Drei

»Verloren!«, platzte Jonas heraus. »Du meinst, er ist gestorben?«

»Aber nein«, erwiderte HK. »Zumindest ist er das bisher nicht.«

»Ich hab’s, ich hab’s!«, rief Katherine. »Es ist wie in diesem uralten Film – wie hieß er noch? Zurück in die Zukunft? –, wo eine Zeitreise fast dazu geführt hätte, dass der Junge und seine Geschwister nie geboren wurden? Hat irgendein Zeitreisender vor 1611 dafür gesorgt, dass John Hudson nie existierte?« Katherine schlug sich die Hand auf den Mund und wurde um einiges blasser. »Haben wir das etwa 1600 angerichtet?« Sie packte den Arm ihres Bruders. »O Jonas, ich hoffe, das passiert dir nicht auch!«

Herzlichen Dank, Katherine, dachte Jonas. Du bist wirklich eine große Hilfe.

»Beruhige dich!«, befahl HK. »Nichts davon ist passiert. Erstens war John Hudson 1600 schon geboren. Er ist ein Teenager, siehst du das nicht?«

»Ach ja«, sagte Katherine ein wenig verlegen.

»Ich bin sicher, dem echten John Hudson geht es gut und er schwebt in keinerlei Gefahr, aus der Geschichte getilgt zu werden«, versicherte ihr HK. »Es ist nur so, dass wir … äh … ein kleines technisches Problem hatten, ihn rechtzeitig hierher zurückzubringen.«

Jonas beobachtete den Marker, der sich wieder an der Reling zusammenkauerte. Jetzt sah er wirklich aus wie ein Geist, wie die leere Hülle eines Jungen, der ebenso gut gestorben sein könnte.

Bei all den Sorgen rund um das Zeitreisen, denen Jonas tunlichst aus dem Weg gegangen war, wäre es ihm nie in den Sinn gekommen, dass es unmöglich sein könnte, jemanden in sein ursprüngliches Zeitalter zurückzuschicken.

Was war, wenn es ihm genauso erging – und der Epoche, in die er eigentlich gehörte? Welche auch immer das sein mochte.

Hieß das, John Hudson gehörte am Ende doch nicht wirklich hierher? Und HK könnte sich geirrt haben … in allem?

Allmählich bekam Jonas Kopfschmerzen.

Katherine schlug mit der Hand aufs Deck und ging bereits zur nächsten Frage über.

»Und was hast du nun vor?«, erkundigte sie sich vorwurfsvoll.

»Oh, wir haben einen Plan ausgetüftelt, der funktionieren müsste«, erwiderte HK verhalten.

»Und welchen?«, fragte Katherine.

Zu Hause hatte sich Katherine den Kopf darüber zerbrochen, ob sie es im nächsten Schuljahr, in der siebten Klasse, lieber als Cheerleader oder als Basketballerin versuchen sollte. Sie hatte getan, als ginge es um eine lebenswichtige Entscheidung, um die Chance, ihre wahre Identität zu wählen: Girlie oder Sportskanone?

Jetzt wurde Jonas klar, dass ihre wahre Identität bereits feststand. Er sah ihre Zukunft genau vor sich: Sie würde Staatsanwältin werden, wenn sie erwachsen war. Sie hörte sich jetzt schon wie eine an.

Und HK beantwortete ihre Fragen. Er tat es widerstandslos und fast unterwürfig, als stehe es Katherine zu, die Zügel in der Hand zu halten.

»Lasst es mich erklären«, sagte er. »Gary und Hodge haben John Hudson nur ein bisschen vorschnell aus seiner Zeit gerissen, versteht ihr? Sie waren einfach schlampig.« Der Zorn in seiner Stimme war nicht zu überhören. »Nur ein paar Stunden später, und sie hätten ihn ohne Probleme herausholen können, ohne jede Gefahr, die Zeit zu beschädigen.«

»Und warum haben sie das nicht getan?«, fragte Jonas, der trotz allem neugierig war.

»Weil es für Zeitreisende wesentlich einfacher ist, auf dem Deck eines mittelalterlichen Dreimasters zu landen statt in einem winzigen Ruderboot, das zwischen Eisschollen treibt«, erwiderte HK voller Verachtung. »Besonders, wenn sie faul sind.«

»Aha«, sagte Jonas. Er konnte nachvollziehen, warum man den einfachen Weg wählte.

»Also ist davon auszugehen, dass John Hudson in einem Ruderboot landet?«, fragte Katherine. »Im Eis

»Eine Meuterei ist im Anzug«, erklärte HK. »Es kann nur noch Sekunden dauern.«

Unter Deck war ein Krachen zu hören. John Hudsons Marker richtete sich auf und lief zum Niedergang. Er spähte hinunter und glitt dann die eisigen Stufen hinab.

Stille.

»Soll der echte John Hudson dort unten irgendwas tun?«, fragte Jonas.

»Nein, nein, er muss sich nur verstecken«, sagte HK. »Zusehen und abwarten. Bis –«

»Aber er ist nicht wirklich da!«, sagte Katherine mit Panik in der Stimme. »Er wird nicht in einem Ruderboot landen! Und was geschieht dann?«

Katherines Panik war ansteckend. Jonas begann an all die schrecklichen Dinge zu denken, die passieren konnten, wenn John Hudson einen entscheidenden Punkt in seinem Leben verpasste: Die Zeit wird unwiderruflich beschädigt … Ich bekomme nie wieder etwas zu essen … Andrea und die anderen stecken für immer in der Vergangenheit fest … Ach, Andrea

»Keine Sorge!«, sagte HK scharf. »John Hudson muss nicht wirklich im Ruderboot sein. Es reicht, wenn seine Schiffskameraden glauben, dass er es ist!«

»Und wie soll das funktionieren, wenn ihr den echten John Hudson nicht zurückbringen könnt?«, fragte Katherine.

»Mit unserem brillanten Plan B«, sagte HK. »Jonas wird John Hudsons Rolle übernehmen.«