stellen, wo das Eisen in ihre Haut schnitt, hatten sich offene,
entzündete Wunden gebildet. Die Kinder weinten golden schimmernde
Tränen, und ihre Eltern fielen auf die Knie und fingen die Tränen
in ihren Händen auf wie ein kostbares Gut.
Sklaverei. Leise, mit eisiger Ruhe zischte
die Ahnin das Wort. Wenn sie sich die Hunde und die Pferde
genommen haben, wenn sie das Vieh und das Wild in den Wäldern
abgeschlachtet haben, wenn sie sich das Eisen genommen haben, das
eigentlich zu Waffen hätte geschmiedet werden sollen, und die
Bronze, die zu so schönem Schmuck hätte werden können, wenn sie
selbst den Halsreif der Ahnen eingeschmolzen haben, um daraus jene
Münzen zu prägen, mit denen dein Volk für den Krieg zahlen muss,
wenn sie alles, wirklich restlos alles mit Steuern belegt und sogar
den Kleinkindern das Essen wieder aus dem Mund gerissen haben, dann
kommen sie, um schließlich auch noch das lebendige Fleisch zu
kaufen und selbst für das, was doch eigentlich von unschätzbarem
Wert ist, einen Preis festzusetzen. Erinnerst du dich noch an den
Traum aus deinen drei langen Nächten in der Einsamkeit, als du das
Zeichen geschenkt bekamst, das du so freimütig benutzt und doch
noch überhaupt nicht verstanden hast?
Fragen, versteckt hinter Fragen, eingebettet in
einem Albtraum. Breaca betete darum, endlich aufzuwachen und
vergessen zu dürfen. Doch beides wollte ihr nicht gelingen.
In Schweiß gebadet erwiderte sie: »Ich habe den
Traum meiner langen Nächte in der Einsamkeit nie vergessen. Ich
hatte damals geschworen, das Andenken an die Ahnen zu ehren und das
Weiterbestehen meines Volkes zu sichern, die Kinder und die Alten
zu beschützen, damit ihr Erbe und das meine unvermindert weiter
existieren können. Ich habe die Schlacht am ins Meer mündenden
Fluss verlassen, um die Kinder zu retten. Und ich habe seitdem
weiterhin ohne Unterlass gekämpft, damit sie die Gesänge und die
Träume der Ahnen in sich weitertragen können, in dem Wissen, wer
sie waren, und damit zu jenen heranwachsen, die sie sein können.
Und ich kämpfe auch jetzt, riskiere jede Nacht, getötet zu werden,
und das alles, damit meine Kinder und die Kinder der anderen
vielleicht eines Tages in einer Welt ohne Römer leben können. Du
kannst mir also nicht vorwerfen, die Kinder im Stich gelassen zu
haben.«
Die Ahnin aber lachte nur. Dann sag es ihnen
doch am besten selbst. Die Gruppe der Kinder in der Vision
teilte sich. Aus ihrer Mitte trat ein kleines, feingliedriges
Mädchen mit Haar von der Farbe von Ochsenblut und einem Gesicht,
das der Schmerz bereits hatte alt werden lassen. Flehend reckte sie
einen Arm aus dem Pferch.
»Graine?« Breaca streckte die Hand aus, um sie zu
berühren, und schlug sich dabei doch bloß die Knöchel an den Felsen
auf. Das Bild zerfiel, wurde zu Asche. Als Breaca wieder zu sich
kam, stand sie mit dem Rücken zum Feuer, und gefährlich dicht
rauschten zu ihren Füßen die Wirbel des Flusses vorbei. Ihr
verletzter Arm pulsierte im Takt ihres viel zu schnell hämmernden
Herzens.
Verzweifelt sagte sie: »Das kann unmöglich eine
echte Vision gewesen sein. Das werde ich einfach nicht glauben. In
Britannien ist es Sklavenhändlern doch gar nicht erlaubt, Geschäfte
zu machen. Kaiser Claudius hatte das doch verboten.«
Claudius ist tot, und sie haben ihn zum Gott
ernannt. Während wir uns hier unterhalten, bauen versklavte
Trinovanter in Camulodunum gerade seinen Tempel. In Rom regiert
jetzt Nero, und Nero wird wiederum von jenen beherrscht, über die
das Gold regiert. Wenn du mir nicht glaubst, dann brauchst du
nichts anderes zu tun, als einfach im Westen zu bleiben und zu
warten. Wenn du also nichts unternimmst, wird genau das, was du
gerade eben gesehen hast, eintreten. Das schwöre ich bei dem
Zeichen, das uns beiden gemeinsam ist.
»Und wenn ich gen Osten reise?«
Dann besteht die Chance, dass das Blatt sich
vielleicht doch noch wendet. Du allein wirst das aber nicht
schaffen; du musst erst einmal genügend Krieger finden, um die
Legionen bekämpfen zu können, und du musst ihnen Zuversicht
einflößen und ihren erloschenen Kampfeswillen neu entfachen. Du
musst das nötige Eisen auftreiben, um sie mit Waffen ausrüsten zu
können. Und du musst noch andere finden, die genügend Mut und
Weitblick besitzen, um das Heer, für den Fall, dass du fällst, an
deiner statt anführen zu können. Vorausgesetzt, du schaffst es,
diese drei Grundbedingungen zu erfüllen, dann kannst du vielleicht
doch noch den Sieg davontragen. Kannst du es sehen? Ich könnte es
dir zeigen, mein Geschenk, das Bild von einer besseren
Zukunft.
»Ich will kein Geschenk von dir. Deine
Bilder sind nicht allzu zuverlässig.«
Ah, immer noch der alte Hochmut! Nun ja, und
dennoch sollst du es bekommen, mein Geschenk.
Das Bild, das die Ahnin ihr zeigte, war flüchtig,
bloß ein Blitz in der Dunkelheit, der den gewohnten Anblick eines
Schlachtfeldes zeigte; und doch war es unmöglich, nicht hinzusehen.
Breacas daraus aufsteigende Vision war von längerer Dauer, sie sah
Krieger, die ihr wohl vertraut waren. Im linken Flügel formierte
Ardacos die Kriegerinnen und Krieger der Bärin zum Angriff, so wie
er es immer tat; sie kämpften zu Fuß, ihre Gesichter und Körper mit
Färberwaid und weißem Kalk bemalt, und rückten gegen eine
zerrüttete und nicht mehr geschlossene Reihe von Legionssoldaten
vor.
In der Mitte stürmten mit Macht die Eceni vor, um
den Feind zu zerschmettern. Breaca konnte nicht sehen, wer sie
anführte, sondern erkannte nur das über ihnen schwebende Zeichen
des Schlangenspeers. Zu ihrer Rechten erblickte sie eine Frau.
Diese hatte die berittenen Krieger aus dem Westen zu einem Keil
formiert und führte sie nun gegen die versammelten Flügel der
römischen Kavallerie, und die Krieger durchbrachen gerade die
feindlichen Flanken. Die Reihen der Kavallerie fielen in sich
zusammen, brachen auseinander, und jene, die noch am Leben bleiben
wollten, flüchteten vom Schlachtfeld und ließen die Mitte damit
ungeschützt zurück. Ein zweites Angriffskommando der Eceni kam im
gestreckten Galopp über das Schlachtfeld geritten, um die
entstandene Lücke zwischen den Römern auszufüllen.
Die Schlacht war schon gewonnen, lange bevor das
Töten ein Ende genommen hatte. Langsam, doch unaufhaltsam drängten
die Massen der Krieger nach vorn, um in der Mitte, zwischen den
sich auftürmenden Leichen zweier Legionen, schließlich wieder
zusammenzutreffen.
Der Moment dieses Zusammentreffens war ein
erhabener Augenblick. Im Herzen der Schlacht fiel eine römische
Standarte und wurde in den Dreck getrampelt. Über ihr erstrahlte
als Verkünder des Sieges der Schlangenspeer.
Mein Geschenk, sprach die Ahnin. Behalte
es gut in Erinnerung.
Nachdem diese Worte verhallt waren, gab es für
eine ganze Weile bloß noch die Dunkelheit, den kühlen Fels und den
Fluss, der an Breaca vorbeirauschte. Langsam sank sie zu Boden,
streckte sich schließlich lang aus und ließ ihren verletzten Arm in
das Wasser hinunterbaumeln.
Breaca lag flach auf dem kühlen Fels, das Gesicht
dem Fluss zugewandt. Sie war keine Träumerin, konnte keine Visionen
heraufbeschwören, und dennoch versuchte sie mit ganzer Kraft, noch
einmal vor ihrem geistigen Auge das Bild ihrer Tochter erscheinen
zu lassen. Sie wollte Graine noch einmal sehen, wie sie in ihrer
kindlichen Anmut unversehrt und wohl behütet auf Mona lebte - und
nicht als das gebrochene Wesen in dem Pferch der Sklavenhändler,
das die Ahnin ihr als Warnung vor Augen geführt hatte.
Breaca bemühte sich so sehr, dass ihr der Schweiß
auf die Stirn trat. In Gedanken erschuf sie ein über das Wasser
tanzendes Feuer und einen feinen Dunstschleier, der darüber
schwebte. Und dann, Strich für Strich und wie ein Maler, zeichnete
sie das ochsenblutrote Haar, die grauen Augen, die zarten Brauen in
der Farbe von Weinlaub und den aufmerksamen, verhangenen Blick, der
so typisch war für Graine, für ihre Tochter, die Breaca seit ihrer
Geburt doch kaum gesehen hatte. Als das Kind zweier Krieger, die
beide von großer, schlanker Statur waren, hätte sie eigentlich
niemals so zart und feingliedrig sein sollen - doch Graine war
tatsächlich all das, was ihre Eltern nicht waren, und sie war
wunderschön. Geboren im Lichte Nemains war sie schon jetzt eine
Träumerin, von dem feinen Glanz ihrer Haare bis hinunter zu den
Sohlen ihrer zierlichen Füße.
Breaca gelang es nicht, das gesamte Bild ihrer
Tochter zu erschaffen, sondern nur das Gesicht, umgeben von dem
üppigen, dunkelroten Haar. Und selbst das Heraufbeschwören dieser
einen Vision kostete Breaca schon mehr Kraft, als sie jemals für
möglich gehalten hätte. Dann, als sie gerade darüber nachdachte,
dass sie offenbar nur unvollständige Bilder in ihrem Traumfeuer
erschaffen konnte, hörte sie plötzlich, wie Graine weinte.
Das Entsetzen darüber ließ die Vision abrupt
zerspringen, und wo gerade eben noch ihre Tochter gewesen war, floh
nun ein Hase über eine Hügelkuppe, gefolgt von Stone, dem letzten
Nachkommen Hails. Und plötzlich war auch Airmid da, schaute aus den
Flammen heraus, und durch die Höhle hallte ihre Stimme: »Aber ich
weiß nicht, wo sie sich verletzt hat; du musst es mir schon sagen,
meine Kleine. Ich kann nämlich nicht so weit sehen wie du.«
Das Bild hatte sich bereits wieder aufgelöst, noch
ehe Breaca begriff, dass die beiden Menschen in ihrer Vision von
ihr und nicht etwa zu ihr gesprochen hatten und dass mit einem Mal,
mit dem Hören dieser Worte, das Brennen in ihrem Arm etwas
nachgelassen hatte.
Sie versuchte nicht, nun auch noch Cunomar
anzurufen. Denn in den drei langen Jahren, die vergangen waren,
seit er der Gefangenschaft in Rom hatte entkommen können, hatte ihr
Sohn ohnehin kaum mehr mit ihr gesprochen. Es war kein Geheimnis,
dass er bei dem Kampf in Gallien an der Seite seines Vaters versagt
hatte - und dass er sich jetzt mit jeder Faser seines Wesens danach
sehnte, diese Schande endlich wieder gutmachen zu können. Jeder
wusste, dass Cunomar sich mit jedem Tag, der verging, aufs Neue
wünschte, die Mitglieder des Ältestenrats würden ihn endlich dazu
auffordern, die Kriegerprüfung seiner drei langen Nächte in der
Einsamkeit abzulegen, damit er sich schließlich als jener Mann
beweisen konnte, der er doch so verzweifelt gerne sein
wollte.
Als Mutter fühlte Breaca natürlich mit ihm. Als
Kriegerin hingegen wusste sie, dass der Junge nicht zum Mann werden
konnte, ehe er lernte, sein Temperament zu kontrollieren - und je
länger die Mitglieder des Ältestenrats die Aufforderung
hinauszögerten, desto unwahrscheinlicher war es, dass er noch
jemals den Frieden und die innere Ruhe finden würde, die er für die
Prüfung benötigte.
Ohne diese letzte Anerkennung aber jagte Cunomar
den Feind mit dem unbeirrbaren Hass eines verletzten Bären. Selbst
die stetig anwachsende Zahl der von ihm getöteten Feinde war nicht
dazu angetan, die noch viel zahlreicheren Wunden seiner Seele zu
heilen. Sowohl im Wachen als auch im Schlafen war Cunomar stets von
einem heftigen Groll umgeben, einem Groll, der ihn umhüllte wie der
Nebel, der zuweilen über die Flüsse glitt, zäh und
unzerteilbar.
Aus dem Dunkel der hinter ihr liegenden Höhle hörte
Breaca plötzlich die Stimme ihres Vaters, Eburovic. Dein Sohn
verzehrt sich nach deiner Liebe. Warum schenkst du sie ihm nicht
endlich?
Eburovic hatte sein Leben für sie gegeben, und sie
hatte ihn dafür mehr geliebt als jeden anderen Mann. Lebendig oder
tot, sie hatte ihn nie etwas anderes sagen hören als die Wahrheit.
Breaca starrte in die Dunkelheit und konnte ihn doch nicht sehen,
seine Gegenwart aber umfing sie voller Liebe - so ganz anders, als
die Gegenwart der Ahnin sich für Breaca angefühlt hatte. Sie war
nicht allein.
»Jedes Mal, wenn mein Sohn einen der Feinde getötet
hat, habe ich für ihn eine weitere Kriegerfeder angefertigt«,
erwiderte sie. »Ich habe ihm ein Pferd geschenkt, das ich selbst
gezüchtet habe, und mit meinen eigenen Händen habe ich das Messer
geschmiedet, mit dem er nun tötet. Ich habe ihn geliebt und war
außer mir vor Freude, als Luain mac Calma ihn aus Rom wieder
hierher zurückbrachte. Und Cunomar weiß das. Dennoch verlässt er
das Rundhaus jedes Mal, wenn ich eintrete, und vom Anbeginn des
Sommers bis zu dessen Ende wagt er es nicht, sich mir zu nähern.
Mein Sohn ist mir ein Fremder. Er geht mit den Bärinnen auf die
Jagd, und ich weiß nicht, wie ich ihn erreichen kann.«
Und das soll nun der Grund sein, weshalb du
ganz allein auf die Jagd gehst, ohne den Wunsch zu haben, ohne die
Bitte zu äußern, dass er dich auf deinen Streifzügen begleiten
möge?
Er war ihr Vater; ihm gegenüber konnte sie einfach
nicht lügen. Er war ein Geist, und als solcher hatte er Zugang zu
den vielen Schichten der Wahrheit.
»Ich kann nicht gemeinsam mit Cunomar auf die Jagd
gehen«, widersprach Breaca. »Denn er würde dann doch ohne Schutz
jagen. Allein den Bärinnen ist es zu verdanken, dass Cunomar
bereits einige Opfer vorzuweisen hat - und vor allem, dass er von
diesen Streifzügen auch stets wieder lebend zurückkehrt. Denn die
Bärinnen jagen in Gruppen, und jedes Mal, wenn sie auf die Jagd
gehen, sind drei oder noch mehr von ihnen dafür verantwortlich,
Cunomar zu beschützen.«
Die Wahrheit durchdrang die Welten, so dass Breaca
plötzlich, ob sie nun wollte oder nicht, ihren Sohn vor sich stehen
sah. An einem anderen Ort und zu einer anderen Zeit wandte Cunomar
gerade den Kopf. Er starrte seine Mutter unverwandt an, mit den
Augen eines Fremden. Sie erwiderte seinen Blick und versuchte, sich
vorzustellen, wie auch Cunomar goldene Tränen weinte, doch es
gelang ihr nicht.
Die Bilder von Graine und Cunomar entwickelten
einen Sog und zogen das Bild von Cygfa nach sich, der Tochter
Caradocs, die zwar nicht Breacas eigen Fleisch und Blut war, die
ihr aber so sehr ans Herz gewachsen war, dass sie zu einer Art
Seelenverwandten geworden war.
Wie Cunomar, so war auch Cygfa damals gefangen
genommen und gemeinsam mit ihrer beider Vater, Caradoc, nach Rom
verschleppt worden. Genauso wie Cunomar hatte auch sie im Schatten
der Kreuze gestanden und sich im Geiste bereits daran sterben
sehen. Ganz im Gegensatz zu Cunomar hatte sie jedoch in ihrem
Inneren eine Quelle der Kraft entdeckt und war dadurch später eben
nicht jener Bitterkeit anheim gefallen, die Cunomar gefangen
hielt.
Nachdem Cygfa ausgezogen war, um ihre langen Nächte
in der Einsamkeit zu erleben, war sie als Frau zurückgekehrt, und
die Vision, die sie gehabt hatte, hatte ein regelrechtes Strahlen
von ihr ausgehen lassen. Breaca war damals diejenige gewesen, die
für Cygfa vor dem Ältestenrat gesprochen hatte, und sie hatte Cygfa
als ihre Tochter begrüßt, einzig, dass sie nicht Blut von ihrem
Blute war, doch war diese Verbindung zwischen zwei Menschen ohnehin
schon immer die geringste von allen gewesen.
Ebenso hoch gewachsen wie ihr Vater und
wunderschön, flocht Cygfa sich vor den Schlachten ganze Hände voll
Kriegerfedern ins Haar und schwang sich auf ein Pferd, das sie
selbst gezüchtet hatte. Die Krieger pflegten sie dann stets dicht
zu umringen, um kurz ihr Schild berühren zu dürfen. Das sollte
Glück bringen. Und es bestand keinerlei Zweifel daran, dass Cygfa
wie immer gut kämpfen und sauber töten würde. Und falls sie dann
tatsächlich einmal in einer Schlacht den Tod finden sollte, so
würde das auch nur deshalb geschehen, weil Briga sie in der anderen
Welt brauchte. In sämtlichen Schlachten, an denen sie seit ihrer
Rückkehr aus Rom teilgenommen hatte, hatte sie an der Seite der
Bodicea gekämpft, und sie hatte sich stets hervorragend
geschlagen.
Von irgendwo in weiter Ferne sprach die Ahnin:
Du liebst Cygfa wie eine Tochter. Das sehen auch die Kinder von
deinem eigen Fleisch und Blut tagtäglich, und sie trauern darum.
Wundert es dich da etwa, dass sie sich enger an andere halten als
an dich?
Breaca lag auf dem kalten Fels am Ufer des
unterirdischen Flusses, und ihr Mund war vor Durst völlig
ausgedörrt. Ihre Körpertemperatur war stark angestiegen, und
gleichzeitig war ihr kalt, und sie zitterte. Ihr Atem reichte nicht
aus, um ihren Worten eine deutlich hörbare Stimme zu verleihen.
Flüsternd antwortete sie: »Du drehst dir die Wahrheit zurecht, wie
sie dir passt. Meine Kinder wissen, dass sie in meinen Augen alle
gleich viel wert sind.«
Bist du dir da sicher?
»Ja.«
Sie war sich dessen zwar ganz und gar nicht sicher,
doch sie hatte es einfach behauptet. Auch der Fluss schien ihre
Behauptung mit seinem Rauschen zu bekräftigen, und die Worte der
Ahnin wurden immer leiser.
Aber du bist eine Eceni. Es ist dein Blut und
dein Recht und deine Pflicht. Es ist noch nicht zu spät, die Tränen
der Kinder zu trocknen. Aber dazu musst du zuerst einen Weg finden,
wie du den Menschen das Herz und den Mut und den Kampfeswillen, die
sie schon lange verloren haben, wieder zurückgeben kannst. Finde
eine Möglichkeit, die Krieger zum Kampf aufzurufen und um dich zu
scharen, und bewaffne sie; finde mindestens einen, der genug Mut
hat, um dir in der Hinsicht das Wasser reichen zu können;
vielleicht wirst du dann siegen. Sei ihnen die Anführerin, die sie
so dringend brauchen. Und schließlich musst du noch das Zeichen
finden, das das unsere ist, und den Platz entdecken, den es in
deiner Seele einnimmt. Erkenne das Zeichen, und dann wirst
du sie in den Sieg führen.
Die scharfen Worte der Ahnin ritzten ein Bild in
die Dunkelheit: den Schlangenspeer, der flammend vor einem
sommerlichen Himmel schwebte.
Die sich krümmende Schlange besaß zwei Köpfe, womit
sie gleichzeitig die Vergangenheit und die Zukunft betrachtete. Der
Speerschaft war gebogen, so als ob er zerbrochen wäre. Seine eine
Spitze zeigte nach oben, die andere nach unten - sowohl hinab in
die Erde als auch hinauf in den Himmel - und verband damit das
Reich der Menschen mit dem Reich der Götter.
Und immer noch mehr Speere erschienen, eingemeißelt
in den lebendigen Fels der Wände der Höhle, von der Erde bis hinauf
zu der unerreichbar hohen Decke. Überall, in jedem noch so kleinen
Winkel, lenkte die doppelköpfige Schlange ihren Blick sowohl in die
Vergangenheit als auch in die Zukunft. Und der über sie verlaufende
gebogene Speer verband die Götter mit ihrem Volk. Das Feuer begann
zu knistern und zu prasseln, loderte noch einmal hell auf, ergoss
sich wie flüssiges Metall in die in den Fels eingeritzten Zeichen
und Symbole, so dass auch sie plötzlich mit Leben erfüllt wurden
und sich schimmernd von den Wänden abhoben.
Das Licht wurde unerträglich hell. Es schmerzte,
den Blick auf den grellen Schein zu richten. Breaca glaubte, im
Sterben zu liegen, und wandte den Kopf ab. »Was geschieht mit
meinen Kindern?«
Willst du sie wirklich in den Sklavenpferchen
sehen? Wenn du den Sieg über den Feind erringen willst, musst du
dafür deine Kinder aufgeben. Und es ist besser, du verlierst sie
jetzt an Mona, wo man sie liebt, als später an Rom.
Die Schlangenspeere an den Wänden wichen - immer
blasser werdend - in die Dunkelheit zurück. Nur das einzelne, von
Feuer umrahmte Zeichen schwebte noch unter der himmelblauen Decke
der Höhle.
Erfüllt von einer geradezu verstörend
eindringlichen Besorgnis sprach die Ahnin: Es gibt keinen
anderen, der dies zu vollbringen vermag, sonst hätte man dich nicht
darum gebeten. Wenn du so schnell handelst, wie du nur irgend
kannst, ist es vielleicht noch möglich, den Lauf der Dinge
aufzuhalten und die Römer wieder zurückzudrängen.
»Versprichst du mir das?«
Ich verspreche dir gar nichts. Nur, dass ich
bei dir sein werde und dir, wenn du dich danach sehnst und darum
bittest, den Tod schenken kann - oder dich am Leben erhalte, was
dann aber möglicherweise ganz und gar nicht nach deinem Willen sein
könnte.
Ein beißender Geruch, so als ob irgendetwas
verbrannte, ließ Breaca erwachen.
Ihr Umhang lag am Rande der Feuers und schwelte vor
sich hin. Die Wunde an ihrem Arm war aufgeplatzt und sonderte übel
riechenden Eiter ab. Der Schmerz, der in ihr wütete, war schlimmer
als alles andere, was sie jemals erlitten hatte, sogar noch
schlimmer als die Schmerzen bei der Geburt ihrer Kinder. Sie
starrte in die Dunkelheit und sah nichts und hörte nichts, nur das
unaufhörliche Rauschen des Flusses und sein Echo, das die Stille
erfüllte.
Nach einer Weile rollte sie sich auf die Seite,
dann weiter auf den Bauch. Sie tauchte den angeschmorten Zipfel
ihres Umhangs ins Wasser, damit er ihr nicht noch ganz verbrannte.
Anschließend trank sie ein wenig und schob dann, mit
zusammengebissenen Zähnen, ihren verletzten Arm in den Fluss, damit
die stete Strömung ihn sauber wusch.
Später, noch immer auf allen vieren kriechend, fand
sie die Satteltaschen des Fremden. Darin befanden sich Wermut,
Eisenkraut und Pisang sowie noch diverse andere Arzneikräuter,
deren Namen sie nicht kannte und die Efnís dem Kurier mitgegeben
hatte, für den Fall, dass er sich auf seiner Reise verletzte.
Airmid hätte gewusst, wie man sie am besten
einsetzte. Breaca kannte sich da weniger gut aus, gab sich aber
alle Mühe, sie so fachkundig wie möglich anzuwenden, und betete zu
den Göttern, nicht jedoch zu der Träumerin der Ahnen, dass sie sie
in ihrer Heilung unterstützten.
Danach schlief sie wieder ein und ruhte lange. Als
sie erwachte, hatte sich ihre Temperatur gesenkt, und sie zitterte
nunmehr vor Hunger, nicht mehr vor Fieber. Breaca wusste, dass das
Schlimmste nun überstanden war. Sie nahm etwas von dem Proviant aus
den Satteltaschen des Kuriers zu sich und ging dann langsam aus der
Höhle, um sich um die Pferde zu kümmern. Die Rotschimmelstute
erkannte sie wieder, wieherte leise und zerzauste sanft Breacas
Haar, während diese dem Pferd im Gegenzug den Widerrist kraulte und
einige Kletten aus der Mähne löste.
In der Zwischenzeit war sie zu einer Entscheidung
gekommen und wollte diese nun jemandem mitteilen. Deshalb sagte
Breaca laut: »Wir werden noch so lange hier bleiben - hier, wo wir
in Sicherheit sind -, bis ich wieder gesund genug bin, um zu
reiten, und dann machen wir uns auf den Weg nach Osten. Vielleicht
können wir ja doch noch genügend Krieger finden und zum Kampf
bewegen, vielleicht finden wir dann auch das Eisen, um sie mit
Waffen auszurüsten, und einen, der die Krieger anführt. Wenn wir es
trotz aller Anstrengungen nicht schaffen sollten, die römische Flut
noch abzuwenden, haben wir es zumindest versucht. Und für den Fall,
dass die Legionen tatsächlich kommen sollten, um dich und dein
Kleines in die Sklaverei zu verschleppen, dann, das verspreche ich
dir, töte ich euch zuvor, oder besser noch die Römer - ehe ich so
etwas zulasse.«
Die Stute wusste noch nicht, was Sklaverei
bedeutete, sondern hörte nur den leidenschaftlichen Unterton in
Breacas Stimme. Sie wandte den Kopf, legte ihr Kinn auf Breacas
Schulter und knabberte mit ihren ledrigen Lippen zärtlich an
Breacas schweißnassem Haar.